Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Senatsvorsitzende die Frist zur Revisionsbegründung verlängert (SGG § 164 Abs 1 S 2), so ist diese Frist auch dann maßgebend, wenn die Begründungsfrist rechtsirrtümlich um mehr als einen Monat verlängert worden ist.

2. Die Leiterin der Filiale eines Eheanbahnungsinstituts unterliegt der Versicherungspflicht, wenn der Betrieb als Filiale auf den Namen des Inhabers des Eheanbahnungsinstituts gewerbepolizeilich angemeldet ist und die Filialleiterin die Eheanbahnungen nach den Weisungen des Institutsinhabers durchzuführen hat.

 

Normenkette

SGG § 164 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1945-03-17; AVG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17, Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17; AVAVG § 69; RVO § 1226 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Mai 1956 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Auf Grund eines Vertrages vom 24. März 1952 übernahm die Beigeladene J R. (im folgenden regelmäßig als "die Beigeladene" bezeichnet) am 1. April 1952 in L. die Leitung einer Filiale des vom Kläger betriebenen Eheanbahnungsinstitutes, das auf einem ausgedehnten Netz von Filialen aufgebaut war. Für den Geschäftsverkehr mit der Zentrale des Instituts sowie für die Eheanbahnung galt die vom Kläger erlassene "Allgemeine Dienstanweisung (ADA) für meine Mitarbeiter"; später war die "Allgemeine Information" zu beachten, in der "der Geschäftsablauf der Zentrale und die Tätigkeit der Filiale ausdrücklich beschrieben ist". Der Kläger meldete die Filiale am 23. Juli 1952 auf seinen Namen beim Gewerbeamt in L. an; den danach erteilten Gewerbeschein übersandte die Beigeladene dem Kläger und berechnete ihm die dafür entstandenen Kosten von 2.- DM. Die bei der Anmeldung verwandte Geschäftsbezeichnung lautete: "Institut F, die neuzeitliche Eheanbahnung mit den vielen Filialen, Inhaber A H. F, L., Am B". In dem Schreiben des Klägers an das Gewerbeamt vom 23. Juli 1952 hieß es noch: "Filialleiterin ist Frau J.R., wohnhaft daselbst. Ich habe Frau R. angewiesen, bei Ihnen vorzusprechen, um die etwa noch notwendigen Formalitäten durchzuführen". Die Beigeladene erhielt für ihre Tätigkeit einen prozentualen Anteil an den eingegangenen Vermittlungsgebühren (25 %). Für 1953 reichte die Beigeladene eine Einkommensteuererklärung ein; für die folgenden Jahre ist eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht erfolgt. Der Kläger hat für die Beigeladene keine Lohnsteuer abgeführt.

Nachdem die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse den Kläger bereits am 30. Dezember 1954 aufgefordert hatte, die Beigeladene zur Sozialversicherung anzumelden, teilte sie ihm am 10. Mai 1955 erneut mit, daß ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestehe, Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten zurück. Die Klage beim Sozialgericht (SG.), das außer der Beigeladenen R. die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (hier als "Beigeladene zu 1.)" bezeichnet) sowie die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (hier als "Beigeladene zu 2.)" bezeichnet) beilud, hatte keinen Erfolg.

Vor der Widerspruchsentscheidung vom 10. Juni 1955 ging das Geschäft des Klägers - am 1. Juni 1955 - auf dessen Ehefrau über. Während des Verfahrens vor dem SG. beendete die Beigeladene zum 15. September 1955 (nach einem späteren arbeitsgerichtlichen Vergleich zum 30. September 1955) auf Grund einer Kündigung des Instituts ihre Tätigkeit als Filialleiterin.

