Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob ein Leistungsträger (hier: Alterskasse), der an der früheren Begründung eines ablehnenden Bescheides später nicht mehr festhält, zu einem Folgen- oder Schadensausgleich (hier: Vorverlegung des Rentenbeginns) verpflichtet sein kann, wenn er bei Erkenntnis der falschen Begründung den Antragsteller auf Gestaltungsmöglichkeiten des Versicherungsverhältnisses hätte hinweisen müssen.

 

Normenkette

BGB § 242 Fassung: 1896-08-18; SGB 1 § 14 Fassung: 1975-12-11, § 15 Abs. 2 Fassung: 1975-12-11; GAL § 26 S. 1 Fassung: 1970-12-21; SGG § 131 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. April 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ab wann der Klägerin Altersgeld zu zahlen ist.

Die Beklagte hatte das von der (1908 geborenen) Klägerin im Mai 1971 beantragte Altersgeld zunächst mit Bescheid vom 28. Juli 1971 abgelehnt und in der Begründung ausgeführt: "Voraussetzung zur Gewährung des vorzeitigen Altersgeldes ist ua. die Zahlung von 180 Kalendermonaten Beitrag zur Alterskasse. Da das landwirtschaftliche Unternehmen nach dem 1. Oktober 1957 zu keiner Zeit die nach § 1 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) festgesetzte Mindestgröße erreichte, waren Beiträge nicht zu entrichten". Der darauf durchgeführte Rechtsstreit war für die Klägerin ohne Erfolg geblieben. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hatte ihr zwar Witwenaltersgeld gemäß § 34 Abs. 5 Buchst. b GAL ab August 1971 zugesprochen (Urteil vom 7. Juni 1972). Es war nach Beweiserhebung davon überzeugt, daß der im April 1957 verstorbene Ehemann seit 1946 und daß die Klägerin nach dem Tode ihres Mannes bis September 1964 Unternehmer im Sinne des GAL gewesen seien. Dagegen hatte das Landessozialgericht (LSG) die Klage am 25. April 1973 wegen der jedenfalls fehlenden Beitragsentrichtung abgewiesen.

Nach Einschaltung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages und des Bundesversicherungsamts erkannte die Beklagte unter Zurückstellung ihrer Bedenken im Juli 1974 die vom SG im Urteil vom 7. Juni 1972 festgestellten "Unternehmerzeiten" an. Die Klägerin zahlte noch im selben Monat die angeforderten 978,- DM Beiträge ein; außerdem legte sie einen Vertrag vom 1. April 1970 über die Verpachtung von 1,51 ha Weideland vor, der sich von Jahr zu Jahr verlängern sollte, wenn nicht eine Vertragspartei zum Ende eines Pachtjahres kündigt. Diesen Vertrag gab die Beklagte zurück, weil er keine langfristige Verpachtung im Sinne des § 2 Abs. 3 GAL enthalte; daraufhin reichte die Klägerin einen neuen Pachtvertrag vom 29. November 1974 mit einer Laufzeit bis zum 31. März 1988 ein. Nun bewilligte die Beklagte das Altersgeld ab November 1974 (Bescheid vom 9. Januar 1975).

Die Klägerin begehrt es schon ab Mai 1971. Ihre Klage und die - vom SG im Urteil zugelassene - Berufung hatte keinen Erfolg (Urteile vom 29. Oktober 1975 und 26. April 1976). Das LSG hat ausgeführt: Rechtswirksam habe die Klägerin das Unternehmen erst durch den Pachtvertrag vom 29. November 1974 abgegeben; gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 GAL stehe ihr das Altersgeld sonach erst ab November 1974 zu. Die Zahlung ab Mai 1971 könne die Klägerin auch nicht mit dem Einwand verlangen, die Beklagte habe sie bei Prüfung des Antrages vom Mai 1971 nicht darauf aufmerksam gemacht, daß es an der wirksamen Abgabe fehle. Die Beklagte habe den Antrag wegen zu geringer Größe des Unternehmens und deshalb nicht bestehender Beitragspflicht abgelehnt; weitere Gründe habe sie nicht heranzuziehen brauchen.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen, das Altersgeld ab 1. Mai 1971 zu zahlen.

Zur Begründung rügt sie, das LSG habe den Umfang der versicherungsrechtlichen Fürsorge- und Betreuungspflicht der Beklagten verkannt. Die Beklagte hätte spätestens in der Begründung des Bescheides auf das Formerfordernis des § 2 Abs. 3 GAL hinweisen müssen. Da sie diese Pflicht verletzt habe, müsse sie sich nun so stellen lassen, als sei der Hinweis rechtzeitig gegeben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Zutreffend hat das LSG entschieden, daß der Klägerin im Hinblick auf § 10 Abs. 2 Satz 1 GAL Altersgeld nicht für Zeiten vor November 1974 gewährt werden kann.

