[1] Am 1.2.2020 ist das Vereinigte Königreich mit einem Austrittsabkommen aus der Europäischen Union ausgetreten. Am 31.12.2020 endete der im Austrittsabkommen vereinbarte Übergangszeitraum. In aufenthaltsrechtlicher Hinsicht war das Vereinigte Königreich bis zum 31.12.2020 so zu behandeln, als sei es Mitgliedstaat der Europäischen Union. Seit dem 1.1.2021 ist diese Gleichstellung entfallen. Sofern das Austrittsabkommen keine besonderen Regelungen trifft, sind ab dann britische Staatsangehörige Drittstaatsangehörige und somit nach den Regelungen des AufenthG zu behandeln. Hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung zwischen den Sachverhalten im Sinne des Austrittsabkommens einerseits und den Sachverhalten im Sinne des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit andererseits wird auf die Ausführungen in Abschnitt A.2.2.2 verwiesen.

[2] Das Austrittsabkommen folgt dem grundlegenden Konzept, dass die britischen Staatsangehörigen, die im Einklang mit dem Unionsrecht rechtmäßig zum Ende des Übergangszeitraums in Deutschland gewohnt haben, weiterhin in Deutschland leben dürfen. Das Aufenthaltsrecht nach dem Austrittsabkommen können die betroffenen Personen mit dem Aufenthaltsdokument-GB belegen. Die Aufenthaltsrechte nach dem Austrittsabkommen bestehen nur in dem Mitgliedstaat, in dem sie jeweils ausgeübt worden sind. Nicht von Deutschland ausgestellte Aufenthaltsdokumente, die Rechte nach dem Austrittsabkommen bescheinigen, haben daher in Deutschland nicht die gleichen Rechtswirkungen wie entsprechende deutsche Dokumente. Personen mit GB-Aufenthaltsdokumenten anderer Mitgliedstaaten werden also wie alle anderen britischen Staatsangehörigen behandelt, die in Deutschland kein Aufenthaltsrecht aus dem Austrittsabkommen ableiten können. Im Ergebnis dürfen die britischen Staatsangehörige, die über ein Aufenthaltsdokument-GB eines anderen Mitgliedsstaates verfügen, ohne deutsche Erlaubnis, für deren Erteilung das AufenthG anzuwenden ist, nicht in Deutschland arbeiten oder nach Deutschland umziehen.

[3] Neben den britischen Staatsangehörigen, die am 31.12.2020 in Deutschland gewohnt haben, werden vom Austrittsabkommen auch Grenzgänger erfasst, die zum Jahreswechsel 2020/2021 in Deutschland gearbeitet haben und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (bzw. Vereinigten Königreich) ihren Wohnsitz hatten. Für solche Personen wird ein Aufenthaltsdokument-GB in ihrem Wohnsitzstaat und ein deutsches Aufenthaltsdokument für Grenzgänger-GB ausgestellt.

[4] Die Aufenthaltsdokumente-GB in Kartenform enthalten Hinweise auf Artikel 50 EUV und auf Artikel 18 Abs. 4 des Austrittsabkommens. Sie müssen zwingend für einen Gültigkeitszeitraum von mindestens fünf Jahren und höchstens von zehn Jahren ausgestellt werden. Jede Erwerbstätigkeit (Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit) in Deutschland ist mit einem derartigen – in Deutschland ausgestellten – Aufenthaltsdokument erlaubt. Die Gültigkeitsdauer der Karte beinhaltet jedoch keine Aussage zur Dauer des Bestehens des Rechts, das mit der Karte bescheinigt wird. Diese Voraussetzungen für die Erlangung von Aufenthaltsrechten entsprechen im Wesentlichen den Voraussetzungen, die nach den Freizügigkeitsvorschriften der Union für Aufenthaltsrechte gelten. Wurde ein Daueraufenthaltsrecht erworben, wird dies in dem Dokument auf Antrag entsprechend vermerkt.

[5] Die ergänzenden Voraussetzungen des § 5 Abs. 11 SGB V, die beim Zustandekommen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für Ausländer zu prüfen sind, kennen nur eine duale Differenzierung zwischen Angehörigen eines anderen EU-/EWR-Staates bzw. der Schweiz einerseits und allen anderen Ausländern andererseits. In aufenthaltsrechtlicher Hinsicht geht es bei diesen Personen also um das Aufenthaltsrecht in Deutschland entweder nach dem FreizügG/EU oder AufenthG. Insoweit passt das Austrittsabkommen als unmittelbar geltende aufenthaltsrechtliche Anspruchsgrundlage grundsätzlich nicht in diese rechtliche Systematik. Von seiner Zielsetzung und seines Ursprungs her handelt es sich jedoch bei dem Aufenthaltsrecht nach dem Austrittsabkommen um nichts anderes, als um ein aus dem EU-Recht abgeleitetes Freizügigkeitsrecht. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, die vom Austrittsabkommen erfassten Personen mit deutschen GB-Aufenthaltsdokumenten bei der Anwendung des § 5 Abs. 11 SGB V wie die Unionsbürger zu behandeln. Dies bedeutet im Kern, dass § 5 Abs. 11 Satz 2 SGB V grundsätzlich analog anzuwenden ist; die Ausführungen in Abschnitt A.2.5.2 gelten entsprechend, sofern sie im Einzelfall praktische Relevanz erlangen.

Beispiel 1

Frau A. ist britische Staatsangehörige. Sie hat vor dem 1.1.2021 das Recht auf Daueraufenthalt in Deutschland unter den in Artikel 15 des Austrittsabkommens festgelegten Bedingungen erworben. Am 1.5.2022 hat sie Deutschland für einen Zeitraum von 4 Jahren wegen einer beruflichen Tätigkeit in Australien (keine Entsendung) verlassen. Vor dem Verzug ins Ausland war sie gesetzlich versicher...

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