Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Beweisnotstand. Beweiserleichterung. versehentliches Falschabbiegen. Wendemanöver. Abgrenzung zum unversicherten Abweg. unfallbedingter Erinnerungsverlust. Verbotswidriges Handeln

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen eines Beweisnotstandes zu Gunsten eines schwerverletzten Versicherten infolge eines unfallbedingten Erinnerungsverlustes.

2. Liegen bei einem Abbiegevorgang in entgegengesetzter Richtung zur Arbeit keine Anhaltspunkte für ein eigenwirtschaftliches Ziel des Versicherten, der bei einem späteren Wendemanöver in Richtung des versicherten Weges verunglückte, vor, sprechen die objektiven Umstände für die Handlungstendenz des Versicherten, seinen Arbeitsplatz erreichen zu wollen bzw sich verfahren zu haben

3. Ein Verirren aufgrund äußerer Umstände wie Dunkelheit, Nebel oder schlechter Beleuchtung ist weiterhin generell dem versicherten Risikobereich des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 zuzuordnen. Auch eine verminderte Aufmerksamkeit oder Konzentration ist hierbei unschädlich.

 

Normenkette

SGB VII § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 2; SGG § 128 Abs. 1 S. 1; StGB § 315c

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.12.2016; Aktenzeichen B 2 U 16/15 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Juni 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalles vom 7. Januar 2011 als Wegeunfall.

Der 1965 geborene Kläger, wohnhaft in A-Stadt, A-Straße, war seit Oktober 2001 als Lagerist bei der Firma F. Fachgroßhandel GmbH und Co. KG in B-Stadt beschäftigt. Zu seinem Arbeitsverhältnis heißt es in der Unfallanzeige der Firma vom 19. Januar 2011, der Kläger habe in der Zentrallogistik in B-Stadt gearbeitet und sei auch öfter als Springer eingesetzt worden. Am Unfalltage habe er aushilfsweise für einen in Urlaub befindlichen Kollegen im Lager G-Stadt/H-Stadt, H-Straße, arbeiten sollen. Dienstbeginn sei um 17:45 Uhr und Dienstende am Folgetag um 2:00 Uhr gewesen. Auf dem Weg zur Arbeit nach H-Stadt habe er einen schweren Autounfall erlitten. In der “Verkehrsunfallanzeige„ des PHK G., Polizeistation O2 im Polizeipräsidium Südhessen, vom 21. März 2011 heißt es, der Kläger habe gegen 17:15 Uhr mit seinem PKW Audi 100, amtliches Kennzeichen A-BC 123, die rechte der beiden Fahrspuren der B 43 von O1 in Richtung O2 befahren. In Höhe km 0,4 habe er seine Geschwindigkeit verlangsamt, sei weiter nach rechts in Richtung des Fahrbahnrandes gefahren und habe dann unvermittelt nach links gezogen - vermutlich zum Wenden. Dabei sei er mit dem auf dem linken Fahrstreifen in gleicher Richtung fahrenden PKW Mercedes E 290 TD, amtliches Kennzeichen X-YZ 987, des H. kollidiert, wodurch beide PKW über die Fahrstreifen der Gegenfahrbahn hinaus geschleudert und auf dem dortigen Grünstreifen zum Stehen gekommen seien.

Der Kläger wurde schwer verwundet und erlitt ausweislich des Durchgangsarztberichtes des Prof. J., Unfallchirurgische Uniklinik M-Stadt, vom 7. Januar 2011 ein Schädelhirntrauma, eine Mittelgesichtsfraktur, eine traumatische Subarachnoidalblutung rechts und eine Kontusionsblutung sowie Risswunden am Unterschenkel links. Er wurde sodann in der Neurochirurgischen Universitätsklinik in M-Stadt bis zum 24. Februar 2011 weiter behandelt und befand sich vom 2. bis 13. März 2011 in der Neurologischen Rehaklinik Bad Camberg zur Anschlussheilbehandlung. Vom 19. Januar bis 19. Juli 2011 musste für ihn eine amtsgerichtliche Betreuung eingerichtet werden mit seinem Neffen D. als Betreuer. Der Kläger wurde ab November 2011 stufenweise wieder in sein Arbeitsverhältnis eingegliedert.

Die Beklagte zog eine Auskunft des PHK G. vom 1. Februar 2011 bei und telefonierte mit dem Arbeitgeber des Klägers, bevor sie mit Bescheid vom 24. Februar 2011 die Anerkennung des Unfalles vom 7. Januar 2011 als Arbeitsunfall sowie die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung an den Kläger ablehnte, da er sich zum Unfallzeitpunkt auf einem unversicherten Weg befunden habe. Er hätte, um zu seiner Arbeitsstelle zu gelangen, von der A 671 kommend an der Ausfahrt 6 die B 43 in Richtung G-Stadt/H-Stadt nehmen müssen. Der Unfall habe sich jedoch in entgegengesetzter Richtung der B 43 nämlich zwischen O1 und O2 ereignet. Betriebliche oder verkehrstechnische Gründe, die für diese Wegewahl sprächen, habe der Kläger nicht angeführt und seien auch nicht erkennbar. Daher sei davon auszugehen, dass die Gründe für das Zurücklegen dieses vom ursprünglichen Ziel abweichenden Weges in der Person des Klägers gelegen hätten und daher Unfallversicherungsschutz auf diesem Abwege nicht bestanden habe.

Am 22. März 2011 übersandte der Kläger den von der Beklagten am 28. Januar 2011 angeforderten Wegeunfallfragebogen vom Vortage, in der auf di...

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