Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung bei Identität des Streitgegenstandes. Erstattungsanspruch. notwendige Beiladung des Verletzten. Unfallversicherungsschutz bei Feuerwehrübung

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG sind Dritte beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies setzt die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis beider Parteien (Klägerin und Beklagter) und dem Dritten voraus.

 

Orientierungssatz

1. Die Entscheidung über den Anspruch der Krankenkasse gegen den Unfallversicherungsträger nach § 105 SGB 10 auf Erstattung der Kosten der Krankenhausbehandlung des Verletzten, die die Krankenkasse im Rahmen der Familienkrankenhilfe (§ 205 RVO) erbracht hat, greift in die Rechtssphäre des Verletzten nicht unmittelbar ein. Dies ist auch nicht dadurch der Fall, daß der beklagte Unfallversicherungsträger hilfsweise den Antrag stellt festzustellen, daß die beigeladene Berufsgenossenschaft der für die Entschädigung des Unfalls zuständigen Versicherungsträger ist.

2. Auch Helfer, deren Hilfe den Zwecken der Feuerwehr(-übung) dient, sind nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO gegen Arbeitsunfall versichert; ob sie sich selbst einer entsprechenden Ausbildung mit unterziehen, ist nicht erheblich.

3. Internatsschüler, die im Rahmen einer Feuerwehrübung von der Feuerwehr aus dem Gebäude des Kinder- und Jugendheimes gerettet werden sollen, üben dabei eine den Zwecken der Feuerwehr dienende Tätigkeit aus.

 

Normenkette

SGB 10 § 105; RVO § 539 Abs. 1 Nr. 8; SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 10.10.1984; Aktenzeichen L 3 U 4/84)

SG Speyer (Entscheidung vom 07.10.1981; Aktenzeichen S 2 U 123/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin fordert von dem Beklagten Ersatz ihrer Aufwendungen in Höhe von 1.940,40 DM für die stationäre Behandlung des Internatsschülers B. (B.) vom 27. Mai bis 6. Juni 1978 im Kreiskrankenhaus C. . Dort war der Schüler eingewiesen worden, weil er Rauchpatronendämpfe eingeatmet hatte. Der Vater von B. ist bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versichert.

B. besuchte die M.-S. in C.-S. und wohnte an diesem Ort im Evangelischen Kinder- und Jugendheim e.V. Das Gebäude, in dem B. mit seiner Gruppe wohnte, wurde von der Freiwilligen Feuerwehr-C. , Abteilung S., am 27. Mai 1978 (Sonnabend) für ihre Frühjahrs-Hauptübung benutzt. Aufgrund der Planung der Übung wurde angenommen, daß im Kinder- und Jugendheim ein Brand ausgebrochen und die zum ersten Stock führende Treppe wegen starker Rauchentwicklung und Atemgiften nicht mehr begehbar sei. Achtzehn Kinder, die im ersten Stock verblieben seien, schrieen um Hilfe; eine Panik sei ausgebrochen. Die Internatsschüler waren durch den damaligen Heimleiter K. über den Gruppenerzieher S. angewiesen worden, sich für eine Rettungsübung in ihren Gruppenzimmern aufzuhalten. Sie sollten während der Übung die Fenster nicht öffnen. Im Verlauf der Übung wurden nach Angaben von B. an der Hauswand befestigte Rauchpatronen vom Zimmer aus gezündet. Dabei drang Rauch in das Zimmer. Da B. Beschwerden äußerte, wurde er in das Kreiskrankenhaus C. eingewiesen. Der Beklagte lehnte die Übernahme der durch die Behandlung des B. entstandenen Kosten ab.

