Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme der Berufung. wirksame Prozeßerklärungen des Prozeßbevollmächtigten. Umfang der Prozeßvollmacht. Nichtigkeit und Widerruf von Prozeßerklärungen

 

Orientierungssatz

1. Eine wirksam erteilte Vollmacht, deren Inhalt sich auf alle Prozeßhandlungen iS des ZPO § 81 bezieht, ermächtigt den Prozeßbevollmächtigten auch zur Beendigung des Rechtsstreits durch Rücknahme der Berufung.

2. Eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit, die den Kläger unmittelbar vor oder während der Rücknahmeerklärung prozeßunfähig macht, bewirkt weder eine Nichtigkeit der durch den Prozeßbevollmächtigten abgegebenen Erklärung noch berechtigt sie den Kläger zum Widerruf dieser Erklärung.

 

Normenkette

SGG § 71 Abs 1 Fassung: 1953-09-03, § 73 Abs 1 S 1 Fassung: 1953-09-03, § 73 Abs 4 S 1 Fassung: 1953-09-03, § 156 Fassung: 1953-09-03; ZPO §§ 81, 84-86; BGB § 105 Abs 2 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.02.1979; Aktenzeichen IV KOBf 36/78)

SG Hamburg (Entscheidung vom 20.04.1977; Aktenzeichen 28 KO 20/76)

 

Tatbestand

I

Der 1910 geborene Kläger bezieht Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Fußverletzungsfolgen; die zusätzliche Anerkennung von Wirbelsäulenveränderungen als Schädigungsfolgen wurde abgelehnt (Bescheid vom 26. Januar 1976). Die auf einen weiteren Versorgungsanspruch gerichtete Klage wies das Sozialgericht (SG) ab (Urteil vom 20. April 1977). Dagegen legte der Kläger Berufung ein. Nachdem ein Sachverständiger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) vom 30. August 1978 gehört worden war, wurde, wie die Sitzungsniederschrift ergibt, die Sitzung unterbrochen. Danach erklärte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, ein Verbandsvertreter, der gemeinsam mit anderen Kollegen am 5. August 1977 schriftlich bevollmächtigt worden war, "in Übereinstimmung mit dem Kläger": "Ich nehme die Berufung zurück". Dies wurde vorgelesen und genehmigt.

Am 29. September 1978 beantragte der Kläger schriftlich beim LSG die "Wiederaufnahme" seines Rechtsstreits. Er gab dazu an: Infolge einer sehr schweren Erkrankung seiner Mutter habe er vor der Verhandlung vom 30. August 1978 wieder einmal eine schlaflose Nacht gehabt. An der Sitzung habe er in einem "wirklichkeitsfremden Zustand" teilgenommen. Er habe gerade noch einem Teil des Vortrages des Sachverständigen folgen können, dann aber durch die vielen Fehler im Gutachten einen zusätzlichen seelischen Tiefschlag erlitten und danach das Verfahren nicht mehr bewußt verfolgen können. Ihm habe infolgedessen bei der Rücknahmeerklärung das erforderliche Erklärungsbewußtsein und -vermögen gefehlt. Seinen Bevollmächtigten habe er nicht auf die Unrichtigkeiten in dem mündlich vorgetragenen Gutachten aufmerksam machen können. Andernfalls hätte er ihn davon abgehalten, die Berufung zurückzunehmen. Dieser Prozeßvorgang sei ihm nicht bewußt geworden. - Der Bevollmächtigte sei nicht allein befugt gewesen, das Berufungsverfahren zu beenden. Für den Fall einer negativen Begutachtung habe er den schriftlichen Auftrag gehabt, einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu stellen. - Er, der Kläger, halte die Rücknahmeerklärung für nichtig, weil er vorübergehend geistesgestört gewesen sei. Da die Erklärung des Bevollmächtigten an die des Kläger gebunden gewesen sei und der Verbandsvertreter seine eigene nicht ohne Einverständnis mit dem Kläger hätte abgeben wollen, sei die eine nicht ohne die andere wirksam. Der Kläger habe außerdem die Vollmacht dahin eingeschränkt, daß der Bevollmächtigte die Berufung nur in Übereinstimmung mit ihm zurücknehmen solle. - Die im Zustand der Geistesstörung abgegebene Äußerung, die nichtig sei, könne nicht dadurch wirksam werden, daß das Gericht die Störung der Geistestätigkeit nicht sogleich habe erkennen können. - Zum Beweis für die behauptete Störung berief sich der Kläger auf das Zeugnis des Facharztes für innere Krankheiten Dr.L, seines behandelnden Arztes. Er stellte einen Sachantrag.

