Entscheidungsstichwort (Thema)

Kriegsopferversorgung. Nachuntersuchung iS des § 86 Abs 3 BVG

 

Orientierungssatz

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 24.4.1959 (AZ: 10 RV 571/58) entschieden, dass als Nachuntersuchung im Sinne des § 86 Abs 3 BVG eine solche zu verstehen ist, die für die Umanerkennung durchgeführt oder wenigstens für die Umanerkennung verwertet worden ist. Dabei sei der Zeitpunkt der Nachuntersuchung für die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Nachuntersuchung im Sinne des § 86 Abs 3 BVG handelt, an sich unerheblich. Diesem Urteil schließt sich der Senat an.

 

Normenkette

BVG §§ 62, 86 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 04.03.1958)

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.09.1955)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. März 1958 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger bezog auf Grund eines Bescheides vom 16. März 1949 wegen Zustands nach Schädelverletzung mit hirntraumatischer Leistungsschwäche eine Rente gemäß einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG). Durch Umanerkennungsbescheid vom 11. Februar 1952 gewährte das Versorgungsamt (VersorgA) unter Beibehaltung der bisherigen Leistungsbezeichnung die Rente von 50 v.H. nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diesem Bescheid war im November 1950 eine ärztliche Untersuchung anläßlich eines Antrags des Klägers auf Kapitalabfindung vorausgegangen. Auf Grund einer Nachuntersuchung vom 6. August 1954 setzte das VersorgA durch Bescheid vom 17. August 1954 unter Hinweis auf § 86 Abs. 3 BVG die Rente auf 30 v.H. herab; dabei bezeichnete es das Versorgungsleiden mit "tiefer Knochendefekt auf dem Schädeldach nach Splitterverletzung ohne gröbere Ausfallerscheinungen". Der Widerspruch wurde zurückgewiesen; in ihm wurde die Herabsetzung der Rente auf § 62 BVG gestützt. Während das Sozialgericht (SG) der Klage auf Weiterzahlung einer Rente von 50 v.H. stattgab, verurteilte das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten, vom 1. Oktober 1954 an eine Rente nach einer MdE von 40 v.H. zu zahlen (Urteil vom 4. März 1958). Zur Begründung führte das LSG aus, der Beklagte sei nach § 86 Abs. 3 BVG auch ohne Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse berechtigt gewesen, die Rente herabzusetzen, weil die Umanerkennung ohne ärztliche Untersuchung erfolgt sei. Denn unter einer Nachuntersuchung im Sinne dieser Vorschrift sei nur eine Untersuchung zu verstehen, die zwecks Neufeststellung der Rente durchgeführt worden sei und sodann auch die Grundlage für den Umanerkennungsbescheid gebildet habe. Die Nachuntersuchung vom November 1950 habe die Gewährung einer Kapitalabfindung betroffen und nicht die Umanerkennung. Überdies sei der angefochtene Bescheid auch nach § 62 BVG begründet, weil eine wesentliche Besserung eingetreten sei. Das LSG ließ die Revision zu.

Der Kläger legte gegen das am 21. April 1958 zugestellte Urteil am 2. Mai 1958 Revision ein und begründete sein Rechtsmittel im gleichen Schriftsatz.

Er trägt vor: Der Neufeststellungsbescheid könne nicht auf § 86 Abs. 3 BVG gestützt werden, weil ihm die Nachuntersuchung vom November 1950 vorausgegangen sei. Es sei unerheblich, aus welchem Anlaß die Untersuchung erfolgt sei; es müsse vielmehr jede Untersuchung berücksichtigt werden, wenn sie eine geeignete Grundlage für die Feststellung der Versorgungsansprüche bilde. Die Herabsetzung sei auch nicht nach § 62 BVG zulässig, weil keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Denn das Gutachten Dr. M.... 1954 habe die gleichen Befunde wie das im Jahre 1952 eingeholte Gutachten ergeben. Auch das Gutachten von Dr. W... vom 6. August 1954 könne nicht zu einer Neufeststellung führen, weil es die gleichen Befunde ergeben habe. Das LSG habe zwar nicht dargelegt, warum es sich dem Gutachten Dr. ... nicht schließen wolle. Schließlich habe es auch nicht geprüft, ob der Kläger in seinem Beruf durch die Schädigungsfolgen besonders betroffen sei, obwohl er wiederholt darauf hingewiesen habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen LSG vom 4. März 1958 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Frankfurt/M. vom 15. September 1955 zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.

