Verfahrensgang

Hessischer VGH (Urteil vom 25.10.1994; Aktenzeichen 9 UE 1045/91)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Oktober 1994 wird verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Wesener, Recklinghausen, beizuordnen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von dem Bevollmächtigten des Klägers in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gerecht werdenden Weise begründet worden ist.

Aus dem nach § 67 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO vor dem Bundesverwaltungsgericht bestehenden Zwang, sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten zu lassen, folgt, daß einer Rechtsmittelbegründung die Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes durch den Rechtsanwalt zu entnehmen sein muß, der die Rechtsmittelbegründung eingereicht hat. Dem genügen Rechtsmittelbegründungen nicht, die ersichtlich von der Partei verfaßt und von einem Rechtsanwalt lediglich unterschrieben worden sind (vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. August 1993 – BVerwG 6 B 42.93 – ≪Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 81≫). So liegt der Fall hier. Denn zur Überzeugung des Senats steht aufgrund der Form und des Inhalts der Beschwerdebegründung, wenn man sie mit dem Schriftbild seiner Schriftsätze im Berufungsverfahren vergleicht (vgl. etwa den Schriftsatz vom 29. August 1994), und der zum Teil verwendeten Ichform (S. 14 der Beschwerdebegründung) fest, daß sie der Kläger persönlich verfaßt hat. Die Beschwerde war deshalb zu verwerfen.

Unabhängig davon aber würden die mit der Beschwerdebegründung geltend gemachten Gründe die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Ob der Gesetzgeber durch den aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratiegebot folgenden Grundsatz des Parlamentsvorbehalts (vgl. hierzu BVerfGE 83, 130 ≪142≫; 91, 148 ≪162≫) verpflichtet ist, über die Regelsatzhöhe selbst zu entscheiden, ist eine Frage, die sich nach der zur Zeit geltenden Rechtslage nicht stellt. Denn § 22 Abs. 4 BSHG in der seit dem 27. Juni 1993 geltenden Fassung (vgl. Art. 7 Nr. 7 b), 43 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG – vom 23. Juni 1993 ≪BGBl I S. 944≫ und Art. 1 Nr. 4 b) des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms – 2. SKWPG – vom 21. Dezember 1993 ≪BGBl I S. 2374≫) regelt die Höhe der Regelsätze für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 30. Juni 1996 in einer Dichte, die den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts auf jeden Fall genügt. Entsprechende Regelungen enthielt § 22 Abs. 4 BSHG in der Fassung des Art. 21 Nr. 6 c) des 2. Haushaltsstrukturgesetzes – 2. HStruktG – vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S. 1523) und des Art. 26 Nr. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1532) für die Zeit vom 1. Januar 1982 bis zum 30. Juni 1985. Diese Regelungen hat das Bundesverfassungsgericht für den Zeitraum von Juni 1984 bis April 1985 auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft und nicht beanstandet (Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 1986 – 1 BvR 1124/85). Zu den materiellen Vorgaben für den Gesetzgeber hat es hierbei ausgeführt: „Der Gesetzgeber besitzt in diesem Bereich ein weites Gestaltungsermessen; er darf bestimmen, in welchem Umfang unter Berücksichtigung des insgesamt vorhandenen Finanzvolumens und der sonstigen Staatsaufgaben Haushaltsmittel für die Aufgaben der Sozialhilfe zur Verfügung gestellt und in Anspruch genommen werden sollen. Diesen Spielraum überschreitet der Gesetzgeber erst dann, wenn die dafür vorgesehenen Mittel und dementsprechend die vorgesehenen Leistungen erkennbar und eindeutig zur Erfüllung der sozialen Verpflichtung des Staates gegenüber in Not geratenen Mitbürgern unzureichend sind, also den sozialen Mindestvoraussetzungen nicht mehr entsprechen (vgl. BVerfGE 40, 121 ≪133≫).” Dem wird die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob höhere Regelsätze möglich wären, wenn an anderer Stelle gespart würde, schon im Ansatz nicht gerecht.

