Leitsatz (redaktionell)

Die Verwaltung hat das ihr in KOV-VfG § 40 Abs 1 eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt, wenn sie sich auf die Bindungswirkung eines Berichtigungsbescheides beruft, der erkennbar und zweifelsfrei gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Januar 1964 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 14. November 1961 sowie der Bescheid vom 14. Juli 1959 und der Widerspruchsbescheid vom 1. November 1960 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger zog sich als Soldat Ende 1941 beim Schanzdienst einen rechtsseitigen Leistenbruch zu, der erst im Jahre 1942 nach Ausheilung einer Ruhr operiert wurde. Im November 1942 brach er während des Schanzdienstes körperlich zusammen, eine Herzbehandlung wurde erforderlich. Im August 1944 wurde er aus der Wehrmacht entlassen. Das Versorgungsamt (VersorgA) erkannte mit Bescheid vom 28. September 1944

1) gesteigerte Schilddrüsentätigkeit und Herzmuskelschaden (im Sinne der Verschlimmerung)

2) Leistenoperationsnarbe rechts

als Dienstbeschädigungsleiden an und bewilligte Versorgungsbezüge nach der Versehrtenstufe I.

Nach amtsärztlicher Untersuchung wurde dem Kläger mit Bescheid vom 28. Februar 1949 nach den Vorschriften der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 wegen "Herzmuskelschwäche" eine Rente nach einer MdE um 30 v. H. gewährt. Sein Einspruch hatte keinen Erfolg. Eine Untersuchung durch Dr. F ergab keinen Anhalt für das Vorliegen eines Herzmuskelschadens. Darauf nahm der Kläger seine zum Oberversicherungsamt (OVA) eingelegte Berufung in der mündlichen Verhandlung am 20 Dezember 1950 zurück.

Der Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 6. Februar 1952 übernahm ohne vorherige ärztliche Untersuchung die Leidensbezeichnung (Herzmuskelschwäche) und MdE-Grad (30 v. H.).

Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Dr. O beantragte der Kläger am 27. Februar 1952 eine Rentenerhöhung wegen Verschlimmerung seines Herzleidens. Darauf untersuchte ihn der Internist Dr. Z; im Gutachten vom 16. Mai 1952 verneinte er im Gegensatz zur Auffassung des Dr. O eine Herzmuskelschwäche und eine Myocardschädigung. Mit Bescheid vom 11. Oktober 1952 wurde daraufhin die Rente nach § 86 Abs. 3 BVG entzogen, weil Zeichen einer Herzmuskelschwäche nicht mehr nachweisbar seien. Im Einspruchsverfahren verneinten Prof. Dr. Sch und Dr. K einen Zusammenhang des bestehenden Herzbefundes mit der 1941 durchgemachten Ruhr und den nachfolgenden Herz-Kreislaufstörungen; die seinerzeit selbst unter Annahme einer Ruhr-Myocarditis aufgetretene Herzschädigung sei als abgeheilt anzusehen; die bestehende Coronarinsuffizienz habe sich auf konstitutioneller Basis schicksalsmäßig entwickelt. Der Widerspruch des Klägers wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1954 zurückgewiesen. Im Klageverfahren hörte das Sozialgericht (SG) den ärztlichen Sachverständigen Dr. C und verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 11. August 1955, dem Kläger wegen "Herzmuskelschwäche" über den 30. November 1952 hinaus Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu zahlen. Der Beklagte nahm die zunächst eingelegte Berufung zurück und erteilte in Ausführung des Urteils des SG den Bescheid vom 10. Dezember 1955.

Bei der versorgungsärztlichen Nachuntersuchung des Klägers im März 1956 verneinte der Gutachter Dr. H eine Herzmuskelschwäche; er verneinte aber auch eine wesentliche Änderung gegenüber dem Befund, der dem SG bei seinem Urteil vom 11. August 1955 vorgelegen hatte. Mit Zustimmung des Landesversorgungsamtes (LVersorgA) erteilte daraufhin das VersorgA gemäß § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) den Berichtigungsbescheid vom 10. September 1956, mit dem die Bescheide vom 28. Februar 1949, 6. Februar 1952, 11. Oktober 1952 und 10. Dezember 1955 aufgehoben wurden, weil sie im Zeitpunkt ihres Erlasses tatsächlich und rechtlich zweifelsfrei unrichtig gewesen seien; die Herzmuskelschwäche des Klägers sei durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG weder hervorgerufen noch verschlimmert worden und habe sich schicksalsmäßig entwickelt. Dieser Aufhebungsbescheid wurde rechtsverbindlich.

