Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 13.02.1974)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Februar 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger entweder nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) oder als Schadensersatz wegen Verletzung einer Beratungspflicht auch für vorlesungsfreie Tage vor Beginn der ersten Vorlesung Unterhaltsgeld zu zahlen.

Der Kläger hat an dem Lehrgang zum Betriebs- und Marktwirt an der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in Friedrichshafen teilgenommen. Als Maßnahmebeginn wurde von dem Lehrgangsträger der 1. April 1972 angegeben, der Beginn der Vorlesungen hingegen auf den 17. April 1972 festgesetzt.

Die Beklagte bewilligte Unterhaltsgeld lediglich ab 17. April 1974 (Bescheid vom 19. April 1972). Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1972).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, Unterhaltsgeld bereits für die Zeit ab 1. April 1972 zu zahlen (Urteil vom 14. Dezember 1972). Es hat die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes hierzu für verpflichtet angesehen, weil sie es versäumt habe, dem Kläger rechtzeitig mitzuteilen, daß für die Zeit zwischen 1. und 17. April Unterhaltsgeld nicht gezahlt werden könne.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat in Übereinstimmung mit dem SG die Auffassung vertreten, daß nach § 44 AFG ein Unterhaltsgeld nur für die Zeiten der Teilnahme an einer Maßnahme zu zahlen sei. Das LSG folgt dem SG auch insoweit, als es eine Umdeutung der Anträge auf Gewährung von Unterhaltsgeld in solche auf Gewährung von Arbeitslosengeld nicht für möglich hält. Es fehle hier an der für die Gewährung von Arbeitslosengeld erforderlichen Arbeitsbereitschaft, weil der Kläger geglaubt habe, er dürfe in der Zeit ab 1. April 1972 überhaupt nicht arbeiten. Im Gegensatz zum SG hat das LSG auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch verneint. Es hat die Auffassung vertreten, mit dem Antrag allein werde noch kein Versicherungs- oder Förderungsverhältnis nach den §§ 41 ff AFG begründet. Deshalb treffe das Arbeitsamt auch keine Pflicht, schon vor Beginn der Ansprüche dem Kläger Hinweise zu geben. Selbst wenn man aber eine solche Sorgfaltspflicht annehmen würde, so könne jedenfalls von der Beklagten nicht erwartet werden, daß sie die Teilnehmer an Maßnahmen ohne entsprechende Anfragen “spontan” über die Aussichten ihrer Anträge berate. Eine solche Verpflichtung sei auch mit den Verhältnissen einer modernen Massenverwaltung nicht vereinbar. Es könne allenfalls eine Pflicht bestehen, den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die klar zutage lägen und deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig erscheine, daß sie jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen werde. Von einer derartigen Offensichtlichkeit könne im vorliegenden Fall jedoch keine Rede sein. Im übrigen habe der Kläger nicht dargetan, wiese er durch die unterlassene Belehrung einen Schaden erlitten habe, da nach seinen eigenen Angaben eine Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses nur zum Quartalsende möglich gewesen wäre.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß es für den Beginn der Unterhaltsgeldzahlung nach § 44 AFG auf den rechtlichen und nicht auf den tatsächlichen Beginn der Maßnahme ankomme. Rechtlicher Beginn sei der vom Lehrgangsträger festgesetzte Zeitpunkt. Selbst wenn man dem aber nicht folgen wolle, so stehe ihm ein Schadensersatzanspruch zu. Aufgrund seiner Anträge sei es offensichtlich gewesen, daß die Zahlung von Unterhaltsgeld für die Zeit vom 1. bis 16. April 1972 möglicherweise nicht in Betracht kam. Dennoch habe der Sachbearbeiter des Arbeitsamtes versäumt, ihn auf diesen Umstand hinzuweisen und dafür Sorge zu tragen, daß er die Möglichkeit erhalten hätte, den Verdienstausfall zu vermeiden.

Der Kläger beantragt (sinngemäß)

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Zutreffend haben beide Vorinstanzen entschieden, daß dem Kläger ein Anspruch auf Unterhaltsgeld nach § 44 AFG nicht zusteht. Teilnahme an einer Maßnahme liegt regelmäßig nur dann vor, wenn der Teilnehmer durch die Maßnahme in Anspruch genommen und hierdurch an einer Erwerbstätigkeit gehindert ist. Es kann hier dahinstehen, ob die Verhinderung immer durch Unterrichtsveranstaltungen erfolgen muß. Jedenfalls muß es sich regelmäßig um dem Maßnahmeziel dienende Tätigkeiten handeln, die im Konzept für die Maßnahme vorgesehen sind. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sich der nach sachgerechten Gesichtspunkten festgesetzte Beginn der Unterrichtsveranstaltung aus Gründen verzögert, die der Teilnehmer nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1975 – 7 RAr 39/74 – die Ferienordnung des Landes Bayern betreffend).

