Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurechnung zum Unternehmen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Zurechnung zum Unternehmen sind bei Bauarbeiten, die zT an Baugewerbetreibende vergeben sind, zT als Eigenbauarbeiten des Unternehmens ausgeführt werden, nur die Verhältnisse der Eigenbauarbeiten in Betracht zu ziehen, nicht etwa auch der Umstand, daß bei dem Gesamtbau die Arbeitsleistungen des Baugewerbebetriebes überwiegen.

2. Die Zuständigkeit der Fach- (nicht baugewerblichen) BG für mit eigenen Kräften ausgeführte kleinere, den Zwecken des Unternehmens unmittelbar dienende Bauarbeiten ist nicht etwa dann ausgeschlossen, wenn es sich um Arbeiten an einem Neubau handelt, in dem noch keine betrieblichen Verrichtungen durchgeführt wurden.

 

Normenkette

RVO § 657 Abs. 1 Nr. 7 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. September 1975 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin gewährt der Witwe des tödlich verunglückten Richard R (R.) vorläufige Fürsorge. Sie begehrt die Feststellung, daß der Beklagte der für die Entschädigung zuständige Versicherungsträger ist.

Der Sohn des Verunglückten ist Inhaber eines Kanalreinigungs- und Containertransport-Unternehmens (im folgenden: Unternehmen) in E, Kreis Calw. Durch eine Baufirma ließ er auf dem betriebseigenen Gelände in H., Reg.-Bez. Karlsruhe, eine 40 m lange und 20 m breite Lkw-Halle erstellen, deren Untergeschoß für Büroräume und ein Lager vorgesehen war. Die Arbeiten der Baufirma waren am 6. März 1972 beendet. Am 23. März 1972 waren zwei Angehörige des Unternehmens und R. damit beschäftigt, den Betonboden der Lkw-Halle mit einer Kunststoffmasse zu beschichten. Dabei fiel R. rücklings durch eine Öffnung des Bodens und erlitt tödliche Verletzungen. Nach einer Auskunft des Unternehmens vom 14. August 1972 waren vor dem 23. März 1972 keine Betriebsangehörigen mit Arbeiten an der Lkw-Halle beschäftigt. Für das Beschichten des Zementbodens wurden nach dieser Auskunft insgesamt 13 1/2 Stunden aufgewandt.

Der Württembergische Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) lehnte den Antrag der Klägerin ab, der Witwe des tödlich verunglückten R. Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Die Klägerin hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 5. Dezember 1974 festgestellt, daß der Württembergische GUV der zuständige Versicherungsträger für die Entschädigung der Folgen des Arbeitsunfalls des R. vom 23. März 1972 sei, weil das Beschichten des Betonbodens mit Kunststoff nicht als übliche Reparaturarbeiten, wie sie normalerweise in Betrieben anfielen, angesehen werden könne.