Am 5. Juni 1958 beantragte der Kläger einen neuen Bescheid (Zugunstenbescheid) nach § 40 VerwVG, weil unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Anlaß bestehe, die im Berichtigungsbescheid vom 10. September 1956 getroffene Entscheidung abzuändern. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 14. Juli 1959 abgelehnt, der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 1. November 1960).

Mit Urteil vom 14. November 1961 hat das SG die Klage abgewiesen. Das LSG hat mit Urteil vom 17. Januar 1964 die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Versorgungsbehörde und auch SG hätten zutreffend die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VerwVG verneint; das BSG habe nicht erkennbar nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten, als sie dem Berichtigungsbescheid vom 10. September 1956 zugrunde gelegen habe. Entgegen der Ansicht des Klägers sei auch sein Antrag auf Erteilung eines "Zugunstenbescheides" nicht zu Unrecht abgelehnt worden; dem Erlaß des Berichtigungsbescheides habe das rechtskräftige Urteil des SG vom 11. August 1955 nicht entgegengestanden. Denn Gegenstand dieses gerichtlichen Verfahrens sei nicht der Anspruch des Klägers gewesen, eine Herzmuskelschwäche festzustellen und dafür Rente zu gewähren, sondern lediglich die Aufhebung des Rentenentziehungsbescheides vom 11. Oktober 1952. Mit dieser Aufhebung hätte die Rente wegen Herzmuskelschwäche nach einer MdE um 30 v. H. auf Grund des Umanerkennungsbescheides notwendigerweise wiedergewährt werden müssen. Über die Aufhebung des Entziehungsbescheides hinaus habe jedoch für eine Feststellungs- und Leistungsklage kein Rechtsschutzbedürfnis bestanden; denn nach Beseitigung des Entziehungsbescheides sei der Umanerkennungsbescheid weiterhin bindend geblieben. Diese Bindung habe auch das SG beachten müssen; es habe daher über den Versorgungsanspruch nicht noch einmal mit materieller Rechtskraftwirkung entscheiden können. Das SG habe somit auch nicht über die Frage der Herzmuskelschwäche als Schädigungsfolge entschieden; dem Urteilsspruch sei daher hinsichtlich des Leistungsanspruchs und der Worte "wegen Herzmuskelschwäche" kein feststellender, sondern nur deklatorischer Charakter beizumessen. Die Rechtskraft des sozialgerichtlichen Urteil vom 11. August 1955 erstrecke sich deshalb nur so weit, wie über den Streitgegenstand entschieden worden sei; entschieden habe das SG aber nur darüber, daß die Versorgungsbehörde weder § 62 BVG noch § 86 Abs. 3 BVG habe anwenden dürfen, und daß die einmal anerkannt gewesene Herzmuskelschwäche mit der bisherigen Höhe der MdE weiter anerkannt bleiben müsse. Nur auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt seien die Entscheidungsgründe abgestellt und nur darauf erstrecke sich die Rechtskraft des Urteils des SG vom 11. August 1955, nicht aber auch auf das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten in seiner Gesamtheit. Bei dieser Rechtslage habe die Rechtskraft des Urteils des SG vom 11. August 1955 eine andere sachliche Entscheidung über den Versorgungsanspruch nicht ausgeschlossen, und die Verwaltungsbehörde sei daher auch nicht gehindert gewesen, neue Ermittlungsergebnisse und bisher nicht erörterte Gesichtspunkte rechtlicher oder tatsächlicher Art zu berücksichtigen. Nur dies habe sie in dem - vom Kläger nicht angefochtenen - Berichtigungsbescheid vom 10. September 1956 getan. Dieser Bescheid sei nicht offensichtlich rechtlich unhaltbar; es habe somit für die Verwaltungsbehörde kein Anlaß bestanden, ihn aufzuheben. Die Verwaltungsbehörde habe deshalb bei der Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens nicht ermessenswidrig gehandelt, wenn sie an dem bindend gewordenen Berichtigungsbescheid festgehalten habe, nachdem festgestellt werden könne, daß dieser nicht auf offensichtlichem materiellem Unrecht beruhe und sich auf die übereinstimmende ärztliche Beurteilung stütze, daß eine wehrdienstbedingte Herzmuskelschwäche nicht mehr bestehe. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihm am 22. April 1964 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 28. April 1964, eingegangen beim BSG am 28. April 1964, Revision eingelegt. Mit der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 22. Juli 1964 - am 24. Juni 1964 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift vom 23. Juni 1964 rügt er die Verletzung der §§ 40 Abs. 1, 41 VerwVG, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG und trägt vor, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts habe die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen insoweit fehlerhaft ausgeübt, als sie sich in dem angefochtenen Bescheid vom 14. Juli 1959 auf die durch den Berichtigungsbescheid vom 10. September 1956 eingetretene Bindungswirkung berufen und den Erlaß eines Bescheides nach § 40 VerwVG abgelehnt habe. Entgegen der Auffassung des LSG ergebe sich aus den Gründen des Urteils des SG vom 11. August 1955, daß der Anspruch des Klägers, Herzmuskelschwäche als Schädigungsfolge festzustellen und dafür Rente zu gewähren, hauptsächlicher Gegenstand des Verfahrens vor dem SG gewesen sei. Ein Berichtigungsbescheid wie der vom 10. September 1956 könne im übrigen nur dann ergehen, wenn die Anerkennung in einem "Bescheid" ausgesprochen worden sei, nicht aber auch, wenn sie wie hier auf einem Urteil beruhe. Dabei sei es rechtlich unerheblich, wenn das frühere Urteil auf einem alten Bescheid gefußt habe; auch in einem solchen Falle liege eine "gerichtliche Entscheidung über den Ursachenzusammenhang" vor.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Januar 1964 nach dem Berufungsantrag zu erkennen,

hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf den Schriftsatz des Klägers vom 23. Juni 1964 und auf den Schriftsatz des Beklagten vom 1. Juli 1964 wird verwiesen.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist vom Kläger form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und deshalb zulässig.

Die Revision ist auch begründet.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Verwaltungsbehörde die Erteilung eines vom Kläger beantragten Bescheides nach § 40 VerwVG unter Berufung auf die Rechtsverbindlichkeit des nach § 41 VerwVG erteilten Berichtigungsbescheides vom 10. September 1956 abgelehnt; es bestehe kein Anlaß, die getroffene Entscheidung zugunsten des Klägers abzuändern.

Nach § 40 Abs. 1 VerwVG n. F. kann die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen; nach § 40 Abs. 2 VerwVG ist sie auf Antrag des Berechtigten zur Erteilung eines neuen Bescheides verpflichtet, wenn das BSG in ständiger Rechtsprechung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. Insoweit ist die Entscheidung des LSG zu § 40 Abs. 2 VerwVG rechtlich nicht zu beanstanden; denn es ist nicht erkennbar, daß das BSG in den vom Kläger angeführten Entscheidungen in ständiger Rechtsprechung eine andere Auffassung vertritt, als sie dem Berichtigungsbescheid vom 10. September 1956 zugrunde gelegen hat. Im übrigen hat der Kläger seine früher dazu vorgetragene Auffassung offenbar aufgegeben und deshalb eine Verletzung des § 40 Abs. 2 VerwVG durch das Berufungsgericht nicht mehr gerügt.

