Leitsatz (amtlich)

1. In der Höherversicherung können bei Änderung des Beitragssatzes Beiträge auch in der neuen höchsten Beitragsklasse nachentrichtet werden. Sie werden bei der Berechnung der Steigerungsbeträge jedoch nur in Höhe der höchsten Beitragsklassen berücksichtigt, die in den Jahren bestanden haben, für die die Beiträge nachentrichtet sind.

2. Zur Frage, inwieweit vom Gesetz angeregte Vermögensdispositionen des Versicherten schutzwürdig sind, solange die Rechtslage noch ungeklärt ist.

 

Normenkette

RVO § 1261 Fassung: 1957-02-23, § 1234 Fassung: 1957-02-23, § 1388 Abs. 2 Fassung: 1967-12-21, § 1419 Abs. 3 Fassung: 1967-12-21; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. April 1973 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Es ist umstritten, in welcher Höhe die Beiträge der Klägerin zur Höherversicherung (HöV) bei ihrer Rente zu berücksichtigen sind.

Die 1909 geborene Klägerin war bis September 1970 versicherungspflichtig beschäftigt. Sie entrichtete 33 Monatsbeiträge zu je 306 DM zur HöV. Die Marken tragen den Jahresaufdruck "70" und sind für die Monate von Januar 1968 bis September 1970 entwertet. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 30. November 1970 das vorzeitige Altersruhegeld von Oktober 1970 an. Sie legte der Berechnung der Steigerungsbeträge aus der HöV für 1968 und 1969 nur 204 DM für jeden Monat zugrunde. Sie meint, die Beitragsklasse zu monatlich 306 DM sei erstmals ab 1. Januar 1970 mit der 3. Beitragsklassenverordnung - BKlV - vom 20. Dezember 1969 eingeführt worden; deshalb könnten für 1968 und 1969 die Beiträge nur in Höhe der Klasse zu monatlich 204 DM - der nächst-niedrigen Beitragsklasse unter 306 DM nach der 3. BKlV - berücksichtigt werden. Sie erklärte sich bereit, der Klägerin den überschießenden Betrag zurückzuzahlen.

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Beklagte zur Berücksichtigung der HöV-Beiträge für die Jahre 1968 und 1969 in voller Höhe verpflichtet (Urteil vom 23.11.1971). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 26.4.1973).

Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt die HÖV-Beiträge seien in voller Höhe zu berücksichtigen. Der Versicherte könne nach Streichung des Abs. 3 des § 1408 der Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 (FinÄndG 1967) die Beitragsklasse uneingeschränkt frei wählen. Die nach § 1419 Abs. 3 RVO idF des FinÄndG 1967 zulässige Nachentrichtung habe nach Änderung des Beitragssatzes und demgemäß der Beitragsklassen (§ 1388 RVO) für die Zeiten vor der Änderung in den neuen Beitragsklassen zu erfolgen. Aus § 1419 Abs. 3 RVO folge, daß die Klägerin Beiträge der höchsten Beitragsklasse zu 306 DM habe nachentrichten dürfen; denn die höchsten Beitragsklassen für 1968 von 240 DM und für 1969 von 272 DM seien für 1970 durch die Beitragsklasse von 306 DM ersetzt worden. Bei der von der Beklagten anerkannten Beitragsklasse von 204 DM wäre die Klägerin gegenüber einer laufenden Beitragsleistung zur HöV schlechter gestellt, denn sie hätte 1968 HöV-Marken von 240 DM und 1969 von 272 DM entrichten können.

Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 1419 Abs. 3 RVO und führt im wesentlichen sinngemäß aus:

HöV-Beiträge einer neu eingeführten Beitragsklasse könnten nicht für Zeiten vor ihrer Einführung rechtswirksam nachentrichtet werden, wenn die Beitragsklasse höher sei als die höchste Beitragsklasse in den Jahren, für die die Nachentrichtung erfolgen solle. § 1419 Abs. 3 RVO bestimme nichts darüber, daß die Nachentrichtung von Beiträgen auch in solchen neu eingeführten Beitragsklassen zulässig sei, die die für das betreffende Jahr geltende Beitragsbemessungsgrenze überstiegen. Der Gesetzgeber habe bei Einfügung des § 1419 Abs. 3 in die RVO im Jahre 1967 nicht beabsichtigt, demjenigen Versicherten, der seine Beiträge nach § 1419 Abs. 1 RVO nachentrichte, ein weitergehendes Recht einzuräumen als demjenigen Versicherten, der seine Beiträge rechtzeitig leiste und bei der Höhe der Beiträge an die für das Jahr der Entrichtung geltende Höchstgrenze gebunden sei (Hinweis auf BT-Drucks. V/2149, V/2341 S. 8 zu Nr. 20). Damit stehe fest, daß derjenige Versicherte, der Beiträge nachentrichte mehr zahlen müsse als derjenige, der seine Beiträge rechtzeitig leiste. Ausgangsvorschriften seien § 1385 Abs. 2 RVO, wo die Beitragsbemessungsgrenze festgelegt sei, und § 1388 RVO, wonach die Beitragsklassen für die HöV mit gleichen Monatsbeiträgen wie für die Pflichtversicherung und die Weiterversicherung gebildet werden. Deshalb könne die für das einzelne Kalenderjahr festgesetzte Beitragsbemessungsgrenze weder in dem Jahr, für das sie gelte, noch zu einem späteren Zeitpunkt bei der Nachentrichtung von Beiträgen für das betreffende Jahr überschritten werden.

Die Klägerin ist nicht vertreten.

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist infolge Zulassung statthaft, aber im Ergebnis nicht begründet.

Es war zu entscheiden, in welchen Beitragsklassen Beiträge zur HÖV nach § 1419 Abs. 3 RVO nachentrichtet werden können und in welcher Höhe die Beiträge bei der Berechnung der Steigerungsbeträge zu berücksichtigen sind (§ 1261 RVO), wenn die HöV-Beiträge in der im Entrichtungsjahr neu eingefügten höchsten Beitragsklasse für die Jahre vorher nachentrichtet sind.

Die Beklagte sieht die Beiträge der Klägerin zu 306 DM für 1968 und 1969 in dieser Höhe als nicht "richtig" im Sinn einer "Beanstandung" oder "Anfechtung" an und will sie teilweise zurückzahlen (vgl. §§ 1423, 1425 RVO). Dies ist jedoch nicht möglich.

Die Klägerin konnte nach § 1419 Abs. 3 RVO im Jahre 1970 Beiträge in der am 1. Januar 1970 neu eingefügten Beitragsklasse zu 306 DM zur HöV für die Jahre 1968 und 1969 wirksam nachentrichten.

§ 1419 RVO gilt für die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen und Beiträgen der HöV. Nach dem durch das FinÄndG 1967 mit Wirkung ab 1. Januar 1968 eingefügten Absatz 3 sind bei einer Änderung des Beitragssatzes (§ 1385 Abs. 1 RVO) Beiträge in den neuen Beitragsklassen (§ 1388 RVO) zu entrichten, wenn sie nach dem Zeitpunkt der Änderung für die Zeit vorher entrichtet werden oder für die Zeit nachher gelten sollen. § 1419 Abs. 3 RVO greift hier ein, weil der Beitragssatz zum 1. Januar 1970 geändert wurde und die Klägerin im Jahre 1970, also nach dem Zeitpunkt der Änderung, HöV-Beiträge für die Jahre 1968 und 1969, also für die Zeit vorher, entrichtet hat. So nachentrichtete HöV-Beiträge sind wirksam entrichtet und können daher nicht angefochten werden.

