Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilurteil. notwendige Beiladung

 

Orientierungssatz

1. Stellt die AOK für einen Umschüler der neben Unterhaltsgeld nach dem AFG von dem Ausbildenden eine Ausbildungsvergütung von 250,- DM monatlich erhält, die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit fest, und ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß das SG bei seiner Entscheidung rechtsirrtümlich davon ausgegangen ist, die AOK habe nur Beiträge zur Krankenversicherung beansprucht und hat deshalb nur über die Pflicht des Klägers zur Entrichtung solcher Beiträge entschieden, so hat es ein insoweit unzulässiges Teilurteil erlassen.

2. Werden außer Krankenversicherungsbeiträgen auch Beiträge für andere Versicherungszweige (hier: Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung) erhoben, oder handelt es sich um einen Bescheid über die Feststellung der Versicherungspflicht auch in diesen anderen Zweigen, der noch die Erhebung von Beiträgen zur Folge haben kann, ist eine Beiladung der betroffenen Versicherungsträger notwendig (vgl BSG 1961-09-27 3 RK 74/59 = SozR Nr 21 zu § 75 SGG).

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 301

 

Verfahrensgang

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 23.07.1979; Aktenzeichen S 5 Kr 3024/76)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob für einen Umschüler, der Unterhaltsgeld (Uhg) nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bezieht und der deshalb gemäß § 155 AFG in der Krankenversicherung pflichtversichert ist, auch aufgrund einer durch das Ausbildungs-(Umschulungs-)Verhältnis begründeten Versicherungspflicht insoweit Beiträge zu entrichten sind, als neben dem Uhg von dem Ausbildenden Entgelt gezahlt wird.

Der Beigeladene L R (R.) befand sich in der Zeit vom 1. September 1975 bis 28. Februar 1977 bei dem Kläger zur Ausbildung zum Rechtsanwaltsgehilfen. Es handelte sich hierbei um eine Umschulung, für die der Beigeladene vom Arbeitsamt Karlsruhe gemäß § 44 Abs 1 AFG Uhg erhielt. Er war aufgrund dieses Uhg-Bezuges gemäß §§ 155/157 AFG in der Krankenversicherung pflichtversichert. Außerdem erhielt der Beigeladene vom Kläger während der Dauer der Ausbildung eine Ausbildungsvergütung von 250,-- DM monatlich. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15. Juni 1976 die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) fest und erhob durch nachfolgende Beitragsbescheide vom Kläger Beiträge zu allen drei Versicherungszweigen nebst Zinsen.

Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. In dem Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1976 ist ausgeführt, daß der Kläger die Beiträge allein zu tragen habe, weil die Lehrlingsvergütung in Höhe von 250,-- DM ein Zehntel der in der Rentenversicherung der Arbeiter für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) nicht übersteige (§ 381 RVO).

Auf die Klage hat das Sozialgericht Karlsruhe (SG) den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Es hat die Auffassung vertreten, bei dem Umschulungsverhältnis handele es sich um ein einheitliches Verhältnis, das durch die Gewährung von Uhg und die daraus fließende Versicherungspflicht nach dem AFG geprägt werde; die vom Arbeitgeber gewährte Vergütung habe daneben untergeordnete Bedeutung (Urteil vom 23. Juli 1979).

Mit der Sprungrevision macht die Beklagte geltend, daß das Gesetz keine Bestimmung enthalte, die die für das Ausbildungsverhältnis bestehende Versicherungspflicht dann ausschließe, wenn die Ausbildung der Umschulung diene und hierfür Uhg von der BA gewährt werde. Im Gegenteil ergebe sich aus § 159 Abs 4 AFG, daß die Versicherungspflicht aus einem Beschäftigungsverhältnis und die aus dem Leistungsbezug nebeneinander bestehen könnten. Die Vorschrift sehe vor, daß in den Fällen, in denen ein Versicherter während des Leistungsbezuges nach dem AFG eine krankenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe, für die Krankenversicherung aufgrund dieser Beschäftigung dieselbe Kasse zuständig sei, bei der er wegen des Leistungsbezuges versichert sei.

Die Auffassung der Beklagten werde auch durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. April 1977 - 3 RK 51/76 - bestätigt. Das BSG sei in diesem Fall ebenfalls davon ausgegangen, daß die Versicherungspflicht auf Grund eines der Umschulung dienenden Beschäftigungsverhältnisses neben der Versicherungspflicht auf Grund des Leistungsbezuges bestehe und habe lediglich entschieden, daß nicht mehrere Kassen nebeneinander zuständig seien, sondern entsprechend der Vorschrift des § 159 Abs 4 AFG nur eine.

Als Verfahrensmangel des SG hat die Beklagte gerügt, das SG habe sich in den Urteilsgründen nicht zur Versicherungspflicht des Beigeladenen in der Angestelltenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung geäußert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und die Klage

abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil und macht geltend, daß der Zweck des sozialen Schutzes durch die Versicherung nach § 155 Abs 1 AFG voll erfüllt sei. Es sei auch nicht angängig, einen einheitlichen Lebenssachverhalt versicherungsrechtlich in zwei Rechtsverhältnisse aufzuspalten. Wenn man dies aber tue, so dürfe man nicht "auf halbem Wege" stehen bleiben; man müsse dann die Ausbildung als versicherungsfreie Nebenbeschäftigung einstufen.

