Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung einer Witwerrente nach § 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) a.F.

 

Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Im Streit steht die Gewährung einer Witwerrente nach § 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) a.F.

Der 1912 geborene Kläger war seit 1962 mit der am 4. Februar 1981 verstorbenen Versicherten kinderlos verheiratet. Die Versicherte war bis zu ihrem Tode als Verwaltungsangestellte beschäftigt gewesen, ihr Arbeitseinkommen hatte zuletzt rund 1.930,-- DM netto im Monat betragen. Der Kläger bezieht seit 1975 Altersruhegeld, überdies eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG); sein monatliches Gesamteinkommen hieraus betrug Anfang 1981 rund 1.400,-- DM netto.

Aus Anlaß eines außerehelichen Verhältnisses des Klägers am Wohnort Adendorf bei Lüneburg verließ dieser Anfang 1979 die eheliche Wohnung und mietete sich in einem Zimmer in Berlin ein, wo er seinen ersten Wohnsitz begründete. In der ehelichen Wohnung hielt er sich in der Folgezeit nur noch kurzzeitig auf. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung trug seitdem jeder Ehepartner für sich; Unterhalt beanspruchte der Kläger nicht. Im Dezember 1980 beantragte die Versicherte beim Amtsgericht Lüneburg die Scheidung der Ehe mit der Begründung, daß sich der Kläger einer in der DDR lebenden Frau zugewandt habe. Um ihr die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen, sei auch ihm an einer schnellen Scheidung gelegen. Es bestehe Einigkeit, daß gegenseitige Unterhalts- und Zugewinnansprüche nicht bestünden; der Versorgungsausgleich solle ausgeschlossen werden. Diesem Vorbringen schloß sich der Kläger an.

Die Gewährung von Witwerrente lehnte die Beklagte im Bescheid vom 5. Juni 1981 ab, weil ein gemeinsamer Haushalt nicht mehr bestanden und der Kläger seinen Unterhalt selbst bestritten habe. Dagegen wandte der Kläger ein, er habe sich im Juli 1979 mit der Versicherten versöhnt gehabt. Die Scheidung sei später nur eingereicht worden, um einer Bekannten zur Ausreise aus der DDR zu verhelfen; deswegen sei er in Berlin geblieben.

Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben die Klage abgewiesen (Urteile vom 15. Oktober 1984 und 7. Februar 1986). Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 AVG sind nach der Ansicht des LSG nicht gegeben, weil die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes von Februar 1980 bis Februar 1981 mangels eines gemeinsamen Familienunterhaltes nicht überwiegend bestritten habe; die erforderliche Familieneinheit habe seit 1979 nicht bestanden. Die Ernsthaftigkeit der Scheidungsabsicht sei nicht entscheidend. Im Rahmen von § 43 Abs. 1 AVG komme es auf die inneren Motive für ein Getrenntleben nicht an; anders als in § 1367 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) müsse neben der objektiven Trennung nicht auch die innere Abkehr von der Ehe vorgelegen haben. Im Wege ergänzender Rechtsfindung bestehe ein Anspruch des Klägers ebenfalls nicht (Hinweis auf SozR Nr. 14 zu 5 1266 RVO).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beanstandet der Kläger eine Verletzung von § 43 Abs. 1 AVG sowie hilfsweise, daß diese und andere Vorschriften über Unterhaltsansprüche nicht entsprechend angewandt worden seien. Ein die Familieneinheit ausschließendes Getrenntleben habe nicht vorgelegen. Selbst wenn jedoch von einer Trennung i.S. des bürgerlichen Rechts auszugehen wäre, böten sich mit Hilfe von § 1361 BGB i.d.F. des Ehereformgesetzes oder durch Zurückverlegung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes in die Zeit vor Beginn des Getrenntlebens Lösungen an, die zur Gewährung der begehrten Leistung führten.

Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den streitigen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Witwerrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

II.

DieRevision des Klägers kann keinen Erfolg haben.

Nach dem hier noch anzuwendenden § 43 Abs. 1 AVG in der am 31. Dezember 1985 geltenden Fassung (Art 2 § 18a Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz) erhält Witwerrente der Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Hierzu hat der Senat am 5. Juli 1973 bereits entschieden, daß diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wenn die Eheleute dauernd getrennt gelebt haben und jeder Ehegatte seinen Lebensunterhalt selbst bestritten hat (SozR Nr. 14 zu § 1266 RVO). Ein solcher Fall ist auch hier gegeben.

