Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung des Begriffs "gemeindliche Unternehmen", hier insbesondere "gemeindliche Elektrizitätswerke" (RVO § 657 Abs 2).

Der Zuständigkeitsvorbehalt zugunsten der BG (RVO § 657 Abs 2) gilt nicht nur für gemeindliche Regiebetriebe (RVO § 657 Abs 1 Nr 1), sondern auch für in selbständiger Rechtsform betriebene Unternehmen mit überwiegender kommunaler Beteiligung (RVO § 657 Abs 1 Nr 2).

 

Normenkette

RVO § 657 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, Nr. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 25. November 1965 und die Bezeichnungsverfügung des Finanzsenators der Freien Hansestadt B vom 5. Februar 1964 werden aufgehoben.

Der Revisionsbeklagte hat das Unternehmen der Stadtwerke B AG mit Wirkung vom 1. April 1964 an der Revisionsklägerin zu überweisen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, welcher Unfallversicherungs(UV)träger für die Stadtwerke Bremen G (StW), ein in selbständiger Rechtsform betriebenes Unternehmen der Stadtgemeinde B, zuständig ist. Ausgangspunkt des Verfahrens war die Klage der StW gegen einen Aufnahmebescheid der Berufsgenossenschaft (BG) der Gas- und Wasserwerke. Zwei im Berufungsverfahren ergangene Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Bremen wurden vom Bundessozialgericht (BSG) unter Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz aufgehoben. Auf diese Entscheidungen des erkennenden Senats vom 29. Juni 1962 (BSG 17, 139) und vom 29. Januar 1965 (SGb 1966, 184) wird wegen der näheren Einzelheiten des Prozeßverlaufs verwiesen. An dem erneuten Berufungsverfahren war die BG der Gas- und Wasserwerke nicht mehr beteiligt. Das LSG hat den Senator für die Finanzen in Bremen sowie die StW zum Verfahren beigeladen; die bisher beigeladene BG der Feinmechanik und Elektrotechnik ist als Berufungsklägerin, der bisher beigeladene Bremische Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) als Berufungsbeklagter aufgetreten. Die BG hat beantragt, unter Aufhebung der Bezeichnungsverfügung vom 5. Februar 1964 den GUV zu verpflichten, der BG der Feinmechanik und Elektrotechnik das Unternehmen der StW für die Zeit vom 1. April 1964 an herauszugeben. Durch Urteil vom 25. November 1965, veröffentlicht in ZfS 1967, 59, hat das LSG die Klage der BG als unbegründet abgewiesen und wiederum die Revision zugelassen: Schon der eindeutige Wortlaut des § 657 Abs. 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO idF durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - UVNG -) erweise die Unanwendbarkeit des § 657 Abs. 2 RVO auf die StW und damit die Unzuständigkeit der BG; denn der Vorbehalt, "soweit nicht in Abs. 2 etwas anderes bestimmt wird", den Abs. 1 Nr. 1 für die sog. Regiebetriebe enthalte, fehle in Abs. 1 Nr. 2 für Unternehmen, die - wie die StW - in selbständiger Rechtsform unter Beteiligung von Gemeinden betrieben würden. Entscheidend für die Auslegung sei der im Gesetz zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergebe, in den die Vorschrift hineingestellt sei. Demgegenüber habe die Entstehungsgeschichte des § 657 RVO um so weniger Bedeutung, als die streitige Rechtsfrage, ob der für Regiebetriebe vorgesehene Vorbehalt auch für Unternehmen in selbständiger Rechtsform gelte, bereits vor Erlaß des UVNG Gegenstand von Änderungsanträgen gewesen sei, die der Gesetzgeber jedoch nicht berücksichtigt habe. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts bedürfe es auch nicht der vom BSG im Urteil vom 29. Juni 1965 (SGb 1966, 184, 188) angeregten Rückschau auf die Rechtsentwicklung unter Einbeziehung des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 - Gemeindliche UV - (AN 1942, 201) und des darauf bezüglichen BSG-Urteils vom 26. Juli 1963 (2 RU 95/61). Für die Zuständigkeit des beklagten GUV spreche auch § 653 Abs. 1 Nr. 2 RVO, da auch diese Regelung keine Ausnahmevorschrift wie die des § 657 Abs. 2 RVO enthalte. Schließlich sei eine Zuständigkeit der Fach-BGen auch nicht durch das Argument gerechtfertigt, diese könnten eine wirksamere Unfallverhütung durchführen als die GUVe. Die Unrichtigkeit dieses Arguments werde durch das von den StW vorgelegte Material dargetan.

