2.1.1 Neues Vorbringen

 

Rz. 3

Die Vorschrift ist Teil des berufungsrechtlichen Präklusionsrechts. Neue, also erstinstanzlich nicht vorgetragene Tatsachen können in der Berufung nur unter den Voraussetzungen des Abs. 1 berücksichtigt werden. Erstinstanzlich verspätet vorgetragene und deswegen zu Recht zurückgewiesene Tatsachen bleiben nach Abs. 2 auch zweitinstanzlich ausgeschlossen. Beide Absätze sichern die Einhaltung der den Beteiligten obliegenden Prozessförderungspflicht, denen aufgegeben wird, rechtzeitig in erster Instanz vorzutragen und dies nicht für die zweite Instanz aufsparen.

 

Rz. 4

Erklärungen sind nur solche zum Sachverhalt, hingegen nicht Erläuterungen und Ergänzungen des Vortrags. Gleichermaßen sind dem Klageänderungen, Anträge und Erklärungen, deren Grundlage erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden sind, nicht zuzurechnen. Es muss sich um Erklärungen/Beweismittel handeln, für die das SG bereits eine Frist nach § 106a Abs. 1 oder 2 gesetzt hat. Die Fristsetzung muss wirksam und mit einer Rechtsfolgenbelehrung nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 verbunden gewesen sein. Neue Erklärungen und Beweismittel liegen nur vor, wenn diese der Entscheidung des SG nicht zugrunde gelegen haben. Es muss sich um gänzlich oder doch in wesentlichen Punkten neues Vorbringen bzw. neue Beweismittel handeln. Vorbringen im Berufungsverfahren ist nicht neu, wenn es bereits in der Vorinstanz vorgetragen worden ist und in der Berufungsinstanz konkretisiert wird (BGH, Urteil v. 5.6.1991, VIII ZR 129/90, NJW-RR 1991 S. 1214). Ob es sich um neues Vorbringen handelt, folgt aus dem Sitzungsprotokoll des SG und dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (BAG, Urteil v. 8.10.1959, 2 AZR 48/57, MDR 1960 S. 81).

2.1.2 Verzögerung

 

Rz. 5

Die Bezugnahme auf § 106a Abs. 3 bedeutet, dass die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit das LSG neues Vorbringen zurückweisen "kann". Die Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits und das Unterlassen des Vorbringens im ersten Rechtszug aus grober Nachlässigkeit sind kumulativ erforderlich, um zu bewirken, dass das Vorbringen zurückgewiesen werden kann (BVerfG, Beschluss v. 1.4.1992, 1 BvR 1097/91, NJW 1992 S. 2557). Der Rechtsstreit verzögert sich, wenn er länger dauern würde, als bei Zurückweisung des neuen Vorbringens. Das LSG beurteilt dies nach seiner freien Überzeugung (BVerfG, Beschluss v. 1.4.1992, 1 BvR 1097/91, NJW 1992 S. 2557; OVG Niedersachsen, Beschluss v. 19.2.2001, 2 LA 366/01, NVwZ 2001 S. 1062). Ob der Rechtsstreit bei rechtzeitigem Vorbringen ebenso lange gedauert hätte, ist unerheblich, es sei denn, dies wäre offenkundig (BVerwG, Urteil v. 18.2.1998, 11 A 6/97, NVwZ-RR 1998 S. 592). Ein neuer Sachvortrag führt nicht zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits, wenn dieser weder bei Zulassung noch bei Nichtzulassung des Vorbringens im Ganzen entscheidungsreif ist (BGH, Urteil v. 5.6.1991, VIII ZR 129/90, NJW-RR 1991 S. 1214). Die Zulassung verspäteten Klägervorbringens, welche eine weitere umfangreiche Tatsachenaufklärung im Berufungsverfahren erfordert und dadurch die Dauer des sonst entscheidungsreifen Rechtsstreits verlängert hätte, rechtfertigt die Annahme einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits (BVerwG, Beschluss v. 15.4.1998, 2 B 26/98). Zu einer Verzögerung führt eine Zulassung verspätetes Vorbringens dann nicht, wenn hierfür eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht mitursächlich wäre (BVerwG, Beschluss v. 14.6.2005, 1 B 142/04, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 307).

 

Rz. 6

Der jeweilige Beteiligte muss schuldhaft säumig sein. Maßstab hierfür sind die zu § 67 (Wiedereinsetzung) entwickelten Grundsätze. Hierzu muss der Beteiligte einen Sachverhalt vortragen und ggf. glaubhaft machen, ausweislich dessen ihn auch keine einfache Fahrlässigkeit trifft. Ist die Säumnis durch ein hinzutretendes Verschulden des LSG mitverursacht worden, muss dies berücksichtigt werden, denn das LSG ist aus Gründen der prozessualen Fürsorge verpflichtet, alles Zumutbare zu machen, um eine drohende Verfahrensverzögerung zu verhindern. Unter anderem deswegen ist der Beteiligte über die Säumnisfolgen zu belehren (§ 106a Abs. 3 Nr. 3). Hieraus ist ferner herzuleiten, dass das LSG verspätetes Vorbringen nicht zurückweisen darf, wenn es den Sachverhalt mit geringem Aufwand auch ohne Mitwirkung der Beteiligten aufklären kann (Kopp/Schenke, VwGO, § 128a Rn. 3). Zu einer Verzögerung i. S. d. § 106a Abs. 3 Nr. 1 führt eine Zulassung verspäteten Vorbringens ferner dann nicht, wenn hierfür eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht mitursächlich wäre (BVerwG, Beschluss v. 14.6.2005, 1 B 142/04, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 307).

 

Rz. 7

Die Entschuldigungsgründe sind auf Verlangen des LSG glaubhaft zu machen. Auch insoweit besteht eine Hinweispflicht. Nötigenfalls muss das LSG dem Beteiligten Gelegenheit geben, eine unzureichende Glaubhaftmachung zu vervollständigen. De...

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