Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfähigkeit. Krankengeld 4. Blockfrist. letzte Erwerbstätigkeit. Arbeitsbeschaffungsmaßnahme

 

Orientierungssatz

1. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl BSG vom 15.11.1984 - 3 RK 21/83 = BSGE 57, 227, 228).

2. Die Einbeziehung von Tätigkeiten, die der bisherigen ähnlich bzw gleichgeartet sind, und eine eventuelle Erweiterung des Kreises der Bezugstätigkeiten in späteren Blockfristen (hier: vierte Blockfrist) ändern nichts daran, daß die letzte Tätigkeit des Versicherten Ausgangspunkt bleibt, so daß die Frage, welche Tätigkeit als letzte Tätigkeit anzusehen ist, vorrangig zu prüfen ist.

3. Die Anknüpfung an eine ABM-Tätigkeit als iS des Krankengeldanspruchs "letzte Tätigkeit" ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1981-12-01, § 315a Abs 1 Fassung: 1977-06-27; SGB 5 § 44 Abs 1 Fassung: 1988-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 22.01.1987; Aktenzeichen VI KRBf 8/85)

SG Hamburg (Entscheidung vom 29.01.1985; Aktenzeichen 21 KR 226/83)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Krankengeld seit Beginn der 4. Blockfrist am 7. Januar 1983.

Bei dem Kläger ist im August 1972 eine Magenoperation nach Billroth II durchgeführt worden. In der Zeit vom 7. Januar bis 10. Februar 1974 war er wegen einer Stumpfgastritis arbeitsunfähig. Seit dem 26. August 1976 bis zum 2. Dezember 1976 war er - unterbrochen von einer dreiwöchigen Arbeitslosigkeit - bei der Firma E.   Fertigbauteile tätig, bis diese in Konkurs ging. Anschließend bezog er Krankengeld, dann Arbeitslosengeld (Alg) bis zum 29. Juni 1977.

Vom 30. Juni bis 30. September 1977 war er im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) beim B.         Hamburg-Harburg beschäftigt. Seitdem war er Mitglied der beklagten Krankenkasse. Später war er nicht mehr erwerbstätig. Im Verlauf dieses Arbeitsverhältnisses wurde der Kläger erneut arbeitsunfähig, zuletzt seit dem 25. August 1977. Er bekam zunächst Krankengeld, dann vom 4. Februar 1978 bis 19. Juni 1978 Alg und anschließend seit dem 20. Juni 1978 Krankengeld bis zum Ende der Bezugszeit am 7. Juli 1979. In der dritten Blockfrist erhielt er erneut für 78 Wochen Krankengeld bis zum 5. Juli 1981.

Bei der Firma E.   hatte der Kläger eine motorisch betriebene Laufkatze zu bedienen. Im Rahmen der ABM führte er Anstricharbeiten in Innenräumen aus, räumte im Magazin auf und fertigte Holzregale an. Diese Aufgaben stellten, wie das Landessozialgericht (LSG) festgestellt hat, keine besonderen körperlichen Anforderungen an den Kläger. Es wurden keine besondere Ausbildung und keine besonderen Fertigkeiten benötigt.

Bereits am 19. April 1979 hatte der Kläger einen Rentenantrag gestellt, der jedoch abgelehnt wurde. Auch im Gerichtsverfahren hatte der Kläger keinen Erfolg. Das LSG wies die Berufung mit Urteil vom 9. August 1983 zurück.

Den Antrag des Klägers, ihm seit 7. Januar 1983 erneut Krankengeld zu gewähren, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht mehr arbeitsunfähig (Bescheid vom 14. Februar 1983 und Widerspruchsbescheid vom 8. September 1983).

Vor dem Sozialgericht (SG) und dem LSG (Urteil vom 22. Januar 1987) hatte die Klage keinen Erfolg.

Das LSG hat ausgeführt, der Kläger sei nicht arbeitsunfähig. Dabei sei nicht erheblich, ob man die Beschäftigung beim B.         oder bei der Firma E.   zum Bezugspunkt nehme. Eine Tätigkeit wie die beim B.         könne der Kläger wieder ausführen. Ob er die Beschäftigung bei E.   ausführen könne, könne dahinstehen, weil er wenigstens eine gleichartige Arbeit wieder verrichten könne. Dabei müsse die Gleichartigkeit unter Berücksichtigung der Tatsache beurteilt werden, daß der Kläger Krankengeld in der 4. Blockfrist anstrebe und seit langem arbeitslos sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe den Begriff der Arbeitsunfähigkeit verkannt. Es habe den Kreis der gleichartigen Tätigkeiten zu weit gefaßt.

