Rz. 2

Die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen besteht in jeder Lage des Verfahrens. Die Aufklärungspflicht in dem Zeitraum vor der mündlichen Verhandlung ist vom Gesetzgeber ausdrücklich in § 106 geregelt worden. Innerhalb der mündlichen Verhandlung kann eine Sachaufklärung maßgeblich mittels einer Beweisaufnahme erfolgen, für die § 118 dem Sozialgericht nahezu das gesamte Instrumentarium der ZPO zur Verfügung stellt.

Der Untersuchungsgrundsatz gilt für das erstinstanzliche wie für das zweitinstanzliche Verfahren uneingeschränkt, während § 163 für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht maßgebend ist, nach dessen Inhalt das BSG im Grundsatz an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist.

 

Rz. 3

Der Untersuchungsgrundsatz gilt nicht nur für das Klageverfahren selbst, sondern auch für Annexverfahren oder für Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Dabei werden die Anforderungen an Art und Umfang der Amtsermittlung durch die unterschiedlichen Verfahrensbesonderheiten bestimmt. Bei einem Verfahren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es (weiterer) Amtsermittlungsschritte nicht mehr, wenn die Glaubhaftmachung i. S. v. § 67 Abs. 2 Satz 2 erfolgt ist. Bei einem Klageverfahren hingegen muss in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle das Vorliegen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen an Sicherheit grenzend wahrscheinlich sein. Sofern dieser Grad noch nicht erreicht ist, das Gericht auch nicht vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt ist und soweit weitere vernünftige Ermittlungsmöglichkeiten noch zur Verfügung stehen, muss das Gericht gemäß § 103 von diesen Gebrauch machen (vgl. BSG, Urteil v. 25.6.2002, B 11 AL 3/02 R, NZA 2003 S. 92; BSG, Urteil v. 18.3.2003, B 2 U 31/02 R, Breithaupt 2003 S. 565 ff.). Ist der beschriebene Grad erreicht, so bedeutet dies indessen nicht notwendigerweise das Ende der Ermittlungen. Ist etwa das Eingreifen eines gesetzlichen Anspruchsausschlusstatbestands denkbar, so hat das Gericht diesbezüglich in anderweitige neue Ermittlungen einzutreten. Das Gericht ist im Übrigen nicht gehindert, die Ermittlungen hinsichtlich des Anspruchsausschlusses vorher durchzuführen. Die Reihenfolge der Ermittlungen ist im Grundsatz gesetzlich nicht vorgegeben, sondern bestimmt sich nach dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. Der Vorsitzende oder Berichterstatter wird nach intensivem Aktenstudium eine Prognose anstellen, welche Vorgehensweise die zweckmäßigste sein dürfte, und danach handeln.

Hat das Gericht sämtliche Ermittlungsmöglichkeiten zum Beweis entscheidungserheblicher Tatsachen ausgeschöpft, ohne sich von dem Vorliegen einer bestimmten Tatsache überzeugt zu haben, so muss es prüfen, wer dadurch benachteiligt wird. Die Beweislastverteilung bestimmt sich immer nach dem Regelungsgefüge der für den Rechtsstreit maßgebenden Norm (BSG, Urteil v. 25.6.2002, B 11 AL 3/02 R, DBIR 4771a, SGB X § 44). Es gibt wegen § 103 zwar keine subjektive Beweisführungslast, wohl aber eine objektive Beweislast (BSG, Urteil v. 8.9.2010, B 11 AL 4/09 R, juris; Bay LSG, Urteil v. 28.10.2010, L 8 AL 302/06, juris). Im Grundsatz trägt den Nachteil derjenige, der mit der – letztlich nicht erwiesenen – Tatsache einen Anspruch oder aber eine Einrede begründen wollte.

 

Rz. 4

Das Gericht hat die Amtsermittlung ungeachtet des HS 2 von § 103 Satz 1 in eigener Verantwortung durchzuführen. Welche Ermittlungen durchzuführen sind, entscheidet das Gericht unabhängig von der – unter Umständen sogar einhelligen – Vorstellung der Beteiligten von dem Ermittlungsgang. Das Gericht hat dabei zunächst die Rechtslage zu sichten und danach zu entscheiden, welche Ermittlungen erforderlich sind, um auf Grundlage der gewonnenen Überzeugung von der Rechtslage den Sachverhalt entscheiden zu können. Dabei besteht nach § 103 Satz 2 keine Bindung an Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten. Auch bei einer zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhaltsdarstellung ist das Gericht nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet, diese zu überprüfen, wenn es gewichtige Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Sachverhaltsdarstellung unrichtig ist. Das Gericht darf eine Prüfung auch nicht mit Einverständnis der Beteiligten auf bestimmte gesetzliche Tatbestände beschränken, wenn noch andere Tatbestände in Betracht kommen (BSG, Urteil v. 12.11.2003, B 3 KR 39/02 R, NZS 2004 S. 323). Das Gericht ist andererseits nicht gehalten, den Sachverhalt in sämtlichen unstreitigen Einzelheiten aufzuklären. Tatbestandsvoraussetzungen, deren Vorliegen die Beteiligten einhellig bejahen, kann das Gericht als gegeben unterstellen, wenn es keinen besonderen Anlass sieht, daran zu zweifeln.

Umstände, die das Gericht aus eigener anderweitiger Anschauung, insbesondere aus Aktenstudium oder Studium der bisher gewechselten Schriftsätze, nicht kennen kann und die entscheidungserheblich sind, sollte der betreffende Beteiligte dem Gericht in eigenem Interesse zur Kenntn...

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