Hiernach sei es nicht nur nicht sinnwidrig, sondern sogar geboten, § 657 Abs. 2 RVO nur auf die Fälle des § 657 Abs. 1 Nr. 1 RVO zu beziehen, zumal da § 657 Abs. 1 Nr. 2 keine von der Rechtsprechung auszufüllende Lücke enthalte und § 657 Abs. 2 als Ausnahmevorschrift ohnehin eng auszulegen sei. Der Finanzsenator sei mithin berechtigt, nicht die BG der Feinmechanik und Elektrotechnik, sondern den GUV gemäß § 657 Abs. 1 Nr. 2 als zuständigen UV-Träger zu bezeichnen; eine Aufhebung des Verwaltungsakts vom 5. Februar 1964 komme danach nicht in Betracht.

Gegen das am 18. Januar 1966 zugestellte Urteil hat die BG bereits am 1. Dezember 1965 Revision eingelegt und sie innerhalb der gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG bis zum 18. April 1966 verlängerten Frist im wesentlichen folgendermaßen begründet: Der in § 657 Abs. 2 RVO ausgesprochene Vorbehalt berufsgenossenschaftlicher Zuständigkeit für bestimmte kommunale Versorgungsbetriebe beziehe sich nicht nur auf die sog. Regiebetriebe des Abs. 1 Nr. 1, sondern auch die in Abs. 1 Nr. 2 aufgeführten Unternehmen mit selbständiger Rechtspersönlichkeit. Das folge bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Hätte der genannte Vorbehalt nur für Regiebetriebe gelten sollen, so wäre dafür kein besonderer Absatz zu formulieren gewesen, vielmehr hätte der Wortlaut des jetzigen Abs. 2 in die Nr. 1 des Abs. 1 aufgenommen werden müssen; die Schaffung des besonderen Abs. 2 könne nur bedeuten, daß sein gesamter Inhalt auf § 657 Abs. 1 Nr. 2 ff wirken solle, soweit darin Vorbehaltsbetriebe im Sinne des Abs. 2 vorkommen könnten. Innerlich gerechtfertigt sei die von der Revision vertretene Auslegung durch das in den Materialien zum UVNG (BT-Drucks. IV/938, Ausschußbericht S. 20 zu § 658 Abs. 2) zum Ausdruck gelangte Bestreben, die Belange einer spezialisierten Unfallverhütung in den gemeindlichen Verkehrs-, Elektrizitäts- usw. Betrieben zu fördern, wofür die vertikale Struktur der gewerblichen BGen mit ihren Schwerpunktbildungen praktisch besser geeignet sei als die regionale Aufteilung der gemeindlichen UV-Träger.

Zur Stützung ihrer Ansicht verweist die Revisionsklägerin ferner auf das - noch nicht rechtskräftige - Urteil des Sozialgerichts (SG) Köln vom 16. Dezember 1966 (S 18 U 183 + 184/64).