Der Kläger legte gegen das Urteil des SG. Berufung ein und trug vor, die Beigeladene sei vom Kläger nicht wirtschaftlich und persönlich abhängig gewesen. Die eingehenden Dienstanweisungen des Klägers stellten nur eine Einweisung in die übernommene Tätigkeit dar; im übrigen sei die Beigeladene bei Gestaltung ihrer Tätigkeit frei gewesen. Diese trug vor, sie hätte sich geweigert, die "Allgemeine Dienstanweisung für meine Mitarbeiter" anzuerkennen; sie habe diese erst Ostern 1954 - nach Androhung von Konsequenzen - unterschrieben. Während ihrer Tätigkeit habe sie keine Steuererklärungen abgegeben und auch keine Steuern oder sonstigen Abgaben gezahlt; eine andere Erwerbstätigkeit habe sie nicht ausgeübt. Als Filialleiterin des Klägers habe sie weder einen freien Sonntag noch einen freien Wochentag gehabt, da in den vom Kläger aufgegebenen Inseraten keine Sprechstunden angegeben gewesen seien; sie habe daher ständig dienstbereit sein müssen.

Die Beklagte, die Beigeladene zu 1.) und die Beigeladene zu 2.) beantragten, die Berufung zurückzuweisen.

Das Landessozialgericht (LSG.) wies die Berufung des Klägers - unter Zulassung der Revision - zurück: Die Beigeladene habe kein eigenes Betriebskapital aufbringen müssen. Für die Zurverfügungstellung der für die Ehevermittlung erforderlichen Räumlichkeiten in ihrer Wohnung seien ihr keine besonderen Auslagen erwachsen. Die Inseratenwerbung habe der Kläger durchgeführt; den erforderlichen Bürobedarf (z.B. Vordrucke, Briefbogen) habe der Kläger kostenlos zur Verfügung gestellt; der Kläger habe auch die Unkosten des Fernsprechanschlusses und alle weiteren Unkosten der Filiale (nach seiner Angabe monatlich etwa 280.- DM) getragen. Die Beigeladene sei zur Bestreitung des Lebensunterhalts für sich und ihre beiden Söhne auf die vom Kläger erhaltenen Provisionen (durchschnittlich 250.- DM monatlich) angewiesen und somit wirtschaftlich ebenso abhängig gewesen wie ein gegen Zeitlohn beschäftigter Arbeitnehmer. Die Beigeladene sei vom Kläger auch persönlich abhängig gewesen. Sie habe sich ihrer Bewegungsfreiheit weitgehend begeben und sei in die Betriebsorganisation des Klägers eingegliedert sowie den Dienstanweisungen des Klägers unterworfen gewesen. Auf den Briefbogen des Klägers sei die Sprechzeit der Filialen werktags von 12 bis 19 Uhr angegeben gewesen; sonntags habe sie nach der Arbeitsanleitung von 12 bis 16 Uhr zur Verfügung stehen müssen. Sie habe somit entgegen dem Vertrag, in dem für den Montag keine Sprechzeit vorgesehen gewesen sei, keinen freien Tag gehabt und habe, da in den Inseraten überhaupt keine Sprechzeiten angegeben seien, auch außerhalb derselben Besuche empfangen müssen. Für Urlaub sei die Genehmigung des Klägers erforderlich gewesen. Der Vertrag besage (in Ziff. 5) ausdrücklich: "Die Arbeitsweise selbst hat nach den mündlich gegebenen Weisungen zu erfolgen und nach der anliegenden Arbeitsanleitung, die damit ein Bestandteil des Vertrages wird". Daß die große Anzahl von Dienstanweisungen nur für die Einarbeitung in die Materie bestimmt gewesen seien, sei offenbar nicht zutreffend. Die Beigeladene habe außer der umfangreichen "Allgemeinen Dienstanweisung für meine Mitarbeiter" auch die zahlreichen Rundschreiben des Klägers beachten müssen, die dieser in unregelmäßigen Abständen an