Das LSG hat aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, daß der Rechtsstreit durch die Zurücknahme der Berufung beendet ist (Urteil vom 14. Februar 1979): Die vom Bevollmächtigten ausgesprochene Rücknahmeerklärung sei für und gegen den Kläger wirksam. Die Vollmacht habe sich nach dem Inhalt der Urkunde auf alle Prozeßhandlungen iS des § 81 Zivilprozeßordnung (ZPO) bezogen. Als der Kläger sie erteilte, habe er sich nicht in einem Zustand vorübergehender Geistesstörung (§ 105 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) befunden. Wenn er meint, ihm sei nicht mehr bewußt gewesen, daß er der Rücknahmeerklärung zugestimmt habe, so sei dies nicht rechtlich bedeutsam. Die "Übereinstimmung" mit ihm sei keine rechtliche Voraussetzung der wirksamen Prozeßhandlung des Bevollmächtigten gewesen. Die Bescheinigung des behandelnden Arztes sei bei dieser Rechtslage ohne Bedeutung, lasse im übrigen auch nicht erkennen, daß der Kläger während der Verhandlung vor dem LSG vorübergehend geistesgestört gewesen sei. Darüber hinaus spreche sein damaliges Verhalten, wie es zwei der wiederum beteiligten Berufsrichter bekundet hätten, eindeutig gegen eine vorübergehende Geistesstörung. Die Berufungsrücknahme könne nicht entsprechend den Vorschriften der §§ 119 und 123 BGB angefochten werden. Auch Wiederaufnahmegründe, die einen Widerruf zulässig machen könnten, worüber aber nicht endgültig zu entscheiden sei, seien nicht gegeben.