Im vorliegenden Fall haben sich indessen keinerlei Anhaltspunkte ergeben, welche dafür sprechen könnten, den Maßnahmebeginn auf den 1. April 1972, den Vorlesungsbeginn jedoch erst auf den 17. April 1972 festzulegen. Wegen der üblichen Kündigungstermine zum 31. März war es sachgerecht, den Beginn der Maßnahme auf den 1. April 1972 festzusetzen. Von vornherein war aber eine vorlesungsfreie Zeit von 14 Tagen eingeplant, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt nach der Ferienordnung oder sonst wesentlichen Umständen mit den Vorlesungen hätte begonnen werden können. Auch haben die Vordergerichte keinerlei Gründe feststellen können, daß in diesen 14 Tagen etwa wesentliche, dem Maßnahmeziel dienende Vorbereitungen für den Lehrgang zu treffen waren. Damit sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Unterhaltsgeld nach § 44 AFG nicht gegeben.

Dem Kläger kann Unterhaltsgeld für die streitige Zeit auch nicht im Wege eines Schadensersatzanspruches zugebilligt werden. Vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kann im Hinblick auf die Vorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ein Schadensersatzanspruch nur verfolgt werden, wenn das Begehren sich auf eine Amtshandlung – hier einen Verwaltungsakt auf Leistung von Unterhaltsgeld – richtet (BSG, Urteil vom 18. Dezember 1975 – 12 RJ 88/75 – SozR 7610 § 242 Nr. 5). Soweit lediglich Entschädigung in Geld begehrt wird, ist allein der Rechtsweg zu den Gerichten der Zivilgerichtsbarkeit gegeben.

Die Voraussetzungen für einen sozialversicherungsrechtlichen Schadensersatzanspruch fehlen hier.

Allerdings ist dem LSG nicht in seiner Auffassung zu folgen, mit dem Antrag auf berufliche Bildungsförderung allein werde noch kein “Versicherungs- oder Förderungsverhältnis” begründet das das Arbeitsamt verpflichtet, dem Kläger Hinweise auf das für ihn zweckmäßigste Verhalten zu geben. Diese Auffassung widerspricht gefestigter Rechtsprechung. Bereits mit der Antragstellung wird ein Verwaltungsrechtsverhältnis (Sozialrechtsverhältnis) zwischen dem Sozialleistungsträger und dem Bürger mit gegenseitigen Rechten und Pflichten begründet (vgl. BSG SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO; BSG SozR Nr. 12 zu § 242 BGB; BSG SozR 7610 § 242 Nr. 5; Schellhorn in Burdenski/von Maydell/Schellhorn, SGB-AT § 14 Rz. 64). Es gehört zu den Pflichten der Sozialleistungsträger, den von ihnen zu betreuenden Bürgern zu den Rechten, insbesondere zu den Leistungen, zu verhelfen, die ihnen das Gesetz zugedacht hat (vgl. BSGE 32, 60, 66; 34, 124, 127; Bley, Gesamtkommentar, SGB-AT, Vorbem. 3b vor Art. I §§ 13 bis 15). Zu der aus dem zwischen den Beteiligten bestehenden Sozialrechtsverhältnis folgenden Beratungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger hätte es deshalb gehört, den Kläger darauf hinzuweisen, daß als Maßnahmebeginn – und damit als Beginn des Unterhaltsgeldes – nur der 17. April 1972 in Betracht kam. Dies gilt um so mehr, als es sich bei dem Arbeitsamt Ravensburg, bei dem der Kläger den Antrag gestellt hat, um das zuständige Maßnahme-Arbeitsamt handelt, dem alle Informationen über den Lehrgangsträger vorlagen. Diese Beratungspflicht entfiel auch nicht – wie das LSG angenommen hat –, weil der Bürger des sozialen Rechtsstaats mündig ist und deshalb in der Regel bei seiner Lebensgestaltung nicht des lenkenden Rats öffentlicher Stellen bedürfe. Mündigkeit des Bürgers bedeutet nämlich lediglich, daß der Bürger befähigt ist, selbst Entscheidungen zu treffen. Damit wird dem Bürger aber nicht Allwissenheit unterstellt. Es kann insbesondere daraus nicht der Schluß gezogen werden, der Bürger sei auch in der Lage, sich in einem so komplizierten Gebiet wie dem des Rechts zur Förderung der beruflichen Bildung ohne Beratung der zuständigen Behörden zurechtzufinden. Im Gegenteil, die Achtung vor der Mündigkeit des Bürgers setzt eine eingehende Information voraus, die ihn in die Lage versetzt, in Kenntnis aller Zusammenhänge eine freie selbstverantwortliche Entscheidung zu treffen. Dem hat der Gesetzgeber seit dem 1. Januar 1976 auch im allgemeinen Teil. des Sozialgesetzbuches (SGB-AT) in den Einweisungsvorschriften der §§ 18 bis 29 und den Regelungen über die Verpflichtung der Sozialleistungsträger zur Aufklärung der Bevölkerung (§ 13 SGB-AT) und durch den Anspruch des Bürgers auf individuelle Beratung (§ 14 SGB-AT) und Auskunft (§ 15 SGB-AT) ausdrücklich Rechnung getragen.

