Leitsatz (amtlich)

Die Erhöhung des Beitragssatzes zum 1968-01-01 (RVO § 1385 Abs 1 idF des FinÄndG 1967) wirkte sich auf die Höhe der Beiträge, die der Bund für Zeiten der Teilnahme an einer Eignungsübung nachzuentrichten hatte (EÜG § 9 aF), nicht aus, wenn die Eignungsübung bereits im Jahre 1967 begonnen hatte.

 

Normenkette

RVO § 1385 Abs. 1 Fassung: 1967-12-21; EÜG § 9 S. 1 Fassung: 1956-01-20

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 1. Juni 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Versicherte leistete vom 2. Oktober 1967 bis zum 31. Januar 1968 eine Eignungsübung. Die Beteiligten streiten über die Höhe des Beitragssatzes für den Januar-Beitrag 1968 (§ 9 des Gesetzes über den Einfluß von Eignungsübungen der Streitkräfte auf Vertragsverhältnisse der Arbeitnehmer und Handelsvertreter sowie auf Beamtenverhältnisse - Eignungsübungsgesetz - EÜG - idF vom 20. Januar 1956 - BGBl I 13; § 1385 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -, geändert durch Art. 1 § 1 Nr. 28 des Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil -FinÄndG 1967 -).

Die Beklagte forderte den erhöhten Beitragssatz von 15 v. H. der maßgebenden Bezüge des Versicherten (Bescheid vom 25. Oktober 1968). Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 20. März 1969).

Das Sozialgericht (SG) Kiel hat die Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die nachträgliche Versicherung auch für den Monat Januar 1968 zu einem Beitragssatz von 14 v. H. durchzuführen (Urteil vom 1. Juni 1970). Auch bei extensiver Auslegung des § 9 EÜG - so hat das SG ausgeführt - werde ein höherer als der zuletzt vor der Eignungsübung entrichtete Beitrag nicht geschuldet. Nach dem Zweck der Vorschrift und nach der Interessenlage der Beteiligten sei eine Lücke im Gesetz nicht anzunehmen. Bleibe die Erhöhung des Beitragssatzes unberücksichtigt, so erleide der Versicherte, der eine Eignungsübung geleistet habe, keinen Nachteil; für die Höhe der Rente sei der Beitragssatz bedeutungslos. Zweck des EÜG sei nicht, gegenüber den Versicherungsträgern die Lage herzustellen, die ohne die Eignungsübung bestehen würde. Ein solcher Zweck sei auch nicht anderen Vorschriften zu entnehmen. § 1385 Abs. 3 Buchst. e RVO betreffe nur die Beitragsbemessungsgrenze. § 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) vom 30. März 1957 (BGBl I 293) beziehe sich auf das Verhältnis zwischen dem Bund und dem Arbeitgeber, während der Versicherungsträger keinen Beitragsausfall erleide; eine ähnliche Regelung im Rahmen des EÜG anzunehmen, sei wegen der kurzen Übungszeiten und wegen der zeitlichen Begrenzung des Gesetzes nicht angebracht. § 1419 Abs. 3 RVO enthalte eine spezielle Regelung für freiwillige Beiträge; auch sei die Nachversicherung nicht mit der Nachentrichtung von Beiträgen gleichzusetzen. Die Erhöhung des Beitragssatzes durch das ArVNG habe sich bei Beginn der Eignungsübung vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht ausgewirkt; damit seien die Rentenversicherungsträger einverstanden gewesen. Falls die Anwendung der eindeutigen Vorschrift des § 9 EÜG aus sozialpolitischen Gründen nicht mehr tragbar sein sollte, müsse das Gesetz geändert werden.

Mit ihrer Sprungrevision beantragt die Beklagte, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet.

