Entscheidungsstichwort (Thema)

Weitergewährung des Übergangsgeldes nach RVO § 1241e, AVG § 18e

 

Leitsatz (amtlich)

Die berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation "Berufsfindung und Arbeitserprobung" (RVO § 1237a Abs 1 Nr 2) ist eine berufsfördernde Maßnahme iS des RVO § 1241e Abs 1 iVm BSG 1978-09-12 5 RJ 8/78 = SozR 2200 § 1241e Nr 5 jedenfalls dann, wenn sie mit einer gewissen Dauer (in der Regel mindestens eine Woche) in einer dafür vorgesehenen Einrichtung (zB Berufsförderungswerk mit Lehrgangscharakter erfolgt und auf eine spätere Umschulung gerichtet ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist nach Beendigung einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation zur Erreichung des Rehabilitationszieles eine weitere berufsfördernde Maßnahme (wie zB Arbeitserprobung) erforderlich, so ist RVO § 1241e Abs 1 (AVG § 18e Abs 1) entsprechend anzuwenden.

 

Normenkette

RVO § 1241e Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 1237a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07; AVG § 18e Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, § 14a Abs. 1 S. q Nr. 2 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 13.09.1978; Aktenzeichen L 2 J 70/77)

SG Hannover (Entscheidung vom 26.01.1977; Aktenzeichen S 5 J 814/75)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. September 1978 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsrechtszuges zu erstatten.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob der Kläger für die Zeit nach einer 10-tägigen Arbeitserprobung bis zum Beginn des Lehrgangs Übergangsgeld beanspruchen kann (§ 1241e Abs 1 Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Der im Jahre 1943 geborene Kläger war bis Januar 1974 als gelernter Autolackierer tätig. Anschließend war er wegen Hustensynkopen infolge einer durchgemachten Bronchitis krank und arbeitsunfähig. Im März 1974 wurde er deswegen auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt. Er kann seinen Beruf dieses Leidens wegen nicht mehr ausüben. Im April 1974 beantragte er "Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung durch den zuständigen Rehabilitationsträger". Die Beklagte teilte ihm im November 1974 mit, zunächst solle eine Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk B durchgeführt werden, um festzustellen, welche Maßnahme der Berufsförderung zweckmäßig erscheine. Die "Berufsfindung und Arbeitserprobung" fand vom 27. Januar bis 7. Februar 1975 im Berufsförderungswerk in B. statt. Für diesen Zeitraum zahlte die Beklagte Übergangsgeld. Mit Bescheid vom 2. Mai 1975 bewilligte sie als Maßnahme der Berufsförderung eine Ausbildung zum Bürokaufmann mit Vorschulung im Berufsförderungswerk B P.

Der Kläger, der seit dem Ende der Arbeitserprobung von der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) H Krankengeld bezogen hatte, teilte der Beklagten im Juni 1975 mit, daß er am 28. Juli 1975 von der AOK "ausgesteuert" werde. Er beantragte für die anschließende Zeit Übergangsgeld. Mit Bescheid vom 9. Juli 1975 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übergangsgeld ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Bescheid vom 22. Oktober 1975). Das Arbeitsamt H zahlte ihm für die Zeit vom 1. August 1975 bis 29. April 1976 Arbeitslosengeld. Am 30. April 1976 begann der von der Beklagten bewilligte "berufsbezogene Vorbereitungslehrgang" im Berufsförderungswerk B P; er sollte am 1. Oktober 1976 in eine Ausbildung zum Bürokaufmann übergeleitet werden, jedoch wurde wegen mangelnder Eignung des Klägers statt dessen eine - unmittelbar anschließende - Ausbildung zum Siebdrucker durchgeführt. Die Beklagte gewährte seit dem 30. April 1976 Übergangsgeld.

Auf die Klage gegen die Bescheide vom 7. Juli / 22. Oktober 1975 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, Übergangsgeld für die Zeit vom 29. Juli 1975 bis 29. April 1976 zu gewähren (Urteil vom 26. Januar 1977). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 13. September 1978). In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der Anspruch des Klägers sei nach § 1241e Abs 1 RVO begründet. Die Berufsfindung und Arbeitserprobung vom 27. Januar bis 7. Februar 1975 sei als medizinische Maßnahme zur Rehabilitation anzusehen. Es komme nicht darauf an, ob das Ziel der Rehabilitation und die hierzu erforderlichen Leistungen zum Zeitpunkt des Beginns der ersten Maßnahme bereits konkret feststünden. Nach Abschluß der Arbeitserprobung sei eine berufsfördernde Maßnahme notwendig gewesen; sie habe aus vom Kläger nicht zu vertretenden Gründen nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden können. Der Kläger sei zwar arbeitsfähig gewesen, habe aber vom Arbeitsamt nicht vermittelt werden können.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1241e Abs 1 RVO. Ihrer Meinung nach sind die Berufsfindungs- und Arbeitserprobungsmaßnahmen noch nicht als eigentliche Berufsförderungsmaßnahmen zu werten. Sie beantragt,

die Urteile des LSG Niedersachsen vom 13. September 1978 und des SG Hannover vom 26. Januar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Er halt das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben ohne Gesetzesverletzung die Beklagte zur Gewährung von Übergangsgeld verurteilt.

