Leitsatz (amtlich)

1. Steht auf Grund des teils festgestellten, teils unterstellten Sachverhalts zur Überzeugung des Gerichts fest, daß ein Geschehensablauf vorgelegen hat, der einen zur Versorgung berechtigenden Tatbestand des BVG erfüllt, so kann Rente nicht deshalb versagt werden, weil nicht feststellbar ist, welcher von mehreren allein in Frage kommenden und sämtlich einen Tatbestand des BVG erfüllenden Geschehensabläufen tatsächlich stattgefunden hat. Danach sind auch im sozialgerichtlichen Verfahren Wahl- (Alternativ-) Feststellungen mit daraus folgender Verurteilung aus wahlweisem Haftungsgrund nicht unzulässig.

2. Die Voraussetzungen des BVG § 1 Abs 2 Buchst d sind erfüllt, wenn im Januar / Februar 1945 Insassen einer Heil- und Pflegeanstalt durch deutsche Stellen getötet und für die Tötung überwiegend militärische Erwägungen maßgebend gewesen sind.

 

Normenkette

SGG § 103 Fassung: 1953-09-03, § 128 Fassung: 1953-09-03; BVG § 1 Abs. 2 Buchst. d Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 9. Januar 1958 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerinnen sind die Witwe und die Tochter des verschollenen und inzwischen für tot erklärten G Sch.

Der Verschollene wurde, nachdem er bereits im Juli 1940 eingezogen, dann aber aus gesundheitlichen Gründen wieder entlassen worden war, im Juni 1941 erneut zur Wehrmacht (Landesschützen) einberufen. Nach einer Schußverletzung in der Unterkunft wurde er zunächst wegen Selbstverstümmelung angeklagt, dann aber nach einer ärztlichen Untersuchung, die auch eine Epilepsie ergeben hatte, unter Zubilligung des § 51 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) freigesprochen und am 19. Mai 1942 auf Veranlassung der Wehrmacht in die Heilstätte B eingewiesen. Eine truppenärztliche Untersuchung hatte am 10. September 1942 die Entlassung aus der Wehrmacht zur Folge. Nachdem in der Heilstätte epileptische Anfälle nicht mehr beobachtet wurden, hielt die Anstaltsleitung eine weitere Unterbringung zum Zwecke der Behandlung nicht mehr für erforderlich, sondern allenfalls noch wegen einer angeblich kriminellen Veranlagung. Am 14. Juni 1944 wurde S nach der Anstalt O verlegt. Die letzte Mitteilung von ihm stammt von etwa Anfang Januar 1945, seitdem hat er sich nicht mehr gemeldet; Nachforschungen über seinen Verbleib blieben erfolglos.