Man könnte daran denken, daß sich § 1419 Abs. 3 RVO nur auf solche Beitragsklassen beziehe, die in den Jahren, für die Beiträge nachentrichtet werden, schon bestanden haben und bei denen durch die Erhöhung des Beitragssatzes lediglich der Betrag des Beitrages erhöht werde. Dann würde § 1419 Abs. 3 RVO nicht die Nachentrichtung von Beiträgen in den neuen höchsten Klassen gestatten, die den bisherigen Beitragsklassen nicht wegen der Erhöhung des Beitragssatzes, sondern wegen der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (§ 1255 Abs. 2, § 1385 Abs. 2 RVO) und wegen der Bindung der Beitragsklassen der HöV an die Weiter- und Pflichtversicherung (§ 1388 RVO) neu hinzugefügt werden. Einer solchen Auffassung, der anscheinend die Beklagte zuneigt, kann nicht gefolgt werden. § 1419 Abs. 3 RVO bezieht sich nach seinem Wortlaut auf alle neuen Beitragsklassen des § 1388 RVO. Er unterscheidet nicht zwischen den Beitragsklassen, die nur infolge der Erhöhung des Beitragssatzes einen höheren Betrag oder eine andere Staffelung aufweisen, und denen, die wegen § 1255 Abs. 2 RVO den bisherigen Beitragsklassen neu hinzugefügt werden. Der Versicherte, der Beitragsmarken der HöV bei der Post kauft, könnte eine solche Unterscheidung nicht treffen. Die ihm überlassene Wahl der Beitragsklasse (§ 1408 RVO) würde zudem noch dadurch erschwert, daß wegen der Beschränkung der Beitragsklassen in der HöV auf sieben Klassen bisherige Klassen wegfallen, wenn gemäß § 1388 Abs. 2 Satz 2 RVO wegen der Übereinstimmung der höchsten und niedrigsten Beitragsklassen der HöV mit denen der Pflichtversicherung eine neue höchste Klasse hinzukommt. Der Versicherte würde durch den Wegfall bisheriger Klassen der HöV erheblich benachteiligt, wenn er einerseits nicht Beiträge in der neuen höchsten Beitragsklasse nachentrichten dürfte, andererseits aber auch nicht Beiträge in den bisherigen höchsten Klassen nachentrichten könnte.

Die Klägerin hat durch die Wahl des höchsten HöV-Beitrages des Jahres 1970 und dessen Nachentrichtung für 1968 und 1969 gezeigt, daß sie die höchstmögliche Anrechnung der nachentrichteten Beiträge bei der Rentenberechnung wünscht. Weil sie die Beiträge jedoch erst 1970 kaufte, mußte sie nach § 1419 Abs. 3 RVO mehr bezahlen, als wenn sie die höchsten Beiträge schon 1968 - 240 DM - und 1969 - 272 DM - entrichtet hätte.

Diese nach § 1419 Abs. 3 RVO somit wirksam entrichteten Beiträge zur HöV im Betrag von je 306 DM sind an sich bei der Berechnung der Steigerungsbeträge nach § 1261 RVO nur mit den Werten von je 240 DM für 1968 und von je 272 DM für 1969 zu berücksichtigen.

Über die Auswirkungen einer Beitragsnachentrichtung nach § 1419 Abs. 3 RVO in den neuen Beitragsklassen auf die Rentenberechnung sagt das Gesetz nichts Ausdrückliches. Die Vorschriften über die Bewertung nachentrichteter Beiträge bei der Rentenberechnung sind mit Einfügung des § 1419 Abs. 3 RVO nicht geändert worden (§ 1255 Abs. 3 und 5, § 1261 RVO). Der Rentenberechnung in der HöV können wegen der Übereinstimmung der höchsten und niedrigsten Beitragsklassen mit denen der Pflicht- und Weiterversicherung nach § 1388 RVO nicht höhere Beiträge zugrunde gelegt werden als der Rentenberechnung bei der Pflicht- und Weiterversicherung. Diese im System der Rentenversicherung festgelegte Übereinstimmung bedeutet eine Bindung aller Beiträge an die Beitragsbemessungsgrenze der Pflichtversicherung. Diese Bindung erstreckt sich systemgerecht auch auf die Bewertung aller Beiträge bei der Rentenberechnung, auch wenn die einzelnen Bewertungsmethoden- Werteinheiten bei der Pflicht- und Weiterversicherung, Steigerungsbeträge bei der HöV - verschieden sind; denn die freiwillige Weiterversicherung und die HöV sind der Pflichtversicherung nur beigeordnet, wie §§ 1233, 1234 RVO zeigen; sie bestimmen jedoch nicht das System des Zusammenhangs zwischen Beitragsbemessungsgrenze, Beitragshöhe und Rentenberechnung.

