Leitsatz (amtlich)

Bei Ungewißheit über das Vorliegen einer - Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bedingenden - Erkrankung besteht auf - vorsorgliche - Rente kein Anspruch; ob und welche Leistung aus der Rentenversicherung gewährt werden kann, bleibt offen.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juli 1967 und das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 4. Dezember 1964 werden insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Gewährung der Versichertenrente verurteilt worden ist.

Die Klage wird in vollem Umfange abgewiesen.

Kosten sind für alle Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Gründe

Beim Kläger war neben einigen, zum Teil altersbedingten Krankheitserscheinungen, die auf die körperliche Leistungsfähigkeit keinen nachhaltigen Einfluß hatten, ein infiltrativer Lungenprozeß beobachtet worden. Dieser Befund konnte von den zu Rate gezogenen Ärzten nicht eindeutig diagnostiziert werden. Anläßlich einer stationären Untersuchung im März 1964 sprach Prof. Dr. S erstmals im Zusammenhang mit einer röntgenologisch erkennbaren Verschattung in der Lunge den Verdacht auf das Bestehen eines Bronchialkarzinoms aus. Nach stationärer Behandlung und nach wiederholten Untersuchungen des Klägers im Februar und März 1966 äußerten auch die Sachverständigen Prof. Dr. H und Privatdozent Dr. H den Zweifel, ob man es bloß mit einem chronisch entzündlichen und schrumpfenden Lungenprozeß oder gar mit einem peripheren bösartigen Lungentumor zu tun habe. Wohl hielten sie letzteres nach dem Verlauf der Erkrankung für "nicht sehr wahrscheinlich"; eine größere Gewißheit glaubten sie jedoch nur von einer Operation (Thorakotomie) mit anschließender histologischer Untersuchung eines Gewerbestücks gewinnen zu können. Sie teilten mit, der Kläger habe in diese Operation eingewilligt. Ihr Gutachten schlossen sie mit der Stellungnahme ab, der Kläger sei mindestens so lange wie man keinen besseren Einblick in das Krankheitsgeschehen habe und bis zum Ende der Rekonvaleszenz nach der geplanten Operation erwerbsunfähig. Die Operation wurde jedoch hinausgeschoben und unterblieb schließlich. Nach einer weiteren stationären Beobachtung im Oktober 1966 erklärte Privatdozent Dr. H, es lasse sich zwar die Möglichkeit einer bösartigen Erkrankung nach wie vor "nicht gänzlich ausräumen", gleichwohl sei aber eine solche Annahme nunmehr, nachdem der Zustand der Lunge seit mehr als zwei Jahren unverändert geblieben sei, "recht unwahrscheinlich". Die früher geäußerte Befürchtung sei jetzt auf ein so geringes Maß zusammengeschrumpft, daß selbst das kleine Risiko der zunächst ins Auge gefaßten Operation zu groß sei, um einen solchen Eingriff zuzulassen. Der Kläger sei wieder imstande, ganztägig und regelmäßig körperlich leicht zu arbeiten.

Die Beklagte, die bereits mit Bescheid vom 27. September 1962 den Leistungsantrag des Klägers abgelehnt hatte, hielt auch in Kenntnis der Gutachten der ärztlichen Sachverständigen an ihrem Standpunkt fest, daß der Kläger stets ausreichend erwerbsfähig geblieben sei. Das Sozialgericht (SG) Aachen hat die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Juli 1962 an zu gewähren. Die weitergehende, auf die Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitsrente gerichtete Klage hat das SG abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 12. Juli 1967 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen vorübergehender Erwerbsunfähigkeit Rente für die Zeit vom 11. September 1964 bis 31. Oktober 1966 zu gewähren. Im übrigen hat es die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Das LSG ist davon ausgegangen, daß beim Kläger in der angegebenen Zeit eine Krankheit, nämlich ein regelwidriger Zustand der Lunge bestanden habe. Diese Tatsache hätte freilich in der Regel nur dann die Erwerbsunfähigkeit des Klägers bedingt, wenn der Lungenbefund bösartig gewesen sei. Jedoch habe sich trotz Ausschöpfung aller ärztlichen Erkenntnisquellen insoweit nur ein Verdacht ergeben. Es müsse aber genügen, daß dieser Verdacht sich auf das Bestehen eines die Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß beeinträchtigenden Leidens beziehe. Glaubten die Mediziner, einem Versicherten wegen eines solchen Verdachts keine Arbeit zumuten zu können, weil eine Arbeitsleistung bei einem bösartigen Krankheitsbefund schädliche Folgen haben könnte, so sei der Anspruch auf Versichertenrente gerechtfertigt. Das Gesetz verlange zwar seinem Wortlaut nach, daß die Erwerbsfähigkeit infolge eines gesundheitlichen Schadens herabgesetzt sei. Es werde aber auch sonst darüber hinweggesehen, daß dem Rentenbewerber eine Arbeitsleistung "an sich noch physisch möglich" sei, wenn sie nach ärztlicher Erkenntnis auf Kosten der Gesundheit ging (BSG 15. September 1964 - 5 RKn 25/62 -) oder aus gesundheits- und bergpolizeilichen Gründen untersagt sei (BSG 14, 207). Ähnlich werde verfahren, wenn ein arbeitsfähiger Versicherter wegen entstellender oder ansteckender Leiden vom Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen sei. Mit einer Situation, die diesen Fällen gleich zu bewerten sei, habe man es hier zu tun. Es müsse deshalb die gleiche Rechtsfolge wie dort gelten.