die Filialleiterinnen verschickt habe. Die Bindung zwischen den Filialen und der Zentrale sei danach sehr eng gewesen. Die Filialleiterinnen hätten Tages-, Halbmonats- und Monatsberichte erstatten müssen. Auch sei der Schriftwechsel zwischen der Filiale sowie den Interessenten oder Klienten grundsätzlich über die Zentrale gelaufen; die Filiale habe Kopien der Schreiben zur Kenntnisnahme erhalten (Ziff. 9 des Vertrages). Habe der Schriftwechsel ausnahmsweise unmittelbar zwischen der Filiale und den Interessenten stattgefunden, habe die Zentrale Kopien erhalten. Die Originalpersonalbogen mit Schriftproben und Lichtbildern hätten der Zentrale jeweils noch am Tage des Eingangs zugeleitet werden müssen, um es der Zentrale - von der Kontrolle der Filialleiterinnen abgesehen - zu ermöglichen, übergebietliche Vermittlungen vorzunehmen. Somit habe zur Ausführung der eingegangenen Aufträge eine dauernde enge Verbindung zwischen Zentrale und Filialen bestanden. In der "Allgemeinen Dienstanweisung" heiße es, daß "ein bis ins kleinste geregelter Geschäftsablauf und eine tadellos funktionierende pünktliche und gewissenhafte Abwicklung aller von der Werbung bis zum endgültigen Auftragsabschluß notwendigen verwaltungsmäßigen Arbeiten mit eine grundlegende Voraussetzung für erfolgreiches Schaffen nicht nur des Institutes als ganzem, sondern insbesondere jeder einzelnen Filiale, das heißt, ihres Leiters ist." Nach den Rundschreiben des Klägers und der tatsächlichen Übung bildeten Zentrale und Filialen ein nach kaufmännischen Grundsätzen geleitetes Unternehmen. Da für den Kläger Filialleiterinnen "uninteressant" gewesen seien, die "glauben, die Anweisungen der Zentrale ignorieren zu können, weil die Ausführung dieser ihre Bequemlichkeit stört" (Sonderrundschreiben vom 9. August 1954), sei die Beigeladene, die sonst mit einer fristlosen Kündigung nach § 14 des Vertrages hätte rechnen müssen, gezwungen gewesen, alle ihr vom Kläger erteilten Anweisungen zu beachten. Dieses Rechtsverhältnis sei nicht als eine Art Untermaklerverhältnis nach §§ 652 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu betrachten; auch seien die Vorschriften der §§ 84 ff. Handelsgesetzbuch - HGB - (über Handelsvertreter) nicht anwendbar, da die Beigeladene nicht selbständig tätig gewesen sei. Die Befugnis zur selbständigen Vereinbarung von Honoraren ergebe nichts anderes, da ein Mindest- und Höchsthonorar gegolten habe und auch Weisungen für die Honorarfestsetzung gegeben worden seien. Im übrigen beruhe es auf der Eigenart der Eheanbahnungstätigkeit, daß die Honorarhöhe nur im Gespräch der Filialleiterinnen mit den Auftraggebern vereinbart werden könne. Das Rechtsverhältnis der Beigeladenen zum Kläger habe einen dienstvertragsartigen Charakter gehabt. Daß der Kläger die Filialleiterinnen unter D 2 der "Allgemeinen Dienstanweisungen" (S. 16) auf eine Selbstveranlagung zur Einkommensteuer hingewiesen habe, sei bedeutungslos; die Sozialversicherungspflicht unterliege nicht vertraglicher Vereinbarung der Beteiligten. - Die Übertragung des Instituts auf die Ehefrau des Klägers am 1. Juni 1955 brauche nicht berücksichtigt zu werden, da nur über die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 1955 zu entscheiden gewesen sei, durch den sich der Kläger beschwert fühle.

