Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine notwendige Beiladung des Verletzten im Ersatzstreit der KK. geringfügige Unterbrechung des Betriebsweges

 

Orientierungssatz

1. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Ersatzanspruchs nach RVO § 1504 greift nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der Verletzten ein. Es bedeutet keine unmittelbare Einwirkung in die Rechtssphäre der Verletzten, daß die Begründung der Entscheidung über den Ersatzanspruch der KK die Überzeugungsbildung des Unfallversicherungsträgers iS des RVO § 627 beeinflussen kann, insbesondere, wenn die Vorfrage des Ersatzstreits, ob ein Arbeitsunfall vorgelegen hat, bejaht wird. Es bedarf daher keiner Beiladung der Verletzten nach SGG § 75 Abs 2 Alt 1.

2. Auch bei einer gemischten Tätigkeit, die der versicherten Tätigkeit wesentlich dient, hängt das Fortbestehen des Versicherungsschutzes während einer privaten Verrichtung dienenden Unterbrechung davon ab, daß die Verrichtung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und ihrer Art nach als nur geringfügig anzusehen ist und deshalb rechtlich nicht ins Gewicht fällt. Eine solche geringfügige, den Versicherungsschutz nicht aufhebende Unterbrechung der versicherten Tätigkeit ist gegeben, wenn der Verletzte nur für wenige Schritte und einen kurzen Zeitraum die am Betriebsweg gelegene Fahrbahn betreten wollte, um Schulkindern, die sich ihm anvertraut hatten, das Überqueren der Fahrbahn zu erleichtern.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 27.07.1976; Aktenzeichen L 4 U 22/75)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 25.07.1975; Aktenzeichen S 4 U 104/74)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. Juli 1976 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß Kosten auch für den ersten und zweiten Rechtszug nicht zu erstatten sind.

 

Tatbestand

Die bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Säuglingsschwester Hedwig M (M) erlitt am 15. Januar 1971 einen Verkehrsunfall. Gegen 7.30 Uhr hatte sie ihre Arbeitsstätte - ein Entbindungsheim - verlassen, um wie üblich für die Wöchnerinnen des Heimes Milch und andere Lebensmittel in der A-Filiale in S, Ecke H- und L-straße, zu kaufen. Sie nahm ihr damals neunjähriges Patenkind R Q mit, das seit frühester Kindheit bei ihr lebt und dessen Schulweg an der A-Filiale vorbeiführt; ein anderes Kind schloß sich ihr unterwegs an. Als sie die A-Filiale erreicht hatte, wollte sie noch dafür Sorge tragen, daß die beiden Kinder sicher über die ca 8 m breite Fahrbahn der H-straße gelangten. Hierbei wurde sie auf der Fahrbahn der H-straße - etwa 1,50 m von dem Bürgersteig entfernt - von einem Personenkraftwagen erfaßt und erheblich verletzt.

Die von der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls für Frau M. aufgewendeten Barleistungen und Krankenhauskosten in Höhe von 7.241,50 DM überwies die Beklagte im Juli 1973, forderte den Betrag jedoch im März 1974 von der Klägerin zurück. Sie verwies auf ihren am 14. März 1974 gegenüber der Versicherten M. ergangenen Bescheid, durch den sie deren Entschädigungsansprüche mit der Begründung ablehnte, sie habe sich zur Unfallzeit auf einem mit der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängenden Abweg befunden und deshalb nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Dieser Bescheid ist nicht angefochten worden.

Die Klägerin weigerte sich, den Betrag an die Beklagte zurückzuzahlen. Sie vertrat die Ansicht, es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, die Beklagte habe ihr folglich zu Recht die Aufwendungen ersetzt.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Vernehmung von Zeugen - ua der Versicherten M. - durch Urteil vom 25. Juli 1975 die von der Klägerin erhobene Klage abgewiesen, mit der diese die Feststellung begehrt hat, daß M. unter Versicherungsschutz gestanden habe und der Ersatzanspruch gegen die Beklagte zu Recht geltend gemacht worden sei. Das SG hat angenommen, auf dem Weg von der an der L-straße gelegenen Eingangstür des Lebensmittelgeschäfts bis zur Unfallstelle (etwa 10 Schritte) habe M. nicht unter Versicherungsschutz gestanden.

