Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweisbarkeit landwirtschaftlicher Unternehmer bei örtlicher Bindung

 

Orientierungssatz

1. Es reicht zur Bejahung der örtlichen Bindungen und damit zur Annahme einer räumlich eingeschränkten Verweisbarkeit aus, wenn ein landwirtschaftlicher Unternehmer Restflächen in gesetzlich zulässigem Umfang (vgl § 2 Abs 7 GAL) bewirtschaftet; diese und ein Hofgrundstück mit schuldenfreiem Haus erheblich zu seiner Existenzsicherung beitragen, und er einen Teil der benötigten Lebensmittel aus dem Gemüsegarten und aus der Schweine- und Geflügelhaltung erwirtschaftet.

2. Im Falle einer örtlichen Verweisungsbeschränkung bedarf es regelmäßig - sofern der Versicherte nicht bereits in einem industriellen Ballungsgebiet wohnt - besonderer Ermittlungen, ob entsprechende Arbeitsplätze in diesem Bereich in ausreichender Anzahl vorhanden sind.

3. Zu eng ist es aber, auf einen örtlichen Arbeitsmarkt im Sinne nur eines Arbeitsamtsbezirkes abzustellen. Denn maßgebend kann nicht ein bestimmter Arbeitsamtsbezirk sein, sondern es stellt sich die Frage, welche Arbeitsmöglichkeiten für den Versicherten von seiner Wohnung aus unter Berücksichtigung von Zumutbarkeit und Üblichkeit - insbesondere hinsichtlich des täglichen "Pendelns" - bestehen.

 

Normenkette

GAL § 2 Abs 2 Buchst a Fassung: 1985-12-20; RVO § 1247 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.03.1988; Aktenzeichen L 8 Lw 12/86)

SG Dortmund (Entscheidung vom 12.06.1986; Aktenzeichen S 11 Lw 17/84)

 

Tatbestand

Streitig ist vorzeitiges Altersgeld wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der am 1. Oktober 1927 geborene Kläger hatte als landwirtschaftlicher Unternehmer einen Betrieb mit einer Eigenfläche von ca 6,15 ha in landwirtschaftlicher und 0,90 ha in forstwirtschaftlicher Nutzung sowie Pachtland von ca 3,93 ha. Nachdem er bereits im Januar 1983 das gepachtete Land zurückgegeben hatte, gab er zum 31. Dezember 1983 seinen landwirtschaftlichen Betrieb auf und verpachtete den größten Teil an andere Landwirte; er behielt lediglich neben dem Hofgrundstück von etwa 2.000 qm die forstwirtschaftlich genutzte Fläche. Gleichzeitig löste er sein Beschäftigungsverhältnis mit einer an seinem Wohnort O.   ansässigen Firma, bei der er seit Ende 1977 halbtags als Kraftfahrer gearbeitet hatte.

Den im Dezember 1983 gestellten Antrag auf vorzeitiges Altersgeld lehnte die beklagte landwirtschaftliche Alterskasse (LAK) ab, weil der Kläger noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne und deshalb nicht erwerbsunfähig iS von § 2 Abs 2 Buchst a) des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) sei (Bescheid vom 18. April 1984, Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1984).

Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat durch Urteil vom 12. Juni 1986 die Beklagte zur Gewährung des vorzeitigen Altersgeldes für die Zeit ab Januar 1984 verpflichtet. Es ist insbesondere dem Gutachten des von ihm gehörten Internisten Dr. J.     gefolgt, der den Kläger wegen der koronaren Herzerkrankung bei Verkalkung der Aortenklappe ohne Anzeichen für Herzinsuffizienzen nurmehr für fähig gehalten hatte, halbschichtig körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten.

Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 9. März 1988). Es ist zwar von dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Internisten Dr. K. ausgegangen, wonach der Kläger außerhalb der Landwirtschaft vollschichtig körperlich leichte Arbeiten, zB als Montierer und Sortierer kleiner Teile oder im Büro, leisten kann, hat aber gleichwohl Erwerbsunfähigkeit bejaht, weil das Arbeitsamt S.     auf die Frage nach einer Vermittlungschance des Klägers auf dem örtlichen Arbeitsmarkt mitgeteilt habe, daß entsprechende Arbeitsplätze in diesem Bezirk dem Kläger nicht angeboten werden könnten. Damit sei dem Kläger der örtliche Arbeitsmarkt verschlossen. Eine Verweisung auf das gesamte Bundesgebiet scheide aus. Es müßten, zumal das Altersgeld nur zusätzliche Hilfe zum Lebensunterhalt und keinen vollen Lohnersatz darstelle, die starken örtlichen Bindungen des Landwirts berücksichtigt werden, die hier darin bestünden, daß die verbliebenen Restflächen und das Hofgrundstück mit dem schuldenfreien Haus erheblich zur Existenzsicherung des Klägers beitrügen (Hinweis auf BSGE 30, 71).

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte Verletzung materiellen Rechts. Werde - wie hier - zutreffend von einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit des Klägers ausgegangen, so dürfe nicht dessen konkrete Verweisbarkeit auf den örtlichen Arbeitsmarkt geprüft werden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 22. März 1984 - 11 RLw 3/83). Auch die allgemeine Erwägung, es könne dem älteren Landwirt nicht zugemutet werden, sich in städtisch geprägter Umgebung einzuleben, müsse versagen. Zwar bewirtschafte der Kläger noch Rückbehaltsflächen, und er habe sein Hausgrundstück behalten; er dürfe aber nicht besser gestellt werden als ein anderer Arbeitnehmer mit eigenem Hausbesitz.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1988 und des Sozialgerichts Dortmund vom 12. Juni 1986 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 18. April 1984 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1984 abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, bei der Verweisung von Landwirten auf andere Erwerbstätigkeiten könnten Härten auftreten; es müsse berücksichtigt werden, daß Altershilfeleistungen, obwohl sie sich in den letzten Jahren infolge von Dynamisierung und Staffelung erhöht hätten, kein Erwerbsersatzeinkommen darstellten. Deshalb sei im Rahmen der landwirtschaftlichen Altershilfe eine modifizierte Anwendung des Erwerbsunfähigkeitsbegriffes geboten.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Anspruchsgrundlage für das vorzeitige Altersgeld ist § 2 Abs 2 GAL idF des Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2475). Danach erhält vorzeitiges Altersgeld ein landwirtschaftlicher Unternehmer, wenn er a) erwerbsunfähig iS des § 1247 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist, b) mindestens bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres oder bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mit Ausnahme der Zeiten des Bezugs eines vorzeitigen Altersgeldes oder eines Hinterbliebenengeldes und für mindestens 60 Kalendermonate Beiträge als landwirtschaftlicher Unternehmer oder nach § 27 GAL an die landwirtschaftliche Alterskasse gezahlt hat und c) das Unternehmen abgegeben hat.

Vorliegend ist nur die Voraussetzung des Buchst a) im Streit; ob verneinendenfalls auch b) nicht gegeben wäre, läßt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, kann aber für die Entscheidung offenbleiben. Gemäß § 1247 Abs 2 RVO idF des Art 1 Nr 33 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) ist erwerbsunfähig der Versicherte, der infolge Krankheiten oder anderer Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (Satz 1). Geringfügige Einkünfte iS des Satzes 1 sind monatliche Einkünfte in Höhe eines Siebtels der monatlichen Bezugsgröße (Satz 2). Nicht erwerbsunfähig ist, wer eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Satz 3).

Wenn hiernach § 2 Abs 2 Buchst a) GAL für die Gewährung des vorzeitigen Altersgeldes das Bestehen von Erwerbsfähigkeit "im Sinne des § 1247 Abs 2" RVO voraussetzt, also insbesondere auf dessen Satz 1 abstellt, so bedeutet dies, daß die Bezugsvorschrift für landwirtschaftliche Unternehmer ebenso gilt wie für Versicherte der Arbeiterrentenversicherung. Das heißt, daß anders als bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit im Rahmen des § 1246 Abs 2 RVO nicht vom zunächst festzustellenden und nach seinem qualitativen Wert einzuordnenden bisherigen Beruf auszugehen sowie dann in Anwendung des von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Mehrstufenschemas zu untersuchen ist, ob und welche Verweisungstätigkeiten zumutbar sind. Vielmehr enthält § 1247 Abs 2 RVO keine Regelung, aufgrund derer die Verweisbarkeit auf eine andere als die bisher ausgeübte Tätigkeit Einschränkungen unterworfen wird (vgl im Gegensatz hierzu § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO, wonach sich der Kreis der Verweisungstätigkeiten ua danach bestimmt, ob diese dem Versicherten "unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können"). Deshalb ist grundsätzlich jeder Versicherte - also auch der als landwirtschaftlicher Unternehmer in der landwirtschaftlichen Altershilfe Versicherte - auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisbar (so schon allgemein BSGE 19, 147, 150 = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; darauf bezugnehmend für die landwirtschaftliche Altershilfe: BSG, Urteil vom 22. März 1984 = SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25 f). Allerdings ist der Vorbehalt gemacht worden, daß nach dem Grundsatz von Treu und Glauben bei der Verweisbarkeit "gewisse äußerste Grenzen" nicht überschritten werden dürften (BSG aaO). Gemeint ist, an die Terminologie der §§ 1246, 1247 RVO anknüpfend, daß ein Versicherter auf keine für ihn in besonderem Maße unzumutbare Tätigkeit verwiesen werden darf.

Der Kläger vermag nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die von keinem Beteiligten angegriffen worden sind und den Senat daher binden (§ 163 SGG), außerhalb der Landwirtschaft noch vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten auszuüben. Damit wird weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung beschrieben, so daß keine konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten erforderlich ist (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 104, 117) und von daher - die Besonderheiten der landwirtschaftlichen Altershilfe einmal ausgeklammert - Erwerbsunfähigkeit wohl verneint werden müßte.

Das LSG hat jedoch bei der Prüfung der Voraussetzungen eine andere Reihenfolge eingeschlagen und unter dem Blickpunkt der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zunächst den räumlichen Verweisungsbereich abgesteckt. Im Grundsatz besteht eine Verweisbarkeit auf das gesamte Bundesgebiet, kommt es also auf die Gegebenheiten am Wohnort des Versicherten nicht an, sondern ist ein Wohnsitzwechsel zumutbar (vgl BSG SozR 2200 § 1247 Nrn 53 S 105, 47 S 92, SozR Nr 101 zu § 1246 RVO, BSGE 21, 257 = SozR aaO Nr 41, aaO Nr 21). Indessen kann schon bei Anwendung der allgemeinen rentenrechtlichen Bestimmungen im Einzelfall die Verweisung auf das gesamte Bundesgebiet in besonderem Maße unzumutbar und deshalb auszuschließen sein (etwa wenn von einem 64jährigen Versicherten ein Wohnungswechsel zur Verwertung des ihm verbliebenen Leistungsvermögens verlangt würde; vgl auch die Hinweise und Erwägungen in SozR Nr 21 zu § 1246 RVO, BSGE 21, 257). Das gilt generell unter bestimmten Voraussetzungen für ältere ehemalige landwirtschaftliche Unternehmer, wie das LSG mit Recht ausführt und belegt. Bereits in einem Urteil vom 28. August 1969 (BSGE 30, 71, 73f = SozR Nr 3 zu § 2 GAL 1965, dort aber nur gekürzt wiedergegeben) hat nämlich der 11. Senat des BSG unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien darauf abgehoben, daß dem Altersgeld nicht die "Lohnersatzfunktion" wie den Renten in den Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung zukomme; es solle nicht den vollen Lebensunterhalt des alten oder erwerbsunfähigen Landwirts decken, sondern, wie seine geringe Höhe erkennen lasse, nur eine zusätzliche Hilfe neben den Versorgungsleistungen (Wohnrecht, Naturalbezüge, Geldleistungen) sein, die dem seinen Betrieb abgebenden landwirtschaftlichen Unternehmer vom Übernehmer regelmäßig gewährt würden, und so den im Zuge der allgemeinen Entwicklung gestiegenen Bargeldbedarf des Altenteilers decken. Wegen dieser örtlichen Bindung des Altenteilers hat das BSG (aaO S 74) Erwerbsmöglichkeiten, die nur bei einem Umzug in die Stadt oder mit "Wochenendpendeln" verrichtet werden könnten, außer Betracht gelassen jedenfalls dann, wenn der Landwirt (die Landwirtin) "in vorgerücktem Alter" steht (im damaligen Fall: über 56 Jahre im Zeitpunkt der Antragstellung). Diese Rechtsprechung hat der 11. Senat im übrigen mit dem bereits erwähnten Urteil vom 22. März 1984 (SozR 5850 § 2 Nr 12) nicht aufgegeben, sondern dort nur darauf hingewiesen, daß sich die Einschränkungen "aber nur auf wegen Altenteilsleistungen oder Flächenrückbehalts möglicherweise zu berücksichtigende, vorliegend nicht gegebene örtliche Bindungen an den abgegebenen Betrieb" bezogen hätten.

Hier sind solche Gegebenheiten vom LSG unwidersprochen festgestellt worden: Der Kläger bewirtschaftet Restflächen in gesetzlich zulässigem Umfang (vgl § 2 Abs 7 GAL); diese und das Hofgrundstück mit dem schuldenfreien Haus tragen erheblich zu seiner Existenzsicherung bei, und er erwirtschaftet einen Teil der benötigten Lebensmittel aus dem Gemüsegarten und aus der Schweine- und Geflügelhaltung. Darüber hinaus war der Kläger im Zeitpunkt der Abgabe des Betriebs und der Antragstellung bereits 56 Jahre alt.

Dies reicht zur Bejahung der örtlichen Bindungen und damit zur Annahme einer räumlich eingeschränkten Verweisbarkeit aus. Es schadet dabei weder, daß hier keine Altenteilsleistungen erbracht werden, noch haben die Argumente des BSG (BSGE 30, 71) deshalb wesentlich an Gewicht verloren, weil das Altersgeld inzwischen (seit 1983) dynamisiert und unter bestimmten Voraussetzungen gestaffelt, insgesamt also erhöht worden ist (§ 4 Abs 1 Sätze 1, 3 und 4 GAL). Es ist aber auch heute bei weitem nicht vergleichbar mit einem durchschnittlichen Altersruhegeld der Arbeiter-, Angestellten- oder Knappschaftsversicherung und hat den Charakter einer (nur) Teilversorgung nicht verloren.

Nicht folgen kann der Senat aber der Ansicht des LSG, der "örtliche Arbeitsmarkt" sei für den Kläger bereits aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen verschlossen. Dabei steht der vom Berufungsgericht gezogenen Schlußfolgerung nicht schon entscheidend entgegen, daß der Kläger vollschichtig einsatzfähig ist, insoweit im Prinzip das Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl - offener oder besetzter - Arbeitsplätze angenommen wird und Nachprüfungen nur dann vorgenommen werden sollen, wenn hinsichtlich der noch möglichen Vollzeitarbeitsplätze wegen ihrer Seltenheit zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bestehen soll (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137 S 440, Nr 139 S 450), des weiteren, daß bei den von der Rechtsprechung gebildeten Untergruppen der vorliegende Sonderfall des GAL nicht aufgezählt ist. Denn im Falle einer örtlichen Verweisungsbeschränkung bedarf es regelmäßig - sofern der Versicherte nicht bereits in einem industriellen Ballungsgebiet wohnt - besonderer Ermittlungen, ob entsprechende Arbeitsplätze in diesem Bereich in ausreichender Anzahl vorhanden sind.

Zu eng ist es aber, auf einen örtlichen Arbeitsmarkt im Sinne nur eines Arbeitsamtsbezirkes - hier: nur Arbeitsamtsbezirk S.     - abzustellen (die Anfrage des Berufungsgerichts bezog sich auf diesen "Zuständigkeitsbereich, vor allem in O.  ", und es antwortete das Arbeitsamt S.    /Dienststelle O.  ). Denn maßgebend kann nicht ein bestimmter Arbeitsamtsbezirk sein, sondern es stellt sich die Frage, welche Arbeitsmöglichkeiten für den Kläger von seiner Wohnung aus unter Berücksichtigung von Zumutbarkeit und Üblichkeit - insbesondere hinsichtlich des täglichen "Pendelns" - bestehen. So könnte zu prüfen sein, ob der Kläger einen Pkw besitzt und ihm damit das tägliche Pendeln bis an das Ballungsgebiet Köln zumutbar wäre (wobei seine etwaige Untauglichkeit für eine berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer nicht unbedingt auch die Benutzung eines eigenen Pkw's für die Fahrt zur Arbeitsstätte auszuschließen braucht). Es wäre aber auch die Bahnverbindung in dieses Gebiet zu untersuchen und zu ermitteln, ob möglicherweise gerade Züge von O.   in den erwähnten Bereich als "Zubringer" für Werktätige verkehren. Solche und ähnliche Ermittlungen (etwa den Raum Hagen betreffend) kann nicht das Revisionsgericht, sondern nur die Tatsacheninstanz durchführen und im Anschluß daran ihre Feststellungen treffen, so daß schon deshalb der Rechtsstreit zurückzuverweisen ist.

Des weiteren kann das Berufungsgericht seine Annahme, für den Kläger sei der (örtliche) Arbeitsmarkt verschlossen, auch deshalb nicht auf die Auskunft des Arbeitsamtes stützen, weil diese im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG einen solchen Rückschluß gerade nicht rechtfertigt. Wenn nämlich dieser Auskunft zufolge dem Kläger seinem Leistungsvermögen entsprechende Arbeitsplätze "nicht angeboten werden können" (S 11, 8 des angefochtenen Urteils), so hebt dies auf die - im Rahmen des § 1247 Abs 2 RVO unerhebliche - Vermittlungsfähigkeit ab. Das BSG hat die Grenze der Beteiligung der gesetzlichen Rentenversicherung an dem Risiko des Versicherten, keinen Arbeitsplatz mehr zu finden, wie folgt gezogen: Habe der aus gesundheitlichen Gründen Leistungsgeminderte noch eine - "wenn auch schlechte" - Chance, in einer zumutbaren - vollschichtigen - Verweisungstätigkeit unterzukommen, so sei er arbeitslos; habe er bei vernünftiger Betrachtung keine solche, auch nur noch schlechte Chance mehr, so sei er "nicht nur arbeitslos"; das beim Träger der Rentenversicherung versicherte Absinken seiner Leistungsfähigkeit schließe ihn in diesem Fall vom Arbeitsmarkt schlechthin aus (BSGE 56, 64, 69 = SozR 2200 § 1246 Nr 110; SozR aaO Nrn 137 S 440f, 139 S 450). Wenn somit eine gewisse Relation zwischen Bewerbern und angebotenen Arbeitsplätzen hergestellt worden ist, so bedeutet dies aber nicht, daß von "keiner Chance" immer schon dann auszugehen wäre, wenn sie unwahrscheinlich ist. Es kommt vielmehr immer der Anzahl der entsprechenden Arbeitsplätze, seien sie besetzt oder unbesetzt, Bedeutung zu (vgl BSGE 56, 64, 68 und die dort angegebenen Beispiele). Deshalb ist es möglicherweise auch untunlich, sich unter mehr oder weniger wörtlicher Verwendung der wiedergegebenen Formel an das Arbeitsamt zu wenden. Das LSG wird somit auch in diesem Zusammenhang noch Ermittlungen durchzuführen haben.

In der das Verfahren abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666363

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