Kein Zweifel besteht, daß Vorschriften des GAL keinen früheren Zahlungsbeginn ermöglichen, weil nach allen in Betracht kommenden Regelungen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor November 1974 erfüllt waren. Dabei scheidet der von der Beklagten im Bewilligungsbescheid vom 9. Januar 1975 genannte § 34 GAL von vornherein als Anspruchsgrundlage aus, weil die Klägerin nicht zu den anspruchsberechtigten Personen im Sinne der Absätze 1 und 5 dieser Vorschrift gehört (sie hatte am 1. Oktober 1957 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet; ihr Ehemann hatte diesen Stichtag nicht mehr erlebt). Als Anspruchsgrundlage kommt vielmehr § 33 Abs. 10 GAL in Betracht, der für Witwen der vor dem 1. Oktober 1957 verstorbenen landwirtschaftlichen Unternehmer gilt; vielleicht wäre auch eine Anspruchsableitung aus § 2 Abs. 2 GAL (vorzeitiges Altersgeld wegen Erwerbsunfähigkeit) möglich. Diese Vorschriften verlangen jedoch ua. eine den Anforderungen des § 2 Abs. 3 (Abs. 7) GAL entsprechende Unternehmensabgabe. Daß dieses Erfordernis auch in den Fällen des § 33 Abs. 10 Buchst. b Sätze 1 und 2 GAL erfüllt sein muß, ergibt sich aus der Verweisung auf Absatz 1 Buchst. c, der die Abgabe voraussetzt, sowie aus dem Gesamtaufbau des Altershilferechts, insbesondere aus dem Sinn des § 2 Abs. 3 GAL (SozR Nr. 2 zu § 34 GAL 1965). Eine Abgabe im Sinne des § 2 Abs. 3 GAL ist indessen vor November 1974 nicht erfolgt.

Im übrigen wäre zweifelhaft, wann die in § 33 Abs. 10 Buchst. b bzw. § 2 Abs. 2 Buchst. b GAL außerdem geforderte Beitragsentrichtung (Beitragszahlung) für die Zeit von Oktober 1957 bis September 1964 bzw. für mindestens 60 Kalendermonate tatbestandsmäßig als gegeben anzusehen wäre. Die Klägerin hat Beiträge überhaupt erst im Juli 1974 entrichtet; in der Zwischenzeit war durch das 6. Änderungsgesetz zum GAL vom 26. Juli 1972 (Art. 1 Nr. 10) die entsprechende Anwendung der §§ 1418, 1420 der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Recht der Altershilfe für Landwirte angeordnet worden. Sowohl bei Anwendung als auch bei Nichtanwendung dieser Vorschriften bestünden Bedenken, die im Juli 1974 für Zeiten von Oktober 1957 bis September 1964, also für mehr als zwei bzw. vier Jahre zurückliegende Zeiten, nachentrichteten Beiträge bei Feststellung des Rentenbeginns so zu behandeln, als seien sie zu den Fälligkeitszeitpunkten oder jedenfalls vor Mai 1971 entrichtet worden. Dies braucht hier jedoch nicht entschieden zu werden.

Auf eine andere Rechtsgrundlage außerhalb des GAL, die die Beklagte zur Vorverlegung des Rentenbeginns aus Gründen eines Schadens- oder Folgenausgleichs verpflichten würde, kann die Klägerin ihr Begehren ebenfalls nicht stützen.

