Rz. 40

Ein VA wird zulasten des Betroffenen mit Rückwirkung regelmäßig dann aufgehoben, wenn dieser einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Der Tatbestand für eine rückwirkende Aufhebung setzt neben der objektiven Verletzung einer gesetzlichen Mitteilungspflicht ein Verschulden in Form von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit voraus.

 

Rz. 41

Eine durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Mitteilungspflicht kann sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I ergeben. Daneben kann sich die Rechtspflicht zur Mitteilung aber auch aus spezielleren Vorschriften (z. B. § 206 SGB V) oder Bußgeldvorschriften ergeben, die häufig aber wiederum auf § 60 SGB I als Tatbestand verweisen. Eine nicht auf Rechtsvorschriften beruhende Mitteilungspflicht kann die Rechtsfolge der rückwirkenden Aufhebung eines Bescheides nicht auslösen. Soweit sie jedoch den Inhalt von § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I bezogen auf die zugebilligte Leistung konkretisieren, sind sie auch im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigen; ebenso wie unzutreffende Angaben der Behörde über die zu meldenden Veränderungen das Verschulden ausschließen können. Durch den Erhalt einer Nebenkostenrückzahlung (nicht schon der Abrechnung) tritt eine wesentliche Änderung in den der Leistungsbewilligung nach dem SGB II zugrundeliegenden wirtschaftlichen Verhältnissen ein, welche den Leistungsempfänger zur Mitteilung dem Leistungsträger gegenüber nach § 60 Abs. 1 SGB I verpflichtet (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 1.12.2009, L 1 AS 64/09).

 

Rz. 41a

Es ist grundsätzlich nicht grob fahrlässig, wenn ein im Rahmen von Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs. 1 SGB I zu erstellendes Mitteilungsschreiben mit einfachem Brief an den Leistungsträger übermittelt wird. Eine Pflicht zur Nachfrage, ob das Schreiben auch tatsächlich eingegangen ist, kann bei besonderen Umständen des Einzelfalles bestehen (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 29.10.2010, L 1 AL 49/09). Wer anstelle eines eindeutigen und unmissverständlichen Hinweises über die Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses nur eine neue Krankenversicherungskarte mit dem allgemeinen Hinweis "Krankenversicherung der Rentner" erhält, muss daraus ohne besondere Vorkenntnisse nicht schließen, dass nunmehr ein Tatbestand der Pflichtversicherung vorliegt (Hess. LSG, Urteil v. 18.2.2014, L 2 R 446/12). Auch das Nichtbemerken einer erfolgten Beitragsabbuchung stellt nicht in jedem Fall eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung dar; die Umstände des Einzelfalles sind stets zu beachten (Hess. LSG, a. a. O.)

 

Rz. 42

Für das Verschulden ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit erforderlich. Vorsatz liegt dann vor, wenn der Betroffene von seiner Rechtspflicht zur Mitteilung weiß, dieser jedoch nicht nachkommt. Nicht erforderlich ist, dass dies mit der Absicht, eine bestimmte Sozialleistung weiter zu beziehen, geschieht. Ausreichend ist, dass die Verletzung der Mitteilungspflicht billigend in Kauf genommen wird (bedingter Vorsatz). Der Vorsatz muss sich auf die Mitteilungspflicht und die Wesentlichkeit der Änderung beziehen.

 

Rz. 43

Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist wie in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 als Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße zu verstehen. Eine grobe Fahrlässigkeit wird i. d. R. dann vorliegen, wenn der Betroffene im Bescheid oder in beigefügten Merkblättern auf konkrete zu meldende Tatbestände hingewiesen wurde. Auch wenn die Leistung so offensichtlich und jedermann bekannt vom Vorliegen bestimmter auch negativer Voraussetzungen abhängig ist, liegt eine grobe Fahrlässigkeit vor, wenn diese Tatsachen nicht mitgeteilt werden (z. B. Beschäftigungsaufnahme bei Erwerbsunfähigkeitsrente; Auffinden des Vermissten bei Rente wegen Verschollenheit; Aufnahme einer Beschäftigung bei Arbeitslosengeld I oder II). Auch hier muss sich die grobe Fahrlässigkeit auf die Wesentlichkeit der Änderung der Verhältnisse und die Mitteilungspflicht beziehen. Anders als in Nr. 4 und § 45 Abs. 2 Nr. 3 muss sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht auf die wegen der Änderung der Verhältnisse eingetretene materielle Rechtswidrigkeit des VA und des Bezuges der Leistung beziehen.

 

Rz. 43a

Die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 verlangt nicht, dass die Verletzung der Mitteilungspflicht im engeren Sinne ursächlich für die Überbezahlung war. Dies ergibt sich aus dem von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 abweichenden Wortlaut (dort: "beruht auf"). Eine solche Forderung kann auch nicht der Formulierung "soweit" in § 48 Abs. 1 Satz 2 entnommen werden (BSG, Urteil v. 9.2.2006, B 7a AL 58/05 R, SGb 2006 S. 307 – Kurzwiedergabe, a. A. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, § 48 Rz. 23). Die gesetzliche Formulierung verlangt lediglich, dass der Verstoß gegen § 60 Abs. 1 SGB I in einem Pflichtwidrigkeitszusammenhang mit der Leistungsgewährung steht. Dabei reicht nicht jeder Verstoß gegen § 60 Abs. 1 SGB I aus, sondern nur die Ver...

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