Der Kläger rügt mit der vom - LSG zugelassenen - Revision den Verfahrensmangel, daß das Gericht den Grundsatz der mündlichen Verhandlung nicht beachtet habe (§§ 124, 202 SGG, § 128 ZPO). Was an Erinnerungen zweier beteiligter Richter zur Grundlage der Entscheidung gemacht worden sei, hätte zum Gegenstand der Verhandlung gemacht und durch Zeugen bekundet werden müssen; darüber hinaus habe der Kläger sich nicht dazu äußern können. - Das Berufungsgericht habe ihm mit dem von den beiden Richtern bekundeten Rat, die Berufung zurückzunehmen, in rechtlicher Hinsicht unrichtig belehrt; es habe ohne gründliche Sachaufklärung, insbesondere ohne eine solche nach § 109 SGG, die Sache als aussichtslos bezeichnet und sowohl den Kläger als seinen Bevollmächtigten "überrumpelt", außerdem mit dem erst in der Sitzung erstatteten Gutachten. Dieser Verfahrensfehler mache die Rücknahmeerklärung nichtig. - Der Prozeß sei weiterhin deshalb fehlerhaft verlaufen, weil das Berufungsgericht nicht aufgrund der fachärztlichen Bescheinigung aufgeklärt habe, ob der Kläger während der Verhandlung vorübergehend geistesgestört gewesen sei. - In einem Parteiverfahren wie dem Sozialgerichtsprozeß könne eine Prozeßerklärung sofort widerrufen werden, bei vorübergehender Geistesstörung sogleich, nachdem die Partei das Bewußtsein wiedererlangt habe, wie es hier geschehen sei. - Der Bevollmächtigte habe seine Vollmacht selbst beschränkt, indem er seine Erklärung nur aufgrund der ausdrücklichen Ermächtigung durch den Kläger während der Verhandlungspause abgegeben habe. Diese spezielle Bevollmächtigung sei aber nach § 105 Abs 2 BGB nichtig gewesen. - Jedenfalls habe der Verbandsvertreter die Berufung nicht ohne die Zustimmung des Klägers, mithin nur unter einer entsprechenden Bedingung zurücknehmen wollen, und das habe die Prozeßhandlung nichtig gemacht. In der Sache selbst wäre ebenfalls eine weitere Sachaufklärung notwendig gewesen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweitigen Entscheidung an einen anderen Senat des Landessozialgerichts zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Die Rügen, die der Kläger gegen das dem Urteil zugrunde liegende Verfahren erhebt, sind erfolglos. Wenn das Berufungsgericht den Grundsatz der mündlichen Verhandlung (§ 124 Abs 1 SGG) verletzt haben soll, so wirft der Kläger dem LSG vor, es habe ihm entgegen § 128 Abs 2 SGG in der Verhandlung vom 14. Februar 1979 keine Gelegenheit zur Äußerung zu den Bekundungen zweier beteiligter Berufsrichter gegeben. Außerdem soll das Gericht insoweit den Sachverhalt nicht durch Zeugenvernehmungen förmlich aufgeklärt haben, wie dies geboten gewesen sei (§ 153 Abs 1, §§ 103, 106 Abs 2, §§ 107, 117, 118 Abs 1 SGG, §§ 358 ff, insbesondere §§ 373 ff ZPO). Auf solchen Verfahrensfehlern kann aber das angefochtene Urteil nicht beruhen (§ 162 SGG). Nach der die Entscheidung tragenden Rechtsauffassung, die für die Beurteilung von Verfahrensmängeln maßgebend ist (BSGE 2, 84, 87), sind die Vorgänge in der mündlichen Verhandlung vom 30. August 1978, über die zwei Berufsrichter Näheres berichtet haben, nicht rechtserheblich; sie gehören zu dem Teil der Begründung, der nicht entscheidungsnotwendig ist.

Auch unabhängig von der Rechtsansicht des LSG ist der Sachverhalt nicht in einem neuen Berufungsverfahren weiter aufzuklären, so daß die Sache nicht zurückzuverweisen ist.

Ungeachtet einer eventuellen zeitweiligen Störung im Geisteszustand des Klägers hat die Berufungsrücknahme durch den Prozeßbevollmächtigten den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so daß das LSG durch Prozeßurteil entscheiden mußte; zutreffend hat es nicht in Fortsetzung des Rechtsstreits (Urteil des erkennenden Senats in SozR 1500 § 102 Nr 2 mN) über das Sachbegehren des Klägers erkannt (BSGE 34, 236, 237 f). Allerdings hätte der Tenor lauten müssen: "Der Kläger ist der Berufung verlustig" (§ 156 Abs 2 Satz 1 SGG).

Die Zurücknahme der Berufung, die ordnungsmäßig protokolliert wurde (§ 156 Abs 1, § 122 SGG, §§ 159, 160 Abs 3 Nr 8, § 162 Abs 1, §§ 163 165 ZPO), hat den endgültigen Verlust des Rechtsmittels bewirkt (§ 156 Abs 2 Satz 1 SGG; BSGE 19, 120 = SozR Nr 4 zu § 156 SGG; SozR Nr 7 zu § 156 SGG). Danach ist ein Antrag auf eine Sachentscheidung nicht mehr zulässig (BSGE 14, 138, 141 = SozR Nr 3 zu § 156 SGG; für die Klagerücknahme: BSG SozR Nr 9 zu § 102 SGG).

