Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige des Sozialhilfeträgers

 

Orientierungssatz

1. Die Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige nach § 93 SGB 12 setzt nicht voraus, dass der übergeleitete Anspruch tatsächlich besteht. Dies ist einer Klärung im dafür vorgesehenen Zivilrechtsweg vorbehalten. Etwas anderes gilt dann, wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist. Eine in einem solchen Fall dennoch erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige ist rechtswidrig.

2. Rechte aus einem Wohnrecht sind grundsätzlich überleitungsfähig. Ist die Rückkehr eines Pflegebedürftigen aus einem Pflegeheim in absehbarer Zeit nicht zu erwarten und die überlassene Wohnung zur Vermietung an Dritte geeignet, so kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht, dass der Wohnrechtsverpflichtete berechtigt sein soll, die Wohnung zu vermieten.

3. Wird die Wohnung von dem im Pflegeheim untergebrachten Hilfebedürftigen nach wie vor genutzt, indem dieser persönliche Gegenstände und Möbel dort lagert, so beinhaltet eine fortgesetzte Nutzung jedoch die weitere Ausübung des Wohnrechts i. S. von § 1093 BGB. Das schließt die Vermietung der Wohnung durch den Wohnrechtsverpflichteten an einen Dritten und damit die Erzielung von Mieteinkünften, die als Surrogat an die Stelle des Wohnrechts treten könnten, aus. Damit ist ein solcher Anspruch auf Abgeltung des Wohnrechts in Form einer Geldrente offensichtlich nicht existent und kann demzufolge nicht Gegenstand einer wirksamen Überleitung sein.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juli 2011 sowie der Bescheid des Beklagten vom 12. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2008 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige des beklagten Sozialhilfeträgers.

Die Stiefmutter des Klägers, die 1929 geborene B. A., wird wegen Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe III) seit dem 1. Juli 2008 in einem Pflegeheim stationär betreut. Die Heimpflegekosten werden seitdem - unter Anrechnung der eigenen Einkünfte der Hilfebedürftigen - von dem Beklagten erbracht.

Mit notariellem Grundstücksübertragungsvertrag vom 2. März 1982 war dem Kläger von seinen Eltern der Grundbesitz an dem Hausgrundstück DO., Band 39 Blatt 1143 (Hof- und Gebäudefläche, A-Straße, A-Stadt) übertragen worden. Im Gegenzug räumte der Kläger seinen Eltern ein als beschränkte persönliche Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragenes, ab Oktober 1991 unentgeltliches Wohnungsrecht auf Lebenszeit an der abgeschlossenen Wohnung im Obergeschoss des Hauses A-Straße ein. Die Überlassung der Ausübung des Wohnungsrechts an Dritte war nach dem Vertrag nicht gestattet. Der Vaters des Klägers ist 1993 verstorben.

Mit Überleitungsanzeige gemäß § 93 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) vom 12. August 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass seit Juli 2008 die Heimpflegekosten von Frau A. aus Sozialhilfemitteln getragen würden. Der Anspruch auf Abgeltung des Wohnrechts in dem Haus A-Straße in Form einer Geldrente werde auf das Sozialamt übergeleitet.

Der Kläger erhob am 29. August 2008 Widerspruch und führte aus, das bestellte Wohnrecht wandle sich keineswegs automatisch in eine Geldrente um, wenn der Berechtigte aus der Wohnung ausziehe. Die Wohnung sei von Frau A. nicht geräumt worden und daher auch nicht vermietbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Übergeleitet worden sei der mögliche Anspruch auf eine Geldrente als Abgeltung für die durch Frau A. unmöglich gewordene Ausübung des Wohnrechts. Die Rechtmäßigkeit einer Überleitung hänge grundsätzlich nicht von dem Bestehen und dem Umfang des übergeleiteten Anspruchs ab; eine Überleitung sei nur ausgeschlossen, wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich nicht bestehe. In einem weiteren Schreiben vom 8. September 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, seinen Angaben folgend, dass die Wohnung nicht geräumt sei und sich die persönlichen Gegenstände und Möbel von Frau A. noch darin befänden, weshalb diese nicht vermietet werden könne, sei von der Abgeltung eines Wohnrechts derzeit abzusehen; man behalte sich jedoch vor, zu gegebener Zeit eine erneute Prüfung der Angelegenheit durchzuführen.

Der Kläger hat am 22. Oktober 2008 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben, das mit Urteil vom 14. Juli 2011 die Klage abgewiesen hat. Die Überleitung des nicht grundsätzlich ausgeschlossenen Anspruchs der Hilfeempfängerin auf Kapitalisierung des Wohnrechts - ggf. in Form einer Geldrente - sei rechtmäßig. Für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige sei es nach der Rechtsprechung unerheblich, ob der übergeleitete Anspruch tatsächlich und wenn ja in welchem Umfang bestehe, außer das Bestehen des Anspruchs sei nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen und erkennbar sinnlos (sog. Negat...

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