Leitsatz (amtlich)

Ist ein gehbehinderter Versicherter in der Lage, durch eine ihm zumutbare Tätigkeit die gesetzliche Lohnhälfte zu erzielen, kann er jedoch wegen seiner Behinderung die Arbeitsstätte nur unter Benutzung eines Kraftfahrzeugs erreichen, so ist er jedenfalls dann nicht berufsunfähig, wenn ihm ein Kraftfahrzeug zur Verfügung steht, er bereits längere Zeit Kraftfahrer ist und das Fahrzeug ständig benutzt.

 

Orientierungssatz

Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob eine Änderung der Verhältnisse vorliegt ist die Zeit der Rentengewährung, nicht des früheren, zu Gunsten des Klägers beendeten Entziehungsverfahrens (vergleiche BSG 1958-06-03 4 RJ 15/57 = BSGE 7, 215; BSG 1959-12-18 3 RJ 140/57 = SozR Nr 15 zu § 1293 RVO aF).

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 15. Dezember 1961 und das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 1959 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der im Jahre 1908 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Schreiners. Nach dreijähriger Gesellentätigkeit verlor er im Jahre 1930 durch einen Arbeitsunfall das linke Bein. Deswegen bezieht er eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v. H.. Die beklagte Landesversicherungsanstalt gewährte ihm Invalidenrente vom 1. Dezember 1931 an. Im Januar 1934 nahm er eine Tätigkeit als Volontär im kaufmännischen Fach auf und war dann fast 19 Jahre als kaufmännischer Angestellter (Buchhalter) der Zigarrenfabrik K. F in O beschäftigt. Am 1. Januar 1954 wechselte er als Buchhalter zu dem Bauunternehmen L. F in O über. Dort hatte er ein höheres Gehalt als in seiner früheren Stellung; es betrug - tariflich - im Dezember 1961 monatlich 790 DM brutto. Außerdem erhielt er eine Pauschale von monatlich 150 DM zur Abgeltung von Fahrtkosten. Den Weg von seinem Wohnort O zur Arbeitsstätte und zurück legte der Kläger - wie schon vor 1954 - mit seinem eigenen Kraftfahrzeug zurück; dieses benutzt er auch für Fahrten im Dienst seines Arbeitgebers.

Im Juni 1952 hatte die Beklagte die Invalidenrente des Klägers mit der Begründung entzogen, seine Verhältnisse hätten sich dadurch geändert, daß er seit Jahren in einem Arbeitsverhältnis stehe, sich an seinen körperlichen Zustand gewöhnt habe und ohne Gefährdung seiner Restgesundheit mehr als den gesetzlichen Mindestlohn verdiene. Dieser Bescheid wurde vom Oberversicherungsamt (OVA) F durch Urteil vom 9. Dezember 1952 aufgehoben. Darin ist im wesentlichen ausgeführt: Im medizinischen Befund sei eher eine Verschlimmerung als eine Besserung eingetreten. Der Kläger habe sich indessen neue Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet und verdiene das gesetzliche Lohndrittel, ohne daß akute Gefahr bestehe, daß die Weiterverrichtung der Arbeit auf Kosten seiner Gesundheit gehe. Er sei aber nur dank seiner besonderen Energie und wegen der Anschaffung eines Kraftfahrzeugs als Buchhalter wettbewerbsfähig. An seinem Wohnort bestehe kein Arbeitsmarkt für kaufmännische Berufe. Einen anderen Arbeitsort könne er im Wege des Pendelns mit der Bahn wegen seiner körperlichen Beeinträchtigung nicht erreichen, ein Umzug sei ihm bei den schwierigen Wohnungsverhältnissen nicht zumutbar. Eine unter den geschilderten Verhältnissen verrichtete Erwerbstätigkeit rechtfertige die Rentenentziehung nicht.

Durch Bescheid vom 25. September 1958 entzog die Beklagte die Versichertenrente von neuem; sie führte aus, eine Änderung der Verhältnisse des Klägers sei darin zu sehen, daß er nach Erwerb der erforderlichen Kenntnisse seit Jahren als Buchhalter arbeite und den vollen Tariflohn verdiene.

Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Freiburg den Entziehungsbescheid durch Urteil vom 10. November 1959 aufgehoben. Es hat ihn, ohne in eine Prüfung der beruflichen Verhältnisse des Klägers einzutreten, schon deshalb als rechtswidrig angesehen, weil die Rechtskraft des Urteils des OVA F. der auf den gleichen Sachverhalt wie 1952 gestützten Rentenentziehung entgegenstehe. Das Landessozialgericht (LSG) Baden Württemberg hat sich dieser Rechtsauffassung nicht angeschlossen, vielmehr angenommen, der angefochtene Bescheid sei in vollem Umfang sachlich zu prüfen. Gleichwohl hat es durch Urteil vom 15. Dezember 1961 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Eine Änderung in den Verhältnissen des Klägers seit der Rentengewährung sei nur in dem Erwerb der Kenntnisse und Fähigkeiten eines Buchhalters - diese Tätigkeit übe er ohne Schaden für seine Gesundheit aus - zu erblicken; die objektiven krankhaften Befunde hätten sich nicht gebessert, und eine Gewöhnung an den gebrechlichen Zustand scheide aus. Trotz des Erwerbs neuer Kenntnisse und Fähigkeiten sei der Kläger nach wie vor als berufsunfähig anzusehen. Er sei zwar auf die Tätigkeit eines Buchhalters verweisbar, an seinem Wohnort gebe es aber keine entsprechenden Arbeitsstellen. Infolgedessen komme nur ein auswärtiger Arbeitsplatz für ihn in Betracht. Einen solchen könne er nur mit einem Kraftwagen erreichen, weil er als Beinamputierter nicht imstande sei, die Entfernung bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels (1 km) zu Fuß zurückzulegen. Man dürfe aber nicht fordern, daß ein Gehunfähiger sich durch Beschaffung und Haltung eines Kraftfahrzeugs in die Lage versetze, an einen für ihn anders nicht erreichbaren Arbeitsplatz zu gelangen und dort seine Arbeitskraft auszunutzen. Schließlich sei dem Kläger auch, weil er Hauseigentümer sei, nicht zuzumuten, seinen Wohnsitz an einen Ort mit einem für ihn günstigeren Arbeitsfeld zu verlegen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt und in erster Linie gerügt: Das LSG habe den Begriff der Berufsunfähigkeit verkannt. Es hätte dem Kläger die Benutzung seines Kraftfahrzeugs zur Erreichung seiner Arbeitsstätte zumuten müssen. Die dadurch eintretende finanzielle Belastung des Klägers könne bei der Ermittlung der gesetzlichen Lohnhälfte berücksichtigt werden. - In zweiter Linie rügt die Revision, das LSG hätte die Arbeitsmöglichkeiten für den Kläger an seinem Wohnort und dessen näherer Umgebung sowie die vorhandenen Verkehrsverbindungen näher erforschen müssen; alsdann hätte sich ergeben, daß er auch ohne Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs seine Arbeitskraft nutzen könne.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er meint, einem gehbehinderten Versicherten könne nur die Benutzung körperbezogener Hilfsmittel (Prothesen, Stützapparate, Krücken) zur Verbesserung seiner Fortbewegungsfähigkeit zugemutet werden, nicht aber die Nutzung und Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs, zumal da - abgesehen von der wirtschaftlichen Belastung - die Führung eines Kraftfahrzeugs mit Einwirkungen wie Führerscheinerwerb und Gefährdung des Lebens durch den Verkehr verbunden sei. Im übrigen bezieht sich der Kläger auf das Urteil des Berufungsgerichts. Die von der Revision gerügten Verfahrensmängel hält er nicht für gegeben.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Entgegen der Auffassung des LSG entspricht der auf § 1286 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestützte Rentenentziehungsbescheid der Beklagten vom 25. September 1958 der Rechtslage. Nach der angeführten Vorschrift, die gemäß Art. 2 § 24 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) auch für vor dem 1. Januar 1957 eingetretene Versicherungsfälle und hierauf beruhende Renten gilt, wird eine Versichertenrente des § 1245 Nr. 1 RVO entzogen, wenn der Empfänger infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr berufsunfähig ist.

Dem LSG ist darin beizupflichten, daß - darüber herrscht unter den Beteiligten in der Revisionsinstanz auch kein Streit mehr - die mit der Klage bekämpfte Rentenentziehung des Jahres 1958 nicht schon deshalb zu beanstanden ist, weil ein früherer Entziehungsbescheid durch Urteil des OVA F vom 9. Dezember 1952 rechtskräftig aufgehoben worden war. Nach § 141 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) binden allerdings rechtskräftige Urteile - auch solche eines OVA vor dem Jahre 1954 (BSG 13, 181, 185) - die Beteiligten, aber nur "soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist". Obwohl beide Entziehungsverfahren - im Jahre 1952 und im Jahre 1958 - dieselbe Rente betrafen, ist der Streitgegenstand in diesem Verfahren nicht derselbe. Darüber, was Streitgegenstand in Anfechtungsprozessen vor den Verwaltungsgerichten ist, bestehen allerdings unterschiedliche Meinungen (vgl. Brackmann, Die Ortskrankenkasse 1965, 465). Einer abschließenden Stellungnahme hierzu bedarf es jedoch im vorliegenden Rechtsstreit nicht, weil nach einhelliger Auffassung ein späterer Verwaltungsakt jedenfalls dann nicht den Streitgegenstand des früheren Anfechtungsverfahrens betrifft, wenn er auf eine andere Rechtsvorschrift gestützt ist oder auf einem anderen Sachverhalt beruht. Zur Rechtfertigung der Zulässigkeit einer neuen sachlichen Prüfung und abweichenden Beurteilung genügt hier ein Hinweis auf die Änderung des Sachverhalts in der Zeit von 1952 bis 1958. In diesen Zeitraum fällt das Überwechseln des Klägers von der Firma F in O. zu der Firma F in O. Während er bei jenem Unternehmen nach den Feststellungen des LSG nur mit einfachen Buchhaltungsarbeiten betraut war und dabei weniger als die Hälfte eines Buchhalters verdiente, ist er seit 1954 als Buchhalter bei vollem Tariflohn eingesetzt und hat seitdem weitere Kenntnisse erworben und seine Stellung gefestigt.

