Entscheidungsstichwort (Thema)

Tatsächliche Feststellungen durch Berufungsgericht. abstrakte Schadensbemessung bei Berufskrankheiten. berufliche Kompensation. Bronchialasthma

 

Orientierungssatz

1. Auch im Berufskrankheitenrecht gilt sowohl für die haftungsbegründende als auch für die haftungsausfüllende Kausalität die in der Unfallversicherung geltende Kausalitätslehre von der wesentlich mitwirkenden Ursache.

2. Ein Tatsachengericht, das einen Träger der Unfallversicherung verurteilen will, einem Versicherten Rente wegen einer Berufskrankheit zu gewähren, muß tatsächliche Feststellungen treffen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglichen, ob die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität zu Recht bejaht worden sind. Feststellungen darüber, daß der Versicherte durch seine versicherte Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen war und diese schädigenden Einwirkungen zu einer Erkrankung nach Nr 41 der Anlage 1 zur BKVO 7 - Bronchialasthma - geführt haben, darf das Gericht nicht etwa deshalb für entbehrlich halten, weil es nach Meinung der Berufsgenossenschaft im Bescheid über die Ablehnung einer Entschädigung wahrscheinlich war, daß das bei dem Versicherten bestehende asthmoid-bronchitische Syndrom zumindest zu einem wesentlichen Anteil durch die berufliche Schadstoffexposition bedingt war.

3. Daß nach Nr 41 der Anlage 1 zur BKVO 7 das Bronchialasthma "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit" gezwungen haben muß, um entschädigt zu werden, ist zwar Voraussetzung für die Anerkennung als Berufskrankheit, jedoch ist daraus nicht herzuleiten, daß es bei einem Bronchialasthma als Berufskrankheit anders als bei Arbeitsunfällen für die Bemessung des Grades der MdE auf das Ausmaß des durch die Berufskrankheit bedingten konkreten Einkommensverlustes ankommt. Eine derartige Auffassung würde nicht nur der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Regelung widersprechen, sondern mit dem höherrangigen Recht der Verordnungsermächtigung in § 551 Abs 1 S 3 RVO sowie dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar ist (Festhaltung BSG 1978-01-26 2 RU 27/77 = SozR 2200 § 551 Nr 10, BSG 1978-04-20 2 RU 79/77 = SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8).

4. Zur Frage der beruflichen Kompensation bei Bemessung der MdE infolge Bronchialasthma.

 

Normenkette

SGG § 103 S 1, §§ 123, 153 Abs 1; RVO § 551 Abs 1 S 3, § 581 Abs 1; BKVO 7 Anl 1 Nr 41; GG Art 3 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 02.08.1979; Aktenzeichen L 7 U 2059/78)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 25.10.1978; Aktenzeichen S 2 U 47/76)

 

Tatbestand

Durch Bescheid vom 16. Dezember 1975 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlaß eines beim Kläger im Dezember 1971 festgestellten Asthma bronchiale ab. Die fachärztlichen Untersuchungen hätten zwar ergeben, daß die Erkrankung und das jetzt daraus resultierende chronische asthmoid-bronchitische Syndrom mit Wahrscheinlichkeit zumindest zu einem wesentlichen Anteil durch die berufliche Schadstoffexposition des Klägers in der Firma Z bedingt sei. Eine Berufskrankheit nach Nr 41 der Anlage 1 zur Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung (7. BKVO) vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) liege jedoch nicht vor, weil die Erkrankung den Kläger nicht zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen habe. Der Kläger sei bei der Firma Z als Hilfsarbeiter tätig gewesen und habe somit keine berufliche Beschäftigung ausgeübt. Zudem liege bei dem Kläger ein Wechsel des Berufes auch deshalb nicht vor, weil er nunmehr in einem Dentallabor als Dentallabor-Gehilfe tätig sei.

Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die vom Kläger erhobene Klage auf Verurteilung der Beklagten, ihm nach Wegfall des Krankengeldes im Jahre 1972 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH zu gewähren, abgewiesen (Urteil vom 25. Oktober 1978). Das SG hat dahingestellt sein lassen, ob das beim Kläger bestehende chronische asthmoid-bronchitische Syndrom Folge der Tätigkeit bei der Firma Z ist. Denn nach Meinung des SG fehlte es an der weiteren Voraussetzung, daß der Kläger eine berufliche Beschäftigung iS der Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO aufgegeben habe.

Auf die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1975 sowie das Urteil des SG Stuttgart vom 25. Oktober 1978 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung von "chronisch asthmoid-bronchitisches Syndrom" als Berufskrankheit Rente nach einer MdE von 20 vH seit Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1972 zu gewähren (Urteil vom 2. August 1979). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Beim Kläger bestehe ein Bronchialasthma, das ihn zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung gezwungen habe, denn er habe die berufliche Tätigkeit als Blechschlosser aufgeben müssen. Er könne als Blechschlosser nicht mehr tätig sein, denn es sei offensichtlich, daß Blecharbeiten mit Staubentwicklung einhergingen, der Kläger aber nach den medizinischen Sachverständigengutachten auch geringe Schadstoffeinwirkungen meiden müssen. Hinzu komme, daß der Kläger laut ärztlichen Gutachten infolge der bei ihm bestehenden beruflich bedingten Asthmabronchitis keine körperlich anstrengende Arbeit mehr verrichten könne. Es handele sich bei der vom Kläger aufgegebenen Beschäftigung auch um einen "Beruf". Der Verlust des Berufes als Blechschlosser werde durch den inzwischen erlangten Beruf eines Zahntechnikers nicht kompensiert. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar den Gesichtspunkt der Kompensation in mehreren Entscheidungen über berufliche Hauterkrankungen berücksichtigt (BSGE 39, 49; SozR 2200 § 622 Nr 10), jedoch könne dieser bei einem beruflich bedingten Bronchialasthma keine Anwendung finden. Denn das Bronchialasthma sei eine Erkrankung, die eine bleibende gesundheitliche Beeinträchtigung hinterlasse und beim Kläger zur Progredienz neige. Dies rechtfertige, die Unfallrente trotz beruflicher Kompensation weiterzugewähren. Im vorliegenden Fall könne daher dahingestellt bleiben, ob der Kläger durch seine jetzige Beschäftigung als "Zahntechniker" oder als "Helfer in einem zahntechnischen Labor" eine seiner früheren beruflichen Beschäftigung als Blechschlosser gleichwertige Tätigkeit erreicht habe.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG habe im angefochtenen Urteil mit keinem Wort dargelegt, aufgrund welcher Überlegungen es einen Zusammenhang zwischen der beim Kläger diagnostizierten Erkrankung und seiner beruflichen Beschäftigung angenommen habe. Der ursächliche Zusammenhang werde vom LSG als bestehend vorausgesetzt. Das Urteil entbehre insoweit der Entscheidungsgründe und sei daher aufzuheben (§ 551 Nr 7 ZPO). Dasselbe gelte auch hinsichtlich der Annahme einer MdE von 20 vH. Überdies habe das LSG die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten. Es habe einen Kausalzusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Beschäftigung des Klägers bejaht, obwohl der Zeuge Z vor dem SG bekundet habe, daß bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit eine schädigende Einwirkung nicht gegeben gewesen sei. Zudem habe das LSG auch seine Sachaufklärungspflicht verletzt, denn es hätte bei den Gutachtern eine ergänzende Stellungnahme darüber einholen müssen, ob der Kläger auch bei Meidung der Schadstoffe noch um 20 vH in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert sei. Eine rentenberechtigende MdE sei auch deswegen zu verneinen, weil dem Kläger durch seinen jetzigen Beruf ein gleichwertiges Arbeitsfeld eröffnet worden sei. Eine gegenüber Hauterkrankungen unterschiedliche Beurteilung der Kompensation, wie das LSG sie angenommen habe, sei nicht gerechtfertigt. Auch bei berufsbedingten Hauterkrankungen führe die Sensibilisierung durch Schadstoffe - auch wenn keine äußeren Hauterscheinungen mehr vorhanden seien - zu einer von allen Fachleuten anerkannten sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auswirkenden und die Annahme einer MdE von wenigstens 20 vH rechtfertigenden Beeinträchtigung, da allein die Sensibilisierung gegen bestimmte Schadstoffe eine weitgehende Einengung der beruflichen Einsatzfähigkeit bedeute.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom

2. August 1979 aufzuheben und die Berufung des

Klägers gegen das Urteil des SG Stuttgart vom

25. Oktober 1978 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom

2. August 1979 insoweit aufzuheben, als sie

verurteilt worden sei, Rente nach einer MdE

von 20 vH zu gewähren,

weiter hilfsweise,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom

2. August 1979 aufzuheben und die Sache an das

LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung

zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor, daß der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1975 von einer durch berufliche Schadstoffexposition bei der Firma Z wesentlich bedingte chronische Bronchitis ausgehe. Zu diesem Ergebnis seien die von der Beklagten eingeholten ärztlichen Gutachten gekommen. Damit sei den Beweisanforderungen an die Kausalität Genüge Getan. Die Beklagte habe auch in der Berufungsinstanz weder die haftungsbegründende noch die haftungsausfüllende Kausalität in Zweifel gezogen. Das LSG habe daher davon ausgehen können, daß die für jeden Versicherungsfall zu fordernde Kausalität zwischen den Parteien unstreitig gewesen sei. Hinsichtlich des Grades der MdE habe das LSG gleichfalls keine Ausführungen zu machen brauchen. Denn die Sachverständigen Dr M und Dr K sowie der zuständige Gewerbearzt hätten ausgeführt, daß die berufskrankheitsbedingte MdE 20 vH betrage. Der Auffassung des LSG, daß im vorliegenden Fall eine neu erworbene Berufs- und Erwerbsmöglichkeit nicht zum Wegfall der Rente führe, sei zuzustimmen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.

Nach § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) gilt als Arbeitsunfall eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung ist durch § 551 Abs 1 Satz 3 RVO ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das Recht der Berufskrankheiten beruht auf dem in der Unfallversicherung allgemein geltenden Verursachungsprinzip. Der Versicherte wird wie beim Unfall vom Versicherungsschutz nur umfaßt, wenn er die in einer BKVO bezeichnete Krankheit bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO aufgeführten Tätigkeiten erleidet, die Krankheit also eine Berufskrankheit ist. Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist daher, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und einer dieser Tätigkeiten gegeben ist. Von dieser haftungsbegründenden Kausalität ist die für den Versicherungsschutz ebenfalls erforderliche haftungsausfüllende Kausalität zu unterscheiden, die zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (Schädigung) bestehen muß, um einen Leistungsanspruch aufgrund einer Berufskrankheit begründen zu können. Auch im Berufskrankheitenrecht gilt sowohl für die haftungsbegründende als auch für die haftungsausfüllende Kausalität die in der Unfallversicherung geltende Kausalitätslehre von der wesentlich mitwirkenden Ursache (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 490 h IV).

