Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung. Rückausnahme. Unterbringung in einem Krankenhaus für voraussichtlich weniger als sechs Monate. Antragstellung nach Einrichtungswechsel. Zusammenrechnung von vergangenen mit zukünftigen Aufenthaltszeiträumen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Entscheidung der Frage, ob trotz der Unterbringung eines Hilfebedürftigen in einer stationären Einrichtung auf der Grundlage von § 7 Abs 4 S 3 SGB 2 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II besteht, sind im Falle eines Einrichtungswechsels die Aufenthaltszeiträume zusammenzurechnen, wenn die Unterbringung in beiden Einrichtungen durch einen gemeinsamen Zweck (hier die Überwindung einer Suchtmittelabhängigkeit) verbunden ist.

2. Bei der Prognose, ob eine weniger als sechsmonatige Unterbringung in einem Krankenhaus vorliegt, ist auch bei einer erneuten Antragstellung oder einer Antragstellung erst nach einem Einrichtungswechsel zwar der Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Arbeitslosengeld II maßgeblich, dabei sind aber die bis dahin bereits zurückgelegten Zeiten der Unterbringung einzubeziehen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.11.2015; Aktenzeichen B 14 AS 6/15 R)

 

Tenor

I.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 9. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

II.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren Kosten nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht für die Zeit vom 06.01.2010 bis zum 05.07.2010 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II - anstelle der ihm bewilligten Sozialhilfe - geltend.

Der 1973 geborene Kläger unterzog sich wegen seiner damaligen Drogenabhängigkeit zunächst vom 29.04.2009 bis zum 02.06.2009 einer Entgiftung im Zentrum für Soziale Psychiatrie H. in J-Stadt. Unmittelbar anschließend war er vom 02.06.2009 bis zum 05.01.2010 stationär in der Übergangseinrichtung des Vitos Klinikums Gießen-Marburg untergebracht. Dabei handelt(e) es sich um eine Einrichtung für Suchtmittelabhängige, in der die Patienten nach einer Entgiftung die weitere Perspektive planen und sich auf eine Therapie vorbereiten können.

Während des Aufenthalts in der Übergangseinrichtung verurteilte ihn das Amtsgericht Frankfurt am Main (AG) mit Urteil vom 22.09.2009 (Gerichtsakte - im Folgenden: GA - Bl. 60) wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung das Gericht zur Bewährung aussetzte. Im zugehörigen Bewährungsbeschluss vom gleichen Tage (GA Bl. 13) wies es den Kläger an, die Therapie in der Übergangseinrichtung in Gießen fortzusetzen und die vorbereitete Langzeittherapie - die nach dem damaligen Stand der Planungen in K-Stadt stattfinden sollte - zu beginnen und durchzuführen. In der Folgezeit verurteilte ihn das AG zudem mit Urteil vom 05.11.2009 (GA Bl. 53) wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Stoffen, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung das Gericht wiederum zur Bewährung aussetzte. Im entsprechenden Bewährungsbeschluss vom 16.11.2009 (GA Bl. 14) gab es dem Kläger inhaltlich unverändert auf, die am 02.06.2009 in der Übergangseinrichtung in Gießen begonnene stationäre Drogentherapie durch Absolvierung einer Langzeittherapie fortzusetzen, diese nicht gegen den Rat der Ärzte und Therapeuten vorzeitig abzubrechen und ihre Fortsetzung jeden dritten Monat durch Vorlage einer Bescheinigung dem Gericht nachzuweisen, ebenso deren Beendigung. Mit Beschluss vom 26.01.2010 (GA Bl. 15) schließlich bildete das AG nachträglich aus den in den beiden Urteilen verhängten Strafen eine Gesamtstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die es gleichfalls zur Bewährung aussetzte. Die Auflagen und Weisungen aus dem Bewährungsbeschluss vom 22.09.2009 erhielt es dabei aufrecht.

Ab dem 05.01.2010 begann der Kläger - in nahtlosem Anschluss an den Aufenthalt in der Übergangseinrichtung des Vitos Klinikums - eine stationäre Langzeittherapie in der Fachklinik L./M. Hierfür hatte ihm die Deutsche Rentenversicherung Bund durch Bescheid vom 11.11.2009 (Leistungsakte des Beklagten - im Folgenden: LA - Bl. 14) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für 26 Wochen bewilligt.

Am 08.01.2010 stellte der Kläger einen Antrag (LA Bl. 1) auf laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesen lehnte der Beklagte (bzw. seine Rechtsvorgängerin, die Arge Arbeitsförderung Werra-Meißner, im Folgenden einheitlich: Beklagter) mit dem streitigen Bescheid vom 11.01.2010 (LA Bl. 23) ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch lägen nicht vor, weil sich der Kläger seit dem 02.06.2009 bis zum 05.01.2010 stationär in der Übergangseinrichtung des Vitos Klinikums Gi...

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