Es ist auch nicht zu erwarten, daß sich die Frage nach der Parlamentarisierung der Regelsätze in absehbarer Zukunft wieder stellen wird. Denn der Bundestag hat am 29. Februar 1996 ein Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts beschlossen (BRDrucks 141/96), das die konkrete Höhe der Regelsätze für die Jahre 1996 bis 1998 regelt und für die Zeit ab 1999 ein Bedarfsbemessungssystem für die Regelsätze vorschreibt, mit dem jedenfalls die im Sinne des Parlamentsvorbehalts wesentlichen Regelungen für die Bestimmung des sozialhilferechtlichen Mindestbedarfs, den der Staat bei einem mittellosen Bürger im Rahmen sozialstaatlicher Fürsorge durch Staatsleistungen zu decken hat (vgl. BVerfGE 87, 153 ≪170 f.≫), getroffen werden. Zwar hat der Bundesrat diesem Gesetz nicht zugestimmt, aber auch er ist der Auffassung, daß es keinen sachlichen Grund dafür gebe, „die gesetzliche Verankerung der Grundsätze der Regelsatzbemessung noch länger aufzuschieben” (BTDrucks 13/2440 S. 40).

Soweit die Beschwerde die angebliche Verfassungswidrigkeit des bundesrepublikanischen Geldsystems thematisiert, genügt sie nicht den Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stellt. Denn sie bezeichnet weder eine konkrete Rechtsfrage hoch legt sie dar, daß und warum sie für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird. Ähnliches gilt für die behauptete Verfassungswidrigkeit von § 22 Abs. 3 Satz 4 und § 114 Abs. 1 BSHG. Der Hinweis auf BVerfGE 83, 130 (149 ff.) allein führt nicht weiter, da diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG betrifft, der hier offenkundig nicht berührt ist. Der Angriff auf die Verfassungsmäßigkeit des Lohnabstandsgebots läßt nicht erkennen, daß und warum es auf diese Frage im Revisionsverfahren ankommen könnte.

Die Revision könnte auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen entscheidungserheblicher Verfahrensmängel zugelassen werden.

Die die Besetzung des Verwaltungsgerichtshofs betreffenden Rügen des Klägers greifen nicht durch. Dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, der als oberstes Verwaltungsgericht des Landes Hessen Landesstaatsgewalt ausübt, fehlt nicht die demokratische Legitimation in dem Sinne, wie sie der Kläger verstanden wissen will. Demokratisch legitimiert ist nach seiner Auffassung die Ausübung von Staatsgewalt durch die Judikative nur, wenn sie sich auf das Volk zurückführen läßt, und das treffe nur zu, „wenn dieses Volk seinen Willen zur Verfassung rechtsgültig erklärt hat – per Volksabstimmung”. Gerade das aber ist in Hessen erfolgt; denn die Verfassung des Landes Hessen ist am 1. Dezember 1946 in einer Volksabstimmung angenommen worden und mit ihrer Annahme durch das Volk in Kraft getreten (HessGVBl 1946 S. 240). Im übrigen bedürfen Richter einer unmittelbaren demokratischen Legitimierung durch das Volk nicht, weil das Grundgesetz (vgl. Art. 95 Abs. 2, 98 Abs. 4) und die Hessische Landesverfassung (vgl. Art. 127 Abs. 3) Einstellung und Beförderung der Richter maßgeblich gewählten Volksvertretern und von der Volksvertretung bestellten und ihr verantwortlichen Ministern übertragen haben (vgl. BVerfGE 41, 1 ≪10≫).

Ebensowenig ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichtbeachtung von Vorlagepflichten verletzt. Eine Vorlagepflicht an das Bundesverwaltungsgericht kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nur im Rahmen des Normenkontrollverfahrens (§ 47 Abs. 5); ein solches Verfahren hat der Kläger hier nicht angestrengt. An das Bundesverfassungsgericht hat ein Gericht vorzulegen, wenn es ein formelles Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für grundgesetzwidrig hält (Art. 100 Abs. 1 GG). Daß diese Voraussetzungen vom Berufungsgericht in einer gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßenden Weise verneint worden seien, hat die Beschwerde nicht dargelegt.