Die Rechtsprechung hat zwar anerkannt, daß ein Leistungsträger auf Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen muß, die so offensichtlich zweckmäßig sind, daß sie jeder vernünftige Versicherte nutzt (SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO; Urteil vom 19. August 1976 - 11 RA 142/75 -). Ebenso ist auf die Beseitigung von Formmängeln hinzuwirken. Die Unternehmensabgabe ist jedoch kein formelles Erfordernis, wie die Klägerin meint, vielmehr eine von mehreren materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen. Wenn eine Abgabe durch Verpachtung erfolgen soll, wird in § 2 Abs. 3 GAL eine langjährige Verpachtung (Zeitraum von neun Jahren nach Vollendung des 65. Lebensjahres) gefordert. Das ist keine "Gestaltungsmöglichkeit", von der anzunehmen wäre, daß sie jeder vernünftige Versicherte unzweifelhaft nutzt. Wenn es zudem nur an einer wirksamen Abgabe mangelt, dann ist kein Rechtsverlust durch unterbliebenen Hinweis zu befürchten. Die Abgabe kann jederzeit nachgeholt werden, aber immer - ob mit oder ohne Hinweis - mit der Wirkung, daß erst von da an Altersgeld zu zahlen wäre. Davon abgesehen bestand nach dem 1971 für die Beklagte konkret gegebenen Sachverhalt kein Anlaß, überhaupt einen Hinweis auf die fehlende Abgabe in Erwägung zu ziehen. Die Klägerin hatte einen Formularantrag auf Gewährung von vorzeitigem Altersgeld eingereicht; die Beklagte war bei dessen Prüfung zu der Überzeugung gekommen, daß zwei materiell-rechtliche Voraussetzungen (Mindestgröße und Beitragsleistung) fehlten. Sie hat demzufolge aus diesen Gründen den Antrag abgelehnt. Zusätzlich auf die Voraussetzung der Unternehmensabgabe einzugehen, war sie im Rahmen ihrer Begründungspflicht nicht gehalten. Im übrigen ist nicht unzweifelhaft, daß die Klägerin bei entsprechendem Hinweis sogleich für eine wirksame Abgabe gesorgt hätte. Hinweise sind ihr zB. schon im Vorprozeß in der Berufungsbegründung der Beklagten gegeben worden, ohne daß die Klägerin darauf reagiert hat.

Ein sogenannter Folgenbeseitigungsanspruch setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu Urteile vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ 88/75 und vom 25. März 1976 - 12/7 RAr 135/74, beide mit weiteren Nachweisen) Beeinträchtigungen von Freiheitsgrundrechten oder gleichgestellter Unterlassungsansprüche voraus. Solche sind nicht erfolgt. Selbst wenn andere Rechtsbeeinträchtigungen einzubeziehen wären, müßte Ausgangspunkt immer ein rechts- oder pflichtwidriges Verhalten der Behörde sein. Die Beklagte hat, wie bereits dargetan, weder rechts- noch pflichtwidrig gehandelt, wenn sie einen Hinweis auf die fehlende Abgabe unterließ. Ein rechts- oder pflichtwidriges Verhalten ist aber auch nicht darin zu erblicken, daß sie im Ablehnungsbescheid vom 28. Juli 1971 Gründe angeführt hat, die sie später nicht mehr geltend gemacht hat. Für ein rechts- oder pflichtwidriges Verhalten kommt es auf die Maßnahme selbst und nicht auf die ihr gegebene Begründung an. Folgen einer rechtswidrigen Maßnahme zu beseitigen, wäre die Beklagte nur verpflichtet, wenn die seinerzeitige Maßnahme (Erlaß des ablehnenden Bescheides) objektiv unrichtig war. Das ist sie ohne Zweifel nicht gewesen; die Maßnahme war vielmehr rechtmäßig, weil jedenfalls noch keine wirksame Abgabe erfolgt war und zudem damals überhaupt keine Beiträge entrichtet waren.

Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch nicht mit einer Verletzung von Treu und Glauben (s. hierzu SozR aaO, Urteil des 12. Senats vom 18. Dezember 1975) begründen. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn die Beklagte den Bescheid ganz offensichtlich falsch begründet hätte und bei Erkenntnis der falschen Begründung zu Hinweisen an die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, die die Klägerin wahrscheinlich sofort befolgt hätte mit der Wirkung, daß daraufhin die Beklagte die Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen hätte feststellen müssen. Von alledem kann keine Rede sein. Der Beklagten kann kein Verstoß gegen Treu und Glauben angelastet werden; sie hat deutlich erkennbar unter Zurückstellung erheblicher tatsächlicher wie rechtlicher Bedenken nur auf wiederholtes Einwirken des Bundesversicherungsamts "Unternehmerzeiten" anerkannt und Beitragsnachentrichtungen für lange zurückliegende Zeiten zugelassen; ihre Bedenken waren dabei gewiß nicht unberechtigt. Eher wäre zu fragen, ob die Klägerin sich an Treu und Glauben hält, wenn sie Nachzahlungen für Zeiten vor ihrer tatsächlichen Beitragsnachentrichtung verlangt. Die Klägerin sollte nicht übersehen, daß sie nicht wie die sonstigen landwirtschaftlichen Unternehmer die Beiträge zu den vorgesehenen Fälligkeitszeitpunkten entrichtet hat und daß ihr trotz erheblicher rechtlicher Zweifel ermöglicht worden ist, mit einer Nachentrichtung von 978,- DM lange nach Ablauf der Beitragszeiten Anspruch auf laufende Zahlungen zu erwerben, die vermutlich alsbald den eingezahlten Betrag überstiegen haben bzw. übersteigen.

Nach alledem war der Revision der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649077

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