Entscheidungsstichwort (Thema)

Entziehung der wegen einer berufsbedingten Hauterkrankung gewährten Rente nach erfolgreicher beruflicher Rehabilitation

 

Orientierungssatz

1. Der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung wird nicht dadurch berührt, daß nach Nr 46 der Anlage 1 zur BKVO 6 die Hauterkrankung "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung" gezwungen haben muß, um entschädigt zu werden (vgl BSG 1980-09-30 2 RU 61/78).

2. Auch bei erfolgreicher beruflicher Rehabilitation ist für die Neufeststellung der Rente zu prüfen, mit welchem Anteil die medizinischen Erscheinungen der Berufskrankheit die festgestellte MdE in dem maßgebenden Bescheid mitbedingt haben und ob insoweit sowie bezüglich der Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

 

Normenkette

RVO § 622 Abs 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO 6 Anl 1 Nr 46

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 26.11.1980; Aktenzeichen L 3 U 44/80)

SG Koblenz (Entscheidung vom 31.01.1980; Aktenzeichen S 10 U 9/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, die dem Kläger wegen einer Hauterkrankung gezahlte Verletztenrente mit der Begründung zu entziehen, daß er wegen des Erwerbs neuer beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten "voll rehabilitiert" sei (Bescheid vom 21. Dezember 1978).

Der Kläger bezog, nachdem er seinen Beruf als Fliesenleger aufgegeben hatte, wegen Überempfindlichkeit gegen berufsspezifische Stoffe seit Mitte 1966 Verletztenrente in Höhe von 30 vH der Vollrente. Eine Herabsetzung der Rente wegen des mit der Umschulung zum Bautechniker (5. September 1966 bis 10. Juli 1968) verbundenen Erwerbs weiterer Arbeitsmöglichkeiten (Bescheid vom 30. Januar 1973) hatte keinen Bestand (Urteil des Sozialgerichts -SG- Koblenz vom 17. Juli 1973).

Vor Erteilung des nunmehr angefochtenen Bescheides hatte der Leitende Arzt der Abteilung Dermatologie und Venerologie des Bundeswehrzentralkrankenhauses in Koblenz, Prof. Dr. S., am 6. Januar 1978 ein Gutachten erstattet, in welchem er abschließend zu dem Ergebnis kam, gegenüber dem Befund, der für die Rentengewährung maßgebend war, sei keine wesentliche Besserung eingetreten.

Das SG hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Weiterzahlung einer Verletztenrente in Höhe von 30 vH der Vollrente verurteilt (Urteil vom 31. Januar 1980), weil die medizinischen Folgen der Hauterkrankung nach wie vor bestünden und die Möglichkeiten des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erheblich einschränkten.

Dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. November 1980). Die Entziehung der Verletztenrente sei berechtigt; eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei darin zu erblicken, daß der Kläger sich ein neues berufliches Tätigkeitsfeld erschlossen habe, das ihm gleichwertige Betätigungs- und Verdienstmöglichkeiten biete. Daher könne dahingestellt bleiben, ob auch in den gesundheitlichen Verhältnissen eine wesentliche Besserung eingetreten sei.

Der Kläger hat die vom erkennenden Senat zugelassene Revision (Beschluß vom 24. Juni 1981) eingelegt. Nach seiner Auffassung liegen die Voraussetzungen für den Rentenentzug nicht vor, zumal da seit dem Urteil des SG vom 17. Juli 1973 auch eine berufliche Verbesserung des Klägers nicht mehr eingetreten sei; er sei seit April 1972 als graduierter Ingenieur bei der Landesstraßenverwaltung beschäftigt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. November 1980 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 31. Januar 1980 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Meinung ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig. Aus medizinischer Sicht sei eine Besserung in der vom Gutachter festgestellten Abheilung des äußeren Hautbefundes zu sehen. Auch seine sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich durch die Übernahme als Bauoberinspektor ab Februar 1977 wesentlich verändert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil reichen nicht zur Entscheidung darüber aus, ob der Kläger weiterhin Anspruch auf Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit (BK) hat.

Das LSG hat zutreffend die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bescheid vom 21. Dezember 1978 aufgrund des § 622 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF geprüft. Diese Vorschrift ist allerdings gestrichen worden (Art II § 4 Ziff 1 des Sozialgesetzbuches -SGB X-). Der an ihre Stelle getretene § 48 SGB X ist jedoch erstmals anzuwenden, wenn ein früherer Verwaltungsakt nach dem 31. Dezember 1980 aufgehoben wird (Art II § 40 Abs 2 SGB X; vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 9. Aufl; § 582 b; Majerski, SozVers 1982, 3 f). Im vorliegenden Fall erfolgte die Neufeststellung indes bereits im Jahre 1978.