Die Klägerin ist nicht verpflichtet, den Beitrag für den Monat Januar 1968 entsprechend einem Beitragssatz von 15 v. H. an die Beklagte nachzuentrichten. Vielmehr ist - wie für die drei vorausgegangenen Monate der Eignungsübung des Versicherten - der Beitragssatz von 14 v. H. maßgebend. Nach diesem Beitragssatz, der sich aus § 1385 Abs. 1 RVO idF des ArVNG ergab, war die Beitragsverpflichtung vor dem Beginn der Eignungsübung zu errechnen. Die Erhöhung des Beitragssatzes zum 1. Januar 1968 (Änderung des § 1385 Abs. 1 RVO durch das FinÄndG 1967) wirkte sich nicht aus, weil die Eignungsübung bereits im Jahre 1967 begonnen hatte und die Verhältnisse im Zeitpunkt des Beginns der Eignungsübung die Höhe der Beiträge bestimmten.

Entscheidungsgrundlage ist § 9 EÜG in der ursprünglichen Fassung. Die Vorschrift ist zwar mit Wirkung vom 31. Dezember 1970 durch Art. 1 Nr. 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung des EÜG (4. ÄndG) vom 17. Dezember 1970 (BGBl I 1741) neu gefaßt worden. Dieses Gesetz hat jedoch keine rückwirkende Kraft.

Der Senat stimmt der Auslegung zu, die das SG dem § 9 Satz 1 EÜG aF gegeben hat. Nach dieser Vorschrift hatte der Bund die Beiträge für die Zeiten der Teilnahme an einer Eignungsübung in der Höhe nachzuentrichten, in der sie zuletzt vor Beginn der Eignungsübung zu entrichten waren. Einer besonderen Regelung der Frage, welche Wirkung etwa eine Änderung des Beitragssatzes während der Eignungsübung haben sollte, bedurfte es nicht. Die Höhe der Nachentrichtungsschuld des Bundes war für diesen Fall eindeutig festgelegt. Sie richtete sich immer nach dem Betrag der vor dem Beginn der Eignungsübung bestehenden Beitragsverpflichtung. Diese konnte sich durch eine Änderung des Beitragssatzes während der Eignungsübung nicht nachträglich erhöhen oder vermindern; sie stand vielmehr spätestens zu Beginn der Eignungsübung fest.

Gegenüber dieser Auslegung scheitert der Versuch der Revision, den geschuldeten Beitrag mit dem Bruttoarbeitsentgelt, also das Rechnungsergebnis mit einem Faktor gleichzusetzen und damit einen anderen Faktor - den Beitragssatz - variabel zu gestalten, schon am Wortlaut der Vorschrift. Dem Gesetzgeber hätten andere Formulierungen zur Verfügung gestanden, wenn er eine Auslegung im Sinne der Revision gewollt hätte. Die Vielfalt der Möglichkeiten ergibt sich aus einem Vergleich des § 9 Satz 1 EÜG aF mit ähnlichen Vorschriften, die die echte Nachversicherung (§ 1402 Abs. 1 RVO), die echte Nachentrichtung (§§ 1405 Abs. 2 Satz 1, 1419 Abs. 3 RVO) oder die stellvertretende laufende Beitragsentrichtung (§ 5 Abs. 2 Arbeitsplatzschutzgesetz) betreffen. Dem § 9 EÜG ist die ihn kennzeichnende Spezialität mit Ausschließlichkeitscharakter (vgl. Gumbel in Maunz/Schraft, Die Sozialversicherung der Gegenwart, Bd. 3 1964, S. 33, 45; auch Buttler in SozVers. 1969, 272) sogar nach seiner Neufassung erhalten geblieben. Nach wie vor wird die Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge aus den vor Beginn der Eignungsübung bestehenden Verhältnissen ermittelt, wenn es jetzt auch nicht mehr auf die Beitragsverpflichtung, sondern auf den tatsächlichen Beitragsdurchschnitt in den letzten drei mit Pflichtbeiträgen voll belegten Kalendermonaten ankommt. Die - im Hinblick auf § 1419 Abs. 3 RVO mehrdeutige - Regelung des § 9 Abs. 2 EÜG, wonach während der Eignungsübung eintretende Änderungen des Beitragssatzes zu berücksichtigen sind, ist eine Durchbrechung des Grundsatzes, die ausdrücklich ausgesprochen werden mußte. Bei der Abwägung, ob der neuen Gesetzeslage auch für die Vergangenheit Bedeutung beizumessen sei oder nicht, lassen sich Anhaltspunkte für die der Revision entgegengesetzte Meinung aus den Materialien gewinnen. Dagegen, daß § 9 Abs. 2 EÜG nF lediglich eine Klarstellung enthalte, sprechen die Begründung zum Regierungsentwurf des 4. ÄndG (BT-Drucks. VI/1314 S. 4) und der Bericht des zuständigen Bundestagsausschusses (BT-Drucks. VI/1389), in denen von der Notwendigkeit die Rede ist, u. a. den § 9 EÜG an das zwischenzeitlich geänderte Sozialversicherungsrecht "anzugleichen". Angleichung bedeutet aber in der Regel auch die Veränderung des Inhalts, nicht lediglich die Bestätigung des bereits Vorhandenen in neuer Form oder Gestalt. Letzte Zweifel an der Absicht des Gesetzgebers werden dadurch ausgeräumt, daß - soweit ersichtlich - der Begründung des Gesetzentwurfs (aaO), wonach die Änderungen des Beitragssatzes "nunmehr", also nicht schon in Fällen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu berücksichtigen seien, weder im Ausschuß noch im Plenum des Bundestages widersprochen wurde.

Die Revision irrt auch in der Annahme, daß der Beitragssatz mit der Rentenversicherungs-Neuregelung des Jahres 1957 dynamisch geworden sei. Dies kann nur für die Beitragsbemessungsgrenze gelten, die jedoch in diesem Rechtsstreit nicht zu behandeln ist; aber selbst die Beitragsbemessungsgrenze war zuletzt vor dem Inkrafttreten des EÜG in den Jahren 1949 und 1952 erhöht worden (vgl. die Zusammenstellung bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III, S. 642 i); dem Gesetzgeber kann Ende 1955/Anfang 1956, selbst wenn er von einer verhältnismäßig kurzen Geltungszeit des EÜG ausging und die Einzelheiten einer Rentenversicherungsform noch nicht zu überblicken vermochte, die Möglichkeit der Änderung einer Beitragsbemessungsgrenze in naher Zukunft nicht entgangen sein. Änderungen des Beitragssatzes, die vor dem Inkrafttreten des EÜG zuletzt in den Jahren 1949 und 1955 gesetzlich bestimmt wurden (vgl. Brackmann, aaO S. 642 a) und dem Gesetzgeber deshalb ebenso wenig fremd gewesen sein können, bedürfen jedenfalls auch nach der Rentenversicherungs-Neuregelung 1957 einer eigenen gesetzlichen Regelung konstitutiver Art. Die Dynamik der Renten wirkt sich nicht automatisch auf den Beitragssatz aus. An dem Charakter und der Art des Zustandekommens dieses Faktors der Beitragsberechnung hat sich seit dem Erlaß des EÜG nichts geändert. Hätte das 4. ÄndG keine Berücksichtigung von Beitragssatzänderungen gebracht, so wären die Grundsätze der Rentenversicherungs-Neuregelung unberührt geblieben. Der Vortrag der Revision, daß § 9 Abs. 1 EÜG aF im Jahre 1957 systemwidrig geworden sei, ist, was den Beitragssatz angeht, unrichtig. Wenn sich nunmehr der Gesetzgeber anders entschieden hat, so ist dies als ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Perfektionierung des Rechts der Rentenversicherung anzusehen, läßt aber einen Rückschluß auf das zuvor geltende Recht nicht zu. Der Zweck der Vorschrift des § 9 EÜG, die Eignungsübenden versicherungsrechtlich nicht schlechter zu stellen, als wenn sie während der Eignungsübung weiterhin in ihrem Beschäftigungsverhältnis geblieben wären, wird dadurch, daß den Änderungen des Beitragssatzes, die während einer Eignungsübung eintreten, ein Einfluß auf die Beitragsberechnung eingeräumt wird oder nicht, weder gefördert noch vereitelt. Dies wird auch von Buttler (aaO) übersehen. Dagegen vermehrt die neue Gesetzeslage die Verwaltungsarbeit, ohne daß dieser Belastung ein angemessener Gewinn der Träger der Rentenversicherung gegenübersteht. Zahl und finanzielles Gewicht der in Betracht kommenden Fälle sind gering. Nur ein kleiner Teil der Eignungsübenden wird von einer Beitragssatzänderung betroffen. Die Erhöhungen des Beitragssatzes zu Beginn der Jahre 1968, 1969 und 1970 machten jeweils nur 1 v. H. aus. Die Beitragsunterschiede nach der einen oder der anderen Berechnung schlagen im Verhältnis zu dem gesamten Beitragsaufkommen nicht zu Buche. Der Gedanke der Verwaltungsvereinfachung war wohl auch für die dem Gesetzeswortlaut entsprechende, offensichtlich ohne Anstände durchgeführte Abwicklung der Beitragssatzerhöhung zu Beginn des Jahres 1957 bestimmend (vgl. Einleitung und Abschnitt IV des Erlasses des Bundesministers der Verteidigung vom 4. Oktober 1958 im VMBl 1958, 705, 706); dabei wurde den Interessen der Versicherten durch die Berücksichtigung der gleichzeitigen Änderung der Beitragsbemessungsgrenze in vernünftiger Weise (vgl. Abschnitt V des genannten Erlasses) Rechnung getragen. Eine sachgerechte Verwaltungsvereinfachung findet sich - unter dem Gesichtspunkt der Kürze der zu beurteilenden Beitragszeit - auch sonst im Zusammenhang mit der Änderung des Beitragssatzes, und zwar - im Gegensatz zu § 9 EÜG - ohne gesetzliche Grundlage (vgl. Brackmann, aaO S. 642 b).

Ob das SG den § 1385 Abs. 3 Buchst. e RVO verkannt hat oder nicht, kann dahinstehen. Für die Auslegung des § 9 EÜG im Sinne der Revision ist diese Vorschrift jedenfalls unmittelbar nicht geeignet. Dasselbe gilt für den § 1419 Abs. 3 RVO. Dieser Vorschrift wäre eine allgemeine Bedeutung allenfalls dann beizumessen, wenn sie an anderer Stelle im Gesetz stünde. Sie bezieht sich nach dem Zusammenhang, in den sie gestellt ist, nicht auf den Hauptanwendungsfall des § 9 EÜG, nämlich auf Pflichtbeiträge, die im Lohnabzugsverfahren entrichtet werden; ihre entsprechende Anwendung ist nur für die Entrichtung von Pflichtbeiträgen durch Beitragsmarken ausdrücklich bestimmt (§ 1405 Abs. 2 Satz 2 RVO; vgl. auch BT-Drucks. V/2341, Begründung des Schriftlichen Berichts des Haushaltsausschusses zum FinÄndG 1967, S. 8 zu Art. 1 § 1 Nr. 18 und 20). Ihr Inhalt (jegliche Nachentrichtung entsprechend dem neuen Beitragssatz) steht auch nicht in Einklang mit der Auslegung, die die Beklagte selbst dem § 9 Abs. 2 EÜG nF (neuer Beitragssatz nur für die Zeit nach dem Inkrafttreten der Änderung) gibt. Das Arbeitsplatzschutzgesetz (insbesondere § 5 Abs. 2) ist mit dem EÜG aus mehreren Gründen nicht vergleichbar, worauf schon das SG hingewiesen hat.

Hiernach ist die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669635

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