Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahnersatzzuschüsse des Rentenversicherungsträgers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die BfA gebraucht das ihr nach AVG § 13 zustehende Ermessen fehlerfrei, wenn sie für Heilbehandlungsmaßnahmen außerhalb ihrer eigenen Einrichtungen nicht vollen Kostenersatz, sondern nur Kostenzuschüsse gewährt. Dies gilt auch bei Zahnersatzbehandlungen.

2. Bei der Bemessung der Zuschüsse zu Zahnersatzbehandlungen kann ein Abgehen von der bestehenden Verwaltungsübung zugunsten eines Versicherten dann geboten sein, wenn besondere Umstände des Falles dies rechtfertigen. Eine solche Besonderheit kann in der Notwendigkeit eines besonders gearteten Zahnersatzes für einen Bläser liegen.

3. Der Bescheid, mit dem die BfA Kostenzuschüsse zur Zahnersatzbehandlung eines Versicherten nach AVG § 13 gewährt, muß die Erwägungen ersehen lassen, von denen sie bei der Bemessung der Zuschüsse ausgegangen ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zuschüsse des Rentenversicherungsträgers zu den Kosten für Zahnersatz können sowohl Regelleistungen iS von AVG § 12 Nr 1 (Rehabilitationsmaßnahmen) als auch zusätzliche Leistungen nach AVG § 84 sein; bei beiden Leistungen handelt es sich um Ermessensleistungen.

2. Die Übernahme als Regelleistung im Rahmen der Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (Rehabilitationsmaßnahme) verpflichtet den Rentenversicherungsträger nicht, die Zahnersatzkosten voll zu übernehmen; eine nur anteilige Kostenübernahme ist mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung vereinbar.

 

Orientierungssatz

Ermessenserwägungen können auch noch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens in den Tatsacheninstanzen vorgetragen (nachgeschoben) werden, sofern die nachgebrachten Gründe schon beim Erlaß des Bescheides vorgelegen haben, dieser durch sie nicht in seinem Wesen verändert und der Kläger nicht in seiner Rechtsverfolgung beeinträchtigt wird.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03; AVG § 13 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 14 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1236 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1237 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 84 Fassung: 1957-02-23, § 12 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1235 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1305 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. November 1965 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. April 1964, der Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 1963 und der Widerspruchsbescheid vom 6. März 1963 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger erneut zu bescheiden.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Beklagte Kosten des Klägers für Zahnersatz zu übernehmen hat.

Bei dem Kläger, der Berufsmusiker (Hornist) ist, wurde in den Jahren 1961/62 eine Oberkieferzahnprothese eingegliedert und eine Zahnersatzerweiterung durchgeführt. Der Zahnarzt berechnete ihm hierfür abzüglich des Kostenanteils der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) einen Eigenanteil von 450,- DM.

Im März 1962 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme dieser Kosten. Die Beklagte erklärte sich daraufhin bereit, im Rahmen des § 13 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Kosten des Zahnersatzes nach den VdAK-Sätzen und die der Kronen nach den Sätzen der Preugo Teil III (1 1/2-facher Betrag der Grundgebühr) unter Anrechnung der von anderen Stellen gezahlten Zuschüsse zu übernehmen; sie überwies dem Kläger im November 1962 einen Betrag von 137,50 DM. Im Bescheid vom 14. Januar 1963 berechnete sie diesen Kostenersatz wie folgt:

Zahnersatz für den Oberkiefer

Grundgebühr (VdAK-Sätze)

75,- DM

5 zu ersetzende Zähne â 6,50 DM

32,50 "

Zuschlag für Basisplatte aus Metall

150,- "

1 Krone nach Preugo Teil III B (1 1/2-facher Satz der Grundgebühr)

60,- "

Erweiterung

Grundgebühr (VdAK-Sätze)

24,80 "

2 Zähne à 6,50 DM

13,- "

Gesamtkostenbetrag:

355,30 DM

./. Zuschuß der DAK

217,80 "

verbleibender Restbetrag

137,50 DM

Dazu erläuterte sie, es handele sich um eine freiwillige Leistung, auf die kein Rechtsanspruch bestehe. Die Zuschüsse seien nicht nach den wirklich entstandenen Kosten, sondern nach den für die Rentenversicherungsträger geltenden Richtsätzen, nämlich den Sätzen der Preugo Teil III B bzw. nach den Sätzen der Prothetikverträge zu berechnen.

Der Widerspruch des Klägers, der den vollen Betrag von 450,- DM ersetzt haben wollte, weil es sich um Kosten zur Wiederherstellung seiner Berufsfähigkeit als Hornist handele, wurde mit Bescheid vom 6. März 1963 zurückgewiesen.