Mit der Berufung hat die Klägerin beantragt festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, den ihr gezahlten Betrag von 7.241,50 DM zurückzufordern. Durch Urteil vom 27. Juli 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) nach erneuter Vernehmung der Frau M. diesem Antrag entsprochen und das angefochtene Urteil aufgehoben; außerdem hat es die Beklagte verurteilt, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Feststellungsklage sei zulässig, da das daraufhin ergehende Urteil geeignet sei, den Streit der Beteiligten zu beenden. Sie sei auch begründet, weil die Beklagte gem § 1504 der Reichsversicherungsordnung (RVO) der Klägerin zu Recht Ersatz geleistet habe. Frau M. habe sich auf einem Betriebsweg befunden, der von der Arbeitsstätte zur ASKO-Filiale und zurück führen sollte. Im Zusammenhang mit der Einkaufstätigkeit habe sich der Versicherungsschutz auf den gesamten Bereich der Filiale einschließlich der Bürgersteige vor den Schaufenstern in der H.- und in der L-straße erstreckt. Eine rechtlich erhebliche Unterbrechung des Betriebsweges hätte daher frühestens mit dem Betreten der H-straße eintreten können. Frau M. habe jedoch nach ihren glaubhaften Aussagen die Straße nicht überqueren, sondern sich nur vergewissern wollen, ob die Kinder die Fahrbahn gefahrlos überqueren konnten und zu diesem Zweck die Fahrbahn mit ein, zwei Schritten betreten; die Unfallstelle sei nur etwa 1,50 m von dem Bürgersteig entfernt. Es handele sich somit um eine nur geringfügige Unterbrechung des Betriebsweges, durch die der Versicherungsschutz nicht aufgehoben worden sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie trägt vor: Das LSG habe nicht genügend berücksichtigt, daß Frau M. keinen reinen Betriebsweg zurückgelegt, sondern eine sog. gemischte Tätigkeit verrichtet habe. Die Mitnahme ihres Patenkindes und erst recht des anderen Kindes auf deren Schulweg habe eigenwirtschaftlichen Charakter gehabt. Als Frau M. an der Eingangstür der A-Filiale vorbei bis zum Fahrbahnrand weitergegangen und sodann die H-straße betreten habe, sei sie nur noch zum Schutz der Schulkinder tätig gewesen. Die Rechtsprechung über die Belanglosigkeit geringfügiger Unterbrechungen bei reinen Betriebswegen sei auf einen solchen Fall nicht anwendbar. - Die Beklagte meint ferner, Frau M. hätte dem Verfahren notwendig beigeladen werden müssen, weil die Entscheidung sich auf die Verpflichtung der Beklagten zur Neufeststellung gem § 627 RVO auswirke. Eine Zurückweisung an das LSG sei jedoch nicht erforderlich, weil Frau M. in den Vorinstanzen ausreichend zu Wort gekommen sei.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Mit Recht hat das LSG die Klage als zulässig erachtet. Die Klägerin hat ein Rechtsschutzinteresse an der begehrten Feststellung, daß ihr ein Ersatzanspruch gem. § 1504 RVO zusteht. Die Beklagte bestreitet diesen Anspruch und verlangt die Rückzahlung des überwiesenen Betrages. Um den Streit auszuräumen, was hier durch die begehrte Entscheidung zu erreichen ist, kann die Klägerin auf Feststellung klagen, ohne weiter abwarten zu müssen, daß die Beklagte ihrerseits den Klageweg zur Durchsetzung ihres vermeintlichen Rückforderungsanspruchs beschreitet.

Da das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG - nur dieser Fall kommt hier in Betracht - bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten ist (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1), müßte der Rechtsstreit entgegen der Ansicht der Beklagten ohne eine Entscheidung in der Sache an das LSG zurückverwiesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG gegeben sind. Hiernach sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Eine Beiladung ist in dem angeführten Sinn notwendig, wenn die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre des Dritten unmittelbar eingreift (ständige Rechtsprechung, vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 8 mit Nachweisen; s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl, S. 234 w VI mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen liegen, wie auch dem Vorbringen der Revision zu entnehmen ist, hier nicht vor. Im anhängigen Rechtsstreit geht es um die Frage, ob die Beklagte zu Recht die Aufwendungen der Klägerin ersetzt hat, die dieser aus Anlaß des Unfalls ihrer Versicherten M. entstanden sind (s § 1504 RVO). Der Anspruch der Verletzten auf Entschädigung - von der Beklagten bindend abgelehnt - ist dagegen nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Dementsprechend hat nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl ua BSGE 24, 155) der Bescheid eines Versicherungsträgers der gesetzlichen Unfallversicherung, durch den die Ansprüche des Verletzten abgelehnt worden sind, der Krankenkasse gegenüber für deren Ersatzanspruch keine Bindungswirkung (BSG aaO; s auch Brackmann aaO S. 967 mit weiteren Nachweisen). Die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über den Ersatzanspruch der Klägerin greift somit nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der Verletzten ein. Es bedeutet keine unmittelbare Einwirkung in die Rechtssphäre der Verletzten, daß die Begründung der Entscheidung über den Ersatzanspruch der Krankenkasse die Überzeugungsbildung des Unfallversicherungsträgers im Sinne des § 627 RVO beeinflussen kann, insbesondere, wenn die Vorfrage des Ersatzstreits, ob ein Arbeitsunfall vorgelegen hat, bejaht wird.