Der Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld ist nach § 1241e Abs 1 RVO in der am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) begründet (vgl auch § 17 Abs 1 iVm § 9 Abs 1 RehaAnglG).

Zwar hat der Kläger während des Zeitraums, für den er Übergangsgeld beansprucht - 29. Juli 1975 bis 29. April 1976 - Arbeitslosengeld vom 1. August 1975 bis zum 29. April 1976 bezogen. Jedoch schließt dies einen Anspruch auf Übergangsgeld nicht aus, denn nach § 118 Abs 1 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des RehaAnglG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Übergangsgeld zuerkannt ist.

Daß der Kläger zunächst noch Krankengeld bezogen hatte, steht dem Anspruch auf Übergangsgeld nicht entgegen (BSGE 46, 295 = SozR 2200 § 1241e Nr 4).

Berufsfindung und Arbeitserprobung gehören nach § 1237a Abs 1 Nr 2 RVO zu den berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation, während die korrespondierenden Maßnahmen der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation - entsprechend der auf medizinischem Gebiet liegenden gesundheitlichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten - "Belastungserprobung und Arbeitstherapie" heißen (§ 1237 Nr 5 RVO). Die hier in einem Berufsförderungswerk ohne zeitlichen Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung (die stationäre Behandlung des Klägers lag fast ein Jahr früher) durchgeführte Arbeitserprobung ist der Berufsförderung zuzurechnen, zumal sie lediglich zu einem von einem Diplom-Psychologen erstatteten arbeitspsychologischen Gutachten vom 28. Februar 1975 geführt hat, auch wenn dieses unter Berücksichtigung einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 6.Februar 1975 in der Neurologischen Poliklinik des Klinikums W in B erstattet wurde.

§ 1241e Abs 1 RVO ist entsprechend anzuwenden, wenn nach Beendigung einer berufsfördernden Maßnahme zur Erreichung des Rehabilitationszieles eine weitere berufsfördernde Maßnahme erforderlich ist. So hat, nachdem der erkennende Senat im Urteil BSGE 46, 108, 111/112 = SozR 2200 § 1240 Nr 1 diese Frage zunächst offen gelassen hatte, der 5. Senat im Urteil vom 12. September 1978 - 5 RJ 8/78 - (SozR 2200 § 1241e Nr 5 S 11) entschieden (vgl auch VerbKomm zur RVO, Anm 2 zu § 1241e; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl, Anm 5 zu § 1241e RVO; Kugler, Rehabilitation in der Rentenversicherung, 1979, Anm 6 zu § 1241e RVO). Auch der erkennende Senat ist dieser Auffassung.

Berufsfindung und Arbeitserprobung sind entgegen der Ansicht der Revision "eigentliche" berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation. Sie sind in § 1237a Abs 1 Nr 2 RVO unter den berufsfördernden "Leistungen" zur Rehabilitation aufgeführt. Nach der Begründung zu § 1 Abs 1 RehaAnglG des Regierungsentwurfs (BT-Drucks 7/1237, S 54) werden unter Maßnahmen "die Veranstaltungen verstanden, an denen der Behinderte auf Veranlassung und auf Kosten des Rehabilitationsträgers teilnimmt, beispielsweise ein Kur- bzw Sanatoriumsaufenthalt oder ein Umschulungslehrgang", während unter Leistungen "alle dem Behinderten im einzelnen gewährten Hilfen verstanden werden, insbesondere Dienst-, Sach- und Geldleistungen, die während oder im Anschluß an eine Rehabilitationsmaßnahme gewährt werden" (vgl zB auch § 59 Abs 1 Nr 2 AFG: Teilnahme an einer "Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung oder der Berufsvorbereitung"). Hiernach ist für die Annahme einer berufsfördernden Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung zu verlangen, daß es sich um eine Veranstaltung handelt, die in einer dafür vorgesehenen Einrichtung (zB Berufsförderungswerk) in Form eines systematisch und planmäßig angelegten Lehrgangs von gewisser Dauer, in der Regel von mindestens einer Woche, und in der Regel ganztägiger Beanspruchung der Teilnehmer in der Weise durchgeführt wird, daß darauf aufbauend weitere, nun auf einen bestimmten Beruf gerichtete Rehabilitationsleistungen gewährt werden können. Solche Maßnahmen der Berufsfindung und Arbeitserprobung gehören zum engeren Kreis der berufsfördernden Maßnahmen (so, für eine mehrtägige Berufsfindung auch Pauli, DAngVers 79, 190, 193). Sie werden in der Regel "stationär" erbracht. Sie dienen unmittelbar der Umschulung und damit der Eingliederung und sind bereits Teil des Rehabilitationsprogramms. Im Gegensatz dazu stehen etwa Gespräche, Vorverhandlungen, Erörterungen des Trägers der Rentenversicherung mit dem Versicherten und mit Sachverständigen (zB nach § 5 RehaAnglG). Daß die Berufsfindung als solche den Versicherten noch nicht in den Stand setzt, trotz seiner Behinderung wieder auf Dauer einen Arbeitsplatz auszufüllen, steht dem nicht entgegen; denn die Berufsfindung ist in bestimmten Fällen die notwendige Voraussetzung für sinnvolle weitere Maßnahmen und damit ein Teil der Gesamt-Rehabilitation.