Das Sozialgericht (SG) Speyer hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, der Klägerin die Aufwendungen für die Heilbehandlung des B. aus Anlaß des Arbeitsunfalls des B. vom 27. Mai 1978 in Höhe von 1.940,40 DM zu erstatten (Urteil vom 7. Oktober 1981). Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurückgewiesen (Urteil vom 18. August 1982 - L 3 U 208/81). Auf die Revision des Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Urteil vom 8. Dezember 1983 - 2 RU 63/82). Nach Beiladung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege hat die Klägerin beantragt, den Beklagten, hilfsweise die Beigeladene zur Erstattung von 1.940,40 DM zu verurteilen. Das LSG hat die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen (Urteil vom 10. Oktober 1984). B. sei, als er am 27. Mai 1978 die im Krankenhaus C. festgestellte Rauchvergiftung erlitten habe, als Teilnehmer einer Ausbildungsveranstaltung der Freiwilligen Feuerwehr C. , Abteilung S., als ein zur Hilfe bei Unglücksfällen zuständiges Unternehmen gemäß § 539 Abs 1 Nr 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen. Die Übung, die am Kinder- und Jugendheim durchgeführt worden sei, habe nicht dem Heim, sondern dem Unternehmen Feuerwehr gedient. Die zu rettenden Kinder, darunter B., seien als Teilnehmer der Übung und nicht wie Beschäftigte des Kinder- und Jugendheimes tätig gewesen. Ein Versicherungsschutz des B. als Schüler einer allgemeinbildenden Schule nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO sei nicht gegeben, da die Rolle als Katastrophenopfer nicht für die Schule, sondern für die Feuerwehr gespielt worden sei. Der Beklagte sei daher zu Recht verurteilt worden, der Klägerin Ersatz zu leisten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG hätte den Internatsschüler B. gemäß § 75 Abs 2 Alternative 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Verfahren beiladen müssen. Im vorliegenden Fall handele es sich nicht nur um einen Streit über den Ersatzanspruch zwischen zwei Sozialversicherungsträgern, sondern, nach Beiladung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, gleichzeitig um einen Zuständigkeitsstreit zwischen zwei Unfallversicherungsträgern. Das LSG habe auch seine ihm nach § 103 SGG obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt. Es habe nicht geklärt, ob derjenige, der die Jugendlichen angewiesen hatte, bei der Feuerwehrübung in ihren Zimmern zu bleiben, diese auch darüber informiert habe, daß die Feuerwehr eine Rettungsübung durchführe. Das LSG habe eine entsprechende Information der Schüler zwar unterstellt und sich dabei auf die schriftliche Auskunft des Sprachheilzentrums C.-S. vom 20. März 1984 gestützt. Es hätte sich jedoch gedrängt fühlen müssen, den Feuerwehrkommandanten G., den Gruppenleiter S., den Heimleiter K. und den Schüler B. vor dem Senat zu vernehmen. Dann hätte auch der Widerspruch zwischen dem Inhalt der Auskunft vom 20. März 1984 und der von dem Feuerwehrkommandanten G. unterschriebenen Anlage zu dieser Auskunft geklärt werden können. In der Auskunft vom 20. März 1984 heiße es, daß die Unterführer und Mannschaften über das Brandobjekt und die Brandannahme nicht Bescheid wüßten, während in der Auskunft selbst gesagt wird, die Kinder hätten gewußt, daß eine Feuerwehrübung stattfinden würde. Das LSG habe den unfallbedingten Aufenthalt des B. im Kinder- und Jugendheim dem Unternehmen der Feuerwehr zugerechnet, ohne zu klären, ob B. überhaupt gewußt habe, daß er an einer Rettungsübung mitwirken sollte. Das LSG habe durch Verstoß gegen die Denkgesetze auch § 128 SGG verletzt. Es sei mit den Gesetzen der Logik nicht vereinbar, wenn das LSG hypothetisch annehme, daß bei einer Schulübung nicht unter derart wirklichkeitsnahen und damit nicht ungefährlichen Bedingungen von der Feuerwehr geübt worden wäre, obwohl sich aus einem von ihm vorgelegten Zeitungsausschnitt ergebe, daß auch Schulübungen unter derart wirklichkeitsnahen und nicht ungefährlichen Bedingungen durchgeführt würden. Ein weiterer denkgesetzlicher Verstoß liege darin, daß das LSG zwar eine Anordnung des Heimleiters K. gegenüber den Schülern als bewiesen ansehe, diese Anweisung aber der Feuerwehr zurechne. Der Feuerwehrkommandant G. habe zudem in einem Schreiben vom 9. Oktober 1979 angeführt, daß B. am Unfalltag nicht im Auftrag der Feuerwehr tätig geworden sei. In sachlich-rechtlicher Hinsicht werde darauf verwiesen, daß der Gruppenleiter S. die Schüler angewiesen gehabt habe, in ihren Zimmern zu bleiben und das Fenster nicht zu öffnen. Das reiche bereits für die Feststellung aus, daß die Tätigkeit bzw das Verhalten der Kinder dem Unternehmen des Kinder- und Jugendheimes gedient habe. B. sei somit nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 RVO wie ein Beschäftigter des Kinder- und Jugendheimes tätig geworden. Daraus ergebe sich die Zuständigkeit der Beigeladenen. Ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO scheide aus. Auch ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO komme nicht in Betracht. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß die Teilnahme des B. an der Feuerwehrübung von der Schule getragen worden sei. Die Übung habe außerhalb des schulischen Bereichs und außerhalb der Schulzeit stattgefunden.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 10. Oktober 1984 und das Urteil des SG Speyer vom 7. Oktober 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, hilfsweise unter Aufhebung des Urteils des LSG Rheinland-Pfalz vom 10. Oktober 1984 und des SG Speyer vom 7. Oktober 1981 festzustellen, daß die Beigeladene für die Entschädigung des Unfalls vom vom 27. Mai 1978 der zuständige Versicherungsträger ist.