Das Urteil des LSG. wurde dem Kläger am 29. Juni 1956 zugestellt. Er legte mit einem am 26. Juli 1956 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangenen Schriftsatz Revision ein. Auf seinen Antrag verlängerte der Vorsitzende des Senats die Revisionsbegründungsfrist bis zum 1. Oktober 1956 einschließlich; an diesem Tage ging die Revisionsbegründung beim BSG. ein.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils entsprechend dem Klageantrag festzustellen, daß kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen R. zum Kläger bestanden habe und trug vor: Die Bezeichnung "Filialleiter" sowie die rein innerbetrieblichen Richtlinien des Klägers rechtfertigten nicht die Annahme, daß ein Verhältnis persönlicher Abhängigkeit der Beigeladenen zum Kläger bestanden habe. Es sei entscheidend, was die Beteiligten gewollt hätten. Die Darstellung der Beigeladenen könne nicht entscheidend sein, weil sie sich dem Kläger gegenüber später feindlich eingestellt habe. Die Beigeladene sei selbständige Gewerbetreibende gewesen. Ihre tatsächliche Tätigkeit und die branchenüblich angewandte Bezeichnung "Filiale" stimmten, soweit es sich ausschließlich um die Beurteilung der Versicherungsfrage handele, nicht überein. Für einen selbständigen Gewerbebetrieb der Beigeladenen spreche: die vertraglich in ihren eigenen Räumen zu ihren Lasten stattfindende Tätigkeit, wofür sie die Miete und die Kosten für Heizung, Beleuchtung, Sauberhaltung zu tragen habe; die Anmeldung der Filiale "unter dem Namen des jeweiligen Filialleiters" (Allg. Information D Ziff. 1 Bl. 19), der dem Gewerbeamt gegenüber die alleinige Verantwortung habe und auch die Gewerbesteuern aus eigenen Mitteln zu zahlen habe; die Tatsache, daß die Filialleiterin nach der vertraglichen Vereinbarung die Steuern aus Umsatz und Einkommen zu tragen habe; die auf eingehender Prüfung beruhende Verneinung der Lohnsteuerpflicht durch die Steuerfahndungsstelle bei der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt a.M., Finanzamt Börse; die selbstverantwortliche Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines Auftrags durch die Filialleiterin, die die Höhe des Honorars bestimme und auch das Honorar kassiere, wofür sie eine Provision von 25 % erhalte; daraus ergebe sich, daß sie den Umfang ihrer Tätigkeit sowie die Höhe des Verdienstes und der Betriebskosten selbst bestimme, - daß alle Geschäftsvorgänge täglich einzutragen und abzurechnen seien, gehöre zu einem ordentlichen Geschäftsbetrieb und daß die Einnahmen "institutseigene Gelder" seien, liege im Interesse der Filialleiterinnen (für den Fall von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen); die bloße "Empfehlung" von Sprechzeiten in der Allg. Information (D Ziff. 3 Bl. 19); im übrigen sei der Besuch so schwach, daß in dieser Zeit auch die anfallenden Schreibarbeiten erledigt werden könnten; daß keine Pflicht bestehe, Rechenschaft über die Tätigkeit abzulegen und das Fehlen einer Kontrolle der Tätigkeit. Auch die Leiter der anderen Eheanbahnungsinstitute unterlägen keiner Versicherungspflicht.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1.) beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