Vorliegend ist - nach den Feststellungen des LSG, den dem Senat vorliegenden Vorgängen und dem Inhalt des ablehnenden Bescheides vom 14. Juli 1959 - mit diesem Bescheid keine neue Regelung auf Grund einer erneuten Sachprüfung getroffen und an die Stelle eines alten Bescheides kein neuer Bescheid gesetzt worden, der an der grundsätzlichen Bindungswirkung (§§ 77 SGG, 24 VerwVG) des Berichtigungsbescheides vom 10. September 1956 gerüttelt und deshalb den Verwaltungsrechtsweg neu eröffnet hätte (vgl. BSG 10, 248, 250). Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb davon ab, ob die Verwaltungsbehörde bei Erteilung des ablehnenden Bescheides vom 14. Juli 1959 das ihr im § 40 Abs. 1 VerwVG eingeräumte Ermessen dadurch fehlerhaft ausgeübt hat, daß sie sich auf die Bindungswirkung des Berichtigungsbescheides vom 10. September 1956 berufen hat, d. h. ob der Kläger aus der Tatsache, daß er diesen Berichtigungsbescheid ohne Anfechtung hat bindend werden lassen, die nachteiligen Folgen aus den §§ 77 SGG, 24 VerwVG zu tragen hat.

Das LSG hat vorliegend zutreffend erkannt, daß die Verwaltungsbehörde einen Berechtigten nicht an einem bindend gewordenen Bescheid festhalten darf, wenn dieser erkennbar und zweifelsfrei gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat und wenn seine Nachprüfung im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung nach § 40 Abs. 1 VerwVG ergibt, daß er offensichtlich unhaltbar ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 7, 152, 157; 19, 286, 287; BSG im SozR VerwVG § 40 Nr. 3), der sich der erkennende Senat im vollen Umfang anschließt, widerspricht es nämlich dem pflichtgemäßen Verwaltungsermessen, wenn die Versorgungsbehörde von der Möglichkeit gemäß § 40 VerwVG, einen neuen Bescheid zugunsten des Versorgungsberechtigten zu erteilen, keinen Gebrauch macht und sich auf die Bindungswirkung eines Bescheides beruft, der erkennbar und zweifelsfrei zum Nachteil des Berechtigten gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat. Denn unabhängig von den Interessen des Versorgungsberechtigten und der Verwaltungsbehörde, einem nicht oder ergebnislos angefochtenen Bescheid endgültige, d. h. bindende Wirkung beizulegen, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 77 SGG), besteht für die Verwaltung auch die stetige Pflicht "zu sozial angemessener Rechtsausübung; der Inhalt jeden Rechts ist durch seine rechtsethische und soziale Funktion bestimmt und begrenzt; funktionswidrige Ausübung ist deshalb nicht mehr durch den Inhalt des Rechts gedeckt, sie ist nur noch scheinbar Gebrauch des Rechts, in Wirklichkeit aber Rechtsmißbrauch" (BSG 7, 156). Das gilt für die Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht, da der öffentlich-rechtliche Leistungsträger selbst als Prozeßpartei nicht aufhört, öffentlich-rechtliches Organ zur Wahrung der Interessen der Berechtigten zu sein. "Diese Auffassung hat auch im VerwVG ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden. Kann nämlich nach § 40 Abs. 1 VerwVG die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen, so ist damit vom Gesetzgeber für die Verwaltung verbindlich angeordnet, daß ihre Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) im Falle der Kollision eines nach den §§ 77 SGG, 24 VerwVG bindenden Bescheides mit dem dem Versorgungsberechtigten günstigeren Versorgungsrecht die Realisierung dieses Rechts, nicht aber ein Festhalten an der Bindung erfordert" (BSG in SozR VerwVG § 40 Nr. 3). Danach ist es der Verwaltungsbehörde verwehrt, sich zum Nachteil des Versorgungsberechtigten auf die bindende Wirkung eines Bescheides zu berufen, wenn dieser bindende Bescheid eine andere Rechtsnorm verletzt hat (vgl. BSG a. a. O; vgl. auch BSG 19, 286, 287).

Im vorliegenden Falle macht die Revision geltend, die Verwaltungsbehörde habe sich bei Ausübung des ihr im § 40 Abs. 1 VerwVG eingeräumten Ermessens zur Erteilung eines neuen Bescheides an den Kläger deshalb nicht auf die Bindungswirkung des Berichtigungsbescheides berufen dürfen - und habe deshalb gegen die vorstehend dargelegten Grundsätze verstoßen -, weil sie beim Erlaß des Berichtigungsbescheides die Vorschriften des § 41 Abs. 1 VerwVG nicht habe anwenden dürfen; ein Berichtigungsbescheid nach § 41 Abs. 1 VerwVG könne nämlich nur ergehen, wenn ein "Bescheid" über Rechtsansprüche geändert oder aufgehoben werden solle, dazu gehöre aber nicht ein "Ausführungsbescheid" wie der in Ausführung des rechtskräftigen Urteils des SG Hildesheim vom 11. August 1955 ergangene vom 10. Dezember 1955.

