Orientierungssatz

Der aus dem früheren Versicherungsverhältnis "nachgehende" Anspruch auf Krankengeld wird durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses ohne Krankengeldberechtigung nicht beeinträchtigt.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 Fassung: 1961-07-12

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 15.05.1963)

SG München (Entscheidung vom 28.08.1962)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Mai 1963 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. August 1962 sowie die Bescheide der Beklagten vom 24. Oktober 1961 und vom 29. Dezember 1961 aufgehoben.

Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger Krankengeld über den 1. August 1961 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger ist Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Seit dem 15. Juli 1960 war er arbeitsunfähig erkrankt und erhielt von der beklagten Ersatzkasse für die satzungsgemäße Dauer von 52 Wochen teils Krankengeld, teils Krankenhauspflege. Am 14. Juli 1961 wurde er mit diesen Leistungen ausgesteuert. Am 25. Mai 1961 hatte er bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall vom 12. Juli 1961 - LeistungsverbesserungsG - (BGBl I 913) nahm die beklagte Ersatzkasse die Zahlung des Krankengeldes mit Wirkung vom 1. August 1961 an wieder auf, und zwar bis zum 25. Oktober 1961. Sie begründete die erneute Einstellung der Zahlung des Krankengelds damit, daß der Kläger seit dem 15. Juli 1961 als Rentenantragsteller ohne Anspruch auf Krankengeld versichert sei (Bescheid vom 24. Oktober 1961). Den Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle der beklagten Ersatzkasse mit der gleichen Begründung zurück (Bescheid vom 29. Dezember 1961).

Mit der Klage beantragte der Kläger,

den Ablehnungsbescheid der beklagten Ersatzkasse idF des Widerspruchsbescheids aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld über den 1. August 1961 hinaus zu gewähren.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. August 1962). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 15. Mai 1963). Das LSG hat den Anspruch auf Krankengeld über den 1. August 1961 hinaus für unbegründet erachtet, weil der Kläger in dieser Zeit nur als Rentenantragsteller ohne Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt mit dem Antrag,

die Urteile des LSG vom 15. Mai 1963 und des SG vom 28. August 1962 sowie den Ablehnungsbescheid der beklagten Ersatzkasse idF des Widerspruchsbescheids aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 1. August 1961 hinaus Krankengeld zu gewähren.

Er ist der Auffassung, § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des LeistungsverbesserungsG erfasse nach dem Sinn und Zweck der Übergangsvorschriften des LeistungsverbesserungsG (Art. 6) alle vor dem 1. August 1961 eingetretenen und noch nicht abgeschlossenen Versicherungsfälle.

Die beklagte Ersatzkasse hat um

Zurückweisung der Revision

gebeten. Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Revision ist begründet. Zu Unrecht haben die Vorinstanzen angenommen, daß der Kläger nicht an der Leistungsverbesserung des § 183 Abs. 2 RVO nF mit seinem Inkrafttreten teilnimmt.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. November 1964 - 3 RK 71/64 - (SozR RVO § 183 Nr. 10) näher dargelegt hat (mit der gleichen Revisionsbeklagten wie im vorliegenden Rechtsstreit), findet § 183 Abs. 2 RVO nF auch dann auf bereits vor dem 1. August 1961 eingetretene und zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene Versicherungsfälle Anwendung, wenn an die Stelle des ursprünglichen Versicherungsverhältnisses, während dessen der Versicherungsfall eingetreten ist, ein anderes Versicherungsverhältnis ohne Krankengeldberechtigung - hier: das Pflichtversicherungsverhältnis des Rentenantragstellers (§ 306 Abs. 2 i. V. m. § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO) - getreten ist. Da der Anspruch auf Krankengeld nicht davon abhängt, daß während der ganzen Dauer der Arbeitsunfähigkeit überhaupt eine Mitgliedschaft besteht, vielmehr die maßgebliche Grundlage für ihn schon damit gegeben ist, daß der Versicherungsfall - die Krankheit - während des Bestehens eines Versicherungsverhältnisses mit Krankengeldberechtigung eingetreten ist, kann die spätere Umgestaltung des Versicherungsverhältnisses des Klägers bei der beklagten Ersatzkasse den aus dem früheren Versicherungsverhältnis "nachgehenden" Anspruch auf Krankengeld nicht berühren. Wie das Bayerische LSG in seiner Entscheidung vom 28. September 1960 (Breithaupt 1961, 199) zutreffend ausgeführt hat, gilt die Beschränkung, daß krankenversicherte Rentner (oder Rentenantragsteller: § 315 a RVO) keinen Anspruch auf Krankengeld haben, nur für Versicherungsfälle, die während der Mitgliedschaft zur Rentnerkrankenversicherung eingetreten sind. Ein bereits auf Grund früherer Versicherungspflicht erworbener unbeschränkter Anspruch auf Versicherungsleistungen kann nicht durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses mit begrenzter Leistungspflicht beseitigt werden. Es würde auch nicht dem Sinn der Rentnerkrankenversicherung entsprechen, wenn mit ihrem Einsetzen die Rechtsstellung der Rentner in der Krankenversicherung gemindert würde.

Der Auffassung, daß der aus dem früheren Versicherungsverhältnis nachgehende Anspruch auf Krankengeld durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses ohne Krankengeldberechtigung nicht beeinträchtigt wird, steht entgegen der Auffassung der beklagten Ersatzkasse nicht entgegen, daß das Krankengeld grundsätzlich Lohnersatzfunktion hat. Wie insbesondere § 214 RVO deutlich zeigt, kennt das Gesetz aus dem früheren Versicherungsverhältnis nachgehende Ansprüche auf Krankengeld, ohne daß der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zum Wegfall von Arbeitseinkommen geführt hat. In dem Fall des Zusammentreffens von Krankengeld und späterer Zubilligung von Rente wegen Berufsunfähigkeit hat das Gesetz (§ 183 Abs. 5 RVO) dem Umstand, daß zwei Leistungen der Sozialversicherung mit der gleichen Lohnersatzfunktion - Krankengeld und Rente - für den gleichen Zeitraum gewährt werden, dadurch Rechnung getragen, daß das Krankengeld um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt wird. Damit sind die Krankenkassen vor sachlich nicht gerechtfertigter Inanspruchnahme mit nachgehenden Ansprüchen auf Krankengeld ausreichend geschützt.

Demnach ist der Anspruch des Klägers auf Krankengeld über den 1. August 1961 hinaus dem Grunde nach gerechtfertigt; die beklagte Ersatzkasse hat ihn - unter Berücksichtigung der vor dem 1. August 1961 (vgl. Art. 6 Abs. 3 des LeistungsverbesserungsG) und der bereits zutreffend von ihr nach dem 1. August 1961 gewährten Leistungen sowie etwaiger Krankenhausaufenthalte - im Rahmen des § 183 Abs. 2 RVO nF zu erfüllen.

Die Urteile der Vorinstanzen und die angefochtenen Bescheide der beklagten Ersatzkasse waren demnach aufzuheben; der Klage war stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380533

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