Gegen dieses Urteil haben der Badische und der Württembergische GUV Berufung eingelegt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Beschluß vom 30. Januar 1975 den Badischen GUV beigeladen. In der mündlichen Verhandlung am 24. September 1975 hat das LSG beschlossen, den Badischen GUV als Beklagten und den Württembergischen GUV als Beigeladenen anzusehen. Durch Urteil von diesem Tage hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, daß der beklagte Badische GUV der für die Folgen des tödlichen Unfalls des R. vom 23. März 1972 zuständige Versicherungsträger sei. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Zuständigkeit des Badischen GUV ergebe sich aus § 657 Abs. 1 Nr. 7 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i. V. m. der Gebietsreform aufgrund des Kreisreformgesetzes vom 26. Juli 1971 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1971, 314) und den entsprechenden Satzungsänderungen des Beklagten und des Beigeladenen, wonach mit Wirkung ab 1. Januar 1973 der Beklagte der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für versicherte Personen im Reg.-Bez. Karlsruhe sei. Für die Entschädigungsansprüche vor dem 1. Januar 1973 habe der Beklagte als Gesamtfunktionsnachfolger einzutreten, wie dies im einzelnen in der Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Beigeladenen bestimmt worden sei. Im übrigen seien die Feststellungen des SG zutreffend. R. sei bei kurzen, nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten verunglückt. Nach den gegebenen Umständen könne die Tätigkeit des Versicherten auch nicht als eine dem Unternehmen dienende "Hilfstätigkeit" angesehen werden, obgleich die Arbeiten ausschließlich von Stammarbeitern auf betriebseigenem Gelände durchgeführt worden seien. Unter derartigen "Hilfstätigkeiten" würden im Schrifttum solche Tätigkeiten verstanden, die sich im Zusammenhang mit einem gewerblichen Unternehmen ergäben, wie z. B. Arbeiten, die in gewissen Zeiträumen wiederkehrend notwendig würden, also in der Regel Ausbesserungs- und Reparaturarbeiten. Um derartige Arbeiten habe es sich im vorliegenden Fall jedoch nicht gehandelt.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er trägt vor: Beide Vorinstanzen hätten verkannt, daß R. aus verwandtschaftlicher Gefälligkeit gegenüber seinem Sohn tätig geworden sei. Das Vater-Sohn-Verhältnis habe die Mitarbeit des R. bestimmt. Damit scheide ein Versicherungsschutz aus. Im übrigen beziehe er sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Juni 1974 (BSG 38, 6). Nach dieser Entscheidung sei im vorliegenden Fall die Klägerin der zuständige Versicherungsträger. Es sei unerheblich, daß die Lkw-Halle noch nicht vollendet gewesen sei. Sie diene dem Abstellen der Lastwagen und der Lagerung von Gütern. Dazu werde sie erfahrungsgemäß sogar noch vor der Fertigstellung benutzt.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG Hamburg vom 24. September 1975 und des SG Hamburg vom 5. Dezember 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung der angeführten Urteile festzustellen, daß die Klägerin der für die Entschädigung des Unfalls des R. vom 23. März 1972 zuständige Versicherungsträger ist.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie führt aus: Ihr sei es gleichgültig, welcher der beiden GUV für die Entschädigung zuständig sei. Die Lkw-Halle sei im Unfallzeitpunkt nicht fertiggestellt gewesen. Schon deshalb könne nicht von einem in der Lastwagenhalle bereits ausgeübten laufenden Betrieb gesprochen werden. Die Errichtung einer Lkw-Halle gehöre nicht in den regelmäßigen Geschäftsbereich und Geschäftsumfang einer Kanalreinigungs- und Containertransport-Firma, wie sie ihr Mitglied Peter R. führe. Sie diene nicht der Kanalreinigung oder dem Containertransport.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist insofern begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Die Klägerin äußert Bedenken dagegen, daß das LSG den Badischen GUV als Beklagten angesehen hat. Das LSG hat seine Entscheidung, daß der Badische GUV seit dem 1. März 1973 auch für Arbeitsunfälle vor diesem Zeitpunkt der für H. örtlich zuständige GUV sei, auf die Vorschriften des Baden-Württembergischen Kreisreformgesetzes vom 26. Juli 1971 sowie die Satzungen des Badischen und des Württembergischen GUV und damit nicht auf Vorschriften des Bundesrechts oder auf andere Vorschriften gestützt, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Sind Rechtsnormen irrevisibel, so darf das Revisionsgericht nicht nachprüfen, ob sie bestehen und ob sie vom Berufungsgericht auf den Sachverhalt richtig angewandt worden sind (s. BSG 3, 77, 80; 7, 122, 125; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 4; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl., S. 252 y). Der Senat hat davon auszugehen, daß der Badische GUV seit dem 1. März 1973 der zur Entscheidung von Arbeitsunfällen im Sinne der §§ 656, 657 RVO örtlich zuständige GUV ist, auch wenn die Unfälle vor dem 1. Januar 1973 eingetreten sind. Der Badische GUV ist damit im Rechtsstreit als Beklagter an die Stelle des zunächst zuständigen Württembergischen GUV getreten (vgl. BVerwG Sammlung Buchholz 310 § 173 VwGO Anhang § 239 ZPO Nr. 1; BFH 114, 335, 337; BSG 7, 60, 63; VGH Baden-Württ. EFVGH 20, 145, 146 und DÖV 1975, 645; OVG Saarland DÖV 1975, 644). Er war, wogegen die Klägerin zu Unrecht Bedenken erhebt, bereits zur Einlegung der Berufung legitimiert.

Das LSG ist davon ausgegangen, daß R. bei der zum Unfall führenden Tätigkeit gegen Arbeitsunfall versichert war. Es hat den Verunglückten als Versicherten bezeichnet. In der Unfallanzeige ist angeführt, daß R. in dem Unternehmen seines Sohnes seit dem 21. Oktober 1970 als Kraftfahrer beschäftigt war. In dem Schreiben des Unternehmens vom 14. August 1972 ist R. ebenfalls als Betriebsangehöriger bezeichnet. In dem Fragebogen über Arbeitseinkommen ist ein Bruttoverdienst für ihn angegeben. Auch der Beigeladene ist in seiner Klageerwiderung vom 18. Dezember 1974 davon ausgegangen, daß R. in einem Beschäftigungsverhältnis zum Unternehmen gestanden hat. Im Regelfall werden derartige Angaben des Unternehmens für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses ausreichen, sofern sich aus den Akten oder dem Vorbringen der Beteiligten keine Umstände ergeben, die weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich machen. Aus den Akten der Klägerin ergibt sich, daß der Verunglückte der Vater des Unternehmers war. Der Beklagte hat bereits in seiner Berufungsschrift Zweifel geäußert, ob R. nicht nur aus Gefälligkeit unter Angehörigen tätig geworden ist. Zur Entscheidung, ob R. im Zeitpunkt des Unfalls als oder wie ein Beschäftigter im Unternehmen seines Sohnes oder aber lediglich aus verwandtschaftlicher Gefälligkeit seinem Sohn gegenüber tätig war, fehlen dem Senat die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen des LSG.

Eine Zurückverweisung erübrigt sich nicht, weil der Senat beim Vorliegen eines Versicherungsschutzes des R. aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zu einer Klageabweisung gelangt. Seit jeher sind in Rechtsprechung und Schrifttum zur gesetzlichen Unfallversicherung, wie auch das LSG nicht verkennt, bestimmte, einem Unternehmen unmittelbar dienende Bauarbeiten, die nicht baugewerbliche Unternehmer auf ihren Grundstücken für ihre Rechnung ohne Übertragung an einen Baugewerbetreibenden ausführen oder ausführen lassen (sogenannte Eigen- oder Regiebauten, nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten), derjenigen nicht baugewerblichen Berufsgenossenschaft (BG) zugerechnet worden, der die Unternehmer als Mitglieder angehören (s. BSG 38, 6, 7 mit weiteren Nachweisen). Zu diesen, an sich früher den sogenannten Zweiganstalten der Baugewerbs-BG (vgl. §§ 629, 783 RVO aF), seit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz den Bau-BGen bzw. den Gemeinden und den GUVen (vgl. § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO) zugewiesenen nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten, für welche die jeweilige Fach-BG als zuständig angesehen worden ist, zählten außer den laufenden Ausbesserungsarbeiten an den Betriebsgebäuden insbesondere die den Zwecken des Unternehmens unmittelbar dienenden kleinen Bauarbeiten, die auf betriebseigenem Gelände ausgeführt wurden (BSG aaO). Die Zuständigkeit der jeweiligen Fach-BG kommt deshalb entgegen der Auffassung des LSG auch bei Neubauten in Betracht (vgl. BSG aaO; RVA AN 94, 197; RVA Mitglieder-Komm., Bd. III, 2. Aufl., § 631 Anm. 6; Schulte-Holthausen, RVO, Unfallversicherung, 4. Aufl. 1929, § 631 Anm. 7; Vollmar, Sozialversicherung 1970, 43, 45).