Die Voraussetzungen für die Entziehung der Rente - Wegfall der Berufsunfähigkeit infolge einer Änderung in den Verhältnissen des Rentenempfängers - sind gegeben. Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob eine Änderung der Verhältnisse vorliegt, ist, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die Zeit der Rentengewährung, nicht des früheren, zu Gunsten des Klägers beendeten Entziehungsverfahrens (BSG 7, 215 und SozR RVO § 1293 aF Nr. 15). Seit der Rentengewährung im Jahre 1931 hat sich zwar nicht der Gesundheitszustand des Klägers gebessert, er hat aber, wie bindend festgestellt ist (§ 163 SGG) neue Kenntnisse und Fähigkeiten in der Buchhaltung erworben und füllt einen Arbeitsplatz als Buchhalter seit Jahren gegen tarifgemäße Bezahlung voll aus, ohne dabei seine Gesundheit zu gefährden. In dieser seine Erwerbsfähigkeit erheblich erhöhenden Aneignung neuer Kenntnisse und Fähigkeiten liegt eine "Änderung der Verhältnisse" i. S. des Gesetzes (BSG 11, 123). Dabei ist es rechtlich unerheblich, daß der Kläger diesen Erfolg nicht einer Umschulungsmaßnahme der Beklagten, sondern eigener Initiative verdankt. Die Änderung in den Verhältnissen des Klägers hat zur Folge, daß er nicht mehr berufsunfähig ist. Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs. 2 RVO). Der Kläger ist infolge seiner Beinamputation zwar als Schreiner nicht mehr in dem vom Gesetz vorausgesetzten Umfang erwerbsfähig, aber als Buchhalter einsatzfähig und auf diesen Beruf auch verweisbar. Die Auffassung des LSG, daß einem gelernten Schreiner eine Beschäftigung als Buchhalter zuzumuten sei, weil dies für ihn keinen wesentlichen sozialen Abstieg bedeute, wird weder von dem Kläger beanstandet noch setzt sie sich in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG 9, 254, 258; 17, 191, 194; 19, 57, 60). Schließlich zieht der Kläger auch nicht in Zweifel, daß er - was nach dem Gesamtinhalt des Berufungsurteils als festgestellt zu erachten ist - durch seine Tätigkeit als Buchhalter die sogenannte gesetzliche Lohnhälfte erzielen kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man als Vergleichslohn denjenigen eines gelernten Schreiners oder den eines Buchhalters ansieht (vgl. BSG vom 16. September 1965 - 11/1 RA 328/62 -), ebensowenig ob man die Kosten der Fahrzeughaltung des Klägers von seinem Arbeitseinkommen abzieht oder nicht; auch wenn man in diesen Fragen den für den Kläger günstigsten Standpunkt einnimmt, ist die gesetzliche Lohnhälfte noch gewährleistet.

Die Fähigkeit, durch eine zumutbare Tätigkeit die gesetzliche Lohnhälfte zu erzielen, schließt allerdings die Berufsunfähigkeit nicht aus, wenn der Versicherte infolge von Krankheit oder eines sonstigen Leidenszustandes nicht in der Lage ist, eine für ihn in Betracht kommende Arbeitsstätte zu erreichen, und Heimarbeit ausscheidet (BSG SozR RVO § 1246 Nrn. 21 und 27; vgl. auch BSG 13, 255). Deshalb kommt es im vorliegenden Falle entscheidend darauf an, ob der Kläger die Entfernung zur Arbeitsstätte überwinden kann. Nach den Feststellungen des LSG ist er infolge seiner Gehbehinderung nicht in der Lage, größere Wege - jedenfalls nicht solche von 1 km Länge - zu Fuß zurückzulegen. Deshalb ist er als Buchhalter nur dann erwerbsfähig, wenn

1) es in einer geringeren Entfernung als 1 km von seiner Wohnung einen Arbeitsplatz für ihn oder eine Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels gibt, mit dem er einen geeigneten Arbeitsplatz erreichen kann, oder

2) der Kläger mittels eines Kraftfahrzeugs zu seiner Arbeitsstätte gelangen kann oder

3) er seinen Wohnsitz nach O oder einen anderen Ort verlegt, an dem sich eine für ihn zu Fuß erreichbare Arbeitsstätte findet.