Die Revisionsklägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Bezeichnungsverfügung des Bremischen Finanzsenators vom 5. Februar 1964, den Revisionsbeklagten zu verurteilen, der Revisionsklägerin die StW für die Zeit vom 1. April 1954 an herauszugeben,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Revisionsbeklagte und die Beigeladene zu 1) und 2) beantragen Zurückweisung der Revision. Sie machen im wesentlichen geltend, der eindeutige, weder auslegungsbedürftige noch auslegungsfähige Gesetzeswortlaut spreche für die vom LSG dargelegte Auffassung; dies werde noch dadurch bekräftigt, daß die Anträge des Hauptverbandes der gewerblichen BGen und des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen BGen, den in § 657 Abs. 1 Nr. 1 RVO enthaltenen Hinweis auf Abs. 2 auch in Abs. 1 Nr. 2 aufzunehmen ("Arbeitsgrundlage", BT-Drucks. IV/120 S. 175), abgelehnt worden seien. Die Revision verkenne den zwischen der Nr. 1 und der Nr. 2 des Abs. 1 bestehenden Unterschied, daß in Nr. 1 nur die Regiebetriebe der Gemeinden und Gemeindeverbände, in Nr. 2 hingegen auch die in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen angeführt werden, an denen neben Gemeinden oder ihren Verbänden auch der Bund oder ein Land beteiligt seien; dieser Unterschied stehe einer Anwendbarkeit des Abs. 2 auf die in Abs. 1 Nr. 2 genannten Unternehmen zwingend entgegen. Auch die Gesetzesmaterialien könnten den von der Revision vertretenen Standpunkt nicht stützen.

Das Urteil des SG Köln vom 16. Dezember 1966 halten der Revisionsbeklagte und die Beigeladenen zu 1) und 2) für fehlerhaft: Es verkenne die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze (z. B. BVerfG, NJW 1952, 737; BGH, NJW 1967, 343 ff), lasse rt. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes außer acht und stelle den Schulfall einer unzulässigen abändernden Gesetzesauslegung dar. Der Rechtsbegriff "Gemeindliche Unternehmen" (§ 657 Abs. 2 RVO) könne sich nur auf Regiebetriebe beziehen, zumal da ja auch bereits der RAM-Erlaß vom 16. März 1942 in diesem Sinne zwischen den eigentlichen gemeindlichen Unternehmen und den in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen differenziert habe; es sei nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber in § 657 Abs. 2 einen von Abs. 1 Nr. 1 abweichenden Oberbegriff des gemeindlichen Unternehmens im wirtschaftlichen Sinne verwenden wollte. (§ 657 Abs. 2 sei die Ausnahme von der Regelvorschrift des § 657 Abs. 1, diese wiederum könne jedoch nicht als Ausnahmevorschrift im Verhältnis zu § 646 Abs. 1 RVO angesehen werden. Die in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen mit überwiegender Beteiligung von Bund, Land oder Gemeinde bildeten - wie aus den §§ 653 Abs. 1 Nr. 2, 655 Abs. 1 und 657 Abs. 1 Nr. 2 hervorgehe - eine gesetzessystematisch einheitlich zu beurteilende Gruppe, für die eine Zuständigkeit der BGen auch dann ausscheide, wenn es sich um Versorgungsbetriebe handele.

Der Beigeladene zu 3) hat von einer Äußerung zum Revisionsvorbringen abgesehen.

II

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache selbst Erfolg.

Verfahrensrechtlich ist das LSG bedenkenfrei davon ausgegangen, daß Gegenstand des Rechtsstreits jetzt noch der Aufhebungs- und Verpflichtungsantrag der BG der Feinmechanik und Elektrotechnik für die Zeit vom 1. April 1964 an ist; auch die Bezeichnungen der jetzt noch am Verfahren Beteiligten im angefochtenen Urteil sind nicht zu beanstanden.

