Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfall bei körperlicher Reinigung im Krankenhaus. Gefahrenmomente des Krankenhauses. Versicherungsschutz bei stationärer Behandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Versicherungsschutz bei der stationären Behandlung ist dadurch begründet, daß der Versicherte sich in eine besondere Einrichtung begeben muß und damit den mit der fremden Umgebung verbundenen besonderen Risiken ausgesetzt ist. Der nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 RVO erforderliche - ursächliche - Zusammenhang zwischen dem Unfall und der stationären Behandlung ist nicht schon wegen eines örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit der stationären Behandlung unabhängig davon gegeben, bei welcher Betätigung sich der Unfall ereignet hat.

 

Orientierungssatz

Bei Verrichtungen, die wesentlich allein den von der stationären Behandlung unabhängigen privaten Interessen des Versicherten dienen, besteht nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO kein Versicherungsschutz (vgl BSG 12.7.1979 2 RU 27/79 = USK 79245). Hierzu gehört zB die übliche körperliche Reinigung nach dem Aufstehen im Anschluß an die Nachtruhe. Jedoch ist der Versicherungsschutz auch bei privaten Verrichtungen während der stationären Behandlung gegeben, wenn für den Unfall besondere, mit dem fremden Aufenthalt verbundene Gefahrenmomente wirksam geworden sind (vgl BSG 29.1.1986 9b RU 18/85 = HV-INFO 1986, 490).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a, § 548 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Entscheidung vom 30.01.1985; Aktenzeichen 25 U 229/83)

 

Tatbestand

Die im Jahre 1906 geborene (am 29. März 1982 gestorbene) Frau E G war als Rentnerin bei der Klägerin gegen Krankheit versichert. Vom 14. Dezember 1981 an befand sie sich wegen Erkrankungen der Atmungsorgane und des Herzens auf Kosten der Klägerin zur stationären Behandlung in einem Krankenhaus. Am 10. Februar 1982 um 06.09 Uhr erlitt sie in ihrem Krankenzimmer einen Unfall, als sie sich beim Abtrocknen ihrer Füße am Waschbecken festhielt, mit der Hand abrutschte und vor dem Waschbecken zu Boden fiel. Dadurch zog sie sich eine Schenkelhalsfraktur links zu. Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung der Krankenhauskosten für die Behandlung dieser Verletzungsfolgen vom 11. Februar bis zum 23. März 1982 in Höhe von 9.708,80 DM mit der Begründung, der Unfall der Verletzten sei ein Arbeitsunfall gewesen (§ 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 der Reichsversicherungsordnung -RVO-).

Die Beklagte lehnte es ab, Ersatz zu leisten, da sich der Unfall nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang mit dem Aufenthalt in der Behandlungsstätte oder mit der Mitarbeit des Patienten an der Heilbehandlung ereignet habe (Schreiben vom 13. Oktober 1982 und 31. Januar 1983).

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Beklagte dem Antrag der Klägerin entsprechend zur Erstattung von 9.708,80 DM verurteilt (Urteil vom 30. Januar 1985). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die Versicherte sei zwar nicht einer mit dem Krankenhausaufenthalt verbundenen besonderen Gefahr erlegen, da das Waschbecken in normaler Höhe angebracht gewesen sei. Da jedoch die stationäre Behandlung ausschließlich außerhalb des häuslichen Bereichs stattfinde, würden lebensnotwendige und lebenswichtige Verrichtungen wie zB Nahrungsaufnahme und körperliche Reinigung auch durch den Aufenthalt im Krankenhaus wesentlich mitbedingt. Darüber hinaus dienten sie außer dem persönlichen Bedürfnis des Versicherten auch einer sinnvollen Behandlung und ließen sich davon nicht trennen. Die körperliche Reinigung der Versicherten, die auch das Trocknen der Füße vor dem Waschbecken und das Festhalten daran mit umfasse, sei der stationären Behandlung iS des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO zuzuordnen. Der hierbei eingetretene Sturz sei daher ein Arbeitsunfall.

Das SG hat auf Antrag der Beklagten mit Zustimmung der Klägerin durch Beschluß vom 17. April 1985 die Revision zugelassen.

Die Beklagte vertritt mit der Revision weiterhin die Auffassung, das morgendliche Waschen nach der Nachtruhe im Krankenhaus, wie es üblicherweise auch zu Hause erfolgt wäre, zähle nicht zu den nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Tätigkeiten.

Sie beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

Ist eine Krankheit die Folge eines Arbeitsunfalls, den der Träger der Unfallversicherung zu entschädigen hat, so hat dieser, wenn der Verletzte - wie hier - bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 1504 Abs 1 RVO die Kosten zu erstatten, die nach dem Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstehen. Ausgenommen sind die Kosten der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO). Die Kosten der Krankenhauspflege sind vom ersten Tag an zu erstatten.

