Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 05.07.1990; Aktenzeichen L 3 Ar 11/90)

SG Schleswig (Urteil vom 05.12.1989)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 5. Juli 1990 geändert.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 5. Dezember 1989 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers im Berufungs- und im Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger erhielt von der Beklagten Unterhaltsgeld (Uhg) von insgesamt 38.545,70 DM als Darlehen für die Teilnahme an einer Fortbildung vom Schiffsmaschinisten (mit Befähigungszeugnis CKÜ ≪M≫) zum Schiffsbetriebstechniker in der Zeit von November 1982 bis Juli 1984 (Bescheid vom 10. November 1982). Der Aufforderung der Beklagten, das Darlehen in monatlichen Raten ab August 1986 zurückzuzahlen (Bescheid vom 28. Februar 1985), kam der Kläger nach. Im Januar 1989 bat er, das Darlehen in einem Zuschuß umzuwandeln. Der Antrag blieb erfolglos, weil der Kläger vor der Maßnahme weder arbeitslos noch von Arbeitslosigkeit bedroht gewesen sei und weil die Fortbildung bloß als arbeitsmarktpolitisch zweckmäßig, aber nicht als notwendig zu werten gewesen sei (Bescheid vom 13. Februar 1989, Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1989). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Dezember 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Rückzahlungsaufforderung und die ablehnenden Verwaltungsakte aufgehoben, den Darlehensbescheid vom 10. November 1982 geändert, soweit der Kläger darin zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet wurde, sowie die Beklagte verpflichtet, die auf die Zeit ab 10. Januar 1989 entfallenden Abtragszahlungen zu erstatten und dem Kläger über die Erstattung für die vorhergehende Zeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen (Urteil vom 5. Juli 1990). Das Berufungsgericht hält die Fortbildung nachträglich aufgrund einer Beweisaufnahme für notwendig; sie habe eine unmittelbar drohende Arbeitslosigkeit abwenden sollen. Daher sei der nicht begünstigende Teil der Uhg-Gewährung, die Verpflichtung, die als Darlehen empfangene Leistung zurückzuzahlen, unrichtig iS des § 44 Abs 1 und 2 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren (SGB X) und des § 152 Abs 1 AFG. Die gebotene neue Entscheidung werde nicht durch die Verfallklausel des § 44 Abs 4 SGB X für die länger als vier Jahre zurückliegende Zeit ausgeschlossen; denn die dem Darlehen eigene Rückzahlungspflicht wirke sich erst in der Zeit der Rückzahlungen aus, hier ab August 1986. Die vorenthaltene Leistung sei durch die Befreiung von der Rückzahlungspflicht zu erbringen. Die neue Entscheidung für die Zeit vor der Antragstellung im Januar 1989 stehe im Ermessen der Beklagten.

Die Beklagte rügt mit der – vom LSG zugelassenen – Revision eine Verletzung des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG, des § 44 Abs 1 und 4 SGB X sowie des § 128 Abs 1 und des § 54 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die nachträgliche Annahme des LSG, daß der Kläger zum Erwerb eines weitergehenden Patents hätte fortgebildet werden müssen, sei mit der Erklärung des Sachverständigen nicht zu vereinbaren. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben; denn dem Umwandlungsverlangen des Klägers stehe § 44 Abs 4 SGB X entgegen. Die noch zu erbringende Leistung betreffe den Zeitraum der Fortbildung, der mehr als vier Jahre vor dem Rücknahmeantrag liege.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger, der im Revisionsverfahren nicht vertreten ist, hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG war zurückzuweisen.

Die Beklagte, die dem Kläger von 1982 bis 1984 Uhg als zurückzuzahlendes Darlehen gewährte (§ 44 Abs 2 a AFG hier idF des AFKG vom 22. Dezember 1981 – BGBl I 1497 –, § 607 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch), hat damit zugleich Uhg als Zuschuß zum Verbleib (§ 44 Abs 1 und 2 Satz 2 Nr 4 AFG), eine andersartige Leistung, abgelehnt. Ob der versagende Verfügungssatz, der den Kläger belastete, unrichtig war und deshalb nach § 44 Abs 1 SGB X zurückzunehmen und durch eine richtige Entscheidung zu ersetzen wäre oder nach dem Ermessen der Beklagten gemäß § 152 Abs 1 AFG zurückgenommen werden könnte, ist nicht zu prüfen. Eine Rücknahme oder Ersetzung wäre jedenfalls durch die Verfallklausel des § 44 Abs 4 SGB X ausgeschlossen. Das hat der Senat bereits entschieden (SozR 3-1300 § 44 Nr 1). Auf die Begründung dieses den Beteiligten bekannten Urteils wird verwiesen.

Nach § 44 Abs 4 Satz 1 und 2 SGB X werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und durch einen Zugunstenbescheid ersetzt wird, längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Erbringen bedeutet in diesem Sinn tatsächliches Leisten. Ein derart zu vollziehender Verwaltungsakt darf nicht mehr erlassen werden, weil das vom Kläger erstrebte Unterhaltsgeld als Zuschuß für eine Maßnahme zu zahlen wäre, die mehr als vier Jahre vor dem Antrag von 1989 liegt. Dagegen bestände die neue Leistung nicht im Verzicht auf die Rückzahlung mit der Folge, daß bereits vom Kläger gezahlte Beträge ihm zu erstatten wären. Die Rückzahlungsverpflichtung folgt aus der Darlehensgewährung, nicht dagegen aus der Versagung des Zuschusses.

Die von Wallerath gegen das frühere Urteil geäußerten Bedenken (Sozialgerichtsbarkeit 1991, 500 f) veranlassen den Senat nicht zum Aufgeben seiner Rechtsprechung. Würde der abgelehnte Zuschuß nachträglich bewilligt, hätte der Kläger das dann zu Unrecht erhaltene Darlehen insgesamt zurückzugewähren; durch Aufrechnung würde ihm die Rückzahlung noch ausstehender Raten erspart. Auf diese rechtliche Zerlegung der erhaltenen und der begehrten Leistung, die Wallerath als künstlich bezeichnet, kann nicht verzichtet werden. Denn den „Verzicht auf Rückzahlung eines Darlehens” gibt es im Leistungskatalog des AFG nicht; ein Anspruch auf einen solchen Verzicht, der in der Tat hier nicht mehr als vier Jahre zurückreichte, ist der Rechtsordnung unbekannt. Ein Darlehen ist gegenüber dem Zuschuß nicht ein Minus (= Weniger), sondern ein Aliud (= Anderes), was besonders deutlich wird, wenn das Darlehen von einem Dritten erbracht wird. Der Kläger hat nichts Neues gegen diese Rechtsprechung vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175148

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge