Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsgeld nach Abschluß der medizinischen Rehabilitation bis zum Beginn einer Berufsförderung (Umschulung)

 

Orientierungssatz

Ein Rehabilitand hat auch dann Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit zwischen einer medizinischen und einer berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme (RVO § 1241e Abs 1), wenn erst nach Abschluß der medizinischen Maßnahme die Art der erforderlichen Berufsförderungsmaßnahme festgestellt wird, sofern deren Erforderlichkeit objektiv bereits bei Abschluß der medizinischen Maßnahme vorgelegen hat. Nur wenn auch objektiv die Tatsachen, die die Berufsförderungsmaßnahme erforderlich machen, erst nach Abschluß der medizinischen Maßnahme eintreten, ist ein Überbrückungstatbestand, der den Rentenversicherungsträger zur "Weitergewährung" des Übergangsgeldes verpflichtet, nicht gegeben (vgl BSG 1978-11-28 4 RJ 61/77).

 

Normenkette

RVO § 1241e Abs. 1 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.09.1978; Aktenzeichen L 14 J 171/77)

SG Köln (Entscheidung vom 08.07.1977; Aktenzeichen S 4 J 278/76)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. September 1978 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit nach Abschluß der medizinischen Rehabilitation bis zum Beginn einer berufsfördernden Maßnahme das Übergangsgeld nach § 1241e Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) weiterzugewähren hat.

Der jetzt 40-jährige Kläger, der seit 1974 als Zimmermann arbeitsunfähig ist, befand sich nach einer Bandscheibenoperation im Frühjahr 1975 zur medizinischen Rehabilitation vom 4. November bis zum 16. Dezember 1975 in einer Rheumaklinik; während dieser Zeit erhielt er von der Beklagten Übergangsgeld. Schon vorher (im Juli 1975) hatte er Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung beantragt; dazu hatte sich die Beklagte auch dem Grunde nach bereit erklärt (Mitteilung vom 16. Juli 1975). Nachdem der Fachberater der Beklagten im November 1975 eine Ausbildung (Umschulung) des Klägers für erforderlich gehalten hatte, die Kurärzte der Rheumaklinik diese ebenfalls befürwortet hatten und das Arbeitsamt im Juli 1976 aufgrund eines psychologischen Eignungsgutachtens die Umschulung des Klägers zum Industriekaufmann vorgeschlagen hatte, bewilligte die Beklagte diese mit Bescheid vom 11. August 1976. Einen Antrag des Klägers auf Weitergewährung des Übergangsgeldes lehnte sie jedoch ab, weil bei Abschluß der medizinischen Rehabilitation Art und Umfang der berufsfördernden Leistungen noch nicht festgestanden hätten (Bescheid vom 30. August 1976 und Beschluß der Widerspruchsstelle vom 7. Dezember 1976).

Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben den Anspruch des Klägers auf Weitergewährung des Übergangsgeldes bis zum Beginn der Umschulung am 19. September 1977 für begründet gehalten. Nach Ansicht des LSG genügt es, wenn - wie hier - die Erforderlichkeit einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme bei Abschluß der medizinischen Rehabilitation feststeht. Nicht notwendig sei dagegen, daß zu diesem Zeitpunkt bereits geklärt sei, welche konkrete berufsfördernde Maßnahme durchgeführt werden solle. Für eine einschränkende Auslegung des § 1241e Abs 1 RVO iS der Beklagten spreche weder der Wortlaut noch der Zweck der Vorschrift. Wenn der Versicherungsträger das Berufsförderungsverfahren so vorantreiben müßte, daß schon bei Abschluß der medizinischen Rehabilitation Art und Umfang der Berufsförderung feststünden, so könnte das Ergebnis der medizinischen Maßnahme bei der Entscheidung über die Berufsförderung nicht mehr berücksichtigt werden. Sollte der Versicherungsträger das Übergangsgeld uU einmal ohne Rechtsgrund gezahlt haben, bliebe ihm immer noch die Möglichkeit einer Rückforderung nach § 1301 RVO (Urteil vom 8. September 1978).

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie wendet sich vor allem gegen die Auffassung des LSG, daß sie ein zu Unrecht gezahltes Übergangsgeld später zurückfordern könne; für eine solche Rückforderung fehlten in aller Regel die gesetzlichen Voraussetzungen. Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Er meint, die Beklagte habe die lange "Überbrückungszeit" vom Abschluß der medizinischen Rehabilitation bis zum Beginn der Umschulung selbst zu vertreten. Im übrigen beruft er sich auf ein Urteil des Senats vom 28. November 1978, in dem für einen ähnlichen Fall der Anspruch auf Weitergewährung des Übergangsgeldes anerkannt worden sei.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf Weitergewährung des Übergangsgeldes für die streitige Zeit (17. Dezember 1975 bis 18. September 1977) mit Recht für begründet gehalten.