Die Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie meint, ein Versicherungsträger könne nicht dazu verpflichtet werden, aufgrund einer Verdachtsdiagnose vorsorglich Rente zu gewähren. Das gehe schon gar nicht rückwirkend, wenn sich nämlich, noch bevor der Anspruch definitiv anerkannt worden sei, herausstelle, daß der zunächst geäußerte Verdacht sich nicht bestätige. So liege es im vorliegenden Fall. Es habe sich erwiesen, daß sie, die Beklagte recht behalten habe, indem sie - im Einvernehmen mit ihren ärztlichen Beratern - von Anfang an dem Kläger die Fähigkeit zu leichter körperlicher Arbeit zugesprochen habe.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist begründet, die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung der Rente auf Zeit nicht aufrechtzuerhalten.

Nach der Sach- und Rechtslage, wie sie sich dem Berufungsgericht in der letzten Tatsachenverhandlung darbot, stand dem Kläger die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu. Hierfür ist maßgebend, daß der Kläger wegen seines Gesundheitszustandes während der fraglichen Zeit nicht gehindert war, eine Erwerbstätigkeit in einem die Erwerbsunfähigkeit ausschließenden Umfang auszuüben. Für die Rentenberechtigung ist es nicht erheblich, daß die ärztliche Diagnose in einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens nicht sicher zu stellen war. Der Einwand der Beklagten trifft zu, daß sie nicht rückwirkend entgegen dem Ausgang der Tatsachenermittlung zur Rentengewährung verpflichtet werden kann.

Das hat auch das Berufungsgericht nicht verkannt. Es möchte aber den Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1247 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) über seine Grenzen hinaus erstreckt wissen. Seines Erachtens ist das Gesetz entsprechend auf den Fall anzuwenden, daß die Ärzte den momentan nicht zu behebenden Verdacht auf eine solche Erkrankung des Versicherten haben, die - wenn sie bestünde - keine Erwerbstätigkeit zuließe. Was unter solchen Umständen an die Hilfe der gesetzlichen Rentenversicherung denken läßt, ist nicht so sehr die Ungewißheit über das Krankheitsgeschehen als die Warnung der Ärzte vor den Gefahren, die mit einer Fortsetzung einer Erwerbsarbeit verbunden sein könnten. Wenn die Ärzte auch später bei besserer Kenntnis ihre Befürchtung fallen lassen, so war doch ihre Warnung eine Zeitlang gegenwärtig wirksam und blieb auch für die Vergangenheit existent. Die Tragweite der ärztlichen Warnung bestand darin, daß von dem Versicherten während ihrer Geltungsdauer eine Erwerbsarbeit verständigerweise nicht erwartet werden konnte. Damit war die wirtschaftliche Situation, der sich der Versicherte gegenübergestellt sah, derjenigen vergleichbar, auf die es die Versicherungsfälle des Gesetzes abstellen. Der Unterschied ist jedoch der, daß die Sachlage im einen Falle, nämlich wenn sie dem Tatbestand des Gesetzes entspricht, durch einen bestimmten Krankheitszustand hervorgerufen wird, während sie in dem anderen Falle durch einen Rat ausgelöst wird, der Nachweis einer rechtsfolgebedingenden Erkrankung aber gerade nicht geführt werden kann.