Die Klägerin beantragt, das Land Baden-Württemberg, hilfsweise die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zu verurteilen, ihr die Kosten aus Anlaß des Ereignisses vom 27. Mai 1978 in Höhe von 1.940,40 DM zu erstatten.

Die Beigeladene beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie trägt vor, daß sie für die Entschädigung des Unfalls des B. vom 27. Mai 1978 nicht zuständig sei. Der bloße Aufenthalt des B. im Kinderheim habe nicht den Versicherungsschutz zur Folge. Die Teilnahme an der Feuerwehrübung habe nicht im Interesse des Kinder- und Jugendheimes gelegen. Das LSG habe diese im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.

Bei einer zugelassenen Revision ist von Amts wegen zu prüfen, ob eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG unterlassen worden ist (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1). Der Internatsschüler B. brauchte zum Verfahren nicht beigeladen zu werden. Nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG sind Dritte beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies setzt die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis beider Parteien (Klägerin und Beklagter) und dem Dritten (Internatsschüler B.) voraus (BSG Beschluß vom 30. November 1982 - 2 BU 73/82; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 75 Anm 10). Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten der Krankenhausbehandlung des B. in Höhe von 1.940,40 DM, die die Klägerin im Rahmen der Familienkrankenhilfe (§ 205 RVO) erbracht hat. Die Entscheidung hierüber greift in die Rechtssphäre des B. nicht unmittelbar ein. Dies ist auch nicht dadurch der Fall, daß der Beklagte ua hilfsweise den Antrag stellt festzustellen, daß die Beigeladene der für die Entschädigung des Unfalls vom 27. Mai 1978 zuständige Versicherungsträger ist. Der Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers (§ 55 Abs 1 Nr 2 SGG) kommt keine selbständige Bedeutung zu. Sie ist lediglich Vorfrage für den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch. Die Rechtssphäre des Internatsschülers B. wäre allenfalls dann von der Entscheidung der Zuständigkeitsfrage berührt, wenn B. selbst Ansprüche auf Entschädigung von Folgen des Unfalls vom 27. Mai 1978 geltend gemacht hätte und daher ein eigenes Interesse daran haben würde festzustellen, welcher Versicherungsträger ihm Leistungen zu erbringen hat. Insoweit ist weder den Akten etwas zu entnehmen, noch hat der Beklagte entsprechendes vorgetragen. Daraus ergibt sich zugleich, daß auch der Beklagte kein begründetes Interesse an der selbständigen Feststellung des leistungspflichtigen Versicherungsträgers hat (vgl BSG Urteil vom 13. Dezember 1984 - 2 RU 47/84).

Der Erstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus den §§ 87 ff des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X), und zwar aus § 105 SGB X. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne daß er vorleistungspflichtig gewesen wäre (§ 102 Abs 1 SGB X), ist der zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig (§ 105 Abs 1 SGB X). Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 105 Abs 2 SGB X). Die Klägerin hatte für den Internatsschüler B. aus Anlaß des Unfalls vom 27. Mai 1978 Familienkrankenhauspflege gewährt, ohne dazu gegenüber dem Beklagten vorrangig verpflichtet gewesen zu sein. Leistungspflichtig war der Beklagte, da B. am 27. Mai 1978 einen Arbeitsunfall erlitten hatte, für dessen Folgen ihm von dem Beklagten Krankenhauspflege zu gewähren war.

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG geht hervor, daß die Freiwillige Feuerwehr C. , Abteilung S., ihre Frühjahrshauptübung unter Einbeziehung des Evangelischen Kinder- und Jugendheimes S. durchzuführen geplant hatte. Sowohl aus der Beilage zur Unfallanzeige vom 8. Dezember 1978, als auch aus der Anlage zu der vom LSG eingeholten Auskunft des Sprachheilzentrums C. -S. vom 20. März 1984 lassen sich die Einzelheiten über die Gestaltung der Feuerwehrübung ersehen. Im Kinder- und Jugendheim sollte der Ausbruch eines Brandes angenommen werden, der Teppichboden, Wandverschalung, Holzdecke und Möbeleinrichtung ergriffen und starke Rauchentwicklung sowie Ausbreitung von Atemgiften zur Folge hatte. Das Treppenhaus sollte wegen des Brandes unpassierbar sein. Im oberen Stockwerk sollten sich achtzehn Kinder schreiend und in Panik befindlich aufhalten. Um die Übung realitätsnah zu gestalten und der Feuerwehr das Brandobjekt erkennbar zu machen, sollten an den Außenwänden des Gebäudes Rauchpatronen gezündet werden. Nach der Auskunft vom 20. März 1984 fand die Feuerwehrübung im Einvernehmen mit dem Kinder- und Jugendheim statt. Die Kinder, unter denen sich auch B. befand, waren über die Feuerwehrübung von dem Gruppenerzieher S. unterrichtet und durch den Heimleiter K. über den Gruppenerzieher S. angewiesen worden, sich für die Rettungsübung in ihrer Gruppe aufzuhalten. Die Rettung von Menschenleben war nach der Planung ein wesentlicher Gegenstand der Feuerwehrübung. Die bezüglich dieses Sachverhalts von dem Beklagten vorgetragenen Rügen von Verfahrensverstößen erachtet der erkennende Senat nicht für durchgreifend (§ 170 Abs 3 Satz 1 SGG).

Hiernach erscheint die entsprechend der Planung am 27. Mai 1978 durchgeführte Feuerwehrübung als eine ausschließlich oder doch ganz überwiegend den Interessen der Feuerwehr dienende Veranstaltung zur Überprüfung der Einsatzbereitschaft und des Ausbildungsstandes der Feuerwehr und ihrer Inübunghaltung (eine Übung wie im Ernstfall, vgl Anlage zur Auskunft vom 20. März 1984). Das Kinder- und Jugendheim war Objekt der Übung. Es sollten durch die Übung nicht Einrichtungen des Kinder- und Jugendheimes bezüglich des Brandschutzes im Gebäude geprüft werden, denn die Übung ging von vornherein von der Annahme einer bestimmten Situation aus, die die "Rettung" von achtzehn Kindern vorsah, denen die Flucht vor dem Feuer aus einem oberen Stockwerk nicht gelungen war. Der Feuerwehr war die Aufgabe gestellt, hierbei unter Einsatz von Atemschutzträgern und Löschschaum vorzugehen. Die Leitung des Kinder- und Jugendheimes hatte der Nutzung ihres Gebäudes als Objekt für die Übung der Feuerwehr zugestimmt und gleichzeitig achtzehn Kinder, unter denen sich B. befand, zur Darstellung der durch das Feuer eingeschlossenen und daher vordringlich zu rettenden Personen zur Verfügung gestellt. Diese Kinder dienten damit den Zwecken der Feuerwehr für deren realitätsnaher Übung und nicht dem Kinder- und Jugendheim und schon gar nicht der damals noch bestehenden M.-S..

Wie das LSG ist daher auch der erkennende Senat der Auffassung, daß der Internatsschüler zur Zeit des Unfalls am 27. Mai 1978 - ausschließlich - nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO gegen Arbeitsunfall versichert war. Gemäß dieser Vorschrift sind die in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen sowie die Teilnehmer an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der Lehrenden gegen Arbeitsunfall versichert.

Daß eine freiwillige Feuerwehr ein Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen ist, auch wenn deren Träger ein Land oder eine Gemeinde ist (§ 655 Abs 2 Nr 1, § 656 Abs 4 RVO), bedarf keiner näheren Darlegung (s BSGE 38, 21, 26). Versichert sind nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO alle Personen - nicht nur die Angehörigen der freiwilligen Feuerwehr -, die eine den Zwecken der Feuerwehr dienende Tätigkeit ausüben. Versicherungsschutz ist daher nicht nur bei der Brandbekämpfung, sondern zB auch bei Übungen und Vorführungen der Feuerwehr für die dabei Tätigen gegeben (vgl BSG Urteil vom 28. Oktober 1966 - 2 RU 92/63; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 52). Tätig bei Übungen und Vorführungen der Feuerwehr sind aber nicht nur die Übenden selbst, sondern auch freiwillige Helfer oder Helfer, die von der Feuerwehr im Rahmen einer Übung zur Hilfe für die Übenden angefordert worden sind. Der Senat hält daher die Auffassung für gerechtfertigt, daß auch Helfer der hier gemeinten Art, deren Hilfe den Zwecken der Feuerwehr(-Übung) dient, nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO gegen Arbeitsunfall versichert sind; ob sie sich selbst einer entsprechenden Ausbildung mit unterziehen, ist nicht erheblich. Der jetzt nicht mehr für Angelegenheiten der Unfallversicherung zuständige 8. Senat des BSG hat zwar die Teilnehmer an einer Jugendschwimmstunde der Nichtschwimmergruppe der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) als nicht versichert angesehen (BSGE SozR 2200 § 539 Nr 75). Dieses Urteil erging jedoch nicht zum Versicherungsschutz von Helfern bei einer Übung oder Vorführung der DLRG, sondern zur Frage, ob die Teilnehmer an einem Anfänger-Schwimmkurs der DLRG den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 8 iVm § 548 RVO genießen. Dies hat der 8. Senat des BSG verneint. Das Urteil betraf nicht den mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt, daß ein Nichtschwimmer bei einer Übung der DLRG als zu rettende Person mitwirkte und dabei verunglückte.