Die Auslegung, die das LSG dem zugrunde liegenden materiellen Recht zuteil werden läßt, gibt dagegen zu Bedenken Anlaß, die zum Teil bereits im Schrifttum dargelegt worden sind (vgl. Achenbach, ZfS 1967, 60). Zwar steht der vom LSG hervorgehobene Gesichtspunkt, entscheidend für die Auslegung einer Rechtsnorm sei der im Gesetz zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang ergebe, in den die Norm gestellt sei, mit den in Rechtsprechung und Rechtslehre anerkannten Auslegungsgrundsätzen im Einklang (vgl. u. a. BVerfG 1, 299, 312; 8, 274, 307; 19, 354, 361). Diese Grundsätze hat das LSG jedoch bei der Auslegung des § 657 RVO zu einseitig gehandhabt. Nicht hinreichend berücksichtigt hat es die - auch von diesem Ausgangspunkt her gegebene - Anwendbarkeit verschiedener einander ergänzender Auslegungsmethoden (BVerfG 11, 126, 129 ff; BGHZ 46, 74, 76); ihre Heranziehung dient dazu, der zu prüfenden Norm eine vernünftige, sinnvolle Bedeutung zu entnehmen (BVerfG 21, 271, 281). Die Erreichung dieses Ziels wird auch von der Rechtsprechung der Großen Senate des Bundessozialgerichts (BSG 14, 238, 239) und Bundesarbeitsgerichts (BAG 13, 1, 14) angestrebt (vgl. auch BSG 14, 246, 250; 18, 215, 217; 20, 41, 43 f; 21, 279, 280; 25, 41, 43; SozR Nr. 4 zu ArVNG Art. 4 § 17). Der Rechtsentwicklung und der Entstehungsgeschichte der Norm ist hierbei nicht von vornherein eine so untergeordnete Funktion beizumessen, wie es das LSG angenommen hat (vgl. u. a. BVerfG 1, 117, 127; 19, 290, 301; 21, 209, 218; BVerfG-Beschluß vom 28.11.1967, NJW 1968, 539, 542 = ZfS 1968, 41, 44; BGHZ 46, 79 ff). Weil das LSG all diese Gesichtspunkte nicht hinreichend beachtet hat, erweist sich seine Gesetzesauslegung schon im Ansatzpunkt als nicht stichhaltig.

Der Auffassung des LSG, der Wortlaut des § 657 RVO sei eindeutig und daher nicht auslegungsfähig, pflichtet der erkennende Senat nicht bei. Daraus, daß der sich auf § 657 Abs. 2 RVO beziehende Vorbehalt nur in § 657 Abs. 1 Nr. 1, nicht dagegen in Abs. 1 Nr. 2 enthalten ist, rechtfertigt sich nicht ohne weiteres der vom LSG gezogene Umkehrschluß. Mit Recht macht die Revision hiergegen geltend, es sei redaktionell zumindest sehr ungewöhnlich, für eine Ausnahmeregelung, welche nur für gemeindliche Regiebetriebe (Abs. 1 Nr. 1), nicht dagegen für die sonstigen Unterfälle des Abs. 1 gelten sollte, den besonderen Abs. 2 einzufügen, da es doch bei einer so eingeschränkten Geltung des Vorbehalts hinsichtlich der "Versorgungsunternehmen" ausreichend und angebracht gewesen wäre, ihn gleich - und zwar ausschließlich - in die Nr. 1 des Abs. 1 aufzunehmen. Nicht eindeutig, sondern auslegungsbedürftig ist nach Meinung des Senats ferner der in § 657 Abs. 2 verwendete Begriff der "gemeindlichen ... (Versorgungs-) ... Unternehmen". Rein vom Sprachgebrauch her besteht keine zwingende Notwendigkeit, diesen Begriff den Unternehmen der Gemeinden und Gemeindeverbände (Abs. 1 Nr. 1 - Regiebetriebe) völlig gleichzusetzen. Dagegen sprechen einmal die Vielzahl und Vielgestaltigkeit der von Abs. 2 erfaßten Versorgungsunternehmen, von denen manche ihrer Art nach gerade nicht in kommunaler Eigenregie, sondern typischerweise in selbständiger Rechtsform betrieben werden. Gegen die - von den Revisionsgegnern mit näheren Ausführungen begründete - Annahme einer Identität von gemeindlichen Unternehmen im Sinne des Abs. 2 mit Regiebetrieben im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 spricht weiterhin die Entstehungsgeschichte des § 657 RVO in Verbindung mit dem früheren Recht. Nach Nr. 2 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 galten als gemeindliche Unternehmen auch Unternehmen, die in selbständiger Rechtsform betrieben wurden, wenn Gemeinden oder Gemeindeverbände an ihnen überwiegend beteiligt waren; der - dem jetzigen § 657 Abs. 2 RVO entsprechende - Vorbehalt zugunsten der berufsgenossenschaftlichen Zuständigkeit (Nr. 4 des Erlasses) betraf zweifelsfrei gerade auch die als gemeindliche Unternehmen "geltenden" Versorgungsbetriebe mit selbständiger Rechtspersönlichkeit (vgl. BSG 16, 227, 235). Hiermit stimmte auch noch der Ende 1958 beschlossene erste Entwurf des UVNG (BT-Drucks. 758) in den hier interessierenden Grundzügen überein, dessen § 651 Abs. 1 Nr. 1 die Zuständigkeit der GUVe vorsah für Versicherte