Aus letzterem ist zu schließen, daß der Versicherte mit seinem Leistungsbegehren keinen Erfolg haben kann. Es ist nicht bewiesen, daß der Tatbestand des Gesetzes erfüllt ist. Der Versicherte trägt jedoch die - objektive materielle - Beweislast für die Verwirklichung des Rechtssatzes, der seinen Anspruch stützen könnte. Dieser Ansicht kann nicht mit den Gegenbeispielen begegnet werden, die der Berufungsrichter anführt. Diesen Beispielen und dem hier zu erörternden Fall ist gemeinsam, daß sich die Rechtsanwendung von der Gesetzesnorm entfernt, indem sie eine bestimmte Anspruchsvoraussetzung fallen läßt. Wird in der Rechtspraxis Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bejaht, weil der Versicherte wegen naher unmittelbarer Gesundheitsgefahr oder aufgrund eines mit einer solchen Gefahr verbundenen polizeilichen Verbots nicht arbeiten soll, obgleich er hierzu an sich fürs erste noch fähig wäre, so liegt dabei der Sachverhalt offen zutage. Geklärt ist der Sachverhalt auch, wenn ein Versicherter wegen einer abstoßenden oder hochgradig entstellenden Krankheit von jeder Arbeitsgelegenheit ferngehalten wird. Bei der hier zu beurteilenden Sachlage ist es aber anders. Über den wahren Gesundheitszustand des Versicherten besteht Ungewißheit. Die Aussichtslosigkeit, die Ungewißheit zu beseitigen, wirkt sich im Sozialrecht regelmäßig nicht zugunsten des Anspruchsstellers aus. Wohl werden manchmal die Beweisanforderungen der jeweiligen Sachlage angepaßt oder es werden Hilfskonstruktionen gesucht (wie z.B. in der Unfallversicherung bei dem Gedanken der Lebensverkürzung um ein Jahr). Aber sonst werden die Regeln über die Verteilung der objektiven Beweislast eingehalten (so bei ungeklärter Todesursache: BSG 19, 52; oder wenn es um die Kausalität eines Dienstunfalls geht: Bundesverwaltungsgericht, Monatsschrift für Deutsches Recht 1962, 764). Die Entscheidungen, auf die sich das Berufungsgericht bezieht, spielen sich am Rande der Grenzen des Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsbegriffs ab. Sie dürfen nicht verallgemeinert werden, damit der Aufgabenbereich der Rentenversicherung vor einer Ausuferung bewahrt wird und damit die Grenzen zu den Verantwortungsgebieten anderer Leistungsverwaltungen nicht verschwimmen. Aus diesem Grunde ist bereits in dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31. Januar 1968 (4 RJ 381/66) die Frage aufgeworfen worden, ob die Erwerbsbeschränkung solcher Versicherter, die als Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider von Bazillen - ohne selbst krank zu sein - einem Tätigkeitsverbot nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 18. Juli 1961 unterliegen, künftig noch dem Begriff der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit unterzuordnen ist.

Allerdings versuchen die gesetzlichen Rentenversicherungen, einer wirtschaftlichen Bedarfslage der Versicherten wie der hier in Rede stehenden Art in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat in einer frühen Zeit seiner Tätigkeit angenommen, daß sich das Vorkommen innerer Leiden nicht stets durch objektive Befunde erklären lasse und daß wegen ihres Fehlens eine Krankheit nicht in allen Fällen verneint werden dürfe (RVA AN 1897, 382). In der in AN 1910, 504 publizierten Entscheidung führte das RVA aus, "auf die bloße theoretische Möglichkeit hin, daß für - körperliche oder geistige - Regelwidrigkeiten die Erklärung im objektiven Befunde fehle", sei keine Invalidenrente zu gewähren; die Versicherten würden vor den Nachteilen, die ihnen "aus der Unzulänglichkeit der medizinischen Erkenntnis" drohten, dadurch bewahrt, daß sie den Rentenantrag wiederholen dürften. Gleichwohl haben die Versicherungsträger auf eine durch Krankheitsverdacht hervorgerufene wirtschaftliche Situation der Versicherten Rücksicht genommen. Die Rechtsprechung hatte sich zumindest seit 1930 wiederholt mit der Frage zu befassen, ob eine "vorsorglich" gewährte Rente allein schon deshalb entzogen werden dürfe, weil die früher wegen Verdachts auf eine schwere Erkrankung geäußerte Besorgnis nachträglich ausgeräumt werden konnte (RVA, Deutsche Invalidenversicherung, 1930, 150; Bayerisches LVA, Breithaupt 1949, 522; 1952, 777; BSG 17, 295; SozR Nr. 9 zu RVO § 1286). In dieser Rechtsprechung wird erkennbar, daß die Versicherungsträger ihre Hilfe "vorsorglich" und "über ihre gesetzliche Verpflichtung hinaus" erbringen, daß sie sich bei ihrem Verwaltungshandeln solcher Formen bedienen, die nicht in der RVO vorgezeichnet sind und daß sie sich demgemäß von ihren Leistungszusagen auch wieder lossagen können, ohne an die Normen über die Rentenentziehung gebunden zu sein (vgl. BSG 17, 297 f). Aus dieser Verwaltungsübung kann aber ein Anspruch auf vorsorgliche Rente nicht gewohnheitsrechtlich hergeleitet werden. Die andauernde gleichmäßige Verwaltungspraxis wäre nur dann ein Anzeichen für die Existenz eines entsprechenden Gewohnheitsrechtssatzes, wenn sie von der Überzeugung ihrer rechtlichen Notwendigkeit getragen wäre. Bislang ist jedoch niemals die Rechtsauffassung in Erscheinung getreten, daß die Verwaltung bei unbehebbarer Ungewißheit über eine Erkrankung des Versicherten verpflichtet sei, Rente zu gewähren. Eine Bindung, die einer solchen Rechtspflicht nahekäme, ist auch nicht aus dem Gedanken zu folgern, daß die Verwaltung durch ihr eigenes vorausgegangenes Tun eine Vertrauensbasis geschaffen habe, die sie dazu nötige, in späteren vergleichbaren Fällen ebenso zu handeln. Für eine Selbstbindung in dieser Richtung fehlen konkrete Anhaltspunkte. Auch ist dafür nichts vorgetragen worden.