Ein Tatsachengericht, das einen Träger der Unfallversicherung verurteilen will, einem Versicherten Rente wegen einer Berufskrankheit zu gewähren, muß daher tatsächliche Feststellungen treffen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglichen, ob die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität zu Recht bejaht worden sind. Vom LSG wäre somit zunächst festzustellen gewesen, daß der Kläger durch seine versicherte Tätigkeit bei der Firma Z schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen war und diese schädigenden Einwirkungen zu einer Erkrankung nach Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO - Bronchialasthma - geführt haben. Solche Feststellungen durfte das LSG nicht etwa deshalb für entbehrlich halten, weil es nach Meinung der Beklagten im Bescheid vom 16. Dezember 1975 wahrscheinlich war, daß das bei dem Kläger bestehende asthmoid-bronchitische Syndrom zumindest zu einem wesentlichen Anteil durch die berufliche Schadstoffexposition in der Firma Z bedingt ist, zumal da die Beklagte auf eine entsprechende Anfrage des SG mit Schriftsatz vom 15. Februar 1978 ausdrücklich den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Bronchialerkrankung des Klägers und der von diesem bei der Firma Z ausgeübten Tätigkeit bestritten und sich dabei auf die Aussage des Zeugen Z berufen hatte, daß bei den vom Kläger verrichteten Arbeiten schädigende Einwirkungen nicht vorhanden gewesen seien. Auch das SG hat im Urteil vom 25. Oktober 1978 diese Frage dahingestellt gelassen, weil es einen Entschädigungsanspruch des Klägers schon deshalb nicht als gegeben angesehen hat, weil er keine berufliche Beschäftigung iS der Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO aufgegeben habe. Das Berufungsgericht mußte nunmehr seinerseits entsprechende Feststellungen treffen, sofern es die Beklagte zur Rentengewährung verurteilen wollte. Für das Verfahren vor dem LSG gelten die Vorschriften über den ersten Rechtszug im wesentlichen entsprechend (§ 153 Abs 1 SGG). Das LSG mußte sonach den Sachverhalt gemäß § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von Amts wegen ohne Bindung an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten erforschen und den Anspruch des Klägers von neuem prüfen (§ 123 SGG), wobei es den gesamten Streitstoff zu berücksichtigen und zu würdigen hatte (BSGE 6, 297, 298; 7, 178, 179; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 157 Anm 1).

Dasselbe gilt hinsichtlich des Grades der durch die Erkrankung hervorgerufenen MdE. In der gesetzlichen Unfallversicherung hängt die Entschädigung von einer abstrakten Schadensbemessung ab, und zwar sowohl bei Arbeitsunfällen als auch bei Berufskrankheiten (vgl BSG SozR 2200 § 551 Nr 10, SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8). Abstrakt erfolgt die Entschädigung insofern, als sie nicht nach dem jeweils tatsächlich eingetretenen Personen- oder Vermögensschaden bemessen wird, sondern losgelöst davon nach einem Vomhundertsatz der MdE. Hierin drückt sich das Verhältnis aus, in dem die durch die  Persönlichkeit des Versicherten individuell geprägte Arbeitsmöglichkeit, bezogen auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens, eingeschränkt ist (vgl Brackmann, aaO S 566 y I ff, 568b und f bis h mit zahlreichen Nachweisen auch der Rechtsprechung des BSG). Daß nach Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO das Bronchialasthma "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit" gezwungen haben muß (dasselbe gilt nach Nr 43 bei Erkrankungen der Sehnenscheiden und nach Nr 46 bei Hauterkrankungen), um entschädigt zu werden, ist zwar Voraussetzung für die Anerkennung als Berufskrankheit, jedoch ist daraus nicht herzuleiten, daß es bei einem Bronchialasthma als Berufskrankheit anders als bei Arbeitsunfällen für die Bemessung des Grades der MdE auf das Ausmaß des durch die Berufskrankheit bedingten konkreten Einkommensverlustes ankommt. Eine derartige Auffassung würde nicht nur der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Regelung widersprechen, sondern mit dem höherrangigen Recht der Verordnungsermächtigung in § 551 Abs 1 Satz 3 RVO sowie dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar ist. Der Senat hat dies in seinen Urteilen vom 26. Januar und 20. April 1978 (SozR 2200 § 551 Nr 10 betr Bronchialasthma und SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8 betr Hauterkrankungen) eingehend dargelegt. Er hält daran fest (Urteile vom 29. April 1980 - 2 RU 49/78 - und vom 30. September 1980 - 2 RU 61/78 -).

