Rz. 18

Bislang bestand weitgehende Einigkeit darüber, dass der Inhalt der zivilgerichtlichen Urteile zum Teil anderen Regeln folgt, die vielfach auch nicht über § 202 entsprechend anwendbar sind, wie z. B. §§ 313a und 543 ZPO (a. F. ersetzt ab 1.1.2002 durch § 540 ZPO) über das abgekürzte Urteil (vgl. BSG, SozR 1750 § 543 Nr. 2; BSG, SozSich 1980 S. 124; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 136 Rn. 1A; Peters/Sautter/Wolff, § 136 Rn. 169; a. A. für § 313a Zeihe, § 136 Rn. 16c). Diese Vorschriften der ZPO sehen – durch die Neufassung der ZPO zum 1.1.2002 noch erweiterte – Möglichkeiten vor, Tatbestand und Entscheidungsgründe entbehrlich zu machen (vgl. zur Änderung der ZPO zum 1.1.2002 Hartmann, NJW 2001 S. 577 ff.). Obwohl namentlich gegen die Anwendung des § 313a ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren gewichtige Gründe vorgebracht worden waren (siehe nur bei Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 136 Rn. 1b; Peters/ Sautter/Wolff, § 136 Rn. 169) hat der Gesetzgeber mit Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes v. 26.3.2008 (SGGArbGGÄndG, BGBl. I S. 444) zum 1.4.2008 den Abs. 4 angehängt, der § 313a Abs. 2 ZPO nachempfunden ist. Das muss auch deshalb überraschen, weil es noch in BT-Drs. 7/5250 Art. 4 zu Nummer 3a (§ 117 VwGO) zur Frage der Anwendbarkeit des damals eingeführten § 313a ZPO in den Verfahren nach der VwGO, der FGO und des SGG hieß, bereits der Ausnahmekatalog des § 313a Abs. 4 (damals Abs. 2) ZPO mache deutlich, dass für die Anwendung des neuen § 313a ZPO in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein Raum sei.

 

Rz. 19

Unter den in Abs. 4 genannten Voraussetzungen (siehe dazu unten Rz. 20 ff.) sind nunmehr weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe erforderlich. Der neue Abs. 4 soll eine Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit bezwecken (vgl. BT-Drs. 16/7716 S. 26 zu Nr. 23 § 136; Tabarra, NZS 2008 S. 8). Die Wirkung dürfte aber insbesondere in der ersten Instanz nur gering sein. Denn in den Fällen, in denen das Gericht in der Lage ist, die Beteiligten im Rechtsgespräch zu überzeugen, genügen weiterhin die prozessualen Möglichkeiten der Rücknahme des Rechtsmittels, des Vergleichs und des Anerkenntnisses. Dort aber, wo diese Überzeugung nicht gelungen ist, werden die Beteiligten, namentlich derjenige, der nach den Hinweisen der Kammer mit seinem Unterliegen rechnen muss, kaum Veranlassung sehen, auf Rechtsmittel zu verzichten (mit Recht kritisch deshalb auch die Stellungnahme Nr. 32/07 vom 27.6.2007 des Deutschen Anwaltsvereins durch den Ausschuss Sozialrecht zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer Gesetze). In der Berufungsinstanz ergibt sich mehr Raum für einen Rechtsmittelverzicht und ein Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe, etwa wenn ein Beteiligter zwar nicht das Ergebnis der Beweisaufnahme gutheißen will, sich aber nicht der Erkenntnis entziehen kann, dass eine weitere Tatsacheninstanz nicht gegeben ist. Einem Prozessbevollmächtigten, dessen Mandant in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend gewesen ist, wird zudem ein in oder nach der mündlichen Verhandlung erklärter Rechtsmittelverzicht oft leichter fallen als eine Berufungsrücknahme. Auch hier wird es sich im Wesentlichen um solche Fälle handeln, in denen bislang z. B. der nach einer Zwischenberatung erteilte und begründete Hinweis des Senats zur Rechtslage zur Herstellung des Rechtsfriedens ohne Urteil ausgereicht hat. Die Neuregelung lässt zudem wichtige Fragen, wie die nach der Frist, innerhalb der der Verzicht zu erklären ist, offen (siehe unten Rz. 22).

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