da die Revisionsbegründungsfrist bei Einreichung der Revision am 1. Oktober 1956 (bereits am 29. September 1956) verstrichen gewesen sei. Auf jeden Fall sei die Revision unbegründet. Das LSG. habe alle für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen geprüft und bei Anwendung des Rechts der freien Beweiswürdigung die rechtlichen Grenzen nicht überschritten. Der Kläger habe nach der Feststellung des LSG. ausreichend Gelegenheit gehabt, zu den Behauptungen der Beigeladenen Stellung zu nehmen; das Urteil des LSG. sei daher, soweit es seine Entscheidung auf die Aussagen der Beigeladenen gestützt habe, nicht zu beanstanden. Die Behauptung des Klägers, die Beigeladene sei gegenüber dem Kläger "nicht mehr unparteiisch" gewesen, treffe nicht zu. Sie habe den Kläger und seine Vertreter bei ihren Besuchen stets darauf aufmerksam gemacht, daß Versicherungspflicht bestehe. Die Beklagte habe die Anmeldung auch bereits am 30. Dezember 1954 verlangt, als das Beschäftigungsverhältnis zum Kläger noch bestanden habe. Weder das LSG. noch die Beklagte hätten aus der Bezeichnung "Filiale" Schlüsse gezogen; für die Beurteilung seien allein die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend. Das Eheanbahnungsinstitut sei nach den eigenen Angaben des Klägers zur individuellen Beratung und Betreuung der Auftraggeber auf Filialen angewiesen. Weder sei die Hauptstelle ohne Filialen lebensfähig, noch seien es die Filialen. Sie bildeten zusammen einen Betrieb. Die Beigeladene sei durch Verrichtung von Tätigkeiten, die zum Eheanbahnungsinstitut des Klägers gehörten, in einen ihr fremden Betrieb eingegliedert, und dies mache sie nach herkömmlicher Auffassung zum unselbständigen Arbeitnehmer. Diese Annahme sei insofern zwingend, als die Eingliederung wie hier mit dem Direktionsrecht des Betriebsinhabers verbunden sei. Die Verrichtung der Tätigkeit in eigenen Räumen der Beigeladenen sei unerheblich; auch Heimarbeiter unterlägen der Versicherungspflicht. Zutreffend habe das LSG. auch festgestellt, daß nicht die Beigeladene die Filiale in L. angemeldet habe, sondern der Kläger. Da vertragliche Vereinbarungen der Beteiligten für die Begründung oder den Ausschluß der Versicherungspflicht bedeutungslos seien, komme es nicht darauf an, daß der Kläger der Beigeladenen die Selbstveranlagung zur Einkommensteuer vorgeschrieben habe; in ihrem Schreiben vom 8. Mai 1956 habe die Beigeladene ausdrücklich erklärt, daß sie weder Steuererklärungen abgegeben noch Steuer entrichtet habe. Zum Entgelt nach § 160 Reichsversicherungsordnung (RVO) gehörten außer Gehalt oder Lohn auch andere Bezüge; die Entgeltzahlung auf Provisionsbasis schließe daher ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht aus. Es könne sein, daß zwischen dem Kläger und der Beigeladenen keine regelmäßige Arbeitszeit vereinbart gewesen sei; jedoch habe der Kläger Sprechstunden in der Arbeitsanleitung, die einen Bestandteil des Vertrages bildete, vorgeschrieben; diese seien außerdem in dem vom Kläger zur Verfügung gestellten Briefbogen - mit "werktags von 12 bis 19 Uhr" - angegeben gewesen, und in den Inseraten sei nicht auf Sprechstunden verwiesen worden, so daß die Beigeladene auch sonntags Besuche empfangen mußte.

Die Beigeladene zu 2.) beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Es sei weder die Verletzung formellen noch diejenige materiellen Rechts gerügt. Der Kläger wende sich vielmehr ausschließlich gegen die Beweiswürdigung des Vorderrichters.

Die Beigeladene war in dem Verfahren vor dem BSG. nicht vertreten (vgl. § 166 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

II

1. Die - vom LSG. zugelassene - Revision des Klägers ist statthaft. Die Revision ist rechtzeitig innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des LSG. - 29. Juni 1956 - am 26. Juli 1956 eingelegt. Die Revisionsbegründung ist noch am letzten Tage der vom Vorsitzenden des Senats bis einschließlich 1. Oktober 1956 verlängerten Begründungsfrist beim BSG. eingegangen. Nach der später ergangenen Rechtsprechung des BSG. hätte die Frist nach § 164 SGG nur bis zum 29. September verlängert werden dürfen (zu vgl. BSG. in SozR. SGG § 164 Nr. 32 Bl. Da 12). Dessenungeachtet ist die hier vorgenommene Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist rechtswirksam. Eine solche Entscheidung muß aus Gründen der Prozeßsicherheit auch rechtsgültig sein, wenn der Vorsitzende den nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG in zeitlicher Hinsicht gezogenen Rahmen (um zwei Tage) überschritten hat. Die Fristverlängerung über die gesetzliche Frist hinaus ist hier von dem dafür zuständigen Vorsitzenden des Senats verfügt worden (§ 164 Abs. 1 Satz 2 SGG). In einem solchen Falle ist es aber geboten, das Vertrauen eines Revisionsklägers, der sich auf die vom Gericht eingeräumte Fristverlängerung verlassen können muß, zu schützen. Die Fristverlängerung ist eine Entscheidung des Gerichts. Eine von einem Gericht oder seinem Vorsitzenden im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassene Entscheidung kann nicht deswegen als nichtig angesehen werden, weil prozeßrechtliche Voraussetzungen nicht gegeben waren (BGH. in Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk, ZPO Bd. 3 § 554 Nr. 3 im Anschluß an RGZ. 160, 307).

