Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit. Berufungseinlegung. elektronischer Rechtsverkehr. Schriftformerfordernis. qualifizierte Signatur. Formmangel. keine Unterschrift. Heilung. Textdatei. Ausdruck. eingescannter Schriftsatz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ohne Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur erfüllt ein per EGVP übersandtes Schreiben nicht das Schriftformerfordernis des § 151 Abs 1 SGG.

2. Der Formmangel der Berufungseinlegung per EGVP ohne qualifizierte elektronische Signatur wird durch den Ausdruck des betreffenden Dokuments nur dann im Sinne der umstrittenen Rechtsprechung des BGH (vgl BGH vom 18.3.2015 - XII ZB 424/14 = NJW 2015, 1527) gleichsam geheilt, wenn das Dokument in einem eingescannten und im Original unterschriebenen Schriftsatz besteht, nicht aber, wenn es sich um eine Textdatei handelt.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18. März 2014 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides der Beklagten, der den Beginn ihrer Zuständigkeit für das von ihr angenommene forstwirtschaftliche Unternehmen der Klägerin ändert.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 6. September 2005 verfügte die Beklagte gegenüber der Klägerin, dass ein Bescheid vom 13. November 2000 über die Zuständigkeit der Beklagten für ein fortwirtschaftliches Unternehmen der Klägerin und die diesbezügliche Versicherungs- und Beitragspflicht dahingehend geändert werde, dass die Zuständigkeit der Beklagten erst ab dem 14. April 1997 und nicht bereits seit dem 1. März 1997 bestehe. Eine Änderung der Beitragshöhe sei damit nicht verbunden. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2005 zurückgewiesen. Die dagegen am 14. November 2005 bei dem Sozialgericht Dresden erhobene Klage ist mit Beschluss vom 7. April 2006 an das örtlich zuständige Sozialgericht Kassel verwiesen worden. Die Klage ist - nachdem das Sozialgericht das Verfahren aufgrund mangelnder Erreichbarkeit der Klägerin zwischenzeitlich statistisch ausgetragen hatte (§ 19 Abs. 1 Nr. 3 der Aktenordnung für die Sozialgerichtsbarkeit in Hessen a.F.) - nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 18. März 2014 abgewiesen worden.

Das Urteil ist der Klägerin mit Zustellungsurkunde am 26. März 2014 zugestellt worden.

Ausweislich eines entsprechenden Transfervermerks ist am 26. April 2014 im Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) bei dem Hessischen Landessozialgericht eine Textdatei vom 25. April 2014 eingegangen, in der erklärt wird, dass gegen das Urteil Berufung eingelegt werde. Am Ende des Schreibens ist der Name der Klägerin maschinenschriftlich wiedergegeben mit dem Zusatz "Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig." Einem an die Klägerin adressierten gerichtlichen Schreiben vom 18. Juni 2014 ist dieser Berufungsschriftsatz beigefügt worden mit dem Hinweis, die Berufung sei fristgerecht eingegangen, die Klägerin müsse allerdings noch ein unterschriebenes Berufungsschreiben nachreichen. Dieses gerichtliche Schreiben ist der Klägerin nicht zugegangen, da sie unter der bisherigen Adresse und auch unter weiteren ermittelten Adressen nicht erreichbar war. Am 31. Dezember 2014 hat sich die Klägerin per Faxschreiben zum Verfahren gemeldet unter Angabe einer Postfachadresse, unter der in der Folge allerdings ebenfalls keine Korrespondenz möglich gewesen ist.

Nach weiteren erfolglosen Versuchen, eine zustellungsfähige Adresse zu ermitteln, ist der Klägerin ein gerichtliches Schreiben vom 9. März 2016 öffentlich zugestellt worden, in dem sie unter Einräumung der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen vier Wochen darauf hingewiesen worden ist, dass die Formerfordernisse bei der Berufungseinlegung mittels EGVP nicht eingehalten worden seien und daher erwogen werde, die Berufung durch Beschluss gemäß § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Dieses Schreiben ist vom 23. März 2016 bis 6. Mai 2016 ausgehängt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin gemäß § 158 SGG durch Beschluss ohne die Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter, weil sie unzulässig ist und der Senat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Vorgehensweise gehört worden.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18. März 2014 ist unzulässig.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel ist der Klägerin am 26. März 2014 zugestellt worden. Das Urteil enthält eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung (§ 66 SGG), so dass die Berufung formgerecht gemäß §§ 151 Abs. 1, 64 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung einzulegen gewesen wäre, wo...

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