Der Kläger beantragt,

1.

das Urteil des LSG Hamburg vom 22. Januar 1987 und das Urteil des SG Hamburg vom 29. Januar 1985 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 1983 sowie den Widerspruchsbescheid vom 8. September 1983 aufzuheben;

2.

die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 7. Januar 1983 für die Dauer von 78 Wochen Krankengeld zu zahlen,

hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Hamburg zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach der bis zum 31. Dezember 1988 in Kraft gewesenen, hier noch anwendbaren Vorschrift des § 182 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wird Krankengeld gewährt, wenn die Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht.

Zu Beginn der 4. Blockfrist am 7. Januar 1983 war der Kläger als Rentenantragsteller Mitglied der Beklagten nach § 315a Abs 1 RVO. Eine derartige Formalmitgliedschaft reicht zur Begründung des Krankengeldanspruches aus (BSGE 49, 163, 166). Das LSG hat auch festgestellt, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit seit dem 7. Januar 1974 führte, mit Krankengeldanspruch versichert war. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung hat durchgehend bestanden.

Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen (ständige Rechtsprechung; Urteil vom 15. November 1984 - 3 RK 21/83 - BSGE 57, 227, 228f). Auch die Einbeziehung von Tätigkeiten, die der bisherigen ähnlich bzw gleichgeartet sind, und eine eventuelle Erweiterung des Kreises der Bezugstätigkeiten in späteren Blockfristen ändern nichts daran, daß die letzte Tätigkeit des Versicherten Ausgangspunkt bleibt, so daß die Frage, welche Tätigkeit als letzte Tätigkeit anzusehen ist, vorrangig zu prüfen ist.

Der Kläger war zuletzt im Rahmen einer ABM versicherungspflichtig beschäftigt. Die in diesem Arbeitsverhältnis ausgeführten Tätigkeiten konnte der Kläger nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ab Beginn der 4. Blockfrist wieder ausführen. Der Kläger ist zwar der Ansicht, diese Tätigkeit habe außer Betracht zu bleiben, weil er sich damit nicht freiwillig von seiner früheren Tätigkeit gelöst habe. Damit konnte er aber nicht durchdringen.