Nach § 622 Abs 1 RVO aF ist Voraussetzung für eine Neufeststellung der Verletztenrente, daß in den maßgebenden Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Entzug der Verletztenrente nach dieser Vorschrift setzt demgemäß voraus, daß insoweit eine wesentliche Besserung eingetreten ist, als die Erwerbsfähigkeit des Verletzten nicht mehr um wenigstens ein Fünftel gemindert ist (§ 581 Abs 1 Ziff 2 RVO). Eine Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, lassen die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen nicht zu, weil das LSG offengelassen hat, ob bezüglich der gesundheitlichen Verhältnisse eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

Bei dem Kläger ist eine Hauterkrankung nach Nr 46 der Anlage 1 zur 6. BKVO vom 28. April 1961 (BGBl I 505) als BK anerkannt (Bescheid vom 12. Oktober 1966). Nach dieser Vorschrift mußte die Hauterkrankung ua zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung - hier: als Fliesenleger - gezwungen haben. Soweit das LSG und die Beklagte meinen, dieses Merkmal der BK sei bereits infolge "beruflicher Kompensation" in Wegfall geraten, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Auch bei einer BK richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), wie der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 29. April 1980 - 2 RU 60/78 - (HGBG RdSchr VB 137/81) und vom 15. Dezember 1981 - 2 RU 65/80 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden hat, einerseits nach der Schwere des noch vorhandenen Krankheitszustandes sowie andererseits nach dem Umfang der dadurch dem Erkrankten verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Daß nach Nr 46 der Anlage 1 zur 6. BKVO die Hauterkrankung - soweit hier entscheidend - "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung" gezwungen haben muß, um entschädigt zu werden, ändert an der abstrakten Schadensbemessung nichts. Der von dem jeweils tatsächlich eingetretenen Personen- oder Vermögensschaden losgelöste Vomhundertsatz der MdE wird durch dieses Merkmal der BK nicht bestimmt (zum Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung vgl die Urteile des Senats SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8 sowie vom 29. April 1980 aaO und 30. September 1980 - 2 RU 61/78 -; Brackmann aa0 S 566y II ff mwN). Der Senat hat dies ua in seinem Urteil vom 20. April 1978 (SozR 5677 aa0) näher dargelegt und ausgeführt, daß durch das tätigkeitsbezogene einschränkende Merkmal in der Nr 46 als zusätzliche Voraussetzung der BK einerseits in typisierender Weise der Schweregrad der Krankheit beschrieben und andererseits ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz verhindert wird (vgl zur geltenden Fassung dieses Merkmals das Urteil des Senats vom 15. Dezember 1981 aaO).

Das LSG hätte infolgedessen überprüfen müssen, ob die vorgenommene Neufeststellung der Dauerrente gerechtfertigt ist, weil der vorhandene Krankheitszustand und die durch die BK noch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten gegenüber den maßgebenden Verhältnissen eine derartige Verbesserung darstellen, daß der MdE-Grad nunmehr unter 20 herabgesunken ist. Bedingt aber zB allein der Schweregrad der noch vorhandenen Hauterkrankung eine MdE von 20 vH, so ist der Wegfall der Rente in keinem Fall gerechtfertigt. Der - für Streitigkeiten aus der gesetzlichen Unfallversicherung jetzt nicht mehr zuständige - 8. Senat des BSG, auf dessen Rechtsprechung das LSG Bezug nimmt, hat dem Urteil des erkennenden Senats vom 20. April 1978 (SozR 5677 aa0) jedenfalls insoweit nicht widersprochen (Urteil vom 26. Juli 1979 - 8a RU 62/78 -). Angesichts der dargelegten Rechtsgrundsätze hätte das LSG nicht dahingestellt lassen dürfen, ob beim Kläger eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten ist. Vielmehr hätte es untersuchen müssen, mit welchem Anteil die medizinischen Erscheinungen der BK die festgestellte MdE in dem maßgebenden Bescheid mitbedingt haben und ob insoweit sowie bezüglich der Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

Die fehlenden Feststellungen wird das LSG nachholen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661842

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge