Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankengeld. Rentenübergang

 

Leitsatz (redaktionell)

Sind die Tatsachen, die einen Übergang kraft Gesetzes bewirken, im Urteil des Tatsachengerichts festgestellt worden, obwohl die Rechtsfolge erst nach Erlaß des Berufungsurteils eingetreten ist, dann ist dieses vom Revisionsgericht zu berücksichtigen. Das entspricht der Prozeßökonomie.

 

Orientierungssatz

Die Rechtsfolge, daß der Rentenanspruch bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die KK übergeht tritt nur dann und nur insoweit ein, als die KK im Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides das Krankengeld bereits gezahlt hat. Die Vorschrift des RVO § 183 Abs 3 S 2 verpflichtet die KK jedoch nicht, einem Versicherten Krankengeld ohne Rechtsgrund zu zahlen (vgl. dazu auch BGH vom 1968-05-13 III ZR 182/67 = KVRS 2350/52).

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1967-12-21, § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12; SGG § 163 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.03.1977; Aktenzeichen L 4 Kr 148/75)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 21.11.1974; Aktenzeichen S 4a Kr 1094/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. März 1977 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 1974 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld.

Der Kläger war ab Februar 1972 bei der Firma C. B AG beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Ab 13. März 1972 war er arbeitsunfähig erkrankt. Am 29. März 1972 stellte er einen Rentenantrag, auf den hin ihm späterhin die Landesversicherungsanstalt N rückwirkend ab 1. April 1972 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährte.

Der Kläger teilte der Beklagten mit, daß er ab 30. Juni 1972 in sein Heimatland Jugoslawien reisen wollte und beantragte, ihm auch dorthin Leistungen zu gewähren. Durch Bescheid vom 29. Juni 1972 beurlaubte die Beklagte den Kläger für die Zeit vom 30. Juni bis 30. Juli 1972 nach Jugoslawien. Der Kläger verblieb jedoch dort bis zum Januar 1973. Die Beklagte stellte die Krankengeldzahlung mit dem 30. Juli 1972 ein, die Forderung des Klägers auf Weiterzahlung lehnte sie ab, sein Widerspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart hat der Kläger Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 12. Januar bis zum 25. August 1970 und ab 31. Juli 1972 erhoben. Die Beklagte hat im Verfahren den Anspruch für die Zeit vom 31. Juli bis zum 20. August 1972 anerkannt. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen. Mit Urteil vom 21. November 1974 hat das SG die Beklagte zur Zahlung von Krankengeld ab 21. August 1972 verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte nach den Vorschriften des mit Jugoslawien abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommens zur Zahlung des Krankengeldes in den Abkommensstaat verpflichtet gewesen sei.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, die vom Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückgewiesen worden ist (Urteil vom 11. März 1977): Nach Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 10. Dezember 1968 (BGBl II, 1969, 1438) habe es keiner Beurlaubung des Klägers durch die Beklagte bedurft, die Barleistung habe dem Kläger vielmehr auch in Jugoslawien zugestanden.

Der Senat hat mit Beschluß vom 5. Oktober 1977 die Revision zugelassen. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen das Berufungsurteil und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Der Kläger habe sich nach Eintritt des Versicherungsfalles ins Ausland begeben. Deshalb ruhe sein Anspruch auf Krankenhilfe (§ 216 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -), soweit er nicht beurlaubt gewesen sei. Aber selbst wenn man der Auffassung sein wolle, daß nach den Vorschriften des Sozialversicherungsabkommens kein Ruhen eintrete, sei der Anspruch unbegründet. Dem Kläger sei zwischenzeitlich ab 1. April 1972 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt worden, und damit sei er klaglos gestellt.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. März 1977 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 1974 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 1973 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß ihm das Krankengeld nach Jugoslawien zu zahlen gewesen sei, so wie die Vorinstanzen entschieden hätten. Wenn ihm nunmehr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt worden sei, so sei das eine neue Tatsache, die im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden könne. Im übrigen bewirke die rückwirkende Rentengewährung nicht den Verlust des Krankengeldanspruchs, vielmehr gehe nur der Rentenanspruch bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse über.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet, dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Krankengeld zu.

Die vom Kläger im Rechtsstreit ursprünglich geltend gemachten Ansprüche auf Krankengeld vom 12. Januar 1970 bis zum 25. August 1970 sind nicht mehr Gegenstand der Entscheidung, weil im Urteil des SG Stuttgart insoweit die Klage abgewiesen, gegen diesen Teil der Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt worden und es in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen ist (§ 141 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Auch der Krankengeldanspruch für die Zeit vom 31. Juli bis 20. August 1972 ist nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits, weil dieser durch angenommenes Anerkenntnis erledigt worden ist (§ 101 Abs 2 SGG).

Streit besteht zwischen den Beteiligten allein noch darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 21. August 1972 Krankengeld zu zahlen. Es bedarf in dem Zusammenhang keiner Erläuterung der Frage, ob der Kläger während dieser Zeit arbeitsunfähig war (§ 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO) oder nicht, denn selbst wenn zu seinen Gunsten das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit unterstellt wird, steht ihm kein Krankengeld zu. Seinem Anspruch steht die Vorschrift des § 183 Abs 3 Satz 1 RVO entgegen. Der Kläger bezieht seit dem 1. April 1972 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Sein Anspruch auf Krankengeld ist somit seit diesem Zeitpunkt beendet. Aus der Wortfassung der Vorschrift "zugebilligt wird" ist nicht abzuleiten, daß das Erlöschen des Krankengeldanspruchs erst mit Erlaß des Rentenbescheides eintritt, vielmehr ist unter Zubilligung das Datum des Rentenbeginns zu verstehen, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl BSGE 32, 186, 187; 41, 201, 202; Urteile vom 10. Juli 1979 - 3 RK 43/78, 3 RK 87/77 und 3 RK 3/79). Da dem Kläger somit seit dem 1. April 1972 aufgrund seines Rentenbezuges kein Anspruch auf Krankengeld mehr zusteht, weil der Gesetzgeber aus wohlerwogenen Gründen die Nebeneinanderzahlung der beiden Lohnersatzleistungen ausschließt, kann er für die Zeit ab 21. August 1972 von der Beklagten keine Zahlungen mehr fordern. Das Vorbringen des Klägers, die rückwirkende Rentengewährung führe nur dazu, daß der Rentenanspruch bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse übergehe, verkennt die Sach- und Rechtslage. Diese Rechtsfolge tritt nur dann und nur insoweit ein, als die Krankenkasse im Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides das Krankengeld bereits gezahlt hatte, das war vorliegend bis zum 20. August 1972 der Fall. Die Vorschrift des § 183 Abs 3 Satz 2 RVO verpflichtet die Krankenkasse jedoch nicht, einem Versicherten Krankengeld ohne Rechtsgrund zu zahlen (vgl dazu auch BGH, Urteil vom 13. Mai 1968 - III ZR 182/67 in KVRS 2350/52). Eine solche Zahlung verlangt der Kläger aber, weil ihm für die Zeit ab 21. August 1972 kein Anspruch mehr zusteht.

Diese materielle Rechtslage ist auch für die Entscheidung zu beachten. Entgegen der vom Kläger geäußerten Auffassung steht ihrer Verwertung im Revisionsverfahren nicht die Vorschrift des § 163 SGG entgegen. In dem Zusammenhang ist zunächst wesentlich, daß die Tatsache - Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente an den Kläger seit dem 1. April 1972 - zwischen den Beteiligten unstreitig ist; der Kläger hat zwar ihrer Verwertung widersprochen, die Tatsache selbst, die zudem vom zuständigen Rentenversicherungsträger bestätigt worden ist, aber nicht in Abrede gestellt. Weiterhin ist beachtlich, daß - obzwar der Rentenbescheid erst nach Erlaß des Berufungsurteils ergangen ist - es im vorliegenden Rechtsstreit auf den Erlaß dieses Verwaltungsakts nicht ankommt. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, wird der Übergang des Rentenanspruchs nicht durch den Erlaß des deklaratorischen Rentenbescheides bewirkt (vgl Urteil vom 10. Juli 1979 - 3 RK 87/77 mwN), sondern tritt kraft Gesetzes ein, wenn der Versicherungsträger über den Zeitpunkt des Rentenbeginns hinaus Krankengeld gezahlt hat (vgl dazu Heinze in DAnGVers 1979, S. 93, 97). Sowohl die Tatsache der Rentenantragstellung, von der das Datum des Rentenbeginns beeinflußt wird, als auch die Tatsache der Krankengeldzahlung über diesen Termin hinaus liegen vor dem Erlaß des Berufungsurteils und sind vom LSG im angefochtenen Urteil festgestellt worden. Die Entstehung des Rentenanspruchs des Klägers und der Übergang des Anspruchs auf die Beklagte ist mithin die kraft Gesetzes eintretende Folge bereits festgestellter Tatsachen und kann daher im Revisionsverfahren beachtet werden. Darüber hinaus ist aber zu bedenken, daß die Nichtberücksichtigung der Veränderung der materiellen Rechtslage das Gebot der Prozeßökonomie aufs gröbste verletzen und sich als bloße Beachtung einer Formalie darstellen würde. Wenn dem Revisionsgericht die Beachtung dieses Gesichtspunktes versagt bliebe, müßte es auf die Rüge der Beklagten hin das angefochtene Urteil aufheben und an die Berufungsinstanz zur neuen Tatsachenfeststellung zurückverweisen. Da aber die Tatsache des Rentenbezugs unstreitig ist, hätte das LSG die gleiche rechtliche Würdigung durchzuführen, die jetzt im Revisionsverfahren vorgenommen wird. Der Rechtsstreit würde somit nicht gefördert, sondern lediglich um eine Instanz verlängert.

Da der Kläger wegen des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit ab 21. August 1972 keinen Anspruch auf Krankengeld gegen die Beklagte hat, waren die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hält eine Kostenteilung für sachgerecht, weil der Kläger nach der dem Rechtsstreit ursprünglich zugrunde liegenden Rechtsfrage in erster und zweiter Instanz obsiegende Urteile erstritten hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653854

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