Leitsatz (redaktionell)

1. Die Neufassung des BVG § 35 durch das 1. NOG KOV hat hinsichtlich des Begriffs der Hilflosigkeit keine Änderung der Rechtslage gebracht; mit der Neufassung hat sich wohl der Wortlaut dieser gesetzlichen Vorschrift, nicht aber ihr Inhalt geändert.

2. Hilflosigkeit iS des BVG § 35 ist auch dann gegeben, wenn der Beschädigte wegen der besonderen Art seines Leidens in ständiger Lebensgefahr schwebt, die nur dadurch gebannt werden kann, daß fremde Hilfe jederzeit bereitsteht, um gegebenenfalls eingreifen zu können. Der Begriff "Verrichtung" iS des BVG § 35 ist nicht eng auszulegen; hierunter fallen alle Verrichtungen, die mit der Wartung und Pflege der Person des Beschädigten unmittelbar zusammenhängt. Eine "Verrichtung" in diesem Sinne ist auch das Auswechseln einer Halskanüle und die damit zusammenhängende Säuberung im Bereich einer Kehlkopffistel.

 

Normenkette

BVG § 35 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. Juli 1962 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der verheiratete berufstätige Kläger, geboren 1916, bezog auf Grund des KB-Bescheides der Landesversicherungsanstalt Hannover vom 3. November 1948 seit 1. Februar 1948 Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. wegen

1. Narbe mit Kehlkopffistel infolge Verwundung, Tonlosigkeit der Stimme,

2. Versteifung im Großzehenendgelenk rechts,

3. Narben rechte Nierengegend infolge Verwundung,

4. Operationsnarben am Oberbauch von Plastikoperation und Magenoperation herrührend,

5. Fehlen eines Magenteils nach operativer Ausschneidung, verbunden mit Schleimhautentzündung des verbliebenen Magenrestes.

Wegen der Halsverwundung (Kehlkopffistel) erhielt er 1941 eine Dauerkanüle. Ein Antrag auf Pflegezulage, der damit begründet worden war, daß wegen des Magenleidens Diät erforderlich sei, die besondere Kosten verursache, wurde mit Bescheid vom 18. Oktober 1949 abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 558 c der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vorlägen. Durch Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamts II Hannover vom 10. Mai 1951 wurden die im Bescheid vom 3. November 1948 aufgeführten Körperschäden als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) festgestellt (anerkannt), der Kläger erhielt ab 1. Oktober 1950 weiterhin Rente nach einer MdE um 100 v. H. Über den Anspruch auf Pflegezulage enthält dieser Bescheid nichts; in dem Formular ist der Raum, in dem der Zahlbetrag der Pflegezulage zur rechnerischen Feststellung der Gesamtbezüge einzusetzen ist, mit einem Strich versehen.

