Leitsatz (amtlich)

Ein in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigter Spanier hat Anspruch auf das volle Kindergeld nach BKGG § 10 auch für den Monat, in dem seine Kinder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik begründen.

 

Normenkette

BKGG § 1 Nr 1, § 9 Abs 1, § 10; SozSichAbk ESP 2 Art 40 Abs 1 Nr 3 Fassung: 1973-12-04

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.08.1979; Aktenzeichen L 16 Ar 34/78)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.06.1978; Aktenzeichen S 23 Ar 192/76)

 

Tatbestand

Streitig ist, in welcher Höhe dem Kläger Kindergeld für den Monat August 1975 zusteht.

Der Kläger ist spanischer Staatsangehöriger. Er und seine beiden minderjährigen Kinder hielten sich im Januar 1975 in der Bundesrepublik auf. Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag vom 17. Oktober 1974 ab 1. Januar 1975 Kindergeld für seine beiden Kinder. Da die Kinder vom 9. Januar bis 4. August 1975 in Spanien waren, stellte die Beklagte die Zahlungen ab März 1975 ein.

Nach der Rückkehr der Kinder in die Bundesrepublik Deutschland am 5. August 1975 beantragte der Kläger, ihm erneut Kindergeld zu gewähren. Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab September 1975 Kindergeld (Bescheid vom 2. Dezember 1975). Von der Nachzahlung behielt sie 85,-- DM als für den Monat Februar 1975 überzahltes Kindergeld ein (Entziehungs- und Rückforderungsbescheid vom 9. Dezember 1975). Mit einer weiteren Entscheidung vom 25. Januar 1976 bewilligte sie ihm ferner Kindergeld für März bis August 1975 in Höhe von monatlich 35,-- DM, das sie in einem Betrag auszahlte. Unter dem 12. Februar 1976 unterrichtete die Beklagte den Kläger über die bisher getroffenen Entscheidungen. Am 27. Februar 1976 wandte sich der Kläger gegen die Höhe des Kindergeldes für den Monat August 1975 und forderte weitere 85,-- DM. Die Beklagte wies den "Widerspruch" mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1976 zurück: Nach dem deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen erhielten spanische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik für ihre im Heimatland lebenden Kinder 10,-- DM (für das erste Kind) und 25,-- DM (für das zweite Kind). Der Anspruch richte sich danach, wo die Kinder zu Beginn des Monats lebten, in dem sie ihren Aufenthaltsort gewechselt hätten.

Das Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für August 1975 weitere 85,-- DM Kindergeld zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 19. Juni 1978). Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 9. August 1979).

Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 9, 10 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) und des Art 40 des deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommens.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land

Nordrhein-Westfalen vom 9. August 1979 und

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom

19. Juni 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Der Kläger hat für seine beiden Kinder, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, für den hier allein streitigen Monat August 1975 Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG in Höhe von 120,-- DM (§ 10 BKGG).

Nach den nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hielten sich die beiden minderjährigen Kinder des Klägers, der spanischer Staatsangehöriger ist, im Januar 1975 in der Bundesrepublik Deutschland bei dem Kläger auf. Nach einem Aufenthalt in Spanien vom 9. Januar bis 4. August 1975 waren sie am 5. August 1975 in den Haushalt des Klägers in der Bundesrepublik zurückgekehrt. Sowohl der Kläger als auch seine beiden Kinder hatten, wie die Beklagte nicht bezweifelt, im August 1975 (die Kinder seit dem 5. August) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG. Damit hatte der Kläger Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG (§§ 1 Nr 1a; 2 Abs 5 BKGG). Da das Kindergeld vom Beginn des Monats an gewährt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 9 Abs 1 BKGG) und das Kindergeld im August 1975 für das erste Kind 50,-- und das zweite Kind 70,-- DM monatlich betrug (§ 10 BKGG idF der Bekanntmachung vom 31. Januar 1975 (BGBl I S 412), hatte der Kläger für August 1975 Anspruch auf Kindergeld in Höhe von 120,-- DM. Weder die Staatsangehörigkeit des Berechtigten noch seiner zu berücksichtigenden Kinder sind für den Kindergeldanspruch nach dem BKGG rechtlich von Bedeutung. Maßgebend ist für beide nur der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt. Hätten sich die Kinder des Klägers nur vorübergehend in Spanien aufgehalten und wäre deshalb ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt bei dem Kläger in der Bundesrepublik aufrecht erhalten geblieben, so würde der Kindergeldanspruch des Klägers in der vollen Höhe des § 10 BKGG auch für August 1975 nicht beeinträchtigt. Hierzu hat das LSG aber keine Feststellungen getroffen.