Nach § 41 Abs. 1 VerwVG können Bescheide über Rechtsansprüche zu Ungunsten des Berechtigten von der zuständigen Verwaltungsbehörde geändert oder aufgehoben werden, wenn außer Zweifel steht, daß sie im Zeitpunkt ihres Erlasses tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen sind. Daß im Falle des Klägers durch den Berichtigungsbescheid "Bescheide" aufgehoben worden sind, nämlich die vom 28. Februar 1949, 6. Februar 1952, 11. Oktober 1952 und 10. Dezember 1955, ist nicht zweifelhaft; der zuletzt erteilte Bescheid vom 10. Dezember 1955 ist jedoch lediglich in Ausführung des rechtskräftigen Urteils des SG Hildesheim vom 11. August 1955 ergangen; von rechtlicher Bedeutung ist deshalb hier allein das diesem Bescheid zugrunde liegende Urteil des SG. Der Senat hatte deshalb zu prüfen, ob dieses Urteil, mit dem der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Oktober 1952 verurteilt worden ist, "dem Kläger wegen Herzmuskelschwäche Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v. H. über den 30. November 1952 hinaus zu zahlen", dem Erlaß des Berichtigungsbescheides entgegengestanden hat.

Das LSG hat diese Frage verneint und sich dabei zur Begründung seiner Auffassung auf das in BSG 10, 248 ff veröffentlichte Urteil des 11. Senats des BSG vom 13. Oktober 1959 berufen; der Anspruch des Klägers oder eine seiner Grundlagen sei nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung vom 11. August 1955 gewesen (vgl. auch VV Nr. 7 zu § 41 VerwVG). Das LSG hat hierbei jedoch verkannt, daß es sich bei dem vom 11. Senat des BSG entschiedenen Fall (BSG aaO) um einen anderen Sachverhalt gehandelt hat: Dort hatte nämlich das OVA die Berufung gegen einen Bescheid der Versorgungsbehörde zurückgewiesen, mit dem die Ablehnung des geltend gemachten Versorgungsanspruchs ausschließlich darauf gestützt worden war, daß bereits nach früherem Recht rechtskräftig entschieden worden sei; das OVA habe infolgedessen auch nur entschieden, daß es die Versorgungsbehörde nicht anweisen könne, in eine neue sachliche Prüfung auf Grund des vorgelegten Tatsachenmaterials einzutreten und einen neuen sachlichen und berufungsfähigen Bescheid zu erteilen; die Erteilung eines "Zugunstenbescheides" stehe im Verwaltungsermessen, das OVA habe somit den Versorgungsanspruch selbst gar nicht sachlich geprüft. Das alles bedeute, daß die Rechtskraft des Urteils des OVA die Beteiligten nur soweit gebunden habe, als über den Streitgegenstand entschieden worden sei; entschieden habe aber das OVA nur, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei, daß sich nämlich die Versorgungsbehörde zu Recht auf die Rechtskraft der früheren Entscheidungen berufen habe, so daß sich auch die Rechtskraft des Urteils des OVA nur auf den in den Urteilsgründen abgehobenen rechtlichen Gesichtspunkt, nicht aber auf das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten in seiner Gesamtheit erstreckt habe (BSG aaO).