Diese Erklärung des Prozeßbevollmächtigten, der den Kläger wirksam vertreten konnte (§§ 73 Abs 1 Satz 1, Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 84 ZPO), muß dieser gegen sich gelten lassen (§ 73 Abs 3 Satz 2 SGG; vgl auch § 73 Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 85 Satz 1 ZPO). Die Vollmacht (§ 73 Abs 2 Satz 1 SGG) ermächtigte sowohl nach ihrem Inhalt als auch nach dem üblichen gesetzlichen Umfang zu allen Prozeßhandlungen und damit zur Beendigung des Rechtsstreits durch die Rücknahme der Berufung (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 81 ZPO; zum Verzicht: RGZ 103, 351, 352). Als der Kläger dem Verbandsvertreter die umfassende Vollmacht erteilte, war er uneingeschränkt prozeßfähig; das Gegenteil behauptet er selbst nicht. Ob dieser Zustand in dem Augenblick, als der Prozeßbevollmächtigte die Berufung zurücknahm, nicht anhielt, ist ohne rechtliche Bedeutung; denn die Vollmacht wurde nicht durch einen - eventuellen - Verlust der Prozeßfähigkeit des Vollmachtgebers aufgehoben oder unwirksam (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 86 Halbsatz 1 ZPO).

Wie das LSG ebenfalls zutreffend entschieden hat, hätte eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit, die den Kläger unmittelbar vor oder während der Rücknahmeerklärung prozeßunfähig machte (§ 71 Abs 1 SGG iVm § 105 Abs 2 BGB), auch nicht aus anderen Rechtsgründen bewirkt, daß die Berufungsrücknahme nichtig wäre. Damit erübrigte sich eine Sachaufklärung über den Geisteszustand des Klägers während der mündlichen Verhandlung vom 30. August 1978. Eine solche zeitweilige Prozeßunfähigkeit des Vollmachtgebers wäre nur dann rechtserheblich, 1. wenn der Kläger zuvor gegenüber dem Gericht die allgemeine Prozeßvollmacht schlechthin oder bezüglich der Befugnis zur Beendigung des Rechtsstreits widerrufen hätte (BSG, Breithaupt 1970, 168) und wenn der Verbandsvertreter sodann vollmachtlos tätig geworden wäre oder auch 2. wenn der Kläger ihn - nach einem solchen Widerruf - gesondert für die einzelne Prozeßhandlung ermächtigt hätte, was nach § 73 Abs 4 Satz 2 SGG zulässig gewesen wäre, und wenn dieser Vorgang nichtig gewesen wäre oder 3. wenn aus irgendeinem Grund die Gültigkeit der vom Prozeßbevollmächtigten abgegebenen Erklärung an eine eigene wirksame Rücknahmeerklärung des Klägers rechtlich gebunden worden wäre. Indes ist keiner dieser Tatbestände gegeben.

Für einen Widerruf oder für eine Einschränkung der allgemeinen Prozeßvollmacht gegenüber dem LSG findet sich nicht der geringste Anhalt. Ebenso wie die Vollmacht dem Gericht schriftlich nachzuweisen ist oder zur Niederschrift erklärt werden muß (§ 73 Abs 2 Satz 1 SGG), ist ihre Beendigung bekanntzugeben. Daran fehlt es. Der Kläger erteilte dem Verbandsvertreter gegen Ende der mündlichen Verhandlung auch nicht erkennbar formgerecht eine gesonderte Vollmacht für die Berufungsrücknahme. Insbesondere kann eine Erklärung eines so weittragenden Inhaltes nicht daraus geschlossen werden, daß der Prozeßbevollmächtigte die Berufung "in Übereinstimmung" mit dem Kläger zurücknahm. Vielmehr kam in diesem Zusatz nichts anderes zum Ausdruck, als die Erklärung des Prozeßbevollmächtigten sogar durch eine besondere Zustimmung des Klägers zu bekräftigen, was für das innere Auftragsverhältnis zwischen den beiden Personen rechtlich bedeutsam sein könnte. Diese Bestätigung war jedoch für die Wirksamkeit der Prozeßhandlung des weiterhin bevollmächtigten Verbandsvertreters unerheblich. Ihre Nichtigkeit wäre für die selbständige Rücknahme durch den Prozeßbevollmächtigten unschädlich gewesen. Sogar ein Handeln gegen eine ausdrückliche Weisung des Vollmachtgebers wäre davon unbeeinflußt geblieben und damit wirksam. Schließlich kommt in dem protokollierten Wortlaut nicht etwa der Wille des Prozeßbevollmächtigten zum Ausdruck, nur in rechtlicher Abhängigkeit von einem ausdrücklich und wirksam durch den Kläger erklärten Einverständnis die Berufung zurückzunehmen. Solch eine Prozeßerklärung, die, abgesehen von einer noch möglichen Kostenentscheidung (§ 156 Abs 2 Satz 1 SGG), den Rechtsstreit beenden soll, ist so auszulegen, wie sie vernünftigerweise gemeint sein wird und vom Gericht sowie vom rechtskundig vertretenen Gegner verstanden werden muß. Eine echte Bedingung derart, daß der prozeßerfahrene Bevollmächtigte sein Handeln, das von der Prozeßfähigkeit des Klägers unabhängig war, ausnahmsweise an eine prozeßwirksame Zustimmung des Klägers hätte binden wollen, war außer Betracht; denn solche Prozeßhandlungen sind bekanntlich bedingungsfeindlich (Beschluß des erkennenden Senats vom 30. Januar 1980 - 9 BV 182/79 mN), und davon müssen die rechtskundigen Parteivertreter ausgegangen sein. Auch eine sonstige rechtliche Bindung der Bestandskraft an die Zustimmung des Klägers war nicht erkennbar.