Diesem Anspruch stünde es aber auch nicht entgegen, wenn die Kinder erst am 5. August 1975 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (wieder) in der Bundesrepublik begründet hätten. Das damals noch geltende Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem spanischen Staat über soziale Sicherheit vom 29. Oktober 1959 (BGBl II 1961, 599) insbesondere in der Fassung des zum 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Dritten Änderungsabkommens vom 12. Juli 1974 (BGBl II 1975, 377) - vgl Art 3 Abs 2 des 3. Änderungsabkommens - (Abkommen) enthält insoweit keine einschränkenden Regelungen. Art 40 Abs 1 Nr 2 des Abkommens bestimmt ua abweichend von Art 5, wonach bei der Abhängigkeit von Ansprüchen von dem Aufenthalt im Inland der Aufenthalt im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates dem Inlandsaufenthalt gleichsteht, für die Gewährung von Familienleistungen: "Sehen die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates Familienleistungen zugunsten von Angehörigen vor, die sich im Hoheitsgebiet dieses Staates gewöhnlich aufhalten, so werden diese Leistungen zugunsten von Angehörigen, die sich im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten, nur gewährt, soweit es sich um Angehörige von Personen handelt, die a) als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet des ersten Vertragsstaates beschäftigt sind oder ...". Nr 3 aaO bestimmt weiter: "Ist in den Fällen der Nummer 2 der deutsche Träger zuständiger Träger für die Gewährung der Familienleistungen, so beträgt die Leistung monatlich für das erste Kind 10,-- DM, für das zweite Kind 25,-- DM ...". Mit dieser Fassung des Art 40 durch das 3. Ergänzungsabkommen sollte die seit dem 1. Januar 1975 geltende Kindergeldregelung in das Abkommen eingefügt werden (BT-Drucks 8/171). Der Kreis der nach dem BKGG zu berücksichtigenden Kinder ist damit unter anderen für in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte spanische Staatsangehörige abweichend von § 2 Abs 5 BKGG auch um die Kinder erweitert worden, die in Spanien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Abweichend von § 10 BKGG richtet sich die Höhe des Kindergeldes seit dem 1. Januar 1975 nach Art 40 Abs 1 Nr 3 des Abkommens. Weitere Modifikationen oder Einschränkungen des Kindergeldanspruches nach dem BKGG, soweit sie hier bedeutsam sein könnten, enthalten weder das Abkommen noch die zugehörigen Zusatzvereinbarungen oder Schlußprotokolle.

Zudem ergibt sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus der erkennbaren Zielsetzung des Abkommens etwas anderes. Art 40 des Abkommens ist zwar, bevor er die seit dem 1. Januar 1975 geltende Fassung erhielt, mehrfach geändert worden. Unverändert geblieben ist Abs 1 Nr 2, der die Gewährung von Familienleistungen zugunsten von Angehörigen, die sich im anderen Vertragsstaat aufhalten, betrifft. Ursprünglich enthielt das Abkommen insoweit keine die Höhe des Anspruches betreffende abweichende Regelung gegenüber dem bundesdeutschen Kindergeldrecht, beschränkte jedoch die Bezugsdauer zunächst auf zwei, höchstens drei Jahre (Art 40 Abs 1 Nr 3). Diese Frist wurde im 1. Änderungsabkommen auf sechs und sieben Jahre verlängert und fiel nach dem 2. Änderungsabkommen ganz weg. Erst nachdem das bundesdeutsche Kindergeldrecht ab 1. Januar 1975 grundlegend geändert worden war, wurde die jetzt noch geltende Fassung des Art 40 Abs 1 Nr 3 eingefügt. Der Kindergeldanspruch ist danach weiterhin zeitlich unbegrenzt, weicht jedoch der Höhe nach vom deutschen Kindergeld ab.

Die hier streitige Frage der Höhe des Kindergeldes für den Monat August 1975 betrifft nicht das Zusammentreffen von Ansprüchen für einen bestimmten Zeitraum gegenüber zwei Vertragsstaaten (so etwa Art 10 Abs 2 Buchst d der EWG-Verordnung 574/72; Art 27 Abs 5 des deutsch-portugiesischen Abkommens; oder etwa Art 28 Abs 5 des deutsch-jugoslawischen Abkommens). Der Anspruch des Klägers richtet sich allein gegen den deutschen Träger. Dieser ist nach Art 40 des Abkommens leistungspflichtig. Mögliche Ansprüche gegen den spanischen Sozialversicherungsträger werden hier nicht berührt. Im übrigen enthält das deutsch-spanische Abkommen keine Regelungen für Fälle, in denen dieselbe Person während desselben Monats nacheinander sowohl in der Bundesrepublik als auch in Spanien die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Ein spanischer Staatsangehöriger, der in der Bundesrepublik eine Beschäftigung aufnimmt, hat daher Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht für den vollen Monat (vgl den Runderlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit 375/74 Nr 113.3). Auch in Fällen der hier streitigen Art bestimmt sich daher der Kindergeldanspruch nach deutschem Recht, dh sein Beginn richtet sich nach § 9 Abs 1 BKGG. Ein spanischer Arbeitnehmer, der in der Bundesrepublik Deutschland seinen Wohnsitz hat, hat daher Anspruch für den vollen Monat, in dem seine Kinder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben in Höhe des § 10 BKGG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1655134

Breith. 1981, 544

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge