Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen. Aufforderung zur Beantragung einer vorgezogenen Altersrente. Unbilligkeit wegen Hilfebedürftigkeit im Alter

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung von § 6 UnbilligkeitsV.

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz dagegen, dass die Antragsgegnerin ihn auf der Grundlage von § 5 Abs. 3 Satz 1, § 12a Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) aufgefordert hat, eine vorgezogene Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu beantragen, und einen entsprechenden Antrag mittlerweile im Wege des Selbsteintritts für ihn gestellt hat.

Der 1959 geborene, alleinstehende Antragsteller erhält seit mehreren Jahren von der Antragsgegnerin laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Vor der Einleitung des hiesigen Verfahrens gewährte sie ihm durch Bescheid vom 3. Dezember 2020 Leistungen für die Zeit von Januar 2021 bis Dezember 2021 in Höhe von 866,- Euro monatlich; zuletzt bewilligte sie ihm mit Bescheid vom 22. November 2021 Leistungen in Höhe von 869,- Euro monatlich für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022.

Nach entsprechender Aufforderung der Antragsgegnerin legte der Antragsteller eine Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Hessen vor. Nach der ihm unter dem 5. November 2021 erteilten Auskunft würde ihm Regelaltersrente ab dem 1. August 2025 gezahlt werden und diese - bei Berücksichtigung nur der bisher gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten - monatlich 496,57 Euro brutto betragen. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente für langjährig Versicherte sei ab 1. Juni 2022 möglich und hätte eine Rentenminderung von 11,4 Prozent zur Folge. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 6 ff. der von der Antragsgegnerin elektronisch übermittelten Leistungsakte, Akte 02 - im Folgenden: LA - Bezug genommen.

Daraufhin forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller - nach entsprechender Anhörung durch Schreiben vom 12. November 2021 (LA Bl. 33 f.) - mit Bescheid vom 3. Dezember 2021 auf, bis zum 31. März 2022 Altersrente zu beantragen (LA Bl. 38 ff.). Der Antragsteller legte am 7. Januar 2022 Widerspruch ein, da die Aufforderung zur vorzeitigen Inanspruchnahme unbillig sei, weil er auf diese Weise von einer Rückkehr in den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsmarkt und der Zahlung weiterer Beiträge „in die Rentenkasse“ ausgeschlossen werde. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 48 Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2022 zurück. Auf LA Bl. 51 ff. wird verwiesen. Anschließend stellte sie am 23. Mai 2022 bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen einen Antrag auf vorgezogene Altersrente für den Antragsteller (LA Bl. 64 f.).

Der Antragsteller hat mit Eingang am 13. Juni 2022 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben, die dort unter dem Aktenzeichen S 20 AS 328/22 geführt wird, und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht, wobei er beantragt hat, die Antragsgegnerin zu „verpflichten, vorläufig keinen Rentenantrag für mich zu stellen“. Die ihm auferlegte „Zwangsverrentung“ führe zu Altersarmut.

Das Sozialgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 30. Juni 2022 abgelehnt. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, gemäß § 39 Nr. 2 SGB II hätten Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert werde, keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht könne in diesem Fall auf Antrag gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die aufschiebende Wirkung anordnen.

Nach der in diesem Rahmen gebotenen Prüfung ordne das Gericht die aufschiebende Wirkung an, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt sei; demgegenüber werde die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet, wenn die Klage aussichtslos sei. Seien die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, sei eine allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens mitberücksichtigt werden könnten. Es gelte der Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten seien, umso geringer seien die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umkehrt seien die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirke. Gegenüberzustellen seien die Folgen, die einträten, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 12f)....

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