Die Klage und die Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hielt den angefochtenen Bescheid für rechtsfehlerfrei. Die Beschaffung des Zahnersatzes sei eine Maßnahme zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Berufsfähigkeit des Klägers im Sinne der §§ 12, 13 AVG. Das ihr nach § 13 AVG eingeräumte Ermessen habe die Beklagte weder überschritten noch mißbraucht. Sie habe Rahmengrundsätze erlassen, in denen sie festgelegt habe, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Heilmaßnahmen durchgeführt werden sollen. Soweit diese Maßnahmen nicht in eigenen geeigneten Einrichtungen durchgeführt werden könnten, sei danach - anders als bei Maßnahmen in eigenen Rehabilitationseinrichtungen - nicht die volle Kostentragung, sondern nur die Gewährung von Kostenzuschüssen vorgesehen. Diese Differenzierung sei sachgerecht. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte zu Rehabilitationsmaßnahmen, auf deren Kosten sie keinen Einfluß habe, nur Zuschüsse bis zu einem gewissen Höchstbetrag gewähre. Dabei habe sie der besonderen Situation der Versicherten, die auf einen festsitzenden Zahnersatz im Hinblick auf den ausgeübten Beruf angewiesen sind, dadurch Rechnung getragen, daß sie diesen Versicherten nicht nur die niedrigeren Beihilfen nach § 84 AVG gewähre, sondern Zuschüsse, die ein Mehrfaches der als Beihilfe vorgesehenen Beiträge ausmachten. Der Auffassung des Klägers, in solchen Fällen könne die Beklagte ihr Ermessen nur dahin ausüben, daß sie die gesamten durch die Rehabilitationsmaßnahmen entstehenden Kosten übernehme, sei nicht zu folgen. Im übrigen sei die Berechnung des Zuschusses nach den zur Zeit der Bescheiderteilung maßgeblichen Richtlinien der Beklagten unstreitig in richtiger Höhe erfolgt (Urteil vom 16. November 1965).

Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Januar 1963 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. März 1963 zu verurteilen, einen neuen Bescheid über die Übernahme des zu erstattenden Betrages für Zahnersatz in Höhe von 450,- DM zu erteilen, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, einen weiteren Bescheid über die Übernahme eines weiter zu erstattenden Betrages für Zahnersatz in Höhe von 312,50 DM zu erteilen.

Er rügt die Verletzung des § 13 Abs. 1 AVG. Das LSG habe zu Unrecht keinen Ermessensfehler der Beklagten festgestellt. Die Beklagte sei zu einer individuellen Prüfung verpflichtet gewesen, ob die Maßnahme nach Art und Umfang erforderlich gewesen sei. Dabei hätte sie beachten müssen, daß ihre Richtlinien nur allgemein gesundheitliche Gesichtspunkte berücksichtigten, während für bestimmte Berufe - wie den der Bläser - ein besonders hochwertiger Zahnersatz unmittelbare entscheidende Bedeutung für die Erwerbsfähigkeit habe. Die Beklagte handele deshalb ermessensfehlerhaft, wenn sie in diesen Fällen nicht höhere Zuschüsse zum Zahnersatz gewähre, als die Richtlinien allgemein vorsehen. Um dem ihr in §§ 1, 12 und 13, 14 AVG erteilten Gesetzesauftrag gerecht zu werden, habe die Beklagte bei einem Bläser, bei dem ein fehlerhaftes Gebiß die Berufsausübung völlig unmöglich mache, die vollen Restkosten für Zahnersatz zu erstatten; jede andere Entscheidung sei ermessensfehlerhaft.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Ergebnis begründet; sie führt zur Aufhebung der bisher in der Sache ergangenen Entscheidungen.