"in den Unternehmen der Gemeinden und Gemeindeverbände, soweit nicht in Abs. 2 etwas anderes bestimmt wird; als gemeindliche Unternehmen gelten auch Unternehmen, die in selbständiger Rechtsform betrieben werden und an denen Gemeinden oder Gemeindeverbände wesentlich beteiligt sind".

Abs. 2 lautete:

"Personen, die in gemeindlichen Verkehrsunternehmen, in gemeindlichen Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserwerken ... beschäftigt werden, sind bei den zuständigen Berufsgenossenschaften versichert."

Die späteren Entwurffassungen haben zwar - worauf noch näher einzugehen sein wird - zur redaktionell geänderten Gestaltung des jetzigen § 657 RVO geführt, trotzdem wurde hierzu immer noch dieselbe Begründung wie 1958 angeführt, der Entwurf passe die bisherigen Vorschriften der besonderen Lage der gemeindlichen UV-Träger an und nehme "den Inhalt des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 16. März 1942 auf" (vgl. BT-Drucks. IV/120 S. 65 zu § 658). Auch sonst ist - wie im einzelnen noch darzulegen ist - während der Beratungen des UVNG mehrfach zum Ausdruck gelangt, an der seit 1942 geltenden berufsgenossenschaftlichen Zuständigkeit für kommunale Versorgungsunternehmen solle nichts geändert werden.

Schließlich hat sich das LSG einer Prüfung enthalten, ob das von ihm gefundene Ergebnis denn wohl als vernünftig und sinnvoll anzusehen sei. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann diese Frage nicht bejaht werden. Hätte der Gesetzgeber wirklich - wie das LSG und die Revisionsgegner annehmen - die Zuständigkeit für die Versorgungsunternehmen zwischen BGen und GUVen in der Weise abgrenzen wollen, daß erstere die gemeindlichen Regiebetriebe, letztere die in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen zugeteilt erhielten, so wäre beiden Gruppen von UV-Trägern gerade die Kategorie von Unternehmen zugewiesen worden, die ihnen bei natürlicher Betrachtungsweise am wenigstens zustünde. Käme die Rechtsform, in der kommunale Versorgungsunternehmen betrieben werden, überhaupt als Abgrenzungsmerkmal für die Zuständigkeitsverteilung in Betracht, so würden die gemeindlichen Regiebetriebe als Bestandteile der umfassenden Gemeindeverwaltung, in denen nur unmittelbare Gemeindebedienstete beschäftigt sind, eher zu den GUVen tendieren, während die in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen - zumal wenn an ihnen auch berufsgenossenschaftlich versicherte Privatfirmen wesentlich mitbeteiligt sind - mit den BGen viel enger verbunden wären. Diese bei unbefangener Würdigung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge sich aufdrängende Schlußfolgerung hat das LSG mit seiner Gesetzesauslegung ins Gegenteil verkehrt, ohne hierfür eine innere Rechtfertigung auch nur anzudeuten.