Die Beklagte ist zum Ersatz der Aufwendungen verpflichtet (§ 1504 RVO), da die Verletzte M., wie das LSG zutreffend angenommen hat, im Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz stand (§§ 539 Abs 1 Nr 1, 548 RVO). Die Verletzte befand sich auf dem von ihrer Arbeitsstätte aus angetretenen Weg zum Einkauf von Lebensmitteln für die Wöchnerinnen des Entbindungsheims. Das Zurücklegen dieses Weges wie auch der beabsichtigte Aufenthalt im Geschäft sowie der Rückweg zur Arbeitsstätte sind insgesamt als Teil der versicherten Tätigkeit selbst zu werten, für die nach §§ 539 Abs 1 Nr 1, 548 RVO Versicherungsschutz besteht (sog Betriebsweg). Zutreffend macht zwar die Beklagte geltend, die Mitnahme der beiden Schulkinder auf diesem Weg sei dem eigenwirtschaftlichen Bereich der Verletzten zuzurechnen. Sie ist jedoch zu Recht auch der Ansicht, daß hierdurch der Versicherungsschutz jedenfalls bis zum Erreichen des Lebensmittelgeschäfts unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sog gemischten Tätigkeit nicht in Frage gestellt ist. Das Zurücklegen des Weges diente auch unter Berücksichtigung des dem Privatbereich zuzurechnenden Zweckes, die Kinder auf einem Teilstück ihres Schulweges zu begleiten, wesentlich dem Unternehmen (vgl Brackmann, aaO, § 480 t, 481 q mit Nachweisen).

Die Verletzte ist allerdings an der Eingangstür des Lebensmittelgeschäfts, das sich in einem Eckhaus an der L- und H-straße befindet, vorbeigegangen, um zunächst sicherzustellen, daß die Kinder die H-straße gefahrlos überqueren konnten. Sie selbst wollte nach den mit Revisionsrügen nicht wirksam angefochtenen und deshalb für das BSG bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) die H-straße nicht überqueren, sondern nur mit "ein, zwei Schritten" betreten. Der Unfall ereignete sich etwa 1,50 m von dem Bürgersteig entfernt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bleibt der Versicherungsschutz bei einer persönlichen Verrichtungen dienenden Unterbrechung der versicherten Tätigkeit (§ 548 RVO) sowie des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 RVO) bestehen, wenn die Besorgung hinsichtlich ihrer Zeitdauer und der Art ihrer Erledigung keine rechtlich ins Gewicht fallende und somit keine erhebliche Unterbrechung der versicherten Tätigkeit bzw des Weges bedeutet, sondern nur als geringfügig anzusehen ist (vgl Brackmann, aaO, S. 480 t I und 486 x ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen).

Mit Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß die Verletzte den Betriebsweg nicht unterbrochen hatte, solange sie sich noch auf dem Gehsteig vor dem Lebensmittelgeschäft befand, dessen Schaufenster sowohl an der L- als auch an der H-straße liegen. Die Möglichkeit, die angebotenen Waren in den Schaufenstern zu prüfen, gehörte zu dem beabsichtigten Einkauf; daß die Verletzte hiervon sofort Gebrauch machen wollte, ist nicht erforderlich, um den Gehsteig als noch zum Bereich des Betriebsweges gehörend anzusehen. Den Betriebsweg hat sie allerdings unterbrochen, als sie die Fahrbahn der H-straße betrat. Die Unterbrechung diente dem Schutz der Schulkinder, um ihnen das gefahrlose Überqueren der Straße zu ermöglichen, mithin einem nicht der versicherten Tätigkeit der Verletzten zuzurechnenden Zweck. Daraus folgt jedoch entgegen der Meinung der Beklagten noch nicht, daß während der Unterbrechung der gemischten Tätigkeit kein Versicherungsschutz bestand. Auch bei einer gemischten Tätigkeit, die - wie hier - der versicherten Tätigkeit wesentlich dient, hängt das Fortbestehen des Versicherungsschutzes während einer privaten Verrichtungen dienenden Unterbrechung davon ab, daß die Verrichtung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und ihrer Art nach als nur geringfügig anzusehen ist und deshalb rechtlich nicht ins Gewicht fällt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Das LSG hat darin, daß die Verletzte nur für wenige Schritte und einen kurzen Zeitraum die Fahrbahn der H-straße betreten wollte, um den Schulkindern, die sich ihr anvertraut hatten, das Überqueren der Fahrbahn zu erleichtern, mit Recht eine nur geringfügige, den Versicherungsschutz nicht aufhebende Unterbrechung der versicherten Tätigkeit gesehen.

Die Revision der Beklagten war hiernach im wesentlichen zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil war jedoch von Amts wegen insoweit zu ändern, als das LSG - entgegen § 193 Abs 4 SGG - der Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655005

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