Nach allgemeiner Zivilprozeßrechtslehre wäre die Berufungsrücknahme weder infolge einer "Überrumpelung" durch das Gericht noch infolge einer unrichtigen Belehrung über die Prozeßaussicht nichtig gewesen (Bundesfinanzhof, Bundessteuerblatt 1969 II 52; Schwab, Jurist.Schulung 1976, 69, 70f mN). Eine Prozeßhandlung wie diese, die nicht mit einem Vorbehalt verbunden ist (BSGE 24, 4, 6 = SozR Nr 7 zu § 102 SGG), kann auch weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlichrechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) angefochten werden (BSG SozR Nr 3 zu § 119 BGB = BVBl 1961, 53; Urteil des erkennenden Senats in SozR 1500 § 102 Nr 2 mN). Allenfalls könnte sie als solche des Prozeßbevollmächtigten durch den Kläger ausnahmsweise entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs 1 SGG iVm § 580 ZPO) gegeben wäre (BSG aaO; BGHZ 33, 73, 75). Einen solchen Tatbestand hat der Kläger aber weder zu seinem Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens noch in der Revisionsbegründung vorgetragen. Eine strafbare Verletzung der richterlichen Amtspflichten gegenüber dem Kläger könnte nur dann eine Restitutionsklage und damit in diesem Fall einen Widerruf rechtfertigen, wenn die Richter wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden wären oder wenn ein Strafverfahren aus anderen Gründen als mangels Beweises nicht eingeleitet oder durchgeführt werden könnte (§ 580 Abs 1 Nr 5 iVm § 581 Abs 1 ZPO). Das ist nicht der Fall. Ob ein Nichtigkeitsgrund iS des § 579 ZPO ebenfalls einen Widerruf rechtfertigt, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls fehlt es gerade nicht an einer ordnungsmäßigen Vertretung des Klägers (§ 579 Abs 1 Nr 4 ZPO); denn seine Vertretung durch den Bevollmächtigten wäre, wie dargelegt, durch eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit unberührt geblieben. Andere Wiederaufnahmegründe liegen völlig außer Betracht. Eine rechtlich unrichtige Belehrung, die einen darauf beruhenden Rechtsmittelverzicht im Strafverfahren unwirksam machen könnte (OLG Hamm, NJW 1976, 1952 mN), kommt nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht in Betracht; das LSG soll lediglich durch eine fehlerhafte Beweiswürdigung den Bevollmächtigten zur Berufungsrücknahme bewogen haben. Bei dieser Sachlage ist nicht zu entscheiden, ob jener strafprozessuale Grundsatz auch in anderen Gerichtsverfahren gilt.

Mithin muß die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665881

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