Bei der Weiterversicherung sind Beiträge gemäß § 1255 Abs. 3 und 5 RVO mit den Werteinheiten zu bewerten, die den Beitragsklassen für die Jahre, für die die Beiträge gelten, zugeordnet sind; denn die Beitragsklassen der Weiterversicherung sind denen der Pflichtversicherung angeglichen (§ 1288 RVO) und diesen liegen Monatseinkommen in bestimmter Höhe zugrunde - in der höchsten Beitragsklasse Einkommen bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs. 2 RVO). Danach können Werteinheiten den Beitragsklassen erst für solche Jahre zugeordnet werden, in denen diese Beitragsklassen entsprechend der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze bestanden haben. Die Beitragsklasse 1800 der Pflicht- und Weiterversicherung, die einem Beitrag von 306 DM in der HöV entspricht, wurde mit der 3. BKlV eingeführt; sie ist am 1. Januar 1970 in Kraft getreten. Dementsprechend ist sie auch erst für 1970 mit Werteinheiten bewertet (§ 3 Abs. 2 der 13. VO über die Änderung der Bezugsgrößen vom 20.12.1969 für Versicherungsfälle des Jahres 1970; im übrigen Bezugsgrößen -VO 1972 vom 21.12.1971). Somit können bei der Rentenberechnung für Weiterversicherte nach § 1255 Abs. 5 RVO Beiträge in der höchsten Beitragsklasse des Ankaufsjahres für vorhergehende Jahre jedenfalls nicht höher bewertet werden als nach der höchsten in jenen Jahren geltenden Beitragsklasse.

Infolgedessen kann auch in der HöV bei der Rentenberechnung für die Jahre 1968 und 1969 nicht von höheren Beiträgen als 240 DM und 272 DM ausgegangen werden. Die Klägerin kann deshalb an sich nicht höhere Steigerungsbeträge erhalten, als wenn sie laufend in den Jahren 1968 und 1969 Beiträge der jeweiligen höchsten Beitragsklasse - 240 DM und 272 DM - entrichtet hätte.

Indes hat die Beklagte bei den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, wo die von ihr angebotene Rückzahlung eines Teils der Beiträge nicht zulässig ist, auch den Teil der Beiträge, der 240 DM bzw. 272 DM übersteigt, bei der Rentenberechnung nach § 1261 RVO zu berücksichtigen. Die bis jetzt ungeklärte Rechtslage bei § 1419 Abs. 3 RVO und den Auswirkungen dieser Vorschrift auf die Berechnung der Rente aus HöV-Beiträgen machte bisher eine eindeutige allgemeine Aufklärung der versicherten Bevölkerung über die neue Rechtslage durch den Versicherungsträger unmöglich (§ 1324 RVO). Deshalb konnte die Klägerin nicht erkennen, daß die bisher, vor Änderung der Beitragssätze leicht erkennbare Übereinstimmung zwischen den Beiträgen zur HöV und ihrer Berücksichtigung bei der Berechnung der Steigerungsbeträge nicht mehr in vollem Umfang bestand. Sie konnte deshalb die Auswirkungen ihrer Vermögensdisposition durch Nachentrichtung von HöV-Beiträgen in der neuen höchsten Beitragsklasse auf ihre Rentenberechnung nicht überblicken. Wenn das Gesetz den Versicherten in deren Interesse verschiedene Möglichkeiten der Verbesserung ihrer Pflichtversicherung zur Auswahl anbietet, muß ein Versicherter, der von diesem Angebot Gebrauch machen will, vor Verfügung über sein Vermögen anhand des Gesetzes zusammen mit Aufklärungsmaßnahmen der Versicherungsträger in etwa überschauen können, ob und in welchen ungefähren Umfang er seine Versicherung durch freiwillige Beiträge oder HöV-Beiträge am wirksamsten verbessert; er muß die Vor- und Nachteile einer Beitragsnachentrichtung nach der neuen Rechtslage vorher abwägen können. Dies war im Fall der Klägerin nicht möglich. Ihre Vermögensdisposition kann weder auf dem von der Beklagten vorgeschlagenen Weg durch Rückzahlung eines Teils der Beiträge noch auf eine andere gesetzlich zulässige Weise korrigiert werden. Sie kann deshalb einen Ausgleich durch Berücksichtigung des vollen Betrages ihrer HöV-Beiträge bei der Berechnung der Steigerungsbeträge verlangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 149

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