Das LSG kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf das Urteil des 3. Senats des BSG vom 22. Februar 1972 – 3 RK 56/70 (SozR Nr. 12 zu § 242 BGB) berufen. In dieser Entscheidung hat nämlich der 3. Senat nur die Notwendigkeit einer spontanen Betreuung des Bürgers verneint. Der 3. Senat hat ausdrücklich ausgeführt, der Versicherungsträger sei “ohne konkreten Anlaß, d.h. ohne einen vorausgegangenen Antrag oder eine an ihn gerichtete Anfrage, zu Belehrungen und Ratschlägen nicht verpflichtet”. Im vorliegenden Fall war aber ein konkreter Anlaß für die Beratung des Klägers, nämlich sein Antrag auf berufliche Bildungsförderung, gegeben.

Der Anspruch auf Schadensersatz durch einen Bescheid über die Gewährung von Unterhaltsgeld scheitert aber daran, daß die Verletzung der Beratungspflicht für den geltend gemachten Schaden nicht ursächlich war. Auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Beratungspflicht hätten nämlich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Unterhaltsgeld nicht geschaffen werden können. Unabhängig von dem, was der Kläger im Falle ordnungsgemäßer Belehrung unternommen hätte, würde der Anspruch auf Unterhaltsgeld in jedem Fall daran scheitern, daß der Kläger in der streitigen Zeit nicht Teilnehmer einer förderungsfähigen Maßnahme war. Ist aber somit die Verletzung der Beratungspflicht nicht ursächlich für die Ablehnung des Unterhaltsgeldes, kann ihm dieses auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Schadensersatzanspruchs durch Verwaltungsakt zugesprochen werden.

Der Kläger hätte die Möglichkeit gehabt, durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder einer Arbeitslosmeldung nebst Antrag auf Arbeitslosengeld zu versuchen, den finanziellen Schaden zu vermeiden oder zu verringern. Den insoweit etwa entstandenen Schaden kann der Kläger aber nicht im Rahmen dieses Verfahrens geltend machen. Es kann hier dahinstehen, ob der Kläger in der streitigen Zeit einen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld gehabt hat. Ein solcher Anspruch ist nämlich nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Der Streitgegenstand der hier erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) wird wesentlich durch den angefochtenen Verwaltungsakt in Gestalt des Widerspruchsbescheides bestimmt. Zwar wird mit dieser Klageart in Fällen wie dem vorliegenden kein neuer Verwaltungsakt, sondern unmittelbar eine Leistung begehrt. Das Urteil des Gerichts tritt aber insoweit nur an die Stelle des außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erforderlichen Bescheids des Sozialleistungsträgers. Es handelt sich deshalb auch bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG nicht schlechthin um eine Klage auf Geldleistung in bestimmter Höhe, sondern um die Gewährung einer durch Gesetz festgelegten, grundsätzlich durch Verwaltungsakt festzusetzenden Leistung. Diese mit dem Bescheid der Beklagten abgelehnte Leistung ist im vorliegenden Fall allein das Unterhaltegeld. Soweit der Kläger möglicherweise Schadensersatz durch Gewährung von Arbeitslosengeld begehren wollte, muß er dies zunächst bei dem zuständigen Arbeitsamt beantragen. Dies entspricht allein dem Grundsatz der Gewaltenteilung, demzufolge grundsätzlich der Behörde zunächst einmal Gelegenheit zur Entscheidung über einen geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Anspruch gegeben werden muß, bevor die Gerichte eine Entscheidung treffen können.

Nach allem kann somit die Revision des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Heußner, Dr. Friederichs, Dr. Gagel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI797051

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