Rz. 5

Absatz 3 ermächtigt das Gericht, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Die Zurückweisungsmöglichkeit schränkt die Amtsermittlungspflicht nach § 103 ein (vgl. BT-Drs. 16/7716). Ebenfalls eingeschränkt wird der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör i. S. v. Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG. Gleichwohl sind die bestehenden Präklusionsvorschriften vor dem Hintergrund, dass sie auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinwirken sollen, vom BVerfG als verfassungsgemäß angesehen worden (vgl. BVerfG, Beschluss v. 10.10.1973, 2 BvR 574/71, BVerfGE 36 S. 92 ff.; BVerfG, Beschluss v. 22.5.1979, 1 BvR 1077/77, BVerfGE 51 S. 188 ff.; BVerfG, Beschluss v. 7.10.1980, 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55 S. 72 ff.).

 

Rz. 6

Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens unterliegt verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen.

Zunächst müssen Erklärungen und Beweismittel erst nach Ablauf der nach den Abs. 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht worden sein.

Deren Zulassung müsste sodann nach der freien Überzeugung des Gerichts dazu führen, dass die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde. Der Begriff der freien Überzeugung weist darauf hin, dass das Gericht insoweit einen Beurteilungsspielraum besitzt (vgl. OVG Saarland, Beschluss v. 7.7.2006, 3 Q 8/06, juris). Dieser Beurteilungsspielraum ist im Hinblick auf die Tatsache, dass nach Maßgabe von § 110 Abs. 1 Satz 1 allein der Vorsitzende die Zeit der mündlichen Verhandlung bestimmt, auch unerlässlich. Es genügt, dass der Vorsitzende bei Eingang des Vorbringens auf Grundlage seiner regelmäßig geübten Terminierungspraxis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt ist, dass eine Verzögerung eintreten würde, d. h., das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung. Von einer Verzögerung wird man regelmäßig dann nicht ausgehen können, wenn die Streitsache sowieso noch nicht entscheidungsreif ist. Zwingend ist dies jedoch nicht. Die Annahme ist etwa dann ungerechtfertigt, wenn nur eine geringfügige Ermittlung bis zur Herstellung der Entscheidungsreife noch aussteht, der – späte – Prozessvortrag indes bei Zulassung zwangsläufig zu weiteren umfangreichen Ermittlungen führen würde.

Der Beteiligte darf des Weiteren die Verspätung nicht genügend entschuldigt haben, wobei der Entschuldigungsgrund auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen ist. Entschuldigt ist der Beteiligte etwa dann, wenn er krankheitsbedingt nicht in der Lage war, den Prozessvortrag zu einem früheren Zeitpunkt zu unterbreiten bzw. Beweismittel früher zu bezeichnen.

Der Beteiligte muss zudem über die Folgen der Fristversäumung belehrt worden sein. Die Belehrung kann mit den unter Fristsetzung ausgesprochenen Anordnungen i. S. d. Abs. 1 und 2 verbunden werden oder aber mit einer Erinnerung nachgeschoben werden.

 

Rz. 7

Sind all diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, so darf eine Zurückweisung gemäß Abs. 3 Satz 3 gleichwohl dann nicht erfolgen, wenn es dem Gericht mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Dieser Ausschlusstatbestand wirkt in Abs. 3 deplaziert, denn es ist bereits nicht einsichtig, dass das Gericht befugt gewesen sein könnte, überhaupt i. S. d. Abs. 1 und 2 Anordnungen zu treffen, wenn es der Mitwirkung des Beteiligten gar nicht bedurft hat.

 

Rz. 8

Die Rechtsfolge des Abs. 3 besteht darin, dass das Gericht das verspätete Vorbringen zurückweisen kann. Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob es die Zurückweisung vornehmen will oder nicht. Eine Verpflichtung zur Zurückweisung besteht nicht. Das Gericht ist durchaus befugt, dem neuen Prozessvortrag nachzugehen und etwa alle Beweise, die es nunmehr noch für erforderlich hält, zu erheben.

Ermessensfehlerhaft handelt das Gericht dann, wenn es sich für die Zurückweisung entscheidet, obwohl seine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht die Verzögerung mitverursacht hat (BVerfG, Beschluss v. 21.2.1990, 1 BvR 1117/89, BVerfGE 81 S. 264 ff.).

 

Rz. 9

Die Entscheidung über die Zurückweisung muss nicht durch gesonderten Beschluss erfolgen. Sie kann inzidenter in der instanzbeendenden Entscheidung getroffen werden. Die Gründe für die Zurückweisung, insbesondere die Ermessenserwägungen des Gerichts sind dabei niederzulegen (vgl. BVerwG, Beschluss v. 12.7.2004, 1 B 247/03, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 79; Bay VGH, Beschluss v. 12.8.2004, 14 ZB 04.30695, juris; VGH Hessen, Beschluss v. 7.10.2005, 2 ZU 1598/04.A, AuAS 2005 S. 273 ff.).

 

Rz. 10

Das Berufungsgericht ist gemäß § 157a Abs. 1 befugt, neue Erklärungen und Beweismittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür gesetzten Frist nicht vorgebracht worden sind, unter den Voraussetzungen des § 106a Abs. 3 zurückzuweisen. Nach Abs. 2 der Vorschrift bleiben Erklärungen und Beweismittel, die das Sozialgericht zu Recht zurückgewiesen hat, auch im Berufungsverfahren a...

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