Wie der erkennende Senat in dem vom Kläger angeführten Urteil vom 28. November 1978 (4 RJ 61/77) schon entschieden hat, hat ein vom Rentenversicherungsträger betreuter Rehabilitand auch dann Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit zwischen einer medizinischen und einer berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme (§ 1241e Abs 1 RVO), wenn erst nach Abschluß der medizinischen Maßnahme die Art der erforderlichen Berufsförderungsmaßnahme festgestellt wird, sofern deren Erforderlichkeit objektiv bereits bei Abschluß der medizinischen Maßnahme vorgelegen hat. Nur wenn auch objektiv die Tatsachen, die die Berufsförderungsmaßnahme erforderlich machen, erst nach Abschluß der medizinischen Maßnahme eintreten, ist ein Überbrückungstatbestand, der den Rentenversicherungsträger zur "Weitergewährung" des Übergangsgeldes verpflichtet, nicht gegeben. Hat dieser Tatbestand dagegen bereits bei Abschluß der medizinischen Maßnahme vorgelegen, so kann zwar, wenn die konkret erforderliche Berufsförderungsmaßnahme erst nachträglich festgestellt wird, diese nicht "nahtlos" an die medizinische Maßnahme anschließen. Das ist jedoch auch dann nicht möglich, wenn schon bei Abschluß der medizinischen Rehabilitation die erforderliche Berufsförderungsmaßnahme feststeht, deren unmittelbar anschließende Durchführung aber aus anderen Gründen scheitert, etwa weil bei einer beabsichtigten Umschulung zur Zeit kein entsprechender Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Gerade für solche Fälle ist indessen die Vorschrift des § 1241e RVO geschaffen worden, um nämlich eine zeitliche Lücke zwischen der medizinischen und der beruflichen Rehabilitation für den Betreuten wirtschaftlich zu überbrücken. Das ändert nichts daran, daß in allen Fällen, in denen schon vor Abschluß der medizinischen Rehabilitation die Art einer etwa erforderlichen Berufsförderungsmaßnahme feststellbar ist, insbesondere schon vor oder während der medizinischen Rehabilitation ein Gesamtplan, der auch die erforderliche Berufsförderungsmaßnahme enthält, aufgestellt werden kann (vgl §§ 4 Abs 3, 5 Abs 3 und 4 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes vom 7. August 1974, BGBl I 1881), der Rentenversicherungsträger diese Feststellung so rechtzeitig zu treffen hat, daß sich die Berufsförderungsmaßnahme möglichst unmittelbar an die medizinische Maßnahme anschließt. Das liegt vor allem im Interesse des Betreuten, dessen erfolgreiche Rehabilitation häufig wesentlich davon abhängt, daß die einzelnen Maßnahmen zügig durchgeführt werden. Andererseits wird es nicht selten Fälle geben, in denen die Entscheidung darüber, ob und welche beruflichen Förderungsmaßnahmen erforderlich sind, erst nach Abschluß der medizinischen Maßnahmen und unter Berücksichtigung ihres Erfolgs getroffen werden kann. In solchen Fällen muß eine gewisse zeitliche Verzögerung des Rehabilitationsverfahrens, die mit einer nachträglichen Feststellung der erforderlichen Berufsförderungsmaßnahmen verbunden ist, in Kauf genommen werden, damit Maßnahmen, die nach einer durch die medizinische Rehabilitation erreichten Besserung des Gesundheitszustandes überflüssig sind (weil der Betreute zB wieder in seinem früheren Beruf tätig sein kann) oder die wegen eines völligen Fehlschlags der medizinischen Rehabilitation von vornherein keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, im Interesse der Versichertengemeinschaft unterbleiben.

Ergibt sich nach Abschluß der medizinischen Rehabilitation, daß einer der zuletzt genannten Sachverhalte nicht vorliegt, daß eine Berufsförderungsmaßnahme also erforderlich und auch erfolgversprechend ist, so kann, nachdem der Versicherungsträger die Maßnahme nachträglich bewilligt hat, der von der Beklagten befürchtete Fall, daß dem Betreuten zu Unrecht Übergangsgeld gezahlt wird, welches von ihm später nicht mehr zurückgefordert werden könnte, kaum eintreten. Eine solche Gefahr würde nur dann bestehen, wenn der Versicherungsträger das Übergangsgeld nach Abschluß der medizinischen Rehabilitation weiterzahlt, bevor er über die Erforderlichkeit einer Berufsförderungsmaßnahme entschieden hat. Dazu, dh zu einer "vorsorglichen" Weiterzahlung des Übergangsgeldes, ist er indessen nicht verpflichtet; denn seine Pflicht zur Weitergewährung des Übergangsgeldes hängt nach § 1241e Abs 1 RVO davon ab, daß Berufsförderungsmaßnahmen "erforderlich sind", mithin auch als erforderlich festgestellt werden.

Verzögert sich diese Feststellung aus objektiven Gründen, etwa weil der Erfolg einer medizinischen Maßnahme abgewartet werden soll, oder liegen die Gründe für die Verzögerung im Verantwortungsbereich des Versicherungsträgers (was im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen ist), kann mindestens die Verzögerung dem Betreuten nicht angelastet werden, so muß ihm nach einer späteren positiven Entscheidung über die Gewährung einer Berufsförderungsmaßnahme für die Zeit bis zu deren Beginn das Übergangsgeld weitergewährt werden, sofern die sonstigen Voraussetzungen des § 1241e Abs 1 RVO erfüllt sind, der Betreute also weiterhin arbeitsunfähig ist und ihm ein Anspruch auf Krankengeld nicht zusteht oder ihm eine zumutbare Beschäftigung nicht vermittelt werden kann. Da diese Voraussetzungen hier nach den Feststellungen des LSG vorliegen, ist dem Kläger das Übergangsgeld für die streitige Zeit mit Recht zuerkannt worden.

Der Senat hat deshalb die Revision der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen und über die Kosten des Revisionsverfahrens nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entschieden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655611

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