Ob im vorliegenden Fall - sofern die Voraussetzungen der Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO vorliegen -, entsprechend der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG bei beruflich bedingten Hauterkrankungen (Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO) die Entziehung einer wegen Bronchialasthma gewährten Rente gerechtfertigt ist, wenn sich der Verletzte infolge neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten ein erweitertes Arbeitsfeld mit gleichwertigen Verdienst- und Erwerbsmöglichkeiten wie in der aufgegebenen beruflichen Beschäftigung eröffnet hat (vgl ua BSGE 39, 49; 44, 274; 47, 249; SozR 2200 § 622 Nr 3, 7 und 10), braucht im gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht entschieden zu werden; denn das Urteil des LSG enthält zum Grad der MdE keine tatsächlichen Feststellungen. Den Entscheidungsgründen kann nicht entnommen werden, worin im einzelnen die gesundheitliche Beeinträchtigung infolge der beruflichen Schädigung besteht. Diese hängt möglicherweise von der Art des Bronchialasthmas - allergisch oder toxisch - ab. Auch die Frage einer Progredienz, die das LSG zwar erwähnt, aber nicht durch medizinische Feststellungen begründet, kann für die Beurteilung des Grades der MdE von Bedeutung sein. Unter diesen Umständen genügt es für die Verurteilung zur Gewährung einer Rente nach einer MdE von 20 vH nicht, daß - ohne eigene tatsächliche Feststellungen des LSG - in den Gutachten des Dr M vom 8. Mai 1974 und des Dr K vom 28. Oktober 1975 die berufsbedingte MdE mit 20 vH angenommen worden ist. Die Beklagte hat in ihrem bereits erwähnten Schriftsatz vom 15. Februar 1978 gegen eine MdE von 20 vH Stellung genommen. Die Rechtsprechung des 8. Senats hat der beruflichen Kompensation bei Hauterkrankungen nur dann Bedeutung beigemessen, wenn der Verletzte nach Abheilung der äußeren Hauterscheinungen als "hautgesund" erschien und lediglich bestimmte Tätigkeiten, bei denen er mit den für ihn schädlichen Allergenen in Berührung kommt, nicht mehr ausüben kann. Überdies muß nach dieser Rechtsprechung seit Aufnahme einer der früheren beruflichen Beschäftigung gleichwertigen Tätigkeit eine genügend lange Zeit vergangen sein, um zuverlässig beurteilen zu können, daß in dem neuen Beruf die Gefahr des Wiederaufflackerns der Hauterkrankung nicht besteht (SozR 2200 § 622 Nr 3). Der 8. Senat hat auch dem Umstand Bedeutung beigemessen, daß die Hauterkrankung den Versicherten nicht nur beruflich, sondern auch außerberuflich erheblich beeinträchtigt (SozR Nr 15 zu § 622 RVO). Der 2. Senat hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß einem Versicherten die Entschädigung nach der Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO nicht versagt werden kann, wenn sich der Schweregrad der Hauterkrankung in einer unfallrechtlich relevanten MdE von 20 vH ausdrückt, der Versicherte seine berufliche Beschäftigung bzw Erwerbsarbeit aber in einem anderen, ihn nicht gefährdenden Bereich ausübt oder ausüben kann (SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8). Die Beklagte vertritt in der Revisionsbegründung die Auffassung, daß bei Hauterkrankungen die Sensibilisierung gegenüber weit verbreiteten Substanzen - auch wenn keine äußeren Hauterscheinungen mehr bestehen - zu einer von allen Fachleuten anerkannten, sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auswirkenden und die Annahme einer MdE von 20 vH rechtfertigenden Beeinträchtigung führe. Beide Argumente sprechen gegen eine Rentenentziehung bei beruflicher Kompensation; denn hierbei wird der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung bewußt verlassen (BSGE 39, 49, 52) und für Berufskrankheiten die konkrete Schadensbemessung eingeführt. Dies bedeutet aber eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitsunfällen. Solange mangels der dafür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht entschieden werden kann, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO überhaupt vorliegt, hält es der Senat jedenfalls für untunlich, auf eine mögliche berufliche Kompensation näher einzugehen (vgl ua BSG-Urteile vom 29. April 1980 - 2 RU 60/78 -, 2 RU 73/78 -, - 2 RU 49/79 - und - 2 RU 15/80 -).

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659957

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