Eine genaue Erforschung des gesetzgeberischen Planes unter angemessener Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 657 RVO läßt denn auch Zusammenhänge erkennen, die dem LSG bei seiner Betrachtungsweise verschlossen bleiben mußten. Die durch den RAM-Erlaß vom 16. März 1942 begründete Rechtslage -berufsgenossenschaftliche Zuständigkeit für die in gemeindlichen Unternehmen (im weitesten Sinne) des Versorgungssektors Beschäftigten wurde in der Folgezeit nur im Bereich des Landes Bayern durch Einführung der unbeschränkten Zuständigkeit für die Träger der gemeindlichen UV geändert (Verordnung Nr. 63 vom 28.5.1946, Bayer. GVBl 1946, 191; zu einem ähnlichen, jedoch unwirksamen Versuch im Land Baden vgl. BSG 16, 227 ff). Im übrigen blieb dieser Status erhalten und wurde - wie schon dargelegt - auch noch Ende 1958 im ersten UVNG-Entwurf unverändert übernommen. Die folgende Entwurfgestaltung (BT-Drucks. IV/120) brachte dann die systematische Neuerung, daß die in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen mit (damals: wesentlicher, später: überwiegender) kommunaler Beteiligung aus der bisherigen Verbindung mit den Regiebetrieben gelöst und unter der neugefaßten Nr. 2 des Abs. 1 aufgeführt wurden, welche des in Abs. 1 Nr. 1 enthaltenen Hinweises auf Abs. 2 entbehrte; zur Begründung hierfür hieß es (vgl. BT-Drucks. IV/120 S. 65 zu § 658):

"Absatz 1 Nr. 2 paßt die Rechtslage der rechtlich selbständigen, wirtschaftlich aber gemeindeabhängigen Unternehmen der Regelung für die bundes- und landesabhängigen Unternehmen an. Die Zuständigkeit der Eigenunfallversicherung wird danach in allen Fällen erst durch eine besondere Bezeichnung des Hoheitsträgers begründet. Diese ist im Interesse der Rechtssicherheit besonders dann erforderlich, wenn die Gemeinde oder der Gemeindeverband an privatwirtschaftlichen Unternehmen gemeinsam mit anderen beteiligt ist. Ohne die Bezeichnung müßte für jeden Entschädigungsfall in einem solchen Unternehmen erst geprüft werden, ob die Beteiligung wesentlich und daher die Eigenunfallversicherung zuständig ist."

Diesen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, daß bei der Formulierung des Abs. 1 Nr. 2 außer dem ausdrücklich genannten Zweck - Erleichterung des Nachweises einer "wesentlichen" kommunalen Beteiligung - auch noch andere Gesichtspunkte - insbesondere etwa eine fundamentale Zuständigkeitserweiterung für die Träger der gemeindlichen UV - mitgewirkt haben könnten. Auch im weiteren Verlauf der Entwurfsberatungen findet sich nirgends ein Anhaltspunkt dafür, daß beabsichtigt gewesen sein könnte, den Kompetenzbereich der gemeindlichen UV-Träger um ein so bedeutendes, wirtschaftlich und technisch gleichermaßen schwerwiegendes Objekt wie die in selbständiger Rechtsform betriebenen kommunalen Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserwerke, Verkehrsunternehmen usw. zu vergrößern. Stattdessen ist festzustellen, daß der wiederholt unternommene Vorstoß, durch Streichung des § 657 Abs. 2 die uneingeschränkte Zuständigkeit der gemeindlichen UV - entsprechend den für Bund und Länder vorgesehenen Regelungen - herbeizuführen, stets entschieden abgewiesen wurde. Im einzelnen ist hierbei aus den Materialien zum UVNG folgendes anzuführen:

1. BT-Drucks. IV/938 S. 20, Bericht des Abgeordneten Büttner vom 25. Januar 1963 zu Abs. 2:

"Dem Ausschuß für Sozialpolitik ist eine gutachtliche Stellungnahme des Ausschusses für Kommunalpolitik und Sozialhilfe zugegangen. In dieser Stellungnahme wird bedauert, daß es keine Möglichkeit gebe, die gemeindliche Eigenunfallversicherung in dem gleichen Ausmaß durchzuführen, wie dies für Bund und Länder bestimmt sei. Der Ausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe hat dabei der Ansicht Ausdruck gegeben, den bisherigen Rechtszustand nicht zu ändern und darüber hinaus die Zuständigkeit der gemeindlichen Unfallversicherung zu erweitern. Der Ausschuß für Sozialpolitik hat in den Vordergrund seiner Überlegungen den Gedanken der Unfallverhütung gestellt. Auf Grund eines vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vorgelegten Untersuchungsergebnisses, das auf eigenen Angaben der gemeindlichen Unfallversicherungsträger beruht, mußte festgestellt werden, daß die Unfallverhütung bei diesen Versicherungsträgern erheblich hinter der der Berufsgenossenschaften zurückbleibt. Das gilt sowohl hinsichtlich der im technischen Aufsichtsdienst Beschäftigten als auch der Zahl der durchgeführten Betriebsbesichtigungen und des Verhältnisses zwischen eingetretenen und untersuchten Arbeitsunfällen.

Der Ausschuß ist davon überzeugt, daß den Belangen der Unfallverhütung in gemeindlichen Verkehrsunternehmen, in Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserwerken oder in gemeindlichen landwirtschaftlichen Unternehmen am besten gedient ist, wenn diese Unternehmen den fachlich für sie zuständigen Berufsgenossenschaften zugeordnet bleiben. Ein bei jeder Berufsgenossenschaft spezialisierter und gut ausgebauter technischer Aufsichtsdienst überwacht im Interesse der Unfallverhütung die Unternehmen besser, als dies bei den Gemeindeunfallversicherungsverbänden möglich ist, die eine solche Spezialisierung auf dem Gebiete der Unfallverhütung nicht durchführen können. Der Ausschuß hat daher beschlossen, den § 658 Abs. 2 in der Fassung der Vorlage der Fraktion der CDU/CSU bestehen zu lassen."

2. Stenografischer Bericht über die 62. Sitzung des Bundestages vom 6. März 1963, S. 2854 B; Stellungnahme des Abgeordneten Ruf zu einem - abgelehnten - Antrag, in der allgemeinen UV die unbeschränkte gemeindliche Eigen-UV einzuführen:

"... Man sollte eine vernünftige Handhabung Platz greifen lassen, vor allem im Interesse der Unfallverhütung. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, weswegen wir für die Beibehaltung der Ausschußfassung eintreten. Man sollte also die Versorgungsbetriebe der Gemeinden nicht der gemeindlichen Unfallversicherung anschließen, ... sondern sollte die Versorgungsbetriebe der Gemeinden bei den zuständigen Berufsgenossenschaften belassen. Wir sind für die fachlich gegliederte Berufsgenossenschaft. Davon wollen wir ohne Not nicht abweichen."

3. Stenografischer Bericht über die 255. Sitzung des Bundesrates vom 22. März 1963, S. 52, 53:

Zustimmung zum UVNG-Entwurf unter Ablehnung von Anträgen auf Streichung des § 657 Abs. 2 sowie von - fast gleichlautenden - Anträgen der Länder Bremen (BR-Drucks. 94/2/63) und Bayern (BR-Drucks. 94/4/63), wonach § 657 Abs. 2 nicht für Beschäftigte in gemeindlichen Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserwerken gelten sollte, sofern Gemeinden oder GUVe für diese Unternehmen am 1.1.1962 Träger der UV waren; diese Anträge waren damit begründet worden, den GUVen würden sonst "gerade die bedeutendsten Unternehmen der Gemeinden" entzogen. Der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik war diesen Anträgen mit eingehender Stellungnahme entgegengetreten (BR-Drucks. 94/1/63), in der es u. a. hieß, im Interesse des Arbeitsschutzes und zur Vermeidung einer Garantiehaftung der Länder sollte die seit Jahren bewährte bisherige Regelung beibehalten werden; die gemeindliche UV sei kaum imstande, das bei den "Gemeindeunternehmen in selbständiger Rechtsform" bestehende Schadensrisiko selbst zu tragen.