Daß nach dem Abschluß der Arbeitserprobung berufsfördernde Maßnahmen erforderlich waren und aus Gründen, die der Kläger nicht zu vertreten hatte, nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden konnten, hat das Berufungsgericht festgestellt; die Beklagte hat insoweit keine Revisionsgründe vorgebracht.

Ob der Kläger im Anschluß an die Berufsfindung arbeitsunfähig geblieben ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls hat ihm keine zumutbare Beschäftigung vermittelt werden können. Dazu hat das Berufungsgericht festgestellt, daß das Arbeitsamt den Kläger in dem hier streitigen Zeitraum nicht habe vermitteln können. Gegen diese Feststellung, für deren Richtigkeit auch der Bezug von Arbeitslosengeld spricht (§§ 100 ff, insbesondere § 119 Abs 1 Nr 2 AFG), hat die Beklagte keine Revisionsgründe vorgebracht. Sie beanstandet jedoch, daß das Berufungsgericht aus der festgestellten Tatsache der Nicht-Vermittlung geschlossen habe, dem Kläger habe keine "zumutbare" Beschäftigung vermittelt werden können. Diese Rüge ist nicht begründet. Die Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes waren nach Art und Umfang durch § 103 AFG (für die Zeit bis zum 31. Dezember 1975 in der Fassung vom 25. Juni 1969, BGBl I 582, und für die anschließende Zeit in der - strengeren - Fassung des Haushaltsstrukturgesetzes-AFG vom 18. Dezember 1975, BGBl I 3113) geregelt, so daß sie sich nur auf die nach dieser Vorschrift, nicht etwa nach § 1246 Abs 2 RVO, zumutbaren Beschäftigungen bezogen.

Die Tatsache, daß das Arbeitsamt dem Kläger keine Arbeit vermitteln konnte, reicht für das Tatbestandsmerkmal des § 1241e Abs 1 RVO (daß dem Betreuten keine zumutbare Beschäftigung vermittelt werden konnte) aus. "Zumutbar" im Sinne dieser Vorschrift entspricht dem Begriff "zumutbar" in § 103 AFG, da § 1241e Abs 1 RVO die Zumutbarkeit im Zusammenhang mit der Vermittlung einer Beschäftigung erwähnt und die Arbeitsvermittlung nach § 4 AFG Aufgabe der Bundesanstalt ist (vgl BSG in SozR 2200 § 1241e Nr 5, S 12; die Kommentare zu § 1241e Abs 1 RVO: Verbandskommentar, Anm 2, Stand: 1.1.1978; Zweng/Scheerer, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl, Anm II A 1 zu b; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl, Anm 4 Abs 2; Kugler, Rehabilitation in der Rentenversicherung, Anm 4.2).

Dem Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld nach § 1241e Abs 1 RVO steht nicht entgegen, daß hier kein Gesamtplan gemäß § 5 Abs 3 RehaAnglG bestand.

Der Senat hat mehrfach im Zusammenhang mit § 1241e Abs 1 RVO auf die Bedeutung des Gesamtplanes hingewiesen: So für den Fall, daß mehrere - nicht durch einen Gesamtplan verbundene - medizinische Maßnahmen nicht unmittelbar aneinander anschließen (BSGE 46, 108, 112 = SozR 2200 § 1240 Nr 1; bestätigt in BSGE 46, 190, 192 = SozR 2200 § 182 Nr 34); ferner für den Fall, daß der Träger der Rehabilitation "nach einer Art von Gesamtplan" vorgegangen ist (BSGE 46, 295, 296 = SozR 2200 § 1241e Nr 4). Einer zu engen Auffassung ist der Senat aber entgegengetreten. Es ist nicht erforderlich, daß schon bei Beendigung der medizinischen Maßnahme bereits ein Gesamtplan auch die Berufsförderung erfaßt; doch muß im Zeitpunkt des Abschlusses der medizinischen Maßnahme die Erforderlichkeit der berufsfördernden Maßnahme feststehen (SozR 2200 § 1241e Nr 7; vgl auch Urteil vom 29. Mai 1979 - 4 RJ 123/78 -). Dies gilt entsprechend auch für den vorliegenden Fall.

Für den Kläger lag zwar kein Gesamtplan vor. Aber nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war es bei Abschluß der Berufsfindung sicher, daß eine Rehabilitation, und zwar in der Form einer Umschulung, erforderlich war.

Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 10

Breith. 1980, 754

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