Als die Widerspruchsstelle der Beklagten auf den Widerspruch des Klägers den Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1955 erließ, war das Geschäft des Klägers - am 1. Juni 1955 - auf die Ehefrau des Klägers übergegangen. Ob die beklagte Krankenkasse nach der Übernahme des Geschäfts durch die Ehefrau des Klägers in der Lage gewesen wäre, auch gegen diese vorzugehen, braucht hier nicht geprüft zu werden; denn es geht im vorliegenden Verfahren nur um die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten gegen den Kläger vorgenommenen Maßnahmen. Gegenstand dieses Verfahrens sind mithin die Verwaltungsakte der Beklagten vom 30. Dezember 1954 und vom 10. Mai 1955, die in der Feststellung gipfeln, daß die Beigeladene bei dem Kläger beschäftigt war.

Soweit der Kläger geltend gemacht hat, die Beklagte habe die Angelegenheit "nicht erschöpfend bearbeitet", enthält sein Vorbringen keine nach § 164 Abs. 2 SGG zulässige - nämlich hinreichend substantiierte - Rüge eines Verfahrensmangels des LSG., auf die es hier allein ankommt (vgl. bereits BSG. 1 S. 227 (231); SozR. SGG § 164 Bl. Da 7 Nr. 24). Im Gegensatz zu der Meinung des Klägers ist das berufungsgerichtliche Verfahren auch nicht aus dem Grunde mit einem Verfahrensmangel behaftet, weil es das LSG. unterlassen hätte, sich damit auseinanderzusetzen, warum die Filialleiter anderer Eheanbahnungsinstitute als versicherungsfrei beurteilt werden. Denn es kommt in jedem Falle einer Entscheidung über die Versicherungspflicht auf die besonderen Umstände des Falles an; im übrigen würde eine von anderen Gerichten in ähnlichen Fällen vertretene Rechtsauffassung das LSG. nicht gebunden haben.