Im September 1952 beantragten die Klägerinnen Hinterbliebenenrente. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 20. Mai 1953 abgelehnt, weil nicht erwiesen sei, daß der Verschollene durch Umstände den Tod gefunden habe, die einen zur Versorgung berechtigenden Tatbestand erfüllten. Der Einspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos. Auf die von den Klägerinnen vor dem damaligen Versorgungsgericht (VersorgG.) Berlin erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG.) Berlin, auf das die Klage inzwischen übergegangen war, den Beklagten durch Urteil vom 2. September 1955 zur Zahlung von Witwen- und Waisenrente verurteilt: Den Umständen nach sei der Verstorbene nicht an einer Epilepsie verstorben, sondern infolge von Gewaltmaßnahmen verschollen. Wahrscheinlich sei er auf Veranlassung deutscher Stellen umgebracht worden, so daß ein Fall des § 1 Abs. 2 Buchst. d des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) bzw. der entsprechenden Vorschrift des Berliner Kriegsopferversorgungsgesetzes (KVG) vorliege. Falls die Verschollenheit aber auf Einwirkungen oder Gewalttaten russischer Truppen beruhe, bestehe nach § 5 Abs. 1 Buchst. a oder d BVG ebenfalls Anspruch auf Versorgung. Die Berufung des Beklagten gegen diese Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG.) Berlin durch Urteil vom 9. Januar 1958 zurückgewiesen: Der Tod des Verschollenen sei die Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 KVG bezw. BVG. Es sei nicht nötig, daß unzweideutig festgestellt werde, welche der in den Versorgungsgesetzen enthaltenen Voraussetzungen vorliege, wenn sich ergebe, daß alle außerhalb dieser Gesetze vorhandenen Todesmöglichkeiten ausgeschlossen seien. Als außerhalb der versorgungsrechtlichen Tatbestände liegende Möglichkeiten komme ein Tod als Folge der Epilepsie oder einer anderen Krankheit in Betracht; beide Möglichkeiten lägen aber derartig außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, daß sie bei vernünftiger Würdigung aller Umstände auszuschließen seien. Es könnten daher nur solche Todesursachen in Erwägung gezogen werden, die sämtlich zur Zahlung von Versorgungsbezügen verpflichteten. Am wahrscheinlichsten sei, daß der Verschollene im Januar oder Februar 1945 von deutschen Stellen als Insasse der Heilanstalt umgebracht worden sei. Dafür sprächen sowohl die gerichtsbekannten Zeitungsschilderungen über das Schicksal der Insassen der Heilanstalt O., als auch die ergebnislosen Suchanzeigen. Es müsse angenommen werden, daß alle Insassen der Anstalt etwa zu dieser Zeit umgebracht worden seien. Dies sei auf Grund von Überlegungen geschehen, die im Zusammenhang mit der Frontnähe gestanden hätten, sei es, daß man bei einem Rücktransport eine Versperrung der Straßen befürchtet habe, oder sei es, daß man die Anstaltsinsassen als "Elemente" angesehen habe, deren die militärischen Maßnahmen störende Rettung sich nicht lohne. Da die Kriegslage den Ausschlag gegeben habe, sei darin eine Zwangsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zu sehen. Die Anwendung dieser Vorschrift fordere nicht, daß die allgemeinen Auflösungserscheinungen mit einem militärischen oder militärähnlichen Dienst des Betroffenen zusammenhängen. Selbst wenn man aber diese wahrscheinlichste Todesursache ausschließe, könne der Tod nur die Folge von Kampfhandlungen, von Einwirkungen auf der Flucht oder schädigenden Vorgängen nach der Besetzung gewesen sein; bei allen diesen Möglichkeiten sei ebenfalls ein versorgungsrechtlicher Tatbestand erfüllt. Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihm am 10. Februar 1958 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 28. Februar 1958 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und beantragt,

unter Abänderung der Urteile des LSG. und SG. die Klage abzuweisen.

In der am 8. Mai 1958 beim BSG. eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Beklagte zunächst eine Verletzung der §§ 103, 128 in Verbindung mit 153 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Entscheidung sei allein auf Vermutungen aufgebaut; sie hätte nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast für die Klägerinnen negativ ausfallen müssen, da es nach dem SGG keine gesetzliche Beweisregel des Inhalts gebe, daß die anspruchsbegründenden Tatsachen im Zweifel zu Gunsten des Versorgungsbegehrenden als feststehend anzusehen seien. Ferner habe das LSG. bei der Feststellung einer unmittelbaren Kriegseinwirkung als Todesursache die Wahrscheinlichkeit genügen lassen; sie müsse aber erwiesen sein. Schließlich sei die Auslegung des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zu weitgehend, sie stehe im Widerspruch zu der Begründung zum Regierungsentwurf des BVG, die ausdrücklich auf solche Maßnahmen abstelle, die der Erzwingung eines Einsatzes dienen sollten. In einem weiteren nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte vor allem die Zulässigkeit einer Alternativfeststellung - wie sie das LSG. getroffen habe - bezweifelt.

Die Klägerinnen beantragen,

die Revision gegen das Urteil des LSG. Berlin zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG); sie ist daher zulässig.

Die Revision ist aber nicht begründet.

Das LSG. hat die Rentenansprüche der Klägerinnen mit der Begründung bejaht, als Todesursache könnten nur solche Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden, die sämtlich nach den Versorgungsgesetzen zur Zahlung von Rente an die Hinterbliebenen verpflichteten. Gewisse andere Möglichkeiten lägen derart außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, daß sie bei der Urteilsfindung auszuschließen seien. Das LSG. hat sodann von den mehreren seiner Überzeugung nach allein in Frage kommenden Möglichkeiten eine als die wahrscheinlichste bezeichnet.

