Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.11.1987)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. November 1987 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte einen Teilbetrag der von ihr der Beigeladenen zu 1) bis zu deren Tod gewährten Renten an die Klägerin abzuführen hat.

Die 1922 geborene und am 29. November 1987 verstorbene Beigeladene zu 1) bezog von der Beklagten eine wiederaufgelebte Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann und zusätzlich eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Seit Januar 1985 war sie auf Kosten des Beigeladenen zu 2) bis zu ihrem Tod in einem Altersheim untergebracht.

Die Klägerin hatte wegen einer Forderung gegen die Beigeladene zu 1) im Juni 1983 beim Amtsgericht Lübeck einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß hinsichtlich des pfändbaren Teils der Renten der Beigeladenen zu 1) erwirkt. Die Beklagte zahlte daraufhin aus den Renten der Beigeladenen zu 1) ab Oktober 1983 monatlich je 198,70 DM und ab September 1984 bis einschließlich Mai 1985 monatlich je 69,20 DM an die Klägerin.

Der Beigeladene zu 2) wandte sich im Januar 1985 an die Beklagte und bat unter Hinweis auf § 104 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) um Auszahlung der Renten an ihn. Ab 1. März 1985 wurden die laufenden Renten der Beigeladenen zu 1) an ihn überwiesen.

Die Beklagte teilte dies der Klägerin im Mai 1985 mit und erklärte zugleich, daß Zahlungen an die Klägerin nicht mehr erfolgen könnten. Die von der Klägerin dagegen erhobene Einwendung, daß ihre Forderung aufgrund der Pfändung vorrangig sei, wies die Beklagte zurück.

Auf die von der Klägerin erhobene Leistungsklage verurteilte das Sozialgericht (SG) mit Entscheidung vom 27. Oktober 1986 die Beklagte, an die Klägerin 1.176,40 DM zu zahlen sowie ab 1. November 1986 monatlich einen Betrag von 69≫20 DM aus der Witwenrente der Versicherten an die Klägerin bis zur Erfüllung der im Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Lübeck vom 8. Juni 1983 festgesetzten Forderung zu zahlen. Während des sich anschließenden, von der Beklagten und dem Beigeladenen zu 2) betriebenen Berufungsverfahrens setzte das Amtsgericht Lübeck mit Beschluß vom März 1987 den der Beigeladenen zu 1) zu belassenden pfändungsfreien Betrag ihrer Renten über den Gesamtzahlbetrag der Renten neu fest. Nach Erklärung der Klägerin, daß der Rechtsstreit hinsichtlich der ab April 1987 fälligen Leistungen der Beklagten in der Hauptsache erledigt sei, verurteilte das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 12. November 1987 unter teilweiser Abänderung des Urteils des SG die Beklagte, aus den der Beigeladenen zu 1) gezahlten Renten für die Zeit von Juni 1985 bis einschließlich März 1987 einen Betrag von monatlich 69,20 DM an die Klägerin zu zahlen. Die weitergehende Klage wies es ab. Zur Begründung führte das LSG im wesentlichen aus, daß zwar ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen zu 2) gegenüber der Beklagten aufgrund von § 104 SGB X dem Grunde nach bestehe. Der Umfang dieses Erstattungsanspruchs sei aber in dem maßgeblichen Zeitraum um den zugunsten der Klägerin gepfändeten Betrag von monatlich 69,20 DM gekürzt. Die Pfändung sei wirksam erfolgt und habe sich auch auf die künftigen Rentenzahlbeträge erstreckt. Das daraus zugunsten der Klägerin entstandene Befriedigungsrecht trete auch im Rang nicht hinter einem Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X zurück.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und hält ihre bisher vertretene Auffassung, daß ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X im Rang einem Befriedigungsrecht aus der Pfändung gemäß § 54 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) vorgehe, aufrecht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. November 1987 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27. Oktober 1986 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene zu 2) hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden muß. Das Berufungsgericht hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung für die Rechtsnachfolger der verstorbenen Beigeladenen zu 1) erfüllt sind, und bei Bejahung deren notwendige Beiladung nachzuholen.

Nach § 75 Abs. 2 1. Alternative SGG sind Dritte zum Verfahren notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist dies zu bejahen, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (s BSG SozR 1500 § 75 Nrn 49, 60 mwN). Die ursprüngliche Beiladung der nach Erlaß des Berufungsurteils verstorbenen Beigeladenen zu 1) ist unter diesem Gesichtspunkt als solche auch nicht zu beanstanden. Der 8. Senat des BSG hat mit Urteil vom 2. November 1988 – 8/5a RKn 11/85, SozR 1500 § 75 Nr. 73 – ausgesprochen, daß in einem Fall, der der Ausgangssituation des jetzigen Rechtsstreites parallel liegt, die Rentenbezieherin notwendig beizuladen ist. Wenn in dem damaligen Rechtsstreit auch die Übertragung eines Rentenanteils an einen Dritten durch Abtretung erfolgte, so sieht der erkennende Senat keine Gründe, dieselbe rechtliche Beurteilung nicht ebenfalls für die Übertragung von Rentenanteilen durch Pfändungs- und überweisungsbeschluß im Wege der Zwangsvollstreckung aus einer privatrechtlichen Forderung vorzunehmen (vgl hierzu auch die Gleichbehandlung von Abtretung gemäß § 53 SGB I und Pfändung nach § 54 SGB I unter dem Blickwinkel des Prioritätsprinzips in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des erkennenden Senats vom 7. September 1989 – 5 RJ 63/88 –).

Wie der 8. Senat a.a.O. zugleich aufgezeigt hat, rücken in die materielle Rechtsstellung der zunächst beigeladenen Versicherten nach deren Tod ihre Rechtsnachfolger ein, mag es sich dabei um Sonderrechtsnachfolge oder Gesamtrechtsnachfolge handeln. Ebenso wie gegenüber der ursprünglich Beigeladenen kann auch gegenüber den Rechtsnachfolgern die zu treffende Entscheidung nur einheitlich ergehen. Hiermit ist allerdings nicht zugleich schon gesagt, daß die Rechtsnachfolger automatisch ebenfalls in die prozeßrechtliche Beteiligtenstellung der früheren Beigeladenen einrücken und damit möglicherweise ein Fall des § 168 SGG nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift gar nicht vorliegt. Wie der 1., 8. und 11. Senat des BSG bereits in mehreren Urteilen ausgesprochen haben (s BSGE 50, 196 = SozR 1750 § 239 Nr. 2; SozR 7290 § 72 Nr. 11; BSGE 61, 100 = SozR 1200 § 54 Nr. 11; SozR 1500 § 75 Nr. 73), wird durch den Tod des notwendig Beigeladenen der Rechtsstreit nicht gemäß § 202 SGG iVm § 239 der Zivilprozeßordnung (ZPO) unterbrochen. Beim Tod eines notwendig Beigeladenen hat vielmehr das Gericht neu zu prüfen, ob die Voraussetzungen der notwendigen Beiladung auch für die Rechtsnachfolger erfüllt sind. Ist das der Fall, hat das Gericht die Rechtsnachfolger gemäß § 75 Abs. 2 1. Alternative SGG notwendig beizuladen.

Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (s BSG SozR 1500 § 75 Nrn 1, 20, 60 sowie Urteil des erkennenden Senats vom 22. Februar 1989 – 5/5b RJ 56/87 –). Da die Beiladung gemäß § 168 SGG in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden kann, ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreites an das LSG geboten (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird zu ermitteln haben, wer Rechtsnachfolger der verstorbenen Beigeladenen zu 1) geworden ist, und diesen dann nach § 75 Abs. 2 1. Alternative SGG beizuladen haben. Für die neu zu treffende Entscheidung in der Sache selbst wird das LSG die mit seiner Urteilsbegründung im Ergebnis übereinstimmende Rechtsauffassung des erkennenden Senats aus dem Urteil vom 7. September 1989 a.a.O. zu beachten haben.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1062274

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