Grundsätzlich unterliegt ein Arbeitsverhältnis, das als ABM gefördert wird, den allgemeinen arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen, wenn auch durch einige Sondervorschriften der Tatsache Rechnung getragen wurde, daß es sich nicht um Dauerarbeitsplätze handelt, sondern daß damit weitergehende arbeitsmarktpolitische Ziele verfolgt werden. So bestehen für die Kündigung Regelungen, die von den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen abweichen (§ 93 Abs 2 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-). Auch hinsichtlich der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit hat der Gesetzgeber die Auswirkungen einer Beschäftigung, die im Rahmen einer ABM nach den §§ 91 bis 96 AFG gefördert worden ist, abweichend von den allgemeinen Vorschriften geregelt. Nach § 112 Abs 5 Nr 4 AFG werden Leistungen nach Ablauf solcher Maßnahmen nach dem früheren Arbeitsentgelt bemessen, es sei denn, der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums liegt mehr als drei Jahre zurück. Weder der 11. Senat (Urteil vom 26. September 1989 - 11 RAr 79/89 - BSGE 65, 293 = SozR 4100 § 112 Nr 51) noch der 7. Senat (Urteil vom 25. Oktober 1989 - 7 RAr 150/88 - BSGE 66, 11 = SozR 4100 § 112 Nr 52) haben einen Anlaß gesehen, über diese gesetzliche Regelung hinaus geförderte Arbeitsverhältnisse hinsichtlich ihrer Folgen für Sozialleistungen anders zu bewerten als ungeförderte. Zwar hat der 4a Senat (Urteil vom 30. Oktober 1985 - 4a RJ 53/84 - SozR 2200 § 1246 Nr 130) - und auf diese Entscheidung bezieht sich der Kläger - eine ein Jahr lang in einer ABM geleistete Tätigkeit nicht als bisherigen Beruf iS des § 1246 RVO gelten lassen. Nach dieser Entscheidung darf es dem Versicherten nicht zum Nachteil gereichen, wenn er "sich sozialadäquat verhält und versucht, seiner Arbeitslosigkeit zu begegnen". Der 4a Senat hatte jedoch nicht über einen Krankengeldanspruch, sondern über eine Berufsunfähigkeitsrente zu entscheiden. Daher kommt es für die Bestimmung, das für den Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten maßgebenden "bisherigen Berufes" auch auf die innere Beziehung des Versicherten zum Beruf an. Hat der Versicherte seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen oder sonst unfreiwillig aufgegeben, so ist eine spätere Tätigkeit nur dann maßgebend, wenn er sich damit von seinem früheren Beruf löst. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Versicherte ein gefördertes oder ein ungefördertes Arbeitsverhältnis eingeht. Jedoch wird die Arbeit in einem geförderten Arbeitsverhältnis in der Regel keine berufliche Umorientierung bewirken, weil sie von vornherein befristet ist. Hinzu kommt, daß die Tätigkeit häufig unter einer früheren Qualifikation liegt. Der Senat hat entschieden, daß bei einer weiteren Arbeitsunfähigkeit nach der ersten Blockfrist von der neuen Tätigkeit auszugehen ist, wenn der Versicherte aus freien Stücken eine seinem Gesundheitszustand entsprechende Tätigkeit aufnimmt (Urteil vom 2. Oktober 1970 - 3 RK 6/70 - BSGE 32, 18, 20f). Die Aufnahme einer Arbeit allein ist kein Vorgang, der den durch die Krankheit verursachten Zustand der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar verändert. Es kann aber eine Lösung von der bisherigen Tätigkeit in Betracht kommen, die zur Folge hat, daß zukünftig bei Beurteilung einer fraglichen Arbeitsunfähigkeit von einer neuen beruflichen Tätigkeit auszugehen ist (Urteil vom 17. August 1982 - 3 RK 28/81 - BSGE 54, 62, 65f). Ob ein im Rahmen einer ABM gefördertes Arbeitsverhältnis eine Lösung vom Beruf bewirken kann, ließ der Senat im Urteil vom 24. November 1987 (- 3 RK 3/87 - USK 87139) ausdrücklich offen. Gegen eine Anlehnung an die Grundsätze, die zur Bestimmung des für die Berufsunfähigkeitsrente maßgebenden bisherigen Berufes entwickelt worden sind, spricht aber, daß sich der Bezug auf eine frühere Erwerbstätigkeit während einer unfreiwillig aufgenommenen späteren Erwerbstätigkeit nach dem Sinn und Zweck des Krankengeldes nicht durchführen läßt. Das Krankengeld muß regelmäßig das Risiko abdecken, die Arbeitspflicht aus dem laufenden Arbeitsverhältnis nicht mehr erfüllen zu können. Wegen dieser Zweckbestimmung ist es notwendig, daß die Arbeitsfähigkeit während eines laufenden Arbeitsverhältnisses nach diesem zu beurteilen ist, und zwar auch dann, wenn der Versicherte es nur widerstrebend eingegangen ist. Aus all den Gründen kann die Anknüpfung an eine ABM-Tätigkeit als im Sinne des Krankengeldanspruchs "letzte Tätigkeit" nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Eine solche Anknüpfung ist im vorliegenden Falle aber geboten. Die Tätigkeit des Klägers bei der Firma E.   dauerte lediglich rund drei Monate und war dabei noch von einer dreiwöchigen Arbeitslosigkeit unterbrochen. Die ABM-Tätigkeit, die gleichfalls nicht länger als rund drei Monate andauerte, war von keinen Besonderheiten geprägt, die sie etwa als eine bloß versuchsweise eingegangene Tätigkeit von der früheren Tätigkeit abheben würde. Diese Tätigkeit, an die demnach anzuknüpfen war, konnte der Kläger aber, wie bereits ausgeführt, nach den Feststellungen des LSG zu Beginn der streitigen Zeit wieder verrichten.

Seine Revision konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665221

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