Aus all dem ergibt sich nach Meinung des Senats zweifelsfrei, daß niemand daran gedacht hat, hinsichtlich der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit für Versorgungsbetriebe im kommunalen Bereich eine Trennung zwischen Regiebetrieben und den in selbständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand vorzuschlagen. Die widerstreitenden Bemühungen um die Zuständigkeit betrafen stets den Gesamtkomplex der in § 657 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 aufgeführten Unternehmen. Ebenso wie die Versuche, eine Streichung des § 657 Abs. 2 zu erzielen, nicht auf die Regiebetriebe beschränkt waren, sondern offensichtlich - und zwar mit besonderem Nachdruck - der von Abs. 1 Nr. 2 erfaßten Unternehmenskategorie galten, sind auch die Äußerungen, die diesen Versuchen - mit Erfolg - entgegentraten, nur mit Bezug auf die gesamten Versorgungsunternehmen - Regiebetriebe und Betriebe mit eigener Rechtspersönlichkeit - zu verstehen. Demgegenüber kommt den vom Revisionsbeklagten angeführten Stellungnahmen der beiden berufsgenossenschaftlichen Verbände (Arbeitsgrundlage zur Beratung des UVNG-Entwurfs S. 175) schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil diese Stellungnahmen bei den Ausschuß- und Plenardebatten niemals zur Sprache gebracht, geschweige denn zum Gegenstand ausdrücklicher Anträge gemacht worden sind; es kann also keine Rede davon sein, daß die von den BG-Verbänden vorgetragenen Auffassungen durch die gesetzgebenden Organe formell abgelehnt oder auch nur indirekt mißbilligt worden wären. Man hat sie vielmehr unbeachtet gelassen und hierauf sich gründende Folgerungen wohl auch nicht erkannt. Nach Ansicht des Senats ist es am ehesten durch ein solches Redaktionsversehen (ebenso Achenbach aaO S. 61; a. M. Lauterbach, Gesetzl. UV, 3. Aufl., Anm. 17 b zu § 657) zu erklären, daß die in § 657 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 RVO getroffene Regelung nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit die vom Gesetzgeber gemeinte Zuständigkeitsordnung zum Ausdruck bringt: Der Zuständigkeitsvorbehalt zugunsten der BGen (Abs. 2) gilt nicht nur für Regiebetriebe (Abs. 1 Nr. 1), sondern auch für in selbständiger Rechtsform betriebene Unternehmen mit überwiegender kommunaler Beteiligung (Abs. 1 Nr. 2).

Der Wirksamkeit dieser Regelung steht es nicht entgegen, daß sie von der Systematik der §§ 653, 655 RVO abweicht. Da nun einmal das UVNG den Trägern der gemeindlichen UV die von ihnen angestrebte Verwirklichung der unbeschränkten gemeindlichen Eigen-UV nicht gebracht hat (Vollmar, Eigen-UV des öffentlichen Dienstes, S. 18), ist ihre völlige Gleichstellung mit dem Bund und den Ländern als UV-Trägern systematisch eben nicht herbeizuführen. Es ist daher auch nicht als sinnwidrig anzusehen, wenn etwa ein in selbständiger Rechtsform betriebenes Elektrizitätswerk, an dem neben dem Bund und einem Land auch Gemeinden beteiligt sind, unter Umständen zwar von den UV-Trägern des Bundes oder des beteiligten Landes, nicht dagegen von den für die betreffenden Gemeinden in Frage kommenden UV-Trägern in Versicherung genommen werden kann.

Die Bezeichnungsverfügung des Bremischen Senators für die Finanzen vom 5. Februar 1964 verstößt hiernach gegen das geltende Recht und muß daher aufgehoben werden.

Der Revisionsbeklagte ist verpflichtet, mit Wirkung vom 1. April 1964 an (vgl. Art. 4 § 16 Abs. 1 Satz 2 UVNG) das Unternehmen der StW der Revisionsklägerin zu überweisen.

Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils war demgemäß wie geschehen zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 269

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge