Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Entscheidung nach vorläufiger Bewilligung. Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche mit EU-Recht. Erstattung der erbrachten Leistungen. Erfüllungsfiktion. Bestehen eines Erstattungsanspruchs des unzuständigen Grundsicherungsträgers gegen den zuständigen Sozialhilfeträger. Kenntnis des Sozialhilfeträgers von den Voraussetzungen seiner Leistungspflicht. Optionskommune

 

Orientierungssatz

1. Auch eine vorläufige Leistung nach § 328 Abs 1 SGB 3 kann Grundlage eines Erstattungsanspruchs nach den §§ 102 ff SGB 10 sein.

2. Ein Sozialhilfeträger, der gleichzeitig als zugelassener kommunaler Träger iS des § 6a SGB 2 gemäß § 6a Abs 5 SGB 2 ein Jobcenter als besondere Einrichtung zur Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB 2 unterhält, muss sich die Kenntnis des Jobcenters im Rahmen des § 105 Abs 3 SGB 10 ausnahmsweise zurechnen lassen.

 

Tenor

1. Auf die Berufung wird das Urteil das Sozialgerichts Gießen vom 9. Juli 2019 abgeändert und die Rückforderung im Bescheid vom 11. Juli 2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. Juli 2016 aufgehoben; im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die endgültige Festsetzung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für März bis September 2015.

Die 1952 geborene Klägerin (früher: Klägerin zu 2.) ist spanische Staatsangehörige, ebenso wie ihr 1952 geborener und während des Berufungsverfahrens verstorbener Ehemann und Rechtsvorgänger, der frühere Kläger zu 1. (im Folgenden: Ehemann). Beide hielten sich seit Januar 2013 im Bundesgebiet auf und lebten in einem gemeinsamen Haushalt. Der Beklagte ist ein kommunales Jobcenter, das vom Beigeladenen als Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet wurde.

Der Ehemann der Klägerin war vom 30. April 2013 bis 11. Oktober 2013 und vom 26. Februar bis 26. August 2014 (als Reinigungskraft) erwerbstätig.

Mit Bescheid vom 8. April 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehemann vorläufig gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. März 2015 bis 31. August 2015 in Höhe von monatlich 530,59 Euro für die Klägerin und von 530,60 Euro für deren Ehemann. Die Bewilligung ergehe bis zur Entscheidung des EuGH in dem Verfahren C 67/14 vorläufig.

Vom 26. April 2015 bis Ende August 2015 war der Ehemann der Klägerin als Zeitungszusteller mit einer monatlichen Arbeitszeit von acht Stunden tätig. Sein Lohn betrug 37,42 Euro für April 2015, 89,40 Euro für Mai 2015, 83,98 Euro für Juni 2015, 88,30 Euro für Juli 2015 und 108,38 Euro für August 2015.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann erneut vorläufig Leistungen für September 2015 bis Februar 2016, für September in der Höhe des Bescheides vom 8. April 2015.

Ab September 2015 war der Ehemann der Klägerin als Reinigungskraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 2,5 Stunden und einem Lohn von 25,00 Euro wöchentlich beim Autohaus C. beschäftigt. Zusätzlich arbeitete er ab Oktober 2015 wieder als Zeitungszusteller zu einem monatlichen Lohn von 100,00 Euro.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 2015 setzte der Beklagte die Leistungen für März bis November 2015 endgültig nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 SGB III fest, indem er feststellte, dass kein Anspruch auf Leistungen bestanden habe. Die zu erstattende Überzahlung betrage für die Klägerin 4.854,43 Euro und für ihren Ehemann 6.383,10 Euro. Hiergegen legten die Klägerin und ihr Ehemann unter dem 10. Dezember 2015 Widerspruch ein.

Am 14. Januar 2016 beantragten sie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bei dem Beigeladenen. Dieser lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. März 2016 ab und begründete dies damit, dass die Klägerin und ihr Ehemann leistungsberechtigt nach dem SGB II seien und deswegen nach § 21 Satz 1 SGB XII keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII hätten. Widerspruch hiergegen wurde nicht erhoben.

Mit Änderungsbescheid vom 11. Juli 2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann endgültig Leistungen für die Zeit von Oktober 2015 bis Februar 2016. Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 11. Juli 2016 setzte der Beklagte den Erstattungsbetrag für März bis September 2015 fest und forderte von der Klägerin 3.777,83 Euro und von ihrem Ehemann 4.958,04 Euro.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 12. Juli 2016 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung legte er dar, dass der Ehemann der Klägerin nur ein Aufenthaltsrecht wegen Arbeitsuche und nicht aus einer Eigenschaft als Ar...

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