Demgegenüber ist vorliegend ein völlig anderer Sachverhalt rechtlich zu beurteilen. Wie bereits dargelegt, hat die Versorgungsbehörde gemäß § 86 Abs. 3 BVG hinsichtlich des Umanerkennungsbescheides vom 6. Februar 1952 nach ärztlicher Untersuchung mit Bescheid vom 11. Oktober 1952 festgestellt, daß die als Schädigungsleiden anerkannte "Herzmuskelschwäche" nicht mehr bestehe und deshalb auch kein Anspruch auf Rente mehr gegeben sei. Zwar trifft hierbei zu, daß Gegenstand des vom Kläger darauf angestrengten Klageverfahrens zum SG die Aufhebung des Bescheides vom 11. Oktober 1952 gewesen ist; es trifft weiter zu, daß bei seinem Obsiegen dann notwendig die Rente nach einer MdE um 30 v. H. wegen Herzmuskelschwäche auf Grund des vorangegangenen Umanerkennungsbescheides vom 6. Februar 1952 weiter hätte gewährt werden müssen. Im Gegensatz zu dem angeführten Urteil des 11. Senats hat hier das SG aber nicht - und zumindest nicht allein - nur einen rechtlichen Gesichtspunkt geprüft und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, sondern es hat den Versorgungsanspruch des Klägers in seiner Gesamtheit einer sachlichen Prüfung unterzogen und ist (nach Anhörung des Dr. C) dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß der früher anerkannte Leidenszustand des Klägers unverändert fortbestehe und weiter mit einer MdE um 30 v. H. zu bewerten sei. Mit seinem Urteil, "dem Kläger wegen Herzmuskelschwäche Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v. H. über den 30. November 1952 hinaus zu zahlen", hat es somit eine andere sachliche Entscheidung über den Versorgungsanspruch des Klägers ausgeschlossen und damit die Versorgungsbehörde auch gehindert, beim Erlaß des Berichtigungsbescheides vom 10. September 1956 neue Ermittlungsergebnisse und bis dahin nicht erörterte Gesichtspunkte rechtlicher oder tatsächlicher Art zu Ungunsten des Klägers zu berücksichtigen und zu verwerten. Daran kann im übrigen nichts ändern, wenn das SG seine Entscheidung auch auf die Vorschrift des § 85 BVG gestützt und dazu ausgeführt hat, die frühere Anerkennung der als Herzmuskelschwäche bezeichneten und noch weiter bestehenden, durch den Kriegsdienst verursachten Beschwerden sei eine rechtsverbindliche Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift, an der eine andere ärztliche Beurteilung nichts ändern könne. Denn auch hiermit hat das SG ausdrücklich entschieden, daß der Beklagte die als Herzmuskelschwäche bezeichneten Beschwerden des Klägers weiterhin als durch den Wehrdienst entstanden hinnehmen müsse (vgl. hierzu BSG 15, 248, 251), zumal eine wesentliche Änderung (Besserung) in den Verhältnissen des Klägers im Sinne des § 62 BVG nicht eingetreten sei.

Nach allem war der dem Kläger nach § 41 VerwVG erteilte Berichtigungsbescheid vom 10. September 1956 unzulässig und durfte deshalb nicht erlassen werden. Die Verwaltungsbehörde durfte sich deshalb auch nicht einfach auf ihn berufen, als der Kläger am 5. Juni 1958 die Erteilung eines neuen Bescheides nach § 40 VerwVG beantragt hatte; sie hat mit dieser Berufung, auch wenn der Berichtigungsbescheid nach den §§ 77 SGG, 24 VerwVG bindend geworden war, gegen ihr pflichtgemäßes Verwaltungsermessen verstoßen, weil dieser Bescheid im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung als offensichtlich unhaltbar angesehen werden mußte (s. o.). Das Urteil des LSG, mit dem die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 14. November 1961 zurückgewiesen worden ist, konnte deshalb keinen Bestand haben; es mußte ebenso wie das Urteil des SG und auch die Bescheide vom 14. Juni 1959 und 1. November 1960 aufgehoben werden. Dabei konnte der erkennende Senat selbst nicht entscheiden, da es ihm im Hinblick darauf, daß eine Ermessensentscheidung der Versorgungsbehörde nach § 40 Abs. 1 VerwVG im Streit steht, nicht gestattet ist, eine eigene Entscheidung an die Stelle einer solchen der Versorgungsbehörde zu setzen. Demgemäß war der Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 5. Juni 1958 - nach sachlicher Prüfung der Verhältnisse - einen neuen Bescheid zu erteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380306

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