Auch die vom Kläger geltend gemachte Aufklärungsrüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) gehören nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts neben den Angaben der Beweismittel, deren sich das Tatsachengericht fehlerhaft nicht bedient haben soll, vor allem substantiierte Angaben dazu, warum sich dem Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus die Erhebung dieser Beweise hätte aufdrängen müssen und welches Ergebnis die Beweiserhebung im einzelnen erbracht hätte (vgl. Urteile vom 7. Februar 1985 – BVerwG 3 C 36.84 – ≪Buchholz 427.6 § 15 BFG Nr. 25 S. 27≫ und vom 13. Dezember 1988 – BVerwG 1 C 44.86 – ≪NVwZ 1989, 453/454≫).

Eine diesen Anforderungen genügende Bezeichnung und Darlegung ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Sollte der Vortrag des Klägers dahin zu verstehen sein, daß der Verwaltungsgerichtshof neben der Auskunft des Hessischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Sozialordnung ein weiteres Sachverständigengutachten hätte einholen müssen, so wäre auch hiermit ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht bezeichnet. Denn die Einholung weiterer Gutachten steht nach § 98 VwGO in Verbindung mit den §§ 404, 412 ZPO im Ermessen des Prozeßgerichts, das nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt wird, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwGE 71, 38 ≪41≫; sowie Urteil vom 6. Oktober 1987 – BVerwG 9 C 12.87 – ≪Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2≫ und Beschluß vom 8. Dezember 1988 – BVerwG 9 B 388.88 – ≪NJW 1989, 1233≫). Dies ist nur dann der Fall, wenn das bereits vorliegende Gutachten auch für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufweist (vgl. BVerwGE 71, 38 ≪45≫). Dafür hat weder der Kläger etwas Substantiiertes vorgetragen noch ist sonst etwas ersichtlich.

Die Beschwerde legt auch nicht in hinreichender Weise dar, daß der Verwaltungsgerichtshof zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gehalten war, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen (vgl. § 173 VwGO in Verbindung mit § 227 ZPO). Unbehelflich ist insoweit der Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1961 – BVerwG 3 C 349.59 – (Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 1 = NJW 1961, 892); denn das persönliche Erscheinen des Klägers war ausweislich der Gerichtsakten für den Termin am 25. Oktober 1994 nicht angeordnet worden. Unabhängig hiervon trägt auch die Beschwerde nicht vor, der Kläger sei an der persönlichen Wahrnehmung dieses Termins verhindert gewesen. Allerdings ist ein Verfahrensbeteiligter berechtigt, sich in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung, durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen (§ 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Ist ein Bevollmächtigter an der Wahrnehmung der durch das Prozeßrecht eingeräumten Befugnisse gehindert – und hierzu zählt grundsätzlich auch eine durch kurzfristige Mandatierung verursachte unzumutbar kurze Zeit der Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1983 – BVerwG 4 C 44.83 – ≪Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 141≫), wird der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör jedoch nur dann verkürzt, wenn er seinerseits alles ihm zumutbare getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. August 1992 – BVerwG 5 B 159.91 – und vom 5. Dezember 1994 – BVerwG 8 B 179.94 – ≪Buchholz 310 § 108 VwGO Nrn. 252 S. 104 f. und 259 S. 7≫ sowie vom 23. Januar 1995 – BVerwG 9 B 1.95 – ≪Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 21≫), insbesondere sich rechtzeitig und ausreichend um die Vertretung durch einen Rechtsanwalt bemüht hat. Das hat das Berufungsgericht verneint und hierauf seine Ablehnung, den Termin zu verlegen, gestützt. Die Beschwerde hat hiergegen keine substantiierten Einwände erhoben. Auch ihr Hinweis auf die Armut des Klägers genügt angesichts der durch die §§ 78 b, 114 ff. ZPO für arme Parteien eröffneten Möglichkeiten, sich anwaltliche Vertretung zu verschaffen, nicht den Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung der Gehörsrüge stellt. Die urlaubsbedingte Abwesenheit seines Rechtsbeistandes war dem Kläger bereits bei Erhalt der Ladung bekannt; er hat sie nicht zum Anlaß eines Vertagungsantrags genommen, vielmehr sie ausdrücklich gegenüber dem Berufungsgericht in seinem Schriftsatz vom 4. Oktober 1994 für unschädlich erklärt.

Aus den angeführten Gründen ist der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO) abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1614659

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