2. In der Sache selbst hängt die Entscheidung über die zugelassene Revision davon ab, ob die Beigeladene, die gegen Entgelt tätig war, in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit zum Kläger stand (§ 165 RVO, § 1 AVG i.d.F. der VO zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) und § 69 AVAVG i.d.F. der VO der brit. Militärregierung Nr. 111, Amtsbl. S. 614). Das ist nach den vom LSG. getroffenen tatsächlichen Feststellungen mit Recht bejaht worden. Die persönliche Abhängigkeit der Beigeladenen ergibt sich insbesondere daraus, daß sie bei Ausübung ihrer Tätigkeit als Filialleiterin im wesentlichen den allgemeinen oder im Einzelfall erteilten Weisungen des Klägers zu folgen hatte. Die Gründe, die der Kläger vorgebracht hat, um darzutun, die Beigeladene sei vom Kläger nicht persönlich abhängig gewesen, vermögen eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Dies gilt vor allem für sein Vorbringen, die von ihm erteilten Richtlinien hätten nur innerbetrieblichen Charakter, die Beigeladene habe "den Namen des Instituts benutzt" und es sei "selbstverständlich, daß die Interessen des Instituts gewahrt werden müssen", weil Ordnung sein müsse. Aus einzelnen Tätigkeitsmerkmalen kann für sich allein nicht geschlossen werden, ob eine abhängige fremdbestimmte oder eine freie, die Versicherungspflicht nicht begründende selbstbestimmte Tätigkeit vorliegt (vgl. dazu insbes. BSG. 10 S. 41 (45 f.)). Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, unter Abwägung aller Umstände ein Gesamtbild der Stellung der Beigeladenen zu ermitteln und danach das Maß der persönlichen Abhängigkeit festzustellen (Grunds. E. des RVA. Nr. 5515, AN. 1943 S. 106; BSG. 3, 30 (40), ferner in SozR. RVO § 165 Bl. Aa 3 Nr. 6 und Bl. Aa 6 Nr. 8). Zu den Verhältnissen, die insoweit zu berücksichtigen sind, gehört vor allem der betriebliche und organisatorische Gesamtrahmen, in dem sich die Tätigkeit der Filialleiterin abspielt, also hier die Frage der Struktur des Instituts, die der Kläger - allerdings zu Unrecht - getrennt von der Versicherungsfrage beurteilt sehen will. Der betriebsorganisatorische Zusammenhang, in dem eine bestimmte Tätigkeit steht, ist für die Beurteilung der Versicherungspflicht besonders wichtig ("Eingliederungstheorie", siehe Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl. Bd. I S. 79; vgl. BSG. 8 S. 278 (282), 10 S. 41 (46)). In dieser Hinsicht ist - wie auch vom Berufungsgericht als bedeutsam hervorgehoben ist - vor allem auf die Pflicht der Filialleiterinnen hinzuweisen, der Zentrale "Tages-, Halbmonats- und Monatsberichte zu erstatten", sowie auf die Erledigung der gesamten Korrespondenz der Filiale über die Zentrale. Der Kläger hat die Feststellung des LSG. nicht zu erschüttern vermocht, daß Zentrale und Filialen ein nach kaufmännischen Grundsätzen geleitetes Unternehmen bilden. Die Zentrale des Instituts und seine Filialen bilden danach als Ganzes eine wirtschaftliche Einheit, in der die persönliche Abhängigkeit der Beigeladenen begründet ist. In dieser Richtung liegen auch die vom Kläger selbst gegebenen Hinweise, daß die Beigeladene bei ihrer Tätigkeit den Namen des Instituts verwende. Auf die enge Verbundenheit der Filialen mit dem Zentralinstitut verweist auch der Kopf der den Filialen vom Kläger zur Verfügung gestellten Briefbogen ("Institut F. Die individuelle Eheanbahnung mit den vielen Filialen"). Auf diese gerade für das Institut des Klägers wesentliche Struktur seines Unternehmens und dessen die Filialen einschließende "straffe" Organisation als Ganzes kommt es hier an. Damit beantwortet sich auch die vom erkennenden Senat in einer anderweit entschiedenen Sache gestellte Frage, ob die Beigeladene "im Mittelpunkt eines eigenen Unternehmens gestanden hat oder nur Glied eines fremden Betriebs gewesen ist" (zu vgl. SozR. RVO § 165 Bl. Aa 6 Nr. 8) dahin, daß sie in dem stark gegliederten Gesamtunternehmen nur ein einzelnes Glied war. Das LSG. hat ohne Rechtsirrtum festgestellt, daß die Beigeladene gezwungen war, alle ihr erteilten Anweisungen zu beachten, da sie sonst damit rechnen mußte, nach § 14 des Vertrages fristlos gekündigt zu werden. Es hat ferner festgestellt, die ausschließliche Regelung des Schriftverkehrs über die Zentrale verfolge den "Nebenzweck" der Kontrolle der Filialleiterinnen. Die Darstellung des Klägers in der Revisionsinstanz, der Filialleiter habe auch keine Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen und werde nicht kontrolliert, ist somit durch die angeführten Feststellungen widerlegt. - Bei dieser Struktur des Unternehmens des Klägers kommt es nicht darauf an, welche Begründung oder Bezeichnung der Kläger seinen betrieblichen Maßnahmen - zumal in einem Streitverfahren - gibt; für die zu treffende Entscheidung ist es auch belanglos, daß insoweit heute für das Unternehmen des Klägers statt der früheren "ADA" vor allem eine "Allgemeine Information (nur für den internen Gebrauch)" gilt. Denn für die versicherungsrechtliche Beurteilung ist nur die tatsächliche Bindung der Beigeladenen an die in dieser oder jener Form gegebenen Weisungen des Klägers entscheidend. Daß der Kläger zu Weisungen an die Beigeladene berechtigt war, geht auch aus seiner Anmeldung der Filiale beim Gewerbeamt in L. hervor, in der er ausdrücklich hervorhebt, er habe Frau R. "angewiesen", alles für die Durchführung der Anmeldung Erforderliche zu regeln. In gleichem Sinne ist der Einwand des Klägers gegenüber der Feststellung des LSG. über die von der Beigeladenen wahrzunehmenden Sprechzeiten zu beurteilen. Wenn es in der Allg. Information (D Ziff. 3 Bl. 19) heißt, die vom Kläger angegebenen Sprechzeiten stellten nur eine Empfehlung dar, so ist daraus nicht herzuleiten, daß seine Sprechstundenregelung für die Filiale der Beigeladenen nicht den Charakter einer "Vorschrift" gehabt habe. Denn der Beigeladenen war hierdurch allenfalls ein begrenztes Ermessen eingeräumt.

