Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebssport. betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei einem Fußballspiel der Mannschaften zweier Firmen liegt zwar kein Betriebssport vor, weil es sich um keine Übung handelte, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfand.

Da das Fußballspiel jedoch gerade zur Feier des 1. Mai angesetzt war, ist es als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13 . Juni 1958 wird zurückgewiesen .

Die Beklagte hat dem Beigeladenen dessen außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten .

Von Rechts wegen .

 

Gründe

I

Am 1 . Mai 1956 wurde auf dem Vereinssportplatz in Krs ... ein Fußballspiel ausgetragen , an dem die Mannschaften der in B ... ansässigen Firmen Federnfabrik S ... & Sch ... und Strickwarenfabrik Gebr . D ... mitwirkten . Um 14 . 10 Uhr , bald nach Beginn des Spieles , wurde der in der Mannschaft der Firma S ... & Sch ... mitspielende 52 Jahre alte Stanzer ... (M . ) von einem Verteidiger der gegnerischen Mannschaft gegen das rechte Fußgelenk getreten und hierdurch so erheblich verletzt , daß er über drei Monate lang stationär behandelt werden mußte . Die Firma S ... & Sch ... erstattete die Anzeige über einen "Unfall beim Betriebssport" . Ferner teilte sie der Beklagten mit , das im Interesse der Betriebsgemeinschaft durchgeführte Fußballspiel sei als Gemeinschaftsveranstaltung der beiden Firmen anläßlich der Feier des 1 . Mai gedacht gewesen; von beiden Firmen seien die Inhaber zugegen gewesen und hätten die Aufsicht und Verantwortung gehabt . Die Teilnahme sei den einzelnen Betriebsangehörigen freigestellt worden . Diese Angaben wurden von der Firma D ... bestätigt , die noch hinzufügte , nach Abschluß des Fußballspiels habe in einem Gasthof eine gemeinschaftliche Feier stattgefunden , an der die Firmeninhaber und die beiden Mannschaften teilgenommen hätte. Durch den an M . gerichteten Bescheid vom 26 . September 1956 lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch ab mit der Begründung , ein Arbeitsunfall liege nicht vor , da Betriebssport nur dann unter Versicherungsschutz stehe , wenn es sich nicht um Wettkämpfe zwischen Mannschaften verschiedener Unternehmen , sondern um eine sportliche Betätigung handele , welche als Ausgleich für die einseitig beanspruchende Berufstätigkeit diene .

Hiergegen erhob die beteiligte Allgemeine Ortskrankenkasse Klage mit dem Antrag , die Beklagte dem Grunde nach zur Gewährung einer Unfallrente zu verurteilen . Das Sozialgericht (SG) lud den Verletzten M . zum Verfahren bei . Es vernahm dessen Arbeitgeber Dr . S ... als Zeugen . Dieser bekundete , von den etwa 320 bis 350 Belegschaftsmitgliedern seiner Firma beteiligten sich etwa 60 an der vor zwei Jahren gegründeten Sportgemeinschaft , in der unter Leitung von zwei Betriebsangehörigen als Sportwarten Tischtennis , Fußball und Faustball gespielt werde; seit Anfang 1956 bestünden eine aktive und eine Altherren-Fußballmannschaft; in der letzteren habe er selbst mitgespielt . Für das Spiel am 1 . Mai hätten diese beiden Mannschaften - in gemischter Aufstellung - zwei- bis dreimal trainiert . Zu dem Fußballspiel am 1 . Mai 1956 seien etwa 60 bis 80 Angehörige seiner Firma als Zuschauer erschienen . Der Anschlag am Schwarzen Brett mit der Angabe der Mannschaftsaufstellung habe sinngemäß die Einladung an die Belegschaft enthalten , sich das Spiel anzusehen . Auf dem Sportplatz habe er seinen ihm erreichbaren Belegschaftsmitgliedern sagen lassen , sie möchten an der anschließenden Feier im Gasthof teilnehmen; dieser Aufforderung seien auch - abgesehen von den Fußballspielern - etwa 30 Betriebsangehörige gefolgt , die dort ihre Rechnung selbst bezahlt hätten . Festansprachen seien bei der Abschlußfeier nicht gehalten worden .

Das SG hat die Klage abgewiesen: Bei dem Fußballwettspiel gegen eine betriebsfremde Mannschaft habe es sich nicht um einen Fall des versicherten Betriebssports gehandelt . Auch sei das Spiel nicht Bestandteil einer von allen Betriebsangehörigen besuchten Maifeier gewesen .

Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg . Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 13 . Juni 1958 (SozEntsch IV § 542 Nr . 97) die Beklagte verurteilt , den Unfall des Beigeladenen als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm Unfallentschädigung zu gewähren: Der Versicherungsschutz sei gegeben , weil es sich bei dem Fußballspiel um Betriebssport im Sinne der RVA-Grundsätze (Rundschreiben vom 21 . 5 . 1943 , AN 1943 , 231) gehandelt habe . Bedeutsam sei auch die Tatsache , daß beide Betriebe das Freundschaftsspiel gerade auf den 1 . Mai angesetzt hätten; hiernach habe es sich um eine dem Tag der Arbeit angemessene sportliche Gemeinschaftsveranstaltung beider Betriebe gehandelt . Obschon von einer echten Gemeinschaftsveranstaltung jedes Betriebes für sich im Hinblick auf die zu geringe Zahl der als Zuschauer anwesenden Betriebsangehörigen nicht gesprochen werden könne , sei doch aus dem Sachverhalt zu folgern , daß das von beiden Firmen organisierte Fußballspiel für jede Firma die eigene Betriebsverbundenheit am Maifeiertag ausdrücken sollte . Für den betriebsverbundenen Charakter der Sportveranstaltung spreche der betriebliche Hinweis am Schwarzen Brett und die Aufforderung des Mitinhabers Dr . S... an seine Belegschaftsmitglieder unter den Zuschauern , an der gemeinschaftlichen Feier im Gasthof teilzunehmen . Das LSG hat die Revision zugelassen .

Gegen das am 10 . Juli 1958 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1 . August 1958 Revision eingelegt und sie zugleich wie folgt begründet: Der Versicherungsschutz für die Ausübung von Betriebssport erscheine zweifelhaft , da die maßgebenden Grundsätze des RVA von nationalsozialistischem Gedankengut getragen seien . Aber selbst die vom LSG angeführten Richtlinien des RVA seien nicht geeignet , im vorliegenden Fall den Versicherungsschutz für M . zu begründen; denn hiernach seien Wettkämpfe zwischen Mannschaften verschiedener Firmen nicht als Betriebssport anzuerkennen; auch habe das LSG nicht einmal geklärt , ob die Betriebsleitung die Auswahl und Aufstellung der Mannschaft veranlaßt oder auch nur angeregt habe; wenn im übrigen der sogenannte Betriebssport zur versicherten Tätigkeit gerechnet werde , müßte unweigerlich das gleiche auch für Stammtisch- oder Skatrunden gelten , die unter Betriebsangehörigen veranstaltet würden . Das Fußballspiel am 1 . Mai 1956 sei auch nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen; hierzu wäre erforderlich , daß die gesamte Belegschaft - deren Zahl das LSG nicht festgestellt habe - zum Besuch der von der Firma organisierten Maifeier befohlen werde und daß auch Mitglieder der Betriebsleitung sich - zur Wahrung der Betriebsverbundenheit - am Fußballspiel beteiligten . Die Beklagte beantragt ,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen ,

hilfsweise ,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen .

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision . Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei .

Der im Revisionsverfahren nicht vertretene Beigeladene hat keine Erklärung abgegeben .

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden; der Senat hat von seiner hierdurch gegebenen Befugnis (§ 124 Abs . 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) Gebrauch gemacht .

II

Die Revision ist statthaft und zulässig . Sie hatte jedoch keinen Erfolg .

Die Befugnis der Klägerin , den Entschädigungsanspruch des Verletzten gegen die Berufsgenossenschaft im Klageweg zu verfolgen , ergibt sich aus der eine Prozeßstandschaft begründenden Vorschrift des § 1511 der Reichsversicherungsordnung; diese Vorschrift gilt , wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung annimmt (vgl . BSG 7 , 195; Urteil vom 28 . 11 . 1961 ,2 RU 130/59) , auch nach dem Inkrafttreten des SGG weiter .

Das LSG hat mit Recht entschieden , daß der Unfall des M . vom 1 . Mai 1956 ein Arbeitsunfall ist , für dessen Folgen die Beklagte die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren hat . In der Begründung kann dem LSG allerdings nur zum Teil gefolgt werden .

Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Unfallversicherungsschutzes beim sogenannten Betriebssport wäre der Klageanspruch nicht als begründet anzusehen . Zwar ist - entgegen dem von der Revision vertretenen Standpunkt - der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bei betriebssportlichen Übungen nicht generell etwa deshalb entfallen , weil das insoweit als maßgebend angesehene RVA-Rundschreiben vom 21 . Mai 1943 (aaO) nationalsozialistisches Gedankengut enthielte . Diese Annahme hat der Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 28 . November 1961 (2 RU 130/59) mit eingehender Begründung abgelehnt; auf diese Darlegungen wird Bezug genommen . Es kann auch unerörtert bleiben , ob die sonstigen von der Beklagten gegen die Anerkennung eines versicherten Betriebssports im vorliegenden Fall geltend gemachten Bedenken zutreffen . Um Betriebssport hat es sich schon deshalb nicht gehandelt , weil das Fußballspiel , bei dem M . verunglückte , eine eigens auf den 1 . Mai anberaumte einmalige sportliche Darbietung war . Damit fehlt es an dem Erfordernis , daß die betriebssportlichen Übungen mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfinden müssen (vgl . B des Leitsatzes zum Urteil 2 RU 130/59) . Nur unter dieser Voraussetzung kann ernstlich von echtem Betriebssport als Ausgleich für die Tag für Tag wiederkehrende Belastung der Beschäftigten durch die Betriebsarbeit die Rede sein . Der Umstand , daß das Fußballspiel gerade am arbeitsfreien 1 . Mai stattfand , läßt es übrigens weiterhin fraglich erscheinen , ob überhaupt der Ausgleichszweck wesentlich zur Geltung kam und ob der Zeitpunkt der sportlichen Betätigung in einem diesem Zweck entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden hat (vgl . A und D aaO) . Die Vermutung liegt nahe , daß das Spiel am 1 . Mai ohne Rücksicht darauf veranstaltet wurde , ob die beteiligten 22 Fußballspieler an diesem Tage das Bedürfnis nach der Pflege von Ausgleichssport verspürten . Erwägungen dieser Art dürften - bei der Unternehmensleitung wie auch bei den Belegschaftsmitgliedern - zurückgetreten sein hinter dem Bestreben , durch eine sportliche Darbietung vor den als Zuschauer anwesenden Arbeitskollegen gerade am 1 . Mai die betriebliche Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen . Dieser Gesichtspunkt ist aber - entgegen dem Revisionsvorbringen - für sich allein schon geeignet , den Versicherungsschutz für M . zu begründen . Das Fußballspiel ist als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen (vgl . auch das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Urteil des Hess . LSG , BG 1956 , 218) .

Das LSG hat eine Rechtfertigung des Klagbegehrens unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls in Erwägung gezogen , jedoch im Hinblick auf die zu geringe Zahl der als Zuschauer anwesenden Betriebsangehörigen Bedenken gehegt , seine Entscheidung hierauf zu stützen . Diese Bedenken vermag der Senat nicht zu teilen . Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen war die Belegschaft der Firma St. & Sch. eingeladen , sich das am 1 . Mai 1956 stattfindende Fußballspiel anzusehen , dieser Einladung waren auch etwa 60 bis 80 Betriebsangehörige , also rund ein Fünftel der Belegschaft gefolgt . Nach der Rechtsprechung das erkennenden Senats (BSG 1 , 179) hängt der Versicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen nicht davon ab , daß für die Belegschaft ein Zwang zur Teilnahme an der Veranstaltung besteht . In seinem Urteil vom 26 . Juni 1958 (BSG 7 , 249 , 252) hat der Senat den Versicherungsschutz für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung bejaht , bei der die Beteiligungsquote nicht nennenswert höher war als in dem hier gegebenen Fall . Die wesentlichen Erfordernisse für den Versicherungsschutz - insbesondere Billigung und Förderung der Veranstaltung durch den hierbei anwesenden Unternehmer , Pflege der Betriebsverbundenheit - sind auch nach Ansicht des LSG im vorliegenden Fall gegeben . Der Umstand , daß sich hier zwei Betriebe zu einer gemeinsamen Veranstaltung zusammengeschlossen haben , steht - wie der Senat ebenfalls schon entschieden hat (BSG 8 , 170 , 173) - dem Versicherungsschutz nicht entgegen .

Das angefochtene Urteil trifft hiernach im Ergebnis zu; die Revision war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs . 1 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2336720

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