Rz. 9

Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 schafft einen Befreiungsgrund für die Angehörigen von Berufsgruppen, die nicht durch Angestellte, sondern durch Selbstständige, z. B. Ärzte, Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte u. a., geprägt sind (BSG, Urteil v. 22.4.1986, 12 RK 60/84); verkammerte Berufe. Der Befreiungstatbestand beruht auf der Überlegung, dass die betroffenen Personen meist nur vorübergehend und in Vorbereitung auf eine spätere selbstständige Tätigkeit in einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung stehen und diese Personen lückenlos in dem für ihre Berufsgruppe geschaffenen Sicherungssystem angehören sollen (BSG, Urteil v. 18.9.1963, 1 RA 202/62). Dem Befreiungstatbestand kommt eine überragende praktische Bedeutung in der Rechtspraxis zu. Die Befreiungsvoraussetzungen beziehen sich auch auf die angestellten Mitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen. Damit wird erreicht, dass die angestellten Mitglieder dieser Berufsgruppe nicht mit einer doppelten Beitragspflicht belastet werden. Im Übrigen wird dadurch sichergestellt, dass diejenigen, die während ihrer Berufstätigkeit in die Selbstständigkeit wechseln, eine geschlossene Versicherungsbiografie in der entsprechenden berufsständischen Versorgungseinrichtung aufbauen können (BT-Drs. 13/2590 S. 118).

 

Rz. 10

Nach der Befreiungsvorschrift des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 kann ein Beschäftigter oder selbstständig Tätiger auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit werden für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, "wegen" der der Betroffene aufgrund gesetzlicher Anordnung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung seiner Berufsgruppe und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied seiner berufsständischen Kammer ist. Freiwillige Mitglieder einer berufsständischen Kammer haben kein Recht auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (BSG, Urteil v. 30.4.1997, 12 RK 20/96). Dies verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht; insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 GG. Die Wahl des Differenzierungskriteriums "Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft" dient dazu, die Befreiungsmöglichkeiten für die Angestellten, die traditionell berufsständischen Versorgungseinrichtungen als Pflichtmitglieder angehören, zu erhalten (BSG, Urteil v. 9.3.2005, B 12 RA 8/03 R). Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a bis 1c regelt insoweit die weiteren Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen: Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a eröffnet den Befreiungstatbestand nur den Personen, deren Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bereits vor dem 1.1.1995 bestanden hat. Außerdem müssen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b einkommensbezogene Beiträge entrichtet werden; die Beiträge müssen dabei tatsächlich gezahlt werden (zutreffend GRA der DRV zu § 6 SGB VI, Stand: 8.5.2023, Anm. 2.1.3). Nicht ausreichend sind insoweit Beiträge, die dem einkommensunabhängigen Mindestbetrag entsprechen. Letztlich muss nach Abs. 1 Satz 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c die versorgungsrechtliche Absicherung Ansprüche für verminderte Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene vorsehen.

 

Rz. 11

Im Einzelfall müssen daher die nachfolgend aufgeführten Voraussetzungen für eine Befreiung erfüllt sein.

Die Befreiung gilt nur für die Tätigkeit, "wegen" der jemand Mitglied in der Versorgungseinrichtung geworden ist. Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Zugehörigkeit zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung erstreckt sich nur auf eine Beschäftigung oder Tätigkeit, auf der die Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung beruht (BSG, Urteil v. 22.11.1998, B 5/4 RA 80/97 R); es muss sich daher um eine berufsspezifische bzw. berufsgruppenspezifische Tätigkeit handeln. Soweit jemand nur wegen einer (Neben-)Tätigkeit, z. B. als Rechtsanwalt Mitglied eines Versorgungswerkes der Rechtsanwälte geworden ist, kommt eine Befreiung für die (Haupt-)Tätigkeit, z. B. als juristischer Mitarbeiter eines Versicherungsunternehmens, nicht in Betracht (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 7.5.2013, L 18 R 170/12, zur Befreiung von Syndikusanwälten; zur insoweit unterdessen durch das BSG geklärten Rechtsprechung vgl. unten Rz. 4a). Es muss sich um eine öffentlich-rechtliche Versicherungs- bzw. Versorgungseinrichtung handeln, deren Finanzierung durch einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt. Das sind die auf landesgesetzlicher Grundlage errichteten Versicherungs- und Versorgungswerke der verkammerten Berufe, auf deren Angehörige das Befreiungsrecht beschränkt ist (BT-Drs. 13/2590 S. 22). Private Versorgungseinrichtungen – z. B. betriebliche Sozialeinrichtungen – reichen nicht aus. Weiter wird verlangt, dass die berufsständische Versorgungseinrichtung Leistungen für den Fall der Invalidität und des Alters sowie für Hinterbliebene vorsieht, die beitragsbezogen und dynamisiert sind (BSG, Urteil v. 7.11.1991, 12 RK 49/89; v. 22.4.1...

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