Im Oktober 1959 beantragte der Kläger die Gewährung von Pflegezulage. Er trug vor, daß er in letzter Zeit wegen der beim Kanülenwechseln auftretenden Hustenanfälle zunehmend Schwierigkeiten habe, die Kanüle wieder selbst einzusetzen; er müsse deshalb beim Kanülenwechsel stets die Hilfe seiner Ehefrau in Anspruch nehmen. Der Kläger wies ferner darauf hin, daß er wegen der Schädigungsfolgen auf Diätkost angewiesen sei. Das Versorgungsamt II (VersorgA) Hannover lehnte diesen Antrag nach Anhörung des Regierungsmedizinalrats Dr. ... mit Bescheid vom 19. November 1959 ab; den Widerspruch des Klägers wies das LandesversorgA Niedersachsen am 26. Februar 1960 mit der Begründung zurück, daß die Notwendigkeit der Hilfe für einzelne Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens keine Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG bedinge. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg wies die Klage durch Urteil vom 25. April 1961 ab: die Voraussetzungen des § 35 BVG lägen nicht vor. Wie die Anhörung des Klägers und die Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin ergeben habe, bedürfe der Kläger im wesentlichen nur zum regelmäßigen Wechseln der Kanüle und zu den damit verbundenen Verrichtungen wie Waschen, und gelegentliches Baden fremder Hilfe. Damit aber werde keine Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG bedingt, denn diese setze die Notwendigkeit ständiger fremder Hilfe für zahlreiche Verrichtungen des täglichen Lebens voraus. Es sei auch nicht ersichtlich, daß der Kläger wegen seines Magenleidens auf fremde Hilfe angewiesen sei.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen holte einen Befundbericht von dem HNO-Facharzt Dr. T, Celle, ein, von dem der Kläger seit 1950 wiederholt behandelt worden ist. In dem Befundbericht vom 8. März 1962 heißt es, beim Kläger sei durch seine Verwundung und anschließende Plastikoperationsversuche eine große, schlitzförmige Fistel der Luftröhre in Höhe des Kehlkopfes zurückgeblieben, durch den Druck der Kanüle und den Reiz des Schleimes komme es oft zu Fistelbildungen am Knorpel, die sehr schmerzhaft seien und schlecht heilten. Bei den häufigen Reizerscheinungen im Kanülbereich sei es erforderlich, daß eine Hilfsperson die dort vorhandenen Barthaare und angetrockneten Sekretborken vorsichtig entferne und die Waschung des Wundgebietes vornehme. Auch beim Anlegen der Kanüle sei der Kläger auf fremde Hilfe angewiesen. Durch Urteil vom 30. Juli 1962 wies das LSG die Berufung des Klägers zurück: Die Berufung sei statthaft, sie sei nicht nach § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, denn es handele sich nicht um eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge des Klägers, weil eine Entscheidung über die Gewährung von Pflegezulage nach dem BVG erstmals durch den angefochtenen Bescheid vom 19. November 1959 erfolgt sei. Die Berufung sei jedoch unbegründet, die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 BVG seien nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sei Pflegezulage zu gewähren, solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos sei, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedürfe. Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG sei zwar auch dann gegeben, wenn der Beschädigte zu einzelnen, lebensnotwendigen und im Tagesablauf wiederholt vorkommenden Handlungen dauernd nicht imstande sei, nach dem Wortlauf des § 35 BVG kämen dabei aber nur solche Verrichtungen des täglichen Lebens in Betracht, die allgemein für jeden Menschen notwendig seien, wie vor allem die Fähigkeiten des An- und Auskleidens, des Waschens, der Einnahme der Mahlzeiten und der Bewegung im Verkehr. Diese Verrichtungen könne der Kläger - bis auf das Waschen des Halses - ohne fremde Hilfe ausführen. Das Auswechseln der Kanüle, wozu er nach dem Bericht von Dr. T fremder Hilfe bedürfe, gehöre nicht zu den Verrichtungen des täglichen Lebens im Sinne des § 35 BVG, sondern falle in den Bereich der Heilbehandlung. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Notwendigkeit fremder Hilfe durch Angehörige oder sonstige Personen, die nicht zum Krankenpflegepersonal gehören, vom Gesetzgeber übersehen sei und deshalb eine Lücke im Gesetz bestehe, oder ob Wundbehandlung nur im Rahmen des § 11 BVG gewährt werden solle. Der Inhalt des § 35 BVG biete jedenfalls keine rechtliche Möglichkeit, für derartige Hilfeleistungen eine Entschädigung zu gewähren. Auch die Hilfsbedürftigkeit bei der Säuberung des vorderen Halses könne den Anspruch auf Pflegezulage nicht begründen. Soweit die Säuberung nicht ausschließlich eine Wundbehandlung darstelle (Ablösen der Sekretborken), handele es sich nur um eine einzelne, im Tagesablauf nicht regelmäßig wiederholt vorkommende Tätigkeit. Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil des LSG erhielt der Kläger am 27. August 1962; am 10. September 1962 legte er Revision ein und beantragte,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Lüneburg vom 25. April 1961 sowie die Bescheide vom 19. November 1959 und vom 26. Februar 1960 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Oktober 1959 Pflegezulage der Stufe I zu gewähren.

Er begründete die Revision am 25. Oktober 1962: Das LSG habe zu Unrecht die Voraussetzungen des § 35 BVG nicht als erfüllt angesehen und die Verfahrensvorschriften der §§ 103 und 128 SGG verletzt. Schon der Umstand, daß der Kläger infolge des anerkannten Magenleidens auf Diätkost angewiesen sei, mache eine dauernde besondere Betreuung durch die Ehefrau notwendig. Darüber hinaus sei er auch beim Wechseln der Kanüle, das in ganz unregelmäßigen Zeitabständen erforderlich sei und bei der immer zu erwartenden Erstickungsgefahr oft sehr plötzlich erfolgen müsse, auf fremde Hilfe angewiesen. Er könne die Kanüle nicht allein herausnehmen, säubern und wieder einsetzen; während der Arbeitszeit halte sich ein als Sanitäter ausgebildeter Arbeitskamerad ständig bereit, um ihm helfen zu können. Da er somit, wie auch Dr. T bestätigt habe, darauf angewiesen sei, jederzeit fremde Hilfe schnell zur Hand zu haben, sei der Tatbestand des § 35 BVG erfüllt. Wenn das LSG der Ansicht von Dr. T, daß der Kläger auf fremde Hilfe angewiesen sei, nicht habe folgen wollen, habe es einen weiteren medizinischen Sachverständigen hören müssen. Insoweit habe das LSG seine Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt und gleichzeitig auch die Grenzen seines Rechts überschritten, das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen (§ 128 SGG).