Dagegen wendet der Kläger zu Unrecht ein, seit einer im Juli 1979 stattgefundenen Versöhnung seien das Getrenntleben beendet und die Lebensgemeinschaft wieder hergestellt gewesen; an diesem - inneren - Zustand habe die im Dezember 1980 eingereichte Scheidung nichts ändern sollen. Im Hinblick hierauf braucht der Senat nicht zu erörtern, ob die Nichtanwendung des § 43 Abs. 1 AVG beim Getrenntleben der Ehegatten ein den Merkmalen des § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechendes Getrenntleben voraussetzt, wie es in dem am 5. Juli 1973 entschiedenen Fall vorlag, oder ob, wie das LSG meint, eine "objektive Trennung" genügt. Denn im vorliegenden Falle sind, was entscheidend ist, jedenfalls seit der Einreichung der Scheidungsklage die in § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB geforderten Merkmale des Getrenntlebens erfüllt gewesen.

Nach dieser Vorschrift leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Ein dem entsprechender Zustand wurde hier durch die von der Versicherten erhobene Scheidungsklage eingeleitet. Damit hatte sie erkennbar dokumentiert, daß sie nicht (mehr) willens war, die eheliche Lebensgemeinschaft fortzusetzen, gleichviel, durch wen und seit wann sie aufgehoben und ob sie nach einer Aufhebung zeitweilig oder gar durchweg wieder aufgenommen worden war. Dem Scheidungsvorbringen, zwischen den Parteien bestünden keine Unterhalts - und Zugewinnansprüche und es sei beabsichtigt, den Versorgungsausgleich auszuschließen, hatte der Kläger sich nach den unwidersprochen gebliebenen tatsächlichen Feststellungen des LSG angeschlossen. Bei einer solcherart gestalteten Sachlage muß als erwiesen gelten, daß der Zustand des Getrenntlebens i.S. von § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB in jedem Falle eingetreten war. Selbst das Vorhandensein eines inneren Vorbehaltes, es nach der Ehescheidung nicht bei der Trennung belassen zu wollen, vermöchte daran nichts zu ändern.

Beim Getrenntleben auf den Zustand nach der Einreichung der Scheidungsklage bis zum Tode der Versicherten am 4. Februar 1981 abzustellen, wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das LSG den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand auf die Zeit von Februar 1980 bis Februar 1981, also zum Teil auch auf eine Zeit vor der Scheidungsklage festgesetzt hat. Die Formel von dem "letzten wirtschaftlichen Dauerzustand" ist von der Rechtsprechung entwickelt worden, um zu verhindern, daß im Todeszeitpunkt bestehende vorübergehende Besonderheiten in den Unterhaltsbeziehungen bei der Gewährung oder Versagung der Hinterbliebenenrenten den Ausschlag geben (SozR Nr. 22 zu § 1265 RVO). Dabei ist an die wirtschaftlichen Verhältnisse gedacht und dementsprechend auf den "wirtschaftlichen" Dauerzustand abgestellt worden. Da insoweit zur Zeit des Todes der Versicherten keine Besonderheiten bestanden, brauchte das LSG nicht bis zum Februar 1980 zurückzugreifen. Davon abgesehen müssen die der Formel vom letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zugrundeliegenden Gedanken aber auch dann zum Zuge kommen, wenn für andere veränderbare Verhältnisse ebenfalls der maßgebende Beurteilungszeitraum festgestellt werden muß. Dazu gehören im vorliegenden Fall die Fragen der Familieneinheit und des Getrenntlebens; auch hier ist der nicht nur zufällige letzte Zustand maßgebend, wie es vorliegend der Zustand nach der Einreichung der Scheidungsklage war.

Von der Erwägung ausgehend, daß beim Getrenntleben der Ehegatten der Tatbestand in § 43 Abs. 1 zweiter Halbsatz AVG ("den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten") nicht erfüllbar ist, hat der Senat in der Entscheidung vom 5. Juli 1973 insoweit eine Gesetzeslücke angenommen und dort zwei Möglichkeiten zu ihrer Schließung erwogen, wobei er die letztlich zu wählende offen lassen konnte. Das kann hier wiederum offen bleiben. Die in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten (SozR a.a.O.) würden voraussetzen, daß der Witwer von der Ehefrau entweder Unterhalt erhalten oder gegen sie einen Unterhaltsanspruch besessen hat; darüber hinaus bei einem nicht bestehenden Unterhaltsanspruch auch noch § 42 Abs. 1 Satz 2 AVG über § 43 Abs. 2 AVG jeweils entsprechend anzuwenden, muß dagegen ausscheiden, weil der genannte Satz 2 sich auf Situationen vor einer Ehescheidung nicht übertragen läßt. Im vorliegenden Falle steht jedoch fest, daß der Kläger in der maßgebenden Zeit ab der Einreichung, der Scheidungsklage von der Versicherten weder Unterhalt erhielt noch daß er gegen sie einen Unterhaltsanspruch besaß; dies ergibt sich schon daraus, daß sich beide Ehegatten damals darüber einig waren, daß gegenseitige Unterhaltsansprüche nicht bestünden.

Nach alledem war das Urteil des LSG zu bestätigen, das führte zur Zurückweisung der Revision.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518861

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