Der Bescheid, mit dem die Beklagte dem Kläger Zuschüsse zu den Kosten der Zahnersatzbehandlung gewährt hat, ist auf § 13 AVG gestützt. Nach dieser Vorschrift kann die Beklagte Heilbehandlungsmaßnahmen gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten u.a. infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen gefährdet oder gemindert ist, aber voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Solche Heilbehandlungsmaßnahmen - als Teil der Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (Rehabilitationsmaßnahmen) - sind nach dem Gesetz Regelleistungen (§ 12 Nr. 1 AVG); sie zu gewähren, gehört zu den regelmäßigen Aufgaben der Beklagten. Hiervon zu unterscheiden sind die zusätzlichen Leistungen, d.h. Maßnahmen, die über die Regelleistungen hinausgehen und die die Beklagte nach § 84 AVG mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde erbringen kann. Sowohl die Regelleistungen nach § 12 Nr. 1 AVG als auch die Leistungen nach § 84 AVG behandelt das Gesetz als Kannleistungen; d.h. es besteht auf sie kein Rechtsanspruch; die Gewährung ist vielmehr in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt. Jedoch bedeutet dies nicht, daß die Beklagte in ihrer Entschließung völlig frei ist. Sie bleibt vielmehr, auch soweit sie - wie bei den Kannleistungen - nach ihrem Ermessen vorzugehen berechtigt ist, an die allgemeinen Erfordernisse des Rechtsstaats gebunden, vor allem an den Gleichheitssatz und an den Grundsatz, daß von jeder Ermächtigung zum Verwaltungshandeln nur im Sinne des Gesetzeszwecks Gebrauch gemacht werden darf. Ihr Ermessen ist pflichtgemäßes Ermessen (BVerfGE 9, 137 (147); 14, 105 (114)).

Bei der Gewährung von Kannleistungen hat das Gericht im Streitfall nach § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu prüfen, ob der Versicherungsträger die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, und ob dadurch der Kläger in seinen Rechten verletzt worden ist.

Durch Gesetz ist das Ermessen der Beklagten nicht in dem Sinne eingeengt worden, daß sie Zahnersatzkosten für einen Hornisten (Bläser) voll zu übernehmen hätte. Über den Umfang der Rehabilitationsmaßnahmen enthält das Gesetz außer in den hier nicht in Betracht kommenden Vorschriften in § 16 Satz 2 und in § 18 Abs. 2 Satz 2 AVG keine Bestimmung. Zu Unrecht glaubt der Kläger, eine Verpflichtung der Beklagten zur vollen Kostentragung der Regelung des § 14 Abs. 2 AVG entnehmen zu können. Wenn es hier heißt, die Heilbehandlung "umfaßt alle erforderlichen medizinischen Maßnahmen", so bedeutet dies nicht, die Beklagte habe diese stets voll auf ihre Kosten durchzuführen. Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsfähigkeit, insbesondere Heilmaßnahmen gehören auch zu den Aufgaben anderer Sozialleistungsträger. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Maßnahmen in ihrem Ziel und in ihren Mitteln, wie sich aus den unterschiedlichen Formulierungen ergibt. So bestimmt § 182 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Heilbehandlung im Rahmen der Krankenpflege, daß sie ausreichend und zweckmäßig sein müsse und das Maß des Erforderlichen nicht überschreiten dürfe (vgl. auch § 368 e RVO). Darin liegt eine Abgrenzung nach oben und nach unten; die Krankenkasse darf nicht weniger als das Ausreichende und nicht mehr als das Zweckmäßige und Notwendige gewähren. Weiter gezogen sind die Grenzen in § 556 RVO für die Heilbehandlung in der Unfallversicherung. Danach soll diese mit allen geeigneten Mitteln die durch den Arbeitsunfall verursachte Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beseitigen. Hier kann der Träger der Unfallversicherung das Maß des unbedingt Notwendigen nach pflichtgemäßem Ermessen überschreiten, wenn dadurch das Ziel der Heilbehandlung schneller und besser erreicht werden kann, auch wenn dadurch erhebliche finanzielle Aufwendungen verursacht werden (vgl. Lauterbach, Anm. 6 zu § 556). Wieder andere Grundsätze gelten für die Träger der Rentenversicherungen nach den §§ 1236 ff RVO, §§ 13 ff AVG, §§ 35 ff des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), für den Träger der Arbeitsvermittlung nach § 39 Abs. 3 und 4 und § 139 des Gesetzes für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) und für die Träger der Sozialhilfe nach den §§ 27 ff des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG).

Was der Kläger des vorliegenden Rechtsstreits erstrebt, nämlich die vollständige Behebung seines Körperschadens auf Kosten der Versicherungsträger, hier die Tragung der Restkosten durch die Beklagte, entspricht der Regelung in der Unfallversicherung, die auf dem Grundsatz der Haftung für Schäden beruht. Sein Verlangen kann er aber nicht gegen die Beklagte als Träger der Rentenversicherung der Angestellten geltend machen und nicht auf § 14 AVG stützen. Mit den Worten in dieser Vorschrift "umfaßt alle erforderlichen Maßnahmen" gibt das Gesetz, wie sich aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 ersehen läßt, nur eine Definition des im ersten Absatz genannten Begriffs "Heilbehandlung"; es erläutert, was alles die Beklagte unter diesem Begriff verstehen darf, sagt aber nicht, in welchem Umfang die Beklagte dafür Mittel aufwenden darf oder muß. Damit wird lediglich die Ermächtigung der Beklagten zur Gewährung von Heilbehandlungsmaßnahmen näher konkretisiert und begrenzt, weil die Beklagte die ihr zufließenden öffentlichen Mittel nur im Rahmen gesetzlicher Regelung oder Ermächtigung verwenden darf (vgl. dazu Bogs in "Die Ersatzkasse" 1962 S. 85 ff, 89).