Die Kinder, unter ihnen B., die im Rahmen der Feuerwehrübung am 27. Mai 1978 von der Feuerwehr aus dem Gebäude des Kinder- und Jugendheimes gerettet werden sollten, übten dabei eine den Zwecken der Feuerwehr dienende Tätigkeit aus. Ob diese Rechtsauffassung mit der vom LSG zitierten Entscheidung des Bayerischen LSG vom 14. Februar 1969 (Lauterbach-Kartei Nr 7465 zu § 539 Abs 1 Nr 9 RVO) übereinstimmt, kann dahingestellt bleiben. Das Bayerische LSG hat eine Hilfe bei einer Diensthandlung iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst b RVO bei einer Patientin verneint, die auf Veranlassung eines Dozenten einer Universitätsklinik bei einer Demonstration ihrer körperlichen Veränderungen im Hörsaal der Universität mitgewirkt hatte und auf dem Rückweg in ihr Krankenzimmer verunglückt war. Die Patientin sei nicht aktiv, dh durch den Einsatz körperlicher Kräfte oder geistiger Leistung tätig gewesen. Sie habe sich rein passiv verhalten, indem sie sich den Hörern der Vorlesung des Dozenten habe vorstellen und dabei ihre krankhafte Erscheinung - ein Muttermal - habe vorzeigen lassen. Von § 539 Abs 1 Nr 8 RVO wird ein aktives Verhalten nicht verlangt. Entscheidend ist, daß jemand in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen eine den Zwecken des Unternehmens dienende Tätigkeit ausübt. Eine solche Tätigkeit kann auch ein Warten auf Rettung im Rahmen einer Feuerwehrübung sein. Überdies sollten die sich weisungsgemäß im Kinder- und Jugendheim aufhaltenden Kinder für die Feuerwehr schreiende und in Panik befindliche Kinder darstellen, was wohl auch mit körperlicher Aktivität verbunden ist. Nach alledem war B. zur Zeit des Unfalls nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO versichert und der dabei erlittene Unfall gemäß § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Arbeitsunfall.

Ein Versicherungsschutz auch nach anderen von den Beteiligten erwähnten Vorschriften ist nach Lage der Sache nicht gegeben gewesen. Als Schüler der M.-S. war B. zur Zeit des Unfalls nicht versichert. Anders als noch im ersten Revisionsverfahren besteht nach der dem LSG erteilten Auskunft vom 20. März 1984 kein Anhalt dafür, daß B. bei der Feuerwehrübung innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule tätig geworden ist (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO). Er übte auch nicht eine Tätigkeit als Beschäftigter des Kinder- und Jugendheimes (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) oder wie ein solcher Beschäftigter (§ 539 Abs 2 RVO) aus. B. war, wie es der Beklagte in der Revisionsbegründung etwas überspitzt, aber zutreffend ausdrückt, als eine Art Leihperson der Feuerwehr für die Übung im Kinder- und Jugendheim zur Verfügung gestellt worden. Unter diesen Umständen bedarf es nicht der Entscheidung, ob § 539 Abs 1 Nr 8 RVO gegenüber § 539 Abs 1 Nr 1 und auch iVm Abs 2 RVO nachrangig gilt.

Der Beklagte ist gemäß § 655 Abs 2 Nr 1 RVO der für die Entschädigung von Arbeitsunfällen, die nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO Versicherte erleiden, zuständige Unfallversicherungsträger. Da über den ursächlichen Zusammenhang der Gesundheitsschädigung des B., die die von der Klägerin aufgewandten Kosten verursacht hat, mit der Feuerwehrübung kein Streit besteht, ist der Beklagte zu Recht verurteilt worden, der Klägerin 1.940,40 DM zu erstatten; Kosten in dieser Höhe hätte der Beklagte für die Krankenhausbehandlung des B. gleichfalls aufzuwenden gehabt.

Die Revision des Beklagten mußte daher zurückgewiesen werden.

Eine Kostenentscheidung entfällt (§ 193 Abs 4 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665432

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