Der Kläger macht ferner geltend, daß die Erhebung von Beiträgen einen Eingriff in seine durch Art 14 des Grundgesetzes (GG) geschützte Freiheitssphäre darstelle. Dieser Eingriff könne nicht mit der Sozialbindung des Eigentums gerechtfertigt werden, denn der den Kläger treffenden Beitragslast stehe kein Äquivalent gegenüber. Im übrigen werde verkannt, daß der Kläger eine arbeitsmarktpolitisch erwünschte Leistung erbringe, indem er einen Umschulungsplatz zur Verfügung stelle, die Belastung mit Beiträgen diese Möglichkeit aber gefährde. Verkannt werde auch, daß die Vergütung von 250,-- DM lediglich aus Kulanz gewährt und im übrigen großenteils auf das Uhg angerechnet worden sei.

Alle Beteiligte haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) entschieden wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landessozialgericht (LSG).

Das SG hat lediglich ein Teilurteil erlassen. Es ist bei seiner Entscheidung rechtsirrtümlich davon ausgegangen, daß die Beklagte nur Beiträge zur Krankenversicherung beansprucht habe, und hat deshalb auch nur über die Pflicht des Klägers zur Entrichtung solcher Beiträge entschieden. Es hat allerdings im Urteilstenor den angefochtenen Bescheid vom 15. Juni 1976, der die Versicherungspflicht zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur BA feststellte, insgesamt "aufgehoben". Mit den weiteren Bescheiden, mit denen die Beiträge festgesetzt wurden, hat es sich - obwohl diese gem § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden waren - nicht ausdrücklich befaßt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich jedoch, daß das SG diese Bescheide ebenfalls aufheben wollte, soweit sie sich auf Beiträge zur Krankenversicherung erstrecken. Nicht dagegen kann aus der uneingeschränkten "Aufhebung" des Bescheides vom 15. Juni 1976 gefolgert werden, daß das SG die Beitragsbescheide auch hinsichtlich der Beiträge zur Rentenversicherung und zur BA aufgehoben habe, da das SG in seinen Urteilsgründen davon ausgeht, daß solche Beiträge gar nicht erhoben worden sind.

Die Beklagte hat demgegenüber mit Recht gerügt, daß sie Beiträge auch zur Rentenversicherung und zur BA erhoben habe. Dies ist aus den von der Beklagten überreichten Beitragsbescheiden ersichtlich. Das SG hätte deshalb auch insoweit über die Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide befinden müssen. Da es dies nicht getan hat, ohne sich bewußt zu sein, daß es in Wahrheit nur ein (außerdem als solches unzulässiges) Teilurteil erlassen hatte, mithin von seinem unrichtigen rechtlichen Ausgangspunkt aus keinen Anlaß hat, sein Urteil zu ergänzen, muß dieses auf die Revision der Beklagten aufgehoben und der Rechtsstreit zu seiner vollständigen Erledigung an das LSG verwiesen werden.

Das Urteil des SG leidet aber noch an einem weiteren Mangel. Das SG hätte nämlich auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die BA nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beiladen müssen, weil der Rechtsstreit auch ihnen gegenüber nur einheitlich entschieden werden kann. Es kann hier dahinstehen, ob die Beiladung entbehrlich gewesen wäre, wenn die Beklagte - trotz Feststellung der Versicherungspflicht auch für andere Versicherungszweige - tatsächlich nur Beiträge zur Krankenversicherung erhoben hätte (s dazu Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 34/80 -); denn jedenfalls dann, wenn Beiträge auch für andere Versicherungszweige erhoben worden sind oder es sich um einen Bescheid über die Feststellung der Versicherungspflicht auch in diesen anderen Zweigen handelt, der noch die Erhebung von Beiträgen zur Folge haben kann, ist eine Beiladung der betroffenen Versicherungsträger notwendig (s ua BSG SozR Nr 21 zu § 75 SGG). Dieser Mangel ist von Amts wegen zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).

Bei seiner Entscheidung wird das LSG zu berücksichtigen haben, daß die Ausbildung des Beigeladenen R. in einem regulären Ausbildungsverhältnis stattfand, dessen Charakter durch die Gewährung von Förderungsleistungen nach dem AFG grundsätzlich nicht berührt wird (s § 33 AFG; dazu Gagel/Jülicher, AFG, § 33 Anm 9 ff). Bei der Würdigung der verfassungsrechtlichen Problematik wird zu beachten sein, daß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) speziell im Hinblick auf die Finanzierung sozialer Sicherungssysteme ausgeführt hat, daß dem Gesetzgeber dabei grundsätzlich freisteht, den Mitgliederkreis sowie den Kreis derjenigen, die die Mittel hierfür aufbringen müssen, so abzugrenzen, wie es zur Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BVerfGE 44, 70, 90, s dazu auch BSG SozR 4100 § 186b Nr 1 und BVerfG SozR 4100 § 186b Nr 2). Der abgabenrechtliche Grundsatz, daß zu Beiträgen nur herangezogen werden darf, wer von einem bestimmten öffentlichen Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil zu erwarten hat, gilt dabei nicht, weil die Sozialversicherung von dem Grundsatz des sozialen Ausgleichs (Solidaritätsprinzip) beherrscht wird (BVerfGE 11, 105, 117; 14, 312, 318; 51, 115; s auch BSG SozR 4100 § 186c Nr 3).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656984

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