Danach hat also das Ermessen der Beklagten hinsichtlich des Umfangs, in dem sie nach § 13 AVG bei Zahnersatzbehandlungen einzutreten hat, durch das Gesetz keine Einschränkung dahin erfahren, daß sie für die vollen vom Zahnarzt in Rechnung gestellten Kosten aufzukommen hat. Die Beklagte hat sich in dieser Weise aber auch nicht selbst durch Anordnungen im Verwaltungswege gebunden. Nach den Feststellungen des LSG verfährt die Beklagte bei Heilbehandlungsmaßnahmen nach den von ihrer Vertreterversammlung am 26. Juli 1957 beschlossenen "Rahmengrundsätzen für die Gewährung von Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit von Versicherten bei allgemeinen Erkrankungen (nicht Tbc)", abgedruckt bei Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, S. 503 und in "Die Angestelltenversicherung" 1957, 240. Diese Rahmengrundsätze enthalten zwar über Zahnersatzbehandlungen keine ausdrückliche Bestimmung, jedoch wird in § 8 allgemein unterschieden zwischen der Durchführung von Maßnahmen in Einrichtungen, die der Beklagten hierfür zur Verfügung stehen, und der Gewährung von Kostenzuschüssen bei Durchführung von Maßnahmen außerhalb eigener Einrichtungen.

Diese Verwaltungsübung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Grundsätzlich stand es der Beklagten frei zu bestimmen, in welcher Form sie Heilbehandlungsmaßnahmen durchführen wollte. Wenn sie sich dahin festlegte, die Kosten der in eigenen Einrichtungen gewährten Maßnahmen voll tragen, die außerhalb eigener Einrichtungen durchgeführten aber nur bezuschussen zu wollen, so läßt dies eine Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten und angemessene Überlegungen erkennen. Der Zweck der Regelung des § 13 AVG, den Eintritt von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit möglichst zu verhindern, kann auch mit einer nur anteiligen Kostenübernahme gefördert werden. Für die Beklagte, die als Versicherungsträger gehalten ist, die ihr anvertrauten Mittel sparsam zu verwalten, ist es aber eine sachgerechte Erwägung, wenn sie in den Fällen, in denen sie auf die Kosten keinen Einfluß hat, lediglich Zuschüsse gewährt.

Dies gilt insbesondere bei der Eingliederung von Zahnersatz, für die auch die gesetzlichen Krankenkassen regelmäßig nur Zuschüsse zu leisten haben. Der Kläger kann daher von der Beklagten - insoweit ist dem Urteil des LSG zuzustimmen - nicht die Erstattung der gesamten ihm vom Zahnarzt in Rechnung gestellten Kosten (Eigenanteil) verlangen. Die Beklagte kann sich vielmehr auf die Gewährung von Zuschüssen beschränken.

Auch für die Bemessung der Zuschüsse kommt es aber darauf an, ob die Beklagte sich bei deren Festlegung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens gehalten hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Die Nachprüfung durch die Gerichte setzt insoweit voraus, daß der Sachverhalt und die Erwägungen, von denen die Beklagte bei der Ermessensbildung ausgegangen ist (Ermessenserwägungen), aus dem Bescheid ersichtlich sind. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde über eine Ermessensleistung muß erkennen lassen, welche Überlegungen zum Für und Wider sie bei ihrer Entschließung angestellt hat (vgl. BVerwG in ZLA 1962 Nr. 5 S. 70; OLG Frankfurt a.M. in NJW 1966, 465). Der Bescheid und der Widerspruchsbescheid der Beklagten geben aber insoweit nur an, daß die Zuschüsse zu dem Zahnersatz des Klägers nicht nach den wirklich entstandenen Kosten, sondern nach bestimmten Richtsätzen (Sätze der Preugo bzw. der Prothetikverträge) bemessen worden seien. Sie enthalten jedoch keine Ausführungen, aus denen geschlossen werden kann, daß die Beklagte den Fall des Klägers individuell, d.h. unter Berücksichtigung der besonderen Situation, auf die sich der Kläger beruft, geprüft und ihr Ermessen danach ausgerichtet hätte. Zwar können Ermessenserwägungen auch noch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens in den Tatsacheninstanzen vorgetragen (nachgeschoben) werden, sofern die nachgebrachten Gründe schon beim Erlaß des Bescheides vorgelegen haben, dieser durch sie nicht in seinem Wesen verändert und der Kläger nicht in seiner Rechtsverfolgung beeinträchtigt wird (vgl. BSG 9, 232, 235; BVerwG 14, 356, 359 und ZBR 1966, 280 mit weiteren Hinweisen). Die Beklagte hat jedoch auch im Klage- und Berufungsverfahren lediglich auf ihre Rahmengrundsätze und ihre Verwaltungsübung hingewiesen. Daneben hat sie auf Richtlinien Bezug genommen. Wie sich jedoch aus den Feststellungen des LSG ergibt, haben diese Richtlinien zur Zeit der Bescheiderteilung noch nicht vorgelegen, sondern sind von der Beklagten erst zu einem späteren Zeitpunkt ohne Rückwirkung erlassen worden. Sie vermögen daher die Entscheidung im Falle des Klägers schon aus diesem Grunde nicht zu tragen.

Die von der Beklagten insgesamt angegebenen Gründe lassen daher nur erkennen, daß sie sich an eine allgemeine Verwaltungspraxis gehalten hat; sie hat jedoch nirgends dargelegt, daß sie die besonderen Umstände des Falles berücksichtigt und daß sie geprüft habe, ob diese ein Abgehen von der allgemeinen Übung erforderlich machten. Rahmengrundsätze, Richtlinien und Instruktionen sollen es dem Versicherungsträger lediglich erleichtern, in einer Vielzahl von Fällen möglichst gleichmäßig zu verfahren, um dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) zu genügen. Sie entbinden aber nicht von der Verpflichtung, in jedem Einzelfall sämtliche Umstände zu prüfen, die für die Ermessensbildung bedeutsam sein können (vgl. OVG Hamburg vom 10. Juli 1951 in "Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte" Bd. 3 S. 260; OVG Münster vom 10. Oktober 1961, Bd. 17 Nr. 1/2 S. 98). Dies gilt um so mehr, als es sich hier um eine Rehabilitationsmaßnahme nach § 13 AVG handelt. Solche Maßnahmen sollen, anders als diejenigen nach § 84 AVG, die Erwerbsfähigkeit des Versicherten erhalten, bessern oder wiederherstellen. Dieses gesetzliche Ziel bedingt eine Betrachtung des Einzelfalles und läßt Ausnahmen von einer allgemeinen Verwaltungsübung zugunsten des Versicherten - hier die Gewährung höherer als der allgemeinen Zuschüsse - dann als geboten erscheinen, wenn besondere Umstände des Falles dies rechtfertigen. Eine Besonderheit des vorliegenden Falles, die zur Differenzierung Anlaß geben kann, bildet aber die Behauptung des Klägers über die Notwendigkeit eines besonders gearteten Zahnersatzes für die Berufsausübung. Weder die Bescheide der Beklagten noch die Feststellungen der Vorinstanzen geben Aufschluß darüber, welche Erwägungen die Beklagte angestellt hat, um diesem Vorbringen des Klägers Rechnung zu tragen. Sie setzen sich weder auseinander mit der Behauptung des Klägers, daß er in seinem Beruf als Hornist (Bläser) einen besonders haltbaren und kostspieligen Zahnersatz benötige, noch legen sie dar, inwieweit die Beklagte die einzelnen Maßnahmen als notwendig und zweckentsprechend ansieht und wieviel sie zu den Kosten der einzelnen Maßnahmen beitragen will. Dies rügt der Kläger in der Revision mit Recht. Da es sich um die Gewährung von Zuschüssen nach § 13 AVG handelt, genügt zur Begründung einer sachgemäßen Ermessensbildung im Rahmen dieser Vorschrift auch nicht die Erklärung der Beklagten, sie habe dem Kläger nicht die niedrigeren Beihilfen nach § 84 AVG, sondern die höheren Zuschüsse nach § 13 AVG gewährt.

Da die Bescheide der Beklagten hiernach nicht erkennen lassen, daß sie die Zuschüsse zu den Kosten der Zahnersatzbehandlung des Klägers ermessensfehlerfrei festgesetzt hat, müssen die Urteile der Vorinstanzen, die dies verkannt haben, sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben werden. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht selbst entscheiden, weil er nicht befugt ist, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Beklagten zu setzen. Diese muß vielmehr verurteilt werden, den Kläger neu zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 34

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