Bei dieser Art der Feststellung handelt es sich um eine sogenannte Wahl- oder Alternativfeststellung mit daraus folgender Verurteilung aus wahlweisem Haftungsgrund. Der erkennende Senat hatte, da es um die Frage geht, ob derartige Feststellungen überhaupt die Grundlage einer Entscheidung bilden können, unabhängig von einer Verfahrensrüge von Amts wegen zunächst darüber zu befinden, ob eine derartige Wahlfeststellung mit Verurteilung aus wahlweisem Haftungsgrund im sozialgerichtlichen Verfahren zulässig ist. Der Senat hat die Zulässigkeit grundsätzlich bejaht. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung hierfür fehlt, ebenso wie auf anderen Rechtsgebieten (nach Aufhebung des § 2 b StGB), sowohl im sozialgerichtlichen Verfahrens- als auch im Versorgungsrecht. Daraus kann jedoch noch nicht auf die Unzulässigkeit einer solchen Feststellung geschlossen werden; es fehlt lediglich insoweit an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung (vgl. auch BGHSt. 1 S. 127; der BGH. kommt hier nach Aufhebung des § 2 b StGB zu dem gleichen Ergebnis, kann sich dabei allerdings auf die Materialien zur StPO berufen). Wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, daß ein Geschehensablauf vorgelegen hat, der einen zur Versorgung berechtigenden Tatbestand des BVG erfüllt, kann eine Rente nicht allein deshalb versagt werden, weil nicht mehr feststellbar ist, welcher von den mehreren allein in Frage kommenden und sämtlich einen Tatbestand des BVG erfüllenden Geschehensabläufen tatsächlich stattgefunden hat. Gründe, die in einem solchen Falle grundsätzlich gegen die Zulässigkeit einer Wahlfeststellung sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Das von dem Beklagten angeführte Urteil des BSG. vom 7. Juni 1956 in BSG. 3 S. 121 steht dem nicht entgegen. Dieses Urteil hat die Frage grundsätzlich dahingestellt sein lassen und die Zulässigkeit einer Alternativfeststellung - daß einer von zwei Versicherten der Erzeuger sei - für den zur Entscheidung stehenden Fall aus dem Sinn der Waisenrente heraus verneint. Auch der Hinweis des Beklagten auf das Urteil des BSG. in BSG. 2 S. 29 geht fehl. Wenn dort ausgeführt ist, daß zur Begründung eines Versorgungsanspruchs auf Grund unmittelbarer Kriegseinwirkung nicht die Feststellung genüge, es habe eine unmittelbare Kriegseinwirkung vorgelegen, vielmehr müsse das Vorliegen einer der im § 5 BVG aufgeführten Tatbestände festgestellt werden, so bezieht sich dies lediglich auf das Verhältnis von § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG zu § 5 Abs. 1 BVG; das Urteil sagt aber nichts über Alternativfeststellungen und eine daraus folgende Alternativverurteilung aus einem dieser Tatbestände. Auch der Bundesgerichtshof (BGH.) hat - neben der Zulässigkeit der Wahlfeststellung im Strafrecht unter bestimmten, sich aus den Besonderheiten dieses Rechtsgebietes ergebenden Einschränkungen (BGHSt. a.a.O.) - eine Wahlfeststellung und Verurteilung aus wahlweisem Haftungsgrund dann zugelassen, wenn 1. jede der auf Grund des teils festgestellten, teils unterstellten Sachverhalts angewandten Vorschriften die Klageanträge in vollem Umfange rechtfertigt und ferner 2. die Feststellungen und die Unterstellungen gemeinsam alle im Einzelfall zur Beurteilung stehenden Fallgestaltungen umfassen (BGHE. 14 S. 363; vgl. auch Sattelmacher, Bericht, Gutachten und Urteil, 20. Aufl. S. 169). Diese Voraussetzungen sind auch im sozialgerichtlichen Verfahren - jedenfalls in Fällen des Versorgungsrechts - zu fordern. Im übrigen müssen alle zur Beurteilung herangezogenen Geschehensabläufe ein gewisses Maß an Konkretisierung aufweisen, so daß ihre Subsumtion unter einen gesetzlichen Tatbestand möglich ist. Es genügt nicht, einen konkreten Sachverhalt überhaupt nicht festzustellen oder zu unterstellen. Wie weit die Konkretisierung gehen muß, läßt sich jedoch immer nur für den Einzelfall entscheiden.