Soweit die Renten Beschädigter nach dem BVG ohne ärztliche Untersuchung unter Übernahme des bisher anerkannten Grades der MdE festgestellt wurden, ist eine spätere Neufeststellung der Renten binnen vier Jahren nach Inkrafttreten des BVG nicht von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG abhängig (§ 86 Abs. 3 BVG). Wie der 10. Senat in seinem Urteil vom 24. April 1959 (10 RV 571/58) entschieden hat, ist als Nachuntersuchung im Sinne dieser Vorschrift eine solche zu verstehen, die für die Umanerkennung durchgeführt oder wenigstens für die Umanerkennung verwertet worden ist. Dabei sei der Zeitpunkt der Nachuntersuchung für die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Nachuntersuchung im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG handelt, an sich unerheblich. Es bestehe sonach die Möglichkeit, daß auch eine Nachuntersuchung, die vor Inkrafttreten oder Verkünden des BVG durchgeführt worden sei, als eine Nachuntersuchung im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG angesehen werden müsse, wenn die Verwaltung diese Nachuntersuchung zur Grundlage für die Umanerkennung gemacht habe. Umgekehrt habe eine nach Inkrafttreten oder Verkündung des BVG durchgeführte Untersuchung nicht als eine solche im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG zu gelten, wenn der Anlaß zu dieser Nachuntersuchung nicht die Umanerkennung war und die Verwaltungsbehörde diese Nachuntersuchung nicht zur Grundlage des Umanerkennungsbescheides gemacht habe. Es sei daher in jedem Fall zu prüfen, ob eine Nachuntersuchung für die Umanerkennung durchgeführt oder verwertet worden sei. Diesem Urteil schließt sich der Senat an. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt also davon ab, ob die anläßlich des Antrags auf Kapitalabfindung im November 1950 durchgeführte Nachuntersuchung in irgendeiner Form Grundlage für die Erteilung des Umanerkennungsbescheides vom 11. Februar 1952 gewesen ist. Dies ist nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG nicht der Fall gewesen. Das LSG hat ausgeführt, die Untersuchung sei aus Anlaß des Antrages auf Kapitalabfindung erfolgt, sie stehe nicht in Beziehung zu der Umanerkennung; dies ergebe sich auch daraus, daß der Beklagte auf der Urschrift seines Umanerkennungsbescheides in den Akten eine sofortige Nachuntersuchung verfügt habe. Demnach ist die Umanerkennung ohne ärztliche Untersuchung vorgenommen worden.

Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Beklagte im Widerspruchsbescheid seine Entscheidung auf § 62 BVG gestützt hat. Denn es handelt sich hier nur um eine unzutreffende rechtliche Begründung, die aber an der Natur des Bescheides als eines auf § 86 Abs. 3 BVG gegründeten nichts ändert. Der Beklagte war daher auch ohne Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse befugt, innerhalb vier Jahren nach Inkrafttreten des BVG die MdE den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend neu festzustellen. Insoweit ist die Revision des Klägers unbegründet.

Das LSG hat jedoch, wie der Kläger mit Recht rügt, nicht geprüft, ob der Kläger wegen beruflichen Betroffenseins Anspruch auf eine höhere Rente nach § 30 BVG hat. Der Kläger hat dies in der Klageschrift und in seiner Eingabe an den Bundesminister für Familienfragen, die am 25. September 1954 zu den Sozialgerichtsakten gelangt ist, ausdrücklich geltend gemacht. Das SG hat sich nicht damit auseinandergesetzt; es hatte auch keinen Anlaß dazu, weil es aus anderen Gründen zur Weiterbewilligung der von dem Kläger begehrten Rente von 50 v.H. gekommen ist. Wenn das LSG auf Grund der ärztlichen Befunde nur eine solche von 40 v.H. als angemessen angesehen hat, hätte es diesem auch in der Berufungsinstanz aufrechterhaltenen Vorbringen nachgehen müssen, und zwar schon deshalb, weil der Kläger Zurückweisung der Berufung des Beklagten, also Weiterzahlung der Rente nach einer MdE von 50 v.H., begehrte. Denn unter diesen Umständen kam es noch auf dieses Vorbringen an. Insoweit rügt der Kläger zu Recht einen Verstoß gegen § 103 SGG.

Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben werden. Da die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht ausreichen, um dem Senat eine abschließende Entscheidung zu ermöglichen, ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Diesem wird auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2308590

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