Für die Zurechnung einer nicht gewerbsmäßigen Bauarbeit zum Unternehmen kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Vorauszusetzen ist jedenfalls, daß die Arbeiten den Zwecken des Unternehmens unmittelbar dienen und den Verhältnissen des ausgeübten (laufenden) Betriebes entsprechen (BSG aaO S. 8). Bei Bauarbeiten, die zum Teil an Baugewerbetreibende vergeben sind, zum Teil als Eigenbauarbeiten des Unternehmens ausgeführt werden, sind nur die Verhältnisse der Eigenbauarbeiten in Betracht zu ziehen, nicht etwa auch der Umstand, daß bei dem Gesamtbau die Arbeitsleistungen der Arbeiter des Baugewerbebetriebes überwiegen (s. RVA AN aaO; RVA Mitglieder-Komm. aaO). Es ist demnach im vorliegenden Fall nicht, wie das LSG meint, darauf abzustellen, ob der Bau der Lkw-Halle mit Büroräumen durch eigene Stammarbeiter des Unternehmens noch den Verhältnissen dieses Unternehmens entspricht, sondern entscheidend ist, ob diese Voraussetzung hinsichtlich der vorbehaltenen Eigenbauarbeiten erfüllt ist. Maßgebend hierfür ist das Unternehmen als Kanalreinigungs- und Containertransport-Unternehmen. Es ist dabei unerheblich, daß - worauf es die Klägerin abstellt - in der Lastkraftwagenhalle betriebliche Verrichtungen dieses Unternehmens noch nicht durchgeführt wurden (s. BSG aaO).

Das LSG hat aufgrund seiner Rechtsauffassung keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen, ob die Bauarbeiten, bei denen R. tödlich verunglückt ist, den Zwecken des Unternehmens unmittelbar gedient und den Verhältnissen des ausgeübten Betriebes entsprochen haben. Den Ausführungen des LSG sind zwar erhebliche Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß die Eigenbauarbeiten des Unternehmens an dem Neubau in H. den Verhältnissen des ausgeübten (laufenden) Betriebes entsprochen haben. Dafür ist vor allem anzuführen, daß die Eigenbauarbeiten ausschließlich mit Beschäftigten des Unternehmens durchgeführt wurden. Die Zuständigkeit der Klägerin als Fach-BG setzt jedoch weiter voraus, daß die Bauarbeiten dem Unternehmen unmittelbar gedient haben. Das LSG hat lediglich festgestellt, daß eine Lkw-Halle und Büroräume gebaut wurden. Ob in dieser Halle die Lkw und in den Räumen das Büro des Unternehmens untergebracht werden sollten, ist nicht ausdrücklich festgestellt und nicht schon aus anderen Umständen zwingend zu schließen. Sind bei Bauarbeiten, die zum Teil an Baugewerbetreibende vergeben sind, zum Teil als Eigenbauarbeiten des Unternehmens ausgeführt werden, nur die Verhältnisse der Eigenbauarbeiten in Betracht zu ziehen, nicht etwa auch der Umstand, daß bei dem Gesamtbau die Arbeitsleistungen des Baugewerbebetriebes überwiegen, so ist insoweit zu prüfen, ob die Arbeiten einem Bauabschnitt gelten, der nach Fertigstellung dem Unternehmen unmittelbar dienen sollte. Zwar sprechen auch hier wesentliche Anhaltspunkte dafür, daß die Lkw-Halle unmittelbar dem Unternehmen dienen sollte. Es ist u. a. aber auch zu beachten, daß nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG der Neubau in H. erstellt wurde, während sich das Unternehmen in E. befindet. Es ist demnach nicht auszuschließen, daß die Lkw-Halle nicht unmittelbar dem Unternehmen dienen, sondern vermietet werden sollte. Die hierfür und zur Frage des Versicherungsschutzes des R. noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das LSG zu treffen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647664

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