Das SG hat angenommen, daß die Krankheit der bei der Klägerin gegen Krankheit versichert gewesenen Frau G. (Schenkelhalsfraktur links) die Folge eines Arbeitsunfalls war und der Ersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte deshalb begründet ist. Der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsauffassung ist nicht in vollem Umfang zuzustimmen. Für eine eigene abschließende Entscheidung des Senats sind die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des SG nicht ausreichend.

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Frau G. war zwar während der ihr von der Klägerin gewährten stationären Behandlung nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Daß sie den Unfall am 10. Februar 1982 (Sturz in ihrem Krankenzimmer beim Abtrocknen der Füße) bei einer mit der stationären Behandlung zusammenhängenden versicherten Tätigkeit erlitten hat (s § 548 RVO), läßt sich jedoch entgegen der Auffassung des SG nicht schon aufgrund der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen entscheiden.

Der Versicherungsschutz bei der stationären Behandlung ist dadurch begründet, daß der Versicherte sich in eine besondere Einrichtung begeben muß und damit den mit der fremden Umgebung verbundenen besonderen Risiken ausgesetzt ist (s ua BSGE 46, 283, 285; 55, 10, 12; BSG SozR 2200 § 539 Nr 56). Der nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 RVO erforderliche - ursächliche - Zusammenhang zwischen dem Unfall und der stationären Behandlung (s BSG aaO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl S 475 f und g, 484p ff; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 539 Anm 97h Buchst d; Gitter SGb 1982, 221) ist nicht schon wegen eines örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit der stationären Behandlung unabhängig davon gegeben, bei welcher Betätigung sich der Unfall ereignet hat (st Rspr des Bundessozialgerichts -BSG-, s zB USK 79245; Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 18/85 -). Darauf läuft aber letztlich die dem Urteil des SG zugrunde liegende Auffassung hinaus.

Bei Verrichtungen, die wesentlich allein den von der stationären Behandlung unabhängigen privaten Interessen des Versicherten dienen, besteht nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO ebenso wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO kein Versicherungsschutz (s BSG SozR 2200 § 539 Nrn 48, 72, 84; BSG USK 79245; Brackmann aaO S 475g, 484q; Lauterbach/Watermann aaO; Gitter aaO S 225). Hierzu gehört zB die übliche körperliche Reinigung nach dem Aufstehen im Anschluß an die Nachtruhe. Wie bei Dienst- und Geschäftsreisen ist jedoch der Versicherungsschutz auch bei privaten Verrichtungen während der stationären Behandlung gegeben, wenn für den Unfall besondere, mit dem fremden Aufenthalt verbundene Gefahrenmomente wirksam geworden sind (s ua BSG SozR 2200 § 539 Nrn 72, 110; BSG Urteil vom 22. November 1984 - 2 RU 43/83 - und vom 29. Januar 1986 - 9b RU 18/85; Gitter aaO S 225).

Die Feststellung des SG, daß sich der Unfall morgens um 6.09 Uhr im Krankenzimmer beim Abtrocknen der Füße ereignet hat, läßt zwar erkennen, daß die Versicherte offensichtlich bei der üblichen körperlichen Reinigung - einer privaten Betätigung - verunglückt ist. Das Wirksamwerden eines besonderen Gefahrenmoments des Krankenhauses bei der Entstehung des Unfalls ist aber nicht schon deshalb, wie das SG meint, ausgeschlossen, weil das Waschbecken, an dem sich die Versicherte festgehalten hat, in normaler Höhe angebracht war. Es fehlt insoweit insbesondere an Feststellungen darüber, ob die Einrichtungen für die körperliche Reinigung im Krankenzimmer so gestaltet waren, daß sie - etwa durch Bereitstellen eines Hockers zum Niedersetzen beim Waschen und Abtrocknen der Füße, durch Anbringung von Haltegriffen oder anderen Vorrichtungen - ohne Gefährdung von den Patienten benutzt werden konnten. Zu dieser Prüfung bestand besonderer Anlaß im Hinblick auf den Umstand, daß die Versicherte - im Alter von 76 Jahren - an verschiedenartigen Erkrankungen litt, durch die auch ihre körperliche Beweglichkeit erheblich eingeschränkt gewesen sein muß (ua Varicosis, Durchblutungsstörungen, schwere Ateminsuffizienz, medikamentöse Cushing, Adipositas, rezidivierende Asthmaanfälle - s Durchgangsarztbericht vom 12. Februar 1982).

Ob nach den Umständen des Falles erforderliche Vorkehrungen nicht in ausreichendem Maß getroffen waren und sich eine darin liegende Gefahr bei dem Unfall verwirklicht hat, ist deshalb noch zu prüfen. Das Bundessozialgericht kann diese Feststellungen nicht selbst treffen.

Der Senat hält es - auch im Interesse der Verfahrensbeschleunigung - für angemessen, die Sache nicht an das SG, sondern an das Landessozialgericht Hamburg zurückzuverweisen (§ 170 Abs 4 Satz 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665424

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