Rz. 26

Wie bereits ausgeführt, betrifft § 131 Abs. 1 Satz 3 nach Wortlaut und systematischer Stellung den Fall der Erledigung des Verwaltungsakts zwischen Klageerhebung und Urteil. Erledigt sich der Verwaltungsakt schon vor Klageerhebung, ist eine Anfechtungsklage ausgeschlossen und ein Übergang von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage, wie er in § 131 Abs. 1 Satz 3 beschrieben ist, an sich nicht möglich. Das BVerwG hat den Anwendungsbereich der Parallelvorschrift § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO aber weit ausgedehnt und wendet diese Vorschrift analog an, wenn der Verwaltungsakt sich bereits vor Klageerhebung erledigt hat, aber nicht bestandskräftig geworden war (vgl. BVerwGE 12 S. 87, 90; BVerwGE 26 S. 161, 165; BVerwGE 49 S. 36, 39; BVerwGE 81 S. 226, 227). Es entspricht inzwischen auch in der sozialrechtlichen Literatur wohl der h. M., dass § 131 Abs. 1 Satz 3 ("entsprechend") auch auf Verwaltungsakte angewendet werden müsse, die sich bereits vor Erhebung der Klage erledigt haben (vgl. Behn, Die Sozialversicherung 1996 S. 144 ff; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 131 Rn. 9a; Zeihe, § 131 Rn. 7d). Das BSG (3. Senat) führt in einem Urteil v. 29.5.1996 aus, die Fortsetzungsfeststellungsklage sei grundsätzlich auch für den Fall der Erledigung des Verwaltungsakts vor Klageerhebung zulässig, und zwar sowohl nach der VwGO als auch nach dem SGG (vgl. BSGE 78 S. 243 ff.). Für Letzteres gibt das BSG keine nähere Begründung und nennt lediglich als Vertreter der Gegenmeinung – wohl zu Unrecht – Meyer-Ladewig, § 131 Rn. 9 (5. Aufl.). Dagegen hat der 7. Senat des BSG noch in einer Entscheidung v. 24.7.1996 zur Klage gegen einen Beschluss des Neutralitätsausschusses (§ 116 AFG) offen gelassen, ob bei Erledigung vor Klageerhebung die Fortsetzungsfeststellungsklage die richtige Klageart ist oder ob statt der entsprechenden Anwendung des § 131 Abs. 1 Satz 3 eine erweiternde Auslegung des § 55 (Feststellungsklage) zu erfolgen hat (vgl. BSG, Urteil v. 24.7.1996, 7 KlAr 1/95, BSGE 79 S. 71 ff.). Diese Frage stellt sich in der Tat trotz der langjährigen entsprechenden Rechtsprechung des BVerwG. So bezweifelt das BVerwG (Beschluss v. 5.5.1999, 4 B 35/99, NVwZ 2000 S. 63, 64; kritisch dazu Kopp/Schenke, § 113 Rn. 99) inzwischen ausdrücklich, ob bei einer nicht von vornherein als Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erhobenen Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts überhaupt auf § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zurückzugreifen ist. Jedenfalls seien die Voraussetzungen bei einer solchen speziellen Feststellungsklage, bei der es um die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts geht, der sich vor Eintritt der Bestandkraft durch Aufhebung vorprozessual erledigt hat, letztlich dem § 43 VwGO zu entnehmen (vgl. BVerwG, a. a. O.). Unabhängig von der Frage der dogmatischen Einordnung entspricht es allg. Meinung, dass für das Verfahren bis zur Erledigung des Verwaltungsakts die Vorschriften des Anfechtungsverfahrens, insbesondere die Fristvorschriften gelten. Unzulässig ist etwa die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, der sich erledigt hat, nachdem der Betroffene die Widerspruchsfrist versäumt hat. Hat sich der Verwaltungsakt dagegen schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt, bedarf es keines Widerspruchs und keines Vorverfahrens mehr (vgl. BVerwGE 26 S. 161, 167). Ob für die Klage eine Frist eingehalten werden muss, ist streitig. Das BVerwG, das diese Frage lange offen gelassen hatte, verneint sie inzwischen. Rechtssicherheit und Bestandsschutz seien nicht in der Weise berührt, wie im Falle des Erledigungseintritts nach Eintritt der Bestandskraft. Die Verwaltung werde durch das Erfordernis des berechtigten Interesses und das Institut der Verwirkung geschützt (vgl. BVerwG, Urteil v. 14.7.1999, 5 C 7/98, NVwZ 2000 S. 63, 64; vgl. auch Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 113 Rn. 97; Fechner, NVwZ 2000 S. 121; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 131 Rn. 7d; a. A. Kopp/Schenke, § 113 Rn. 128; Schmidt, in: Eyermann, § 113 Rn. 72). Wenn man § 131 Abs. 1 Satz 3 mit der h. M. grundsätzlich analog auf die Fälle der Erledigung des Verwaltungsakts vor Klageerhebung anwenden möchte, wird man an das Fortsetzungsfeststellungsinteresse in solchen Fällen strengere Anforderungen stellen müssen. Wird etwa mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines bereits vor Klageerhebung erledigten Verwaltungsakts nur im Hinblick auf einen Amtshaftungsprozess begehrt, so fehlt dafür das Festsstellungsinteresse. Der Kläger muss stattdessen unmittelbar das Zivilgericht anrufen, das im Amtshaftungsprozess auch für die Klärung sozialrechtlicher Vorfragen zuständig ist (vgl. LSG NRW, Urteil v. 11.9.2006, L 20 SO 36/06; vgl. auch Wolff, in: Sodan/Ziekow, § 113 Rn. 281). Ein Anspruch auf den "sachnäheren" Richter gibt es nicht (vgl. LSG NRW, a. a. O.; BVerwG, Urteil v. 20.1.1989, 8 C 30/87 = BVerwGE 81 S. 226).

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