Rz. 8

Übergangen ist ein Anspruch nach allg. Meinung nur, wenn über ihn versehentlich nicht entschieden worden ist (vgl. z. B. BGH, NJW 1980, 840; BSG, SozR 5310 § 6 Nr. 2; BVerwG, NVwZ 1994 S. 1117).

2.2.2.1 Fehlen einer Entscheidung zu dem erhobenen Anspruch

 

Rz. 9

Zunächst bedarf es der Feststellung, dass über den erhobenen Anspruch nicht entschieden worden ist. Wie dies zu geschehen hat, ist keineswegs eindeutig. Nach BAG (NJW 1959 S. 1942) soll allein nach der Urteilsformel, nicht nach den Entscheidungsgründen zu bestimmen sein, ob ein Antrag übergangen worden ist (vgl. auch Redeker/von Oertzen, § 120 Rn. 2; Zeihe, § 140 Rn. 5a zum zusprechenden Urteil). Wenn der Anspruch nur in den Entscheidungsgründen abgehandelt wird, sich aber im Tenor kein Ausspruch darüber findet, ist nach dieser Meinung Raum für § 140. Nach der insbesondere vom BGH vertretenen Gegenmeinung ist in einem solchen Falle nicht der Weg der Urteilsergänzung, sondern der Urteilsberichtigung zu beschreiten (vgl. BGH, NJW 1964 S. 1858; BGH, VersR 1982 S. 70; LSG Hessen, MDR 1981 S. 1052; vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 321 Rn. 4; Rennert, in: Eyermann, § 120 Rn. 3; für den Regelfall zustimmend Mey, S. 537 Rn. 38). Diese Auffassung liegt wohl auch der Entscheidung des BSG in BSGE 6 S. 97 zugrunde, wonach dann, wenn im Urteilstenor nur die Berufung als unzulässig verworfen worden ist, aber die Urteilsgründe klar und eindeutig ergeben, dass das Gericht auch eine vom Berufskläger erhobene Widerklage für unzulässig gehalten hat, davon auszugehen sei, dass eine Entscheidung über die Widerklage vorliege. Danach sind also die Entscheidungsgründe heranzuziehen und ist nur dann, wenn in den Entscheidungsgründen und dem Tenor eine Entscheidung über den Anspruch fehlt, ein Fall des § 140 möglich (vgl. auch BVerwG, Urteil v. 7.7.1994, 3 C 35/92, Buchholz 427.3 § 249 LAG Nr. 35). Wenn z. B. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und hilfsweise Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt war und das SG Rente wegen Berufsunfähigkeit zuspricht, ohne im Tenor die Klage im Übrigen abzuweisen, lässt sich anhand der Entscheidungsgründe feststellen, ob das SG den weitergehenden Rentenanspruch der Erwerbsunfähigkeit verneint hat und lediglich vergessen hat, die Klageabweisung im Übrigen im Tenor zum Ausdruck zu bringen, oder ob es über den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit versehentlich oder irrtümlich (dazu unten Rn. 10) nicht entschieden hat. Im ersten Fall wäre lediglich der Tenor nach § 138 zu berichtigen, ansonsten käme die Urteilsergänzung nach § 140 bei versehentlicher Nichtentscheidung in Betracht. Werden im Urteil die mit der Widerklage geltend gemachten Ansprüche im Tatbestand dargestellt und die Anträge wiedergegeben und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass und warum diese Ansprüche nicht bestehen, enthält aber der Tenor keinen Ausspruch über die Widerklage, ist kein Fall der Urteilsergänzung (§ 140) gegeben, weil eine Entscheidung über die Widerklage getroffen worden ist. Es ist vielmehr lediglich das Urteil wegen einer offensichtlichen Auslassung (§ 138) zu berichtigen (vgl. OLG Celle, Urteil v. 24.3.2004, 3 U 272/03, WM 2004 S. 1635). Bei einem klageabweisenden Urteil beweist das Schweigen der Entscheidungsgründe zu einem im Tatbestand aufgenommenen selbständigen Anspruch nicht, dass eine Entscheidung zu diesem Anspruch nicht ergangen ist. Das Urteil ist mit dem vorgesehenen Rechtsmittel anzugreifen. Es verletzt wegen des Fehlens von Entscheidungsgründen zu dem Anspruch das rechtliche Gehör des Klägers und § 136 Abs. 1. Fehlt darüber hinaus der entsprechende Anspruch auch als Antrag im Tatbestand, ist evident, dass das Gericht nicht über ihn entschieden hat. Nach Zeihe (§ 140 Rn. 5b) soll eine vorherige Tatbestandsberichtigung in einem solchen Falle entbehrlich sein, denn das weitergehende Verfahren der Urteilsergänzung schließe das der Berichtigung des Tatbestands ein; auch sei es unwirtschaftlich, dem Beschwerten zwei aufeinander folgende Verfahren aufzubürden. Dem wird man sich für den Fall anschließen können, dass die Erhebung des betreffenden Anspruchs sich aus dem Protokoll ergibt. Ansonsten ist aber zunächst die Tatbestandsergänzung (§ 139) zu betreiben.

2.2.2.2 Versehentliche Nichtentscheidung

 

Rz. 10

Nicht in jedem Fall ist ein erhobener Anspruch/gestellter Antrag, über den im Urteil nicht entschieden worden ist, übergangen i. S. d. § 140. Wenn das Gericht über diesen Anspruch nicht entschieden hat, weil es ein Teilurteil (vgl. Kommentierung zu § 125 Rz. 8) gewählt hat, ist für eine Urteilsergänzung nach § 140 kein Raum. Es kommt dabei nicht darauf an, ob das Gericht das Teilurteil als solches bezeichnet hat und ob es zu Recht die Voraussetzungen für ein Teilurteil angenommen hat (vgl. Mey, S. 536 Rn. 37), solange nur in dem Urteil selbst oder zumindest in den insoweit eindeutigen Begleitumständen zum Ausdruck kommt, dass das Gericht nur über einen Teil des Streitgegenstands entscheiden und den Rest einer späteren Entscheidung vorbehalten will (vgl. BVerwG, NVwZ 1994 S. 1117). Entscheidende Voraussetzung der Urteilsergänz...

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