Die erste in Betracht gezogene Möglichkeit besteht nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt nicht; insoweit hat die Revision jedoch die getroffenen Feststellungen mit der Rüge der unzureichenden Sachaufklärung angefochten (§ 103 SGG). Ob die Rüge begründet und der erkennende Senat deshalb an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen nicht gebunden ist (§ 163 SGG), konnte unentschieden bleiben. Hierauf kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits ebensowenig an wie auf die Möglichkeit oder Zumutbarkeit eines Wohnsitzwechsels. Der Kläger kann nämlich seine Arbeitsfähigkeit dadurch nutzen, daß er den Weg zu und von der Arbeitsstätte mit seinem Kraftfahrzeug zurücklegt; es gibt für ihn entgegen der Auffassung des LSG keinen stichhaltigen Grund, die Benutzung des Kraftfahrzeugs zu diesem Zweck abzulehnen. Ob ein gehbehinderter Versicherter zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß allgemein oder in besonderen Einzelfällen darauf verwiesen werden kann, sich einen Kraftwagen anzuschaffen, das Fahren zu erlernen und sich einer Fahrprüfung zu unterziehen, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Im vorliegenden Falle ging es lediglich darum, ob eine gegebene Fortbewegungsmöglichkeit und eine vorhandene Fahrfertigkeit im Interesse der Wiederherstellung der Berufsfähigkeit ausgenutzt werden müssen. Der Kläger fährt seit mehr als einem Jahrzehnt ein eigenes Kraftfahrzeug; er benutzt es ständig sowohl zur Fahrt nach und von der Arbeitsstätte als auch zu anderen Zwecken, vor allem im Dienst seines Arbeitgebers, weswegen ihm eine Fahrtkostenpauschale von monatlich 150,- DM gewährt wird. Es wird ihm also, indem er auf die Benutzung des Fahrzeugs verwiesen wird, nichts Ungewohntes zugemutet. Rechtlich unbeachtlich ist auch sein Hinweis auf die mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verbundenen Gefahren; sie sind nicht wesentlich größer als diejenigen, denen die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel - Fahrgäste von Autobussen, Straßenbahnen und Eisenbahnen -, ja auch Radfahrer und Fußgänger im Stadtverkehr ausgesetzt sind. Die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs zur Fahrt nach und von der Arbeitsstätte ist heute - jedenfalls in der Einkommensgruppe des Klägers - auch nichts Außergewöhnliches. Die Erwartung, daß gehbehinderte Beschäftigte sich eines Kraftfahrzeugs bedienen, um dadurch ihre Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen oder zu verbessern, liegt mancherlei gesetzlichen Vorschriften zugrunde, z. B. den Vorschriften über Maßnahmen der Berufsförderung in der Rentenversicherung (§§ 1236, 1237 Abs. 1 u. 3 RVO) und der Berufshilfe in der Unfallversicherung (§§ 547, 556, 567, 568 RVO); als Maßnahmen der Berufshilfe kommen Darlehen und Zuschüsse zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen in Betracht (Richtlinien der Berufsgenossenschaften für die Beschaffung von Kraftfahrzeugen für Unfallverletzte vom 11. April 1962 - BSG 1962, 182 -; vgl. ... ferner Empfehlungen XVII der Westeuropäischen Union zur Rehabilitation der Behinderten - Besondere Beförderungsmittel für Amputierte und Querschnittgelähmte - BABl. 1962, 101, 103 -).

Mit der Rechtsauffassung des erkennenden Senats, daß der Kläger nach Lage der Sache nicht berufsunfähig ist, steht im Einklang, daß der 1. Senat des BSG einen Angestellten, der wegen körperlicher Behinderung die öffentlichen Verkehrsmittel in den Hauptverkehrszeiten nicht benutzen kann, aber den Weg zum und vom Büro regelmäßig mit einem Kraftwagen seines Arbeitgebers zurücklegt, nicht als berufsunfähig angesehen hat (SozR RVO § 1246 Nr. 27).

Hiernach hat die Beklagte dem Kläger mit Recht die Rente entzogen. Die entgegenstehenden Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben, die Klage abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2373478

BSGE, 142

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