Die vom LSG. im vorliegenden Falle getroffenen Feststellungen genügen diesen Anforderungen. Das Gericht hat die nach seiner Überzeugung allein in Frage kommenden Möglichkeiten im einzelnen aufgeführt. Allerdings decken und erschöpfen sich die Feststellungen hinsichtlich der nach seiner Auffassung weniger wahrscheinlichen Möglichkeiten in ihrem Wortlaut im wesentlichen mit dem Wortlaut der in § 5 Abs. 1 Buchst. a, c und d BVG normierten Tatbestände. Insoweit könnte es hier an einer genügenden Substantiierung fehlen. Dabei ist aber zu beachten, daß diese gesetzlichen Tatbestände ihrerseits schon eine Konkretisierung des Begriffs der "unmittelbaren Kriegseinwirkung" im § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG darstellen. Wenn das LSG. den Tod des Verschollenen als Folge von Kampfhandlungen, von Einwirkungen auf der Flucht oder als Folge schädigender Vorgänge bei der Besetzung bezeichnet, so bezieht es sich damit auf die dem Gericht aus Zeitungsschilderungen bekannten Vorgänge unmittelbar vor, während und nach dem Einrücken der russischen Truppen und damit auf ein zwar komplexes, aber örtlich und zeitlich eng begrenztes Geschehen. Das LSG. ist damit in voller Ausschöpfung der ihm in der Beweiswürdigung zukommenden Freiheit zwar bis an die Grenzen dessen gegangen, was von tatsächlichen Feststellungen an Bestimmtheit gefordert werden muß. Es hat jedoch diese Grenze, die bei aller Würdigung der in Versorgungssachen oftmals schwierigen Beweisverhältnisse dort liegt, wo man nicht mehr von der Subsumtion eines "Sachverhalts" unter Rechtsnormen sprechen kann, und wo das Gericht somit seine Aufgabe, Recht anzuwenden, nicht mehr erfüllen kann, nicht überschritten.

Der somit grundsätzlich als Urteilsgrundlage geeignete, alternativ festgestellte Sachverhalt ist auch für das Revisionsgericht bindend, da die von der Revision gegen diese Feststellungen erhobenen Rügen nicht durchgreifen. Die Revision rügt zunächst, daß das LSG. bei seinen Feststellungen die "Wahrscheinlichkeit" habe genügen lassen, daß aber - abgesehen von der Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Schädigung und einer Gesundheitsstörung (§ 1 Abs. 3 BVG) - alle Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs voll erwiesen sein müßten. Diese Rüge - es kann dahingestellt bleiben, ob sie eine Verfahrensrüge oder eine Rüge materiell-rechtlicher Art ist - greift schon deshalb nicht durch, weil das LSG. den Maßstab der "Wahrscheinlichkeit" lediglich für das Verhältnis der einzelnen Alternativen zueinander verwendet hat, nicht aber für die Feststellung, daß eine dieser Alternativen vorliege. Denn es liegt im Wesen der Alternativfeststellung und macht diese dadurch noch nicht - wie die Revision meint - unzulässig, daß die Gewissheit im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit sich nur darauf beziehen kann, daß eine von den verschiedenen Möglichkeiten real geworden ist. Dieser Überzeugung hat das LSG. hinreichend klar Ausdruck gegeben, wenn es ausführt, daß bestimmte Möglichkeiten ausgeschlossen seien und nur solche in Erwägung gezogen werden könnten, die sämtlich zur Zahlung von Hinterbliebenenrente verpflichteten und daß, selbst wenn man die wahrscheinlichste Ursache - Tötung durch deutsche Stellen - ausschließe, der Tod nur die Folge bestimmter anderer Geschehensabläufe sein könne. Aus den weiteren Ausführungen der Revision ist nicht ersichtlich, worin, abgesehen von der vorstehend erörterten Rüge, eine Verletzung des § 103 SGG erblickt wird. Schließlich hält die Revision die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (§ 128 SGG) deshalb für fehlerhaft, weil das LSG. die Versorgungsansprüche der Klägerinnen bejaht hat, obwohl es keinen Sachverhalt habe feststellen können, der einen Versorgungsanspruch begründe; es habe lediglich einige Todesmöglichkeiten ausgeschlossen. Auch diese Rüge greift nicht durch. Einmal hat das LSG. nicht nur einige Todesmöglichkeiten ausgeschlossen, sondern es hat auch positiv andere Todesmöglichkeiten in der Weise festgestellt, daß eine von ihnen vorgelegen haben müsse. Es ist ferner nicht ersichtlich, inwiefern das Berufungsgericht, wie die Revision meint, seine Feststellungen auf eine gesetzliche Beweisregel des Inhalts gegründet haben soll, daß die anspruchsbegründenden Tatsachen im Zweifel zu Gunsten desjenigen, der einen Versorgungsanspruch geltend mache, als feststehend anzusehen seien. Das Berufungsgericht stützt sich auch nicht lediglich auf Vermutungen. Es hat auf die (für das LSG.) gerichtsbekannten, bald nach dem Zusammenbruch in Berliner Zeitungen gegebenen Schilderungen über das Schicksal der Anstaltsinsassen hingewiesen und von diesem allgemeinen Schicksal auf das Schicksal des Verschollenen geschlossen. Auch damit ist es im Rahmen seiner Freiheit bei der Überzeugungsbildung geblieben (vgl. die nicht veröffentlichten Urteile vom 9.6.1959 - 8 RV 853/57 und 8 RV 1265/57 -, in denen der erkennende Senat in Fällen, in denen über das Schicksal von verschollenen Angehörigen einer bestimmten Volksgruppe unmittelbar nichts in Erfahrung zu bringen war, darauf hingewiesen hat, daß unter Umständen aus dem Schicksal der Volksgruppe in ihrer Gesamtheit auf das Schicksal einzelner Angehöriger Schlüsse gezogen werden können). Die Feststellungen des LSG. sind ein Beispiel für die weitgehende Freiheit der Tatsacheninstanzen bei der Feststellung des Sachverhalts. Auch der Hinweis der Revision auf die Rechtsprechung des BSG. zu dem Grundsatz der objektiven Beweislast (vgl. BSG. 6 S. 70) geht fehl, denn in dem dort entschiedenen Fall war das Berufungsgericht im Gegensatz zum vorliegenden Fall zu der Überzeugung gekommen, daß eine erforderliche Feststellung - die des ursächlichen Zusammenhangs - nicht getroffen werden könne.

Da somit weder ein von Amts wegen zu beachtender Mangel vorliegt noch eine der von der Revision erhobenen Rügen durchgreift, sind die vom LSG. getroffenen Feststellungen für das BSG. bindend und der materiell-rechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen.

Eine materiell-rechtliche Überprüfung kann allerdings nicht erfolgen, soweit das LSG. über die Ansprüche nach dem KVG entschieden hat. Dieses Gesetz einschließlich der zu ihm ergangenen Verordnungen ist als Landesrecht irrevisibel (BSG. 2 S. 106, 7 S. 35 (41)), so daß die Revision insoweit schon aus diesem Grunde nicht begründet ist. Aber auch soweit die sachlich-rechtliche Überprüfung erfolgen kann, gibt sie dem erkennenden Senat keinen Anlaß zur Beanstandung. Nach Ansicht der Revision hat das LSG. bei der seiner Überzeugung nach wahrscheinlichsten Alternative den Tatbestand des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zu Unrecht als erfüllt angesehen. Die Auslegung dieser Vorschrift durch das Berufungsgericht begegnet aber keinen Bedenken. Das LSG. hat ausgeführt, man habe den Verschollenen und die übrigen Insassen der Anstalt von deutscher Seite umgebracht, weil man entweder bei ihrem Rücktransport eine Versperrung der Straßen befürchtete oder aber sie als "Elemente" angesehen habe, deren die militärischen Maßnahmen störende Rettung sich nicht lohne. Es handele sich deshalb um eine Zwangsmaßnahme, die mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhänge und als offensichtliches Unrecht anzusehen sei. Auch die Revision wendet sich nicht dagegen, daß das LSG. die Tötung als eine mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Zwangsmaßnahme angesehen hat; sie meint aber, § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG erfasse nur solche mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Zwangsmaßnahmen, die dazu gedient hätten, die Erfüllung eines Einsatzes zu erzwingen, der den Umständen nach nicht mehr habe erwartet werden können. Diese einschränkende Auslegung findet im Gesetz keine Stütze, auch nicht - wie die Revision meint - in der Begründung zum Regierungsentwurf des BVG. Dort heißt es lediglich, daß "insbesondere" Schädigungen erfaßt werden sollen, die in der letzten Phase des Krieges durch das Vorgehen deutscher Wehrmachts-, Partei- und zivilen Dienststellen oder von Einzelpersonen entstanden sind, um die Erfüllung eines Einsatzes zu erzwingen, obwohl der verlangte Dienst den Umständen nach nicht mehr erwartet werden konnte (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des BVG, Teil B zu § 1). Die Begründung hebt also lediglich eine Fallgruppe besonders hervor, ohne damit andere auszuschließen. Daß die Tötung auch ein offensichtliches Unrecht war, bedarf keiner weiteren Begründung.

Schließlich begegnet auch die Anwendung der Buchstaben a, c und d des § 5 Abs. 1 BVG auf die übrigen Alternativfeststellungen keinen Bedenken.

Die Revision ist somit unbegründet; sie war deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 51

NJW 1961, 94

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