Wohl können die Versicherungsträger zu geldlichen Zuwendungen an die Versicherten durch andere Vorschriften, wie die §§ 1236 ff oder § 1305 RVO, legitimiert sein. Darüber hinaus wird in der Verwaltungslehre die Auffassung vertreten, daß der Verwaltung mit Ausnahme von Eingriffen in Freiheit und Vermögen eigene Initiative und Gestaltungskraft zukomme, wenn anerkannte Belange dies gebieten (dazu: Hans Peters, Verwaltung ohne gesetzliche Ermächtigung? in: Festschrift für Hans Huber 1961, 206 ff, 218; Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, Band II 1967, 21 f; Klaus Vogel VVDStRL 24 (1966) 125, 148; krit. - von einem eigenen Begriff des Ermessens her -: Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, 113 ff, 124 ff, 141 ff, 208 ff). In diesem Zusammenhang verdient auch Beachtung, daß der Gesetzgeber auf dem Gebiete der Kriegsopferversorgung in einschlägiger Weise Vorsorge für den Fall getroffen hat, daß über die Ursache eines festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht; die Verwaltung ist dort ermächtigt, nach ihrem Ermessen Versorgung zu gewähren (§ 1 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -; vgl. auch § 81 a Soldatenversorgungsgesetz). Ob man hiernach schließen darf, daß Versicherten im Einzelfall vorsorgliche Leistungen in Geld zugewendet werden können, braucht in diesem Rechtsstreit nicht abschließend entschieden zu werden. Selbst wenn man diese Möglichkeit bejaht, so ist die ablehnende Entschließung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat sich hierbei von sachangemessenen Erwägungen leiten lassen. Die beim Kläger erkennbaren Krankheitszeichen ließen für die Beurteilung eine gewisse Variationsbreite zu. Auch diejenigen Sachverständigen, die zu größerer Vorsicht rieten, hatten ein Krebsleiden des Klägers von vornherein nicht für sehr wahrscheinlich gehalten. Sie waren zwar davon beeindruckt, daß der Kläger in nicht ganz zwei Jahren erheblich an Körpergewicht verloren hatte, bezeichneten jedoch den Allgemein- und Kräftezustand für ausreichend. Damit stimmte die Erklärung des ärztlichen Beraters der Beklagten überein, daß die Gewichtsabnahme nicht als pathologisch angesehen werden müsse. Vor allem aber konnte die Beklagte darauf hinweisen, daß der Verdacht einer ernsthaften Lungenerkrankung zuerst 1962 geäußert worden war, entsprechende Veränderungen sich aber - wenn auch nicht so deutlich - bereits 1950 und 1954 gezeigt hatten. Bei dem langjährigen Verlauf der Krankheit erschien der Beklagten der Krebsverdacht so wenig überzeugend, daß sie eine größere Gewißheit abwarten wollte. Diese Überlegungen lassen ein Überschreiten vertretbarer und verantwortungsbewußter Einschätzung der Lage nicht erkennen. Darüber hinaus unterliegt das Ermessen der Beklagten nicht der gerichtlichen Kontrolle. Dem Gericht steht es nicht zu, dem Versicherungsträger vorzuschreiben, welcher fachkundigen Stellungnahme er das größere Vertrauen entgegenzubringen habe.

Hiernach muß der Bescheid der Beklagten bestehen bleiben. Die vorinstanzlichen Entscheidungen sind, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 137

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