Die Beigeladene war auch nicht deshalb vom Kläger unabhängig, weil sie, wie er vorbringt, den Umfang ihrer Tätigkeit und die Höhe ihres Verdienstes selbst habe bestimmen können. Es handelt sich hier allerdings um einen Fall, in dem jemand für den Erfolg seiner Arbeit bezahlt wurde. Nach der Rechtsprechung des Senats bietet eine solche Gestaltung aber keinen zwingenden Grund für die Annahme, daß keine persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten vorgelegen hat (SozR. RVO § 165 Bl. Aa 6 (7) Nr. 8). Schließlich spricht - von der Provisionsaufteilung abgesehen - der Umstand gegen die Selbständigkeit der Beigeladenen, daß der Kläger die Geschäftsunkosten der Filiale im wesentlichen selbst trug. Der Bereitstellung der Räume durch die Beigeladene hat das LSG. zutreffend keine entscheidende Bedeutung beigelegt.

Der Kläger wendet sich auch zu Unrecht mit der Begründung gegen die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses der Beigeladenen, daß "entscheidend ist einzig und allein, was gewollt war und begründet wurde". Die von den Beteiligten für eine bestimmte Tätigkeit gewählte vertragliche Regelung ist aber für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht schlechthin maßgebend (zu vgl. Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 3017 AN. 1927 S. 24 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum). Der Kläger folgert deshalb zu Unrecht, der erkennbare Wille der Beteiligten sei - für die richterliche Beurteilung bindend - auf Begründung eines Rechtsverhältnisses gerichtet gewesen, in dem die Beigeladene Selbständigkeit besessen hätte. Für die rechtliche Beurteilung der Versicherungspflicht kommt es nicht darauf an, wie die Beteiligten die dafür entscheidenden tatsächlichen Verhältnisse beurteilt sehen wollen, vielmehr sind dieser Beurteilung die tatsächlichen Umstände und Verhältnisse zugrundezulegen. Ihre Bewertung ist eine Frage des öffentlichen Rechts, deren Beantwortung nicht der Parteidisposition unterliegt.

Die steuerliche Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen kann in diesem Verfahren keinen Anhaltspunkt dafür bieten, ob die Beigeladene abhängig oder selbständig war. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats die Entrichtung von Lohnsteuer ein wichtiges Indiz für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung, da bei richtiger Rechtsanwendung Lohnsteuerpflicht und Beitragspflicht sich grundsätzlich decken (BSG. 3 S. 30/40). Im Streitfalle liegt jedoch eine Erklärung des Finanzamts nur darüber vor, daß die Beigeladene zwar eine Einkommensteuererklärung abgegeben habe, aber nicht zur Einkommensteuer veranlagt worden sei. Hieraus können weder in dem einen noch in dem anderen Sinne Schlüsse gezogen werden.

Demnach rechtfertigt sich die Zurückweisung der Revision.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE 11, 257 (LT1-2)

BSGE, 257

RegNr, 1013

Breith 1960, 943 (LT1-2)

MDR 1960, 709

MDR 1960, 709 (LT1)

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