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 SGG) einverstanden.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft; der Kläger hat sie frist- und formgerecht eingelegt, die Revision ist daher zulässig; sie ist auch begründet.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 19. November 1959 (Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1960), durch den es der Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger Pflegezulage zu gewähren. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß es sich bei diesem Bescheid nicht um eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG handelt; die Berufung ist nicht durch diese Vorschrift ausgeschlossen. Eine Neufeststellung im Sinne der §§ 62 BVG, 148 Nr. 3 SGG setzt begrifflich voraus, daß über den Anspruch, der Gegenstand der Entscheidung ist, bereits eine frühere Entscheidung nach dem BVG vorliegt, die geeignet ist, eine Vergleichsgrundlage für die Prüfung der Frage abzugeben, ob sich die Verhältnisse, die für die frühere Feststellung maßgebend gewesen sind, geändert haben (vgl. BSG 3, 271; 8, 97; 12, 20, 22; BSG SozR Nr. 13 und 17 zu § 148 SGG; Urteile vom 21. August 1962 - 11 RV 792/61 - und vom 13. Dezember 1962 - 8 RV 57/60 -). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Das LSG ist daher mit Recht davon ausgegangen, daß es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 19. November 1959 um eine "Erstfeststellung" handelt und in diesem Fall die Berufung nicht durch § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen ist.

Das LSG hat jedoch, wie der Kläger mit Recht rügt, die Vorschrift des § 35 BVG unrichtig angewandt. Voraussetzung für den Anspruch auf Pflegezulage war nach § 35 BVG i. d. F. vor dem Inkrafttreten des 1. Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960, daß der Beschäftigte infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann. § 35 BVG nF bestimmt nunmehr, daß Pflegezulage zu gewähren ist, solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf. Obwohl der Anspruch des Klägers auf Pflegezulage auch für die Zeit vor dem 1. Juni 1960 streitig ist, hat das LSG in seiner Entscheidung erkennbar nur auf § 35 BVG n F abgestellt. Dagegen sind jedoch Bedenken nicht zu erheben. Die Neufassung des § 35 BVG durch das 1. Neuordnungsgesetz hat insoweit keine Änderung der Rechtslage gebracht; mit der Neufassung hat sich wohl der Wortlaut dieser gesetzlichen Vorschrift, nicht aber auch ihr Inhalt geändert, es ist lediglich - durch fast wörtliche Aufnahme des 1. Halbsatzes der Verwaltungsvorschrift Nr. 1 Abs. 1 zu § 35 BVG aF - der Begriff der Hilflosigkeit näher umschrieben worden (vgl. auch Urteil des BSG vom 29. Mai 1962 - 10 RV 1235/58 - Breithaupt 1962, 1088). In diesem Sinne ist aber der Begriff der Hilflosigkeit von der Rechtsprechung auch schon während der Geltung des § 35 BVG aF ausgelegt worden (vgl. BSG 8, 97, 99; 12, 20, 22). Danach ist hilflos i. S. des § 35 BVG aF derjenige Beschädigte, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf, wobei es nicht erforderlich ist, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird, sondern es schon genügt, wenn die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß (vgl. BSG aaO).

Diesen Begriff der Hilflosigkeit hat aber das LSG verkannt, wenn es bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger hilflos i. S. des § 35 BVG ist, lediglich berücksichtigt hat, daß der Kläger beim Waschen des Halses auf fremde Hilfe angewiesen ist. Das LSG hat nicht geprüft, ob der Kläger bei den für ihn lebensnotwendigen Verrichtungen beim Auswechseln der Halskanüle in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf. Das LSG hat zu Unrecht angenommen, dieses Auswechseln der Kanüle sei im Rahmen des § 35 BVG nicht zu berücksichtigen, weil es nicht zu den gewöhnlichen "Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" gehöre, sondern in den Bereich der Heilbehandlung falle. Diese Auffassung findet weder im Wortlaut des § 35 BVG, auf den sich das LSG berufen hat, noch in dem Sinn und Zweck des Gesetzes eine Stütz Die Pflegezulage soll dazu dienen, dem Beschädigten, der ohne fremde Wartung und Pflege nicht bestehen kann, ein erträgliches Dasein zu gewährleisten; durch die Pflegezulage soll sichergestellt werden, daß der Beschädigte, der zur Erhaltung seiner körperlichen Existenz auf fremde Hilfe angewiesen ist, die Aufwendungen für diese fremde Hilfe auch bestreiten kann. Daraus ergibt sich, daß entgegen der Ansicht des LSG nicht nur dann Hilflosigkeit i. S. des § 35 BVG vorliegt, wenn der Beschädigte bei solchen Verrichtungen fremder Hilfe bedarf, die - wie z. B. das An- und Auskleiden, das Waschen und das Einnehmen von Mahlzeiten - "allgemein für jeden Menschen notwendig sind", vielmehr ist Hilflosigkeit auch dann gegeben, wenn der Beschädigte wegen der besonderen Art seines Leidens in ständiger Lebensgefahr schwebt, die nur dadurch gebannt werden kann, daß fremde Hilfe jederzeit bereitsteht, um gegebenenfalls eingreifen zu können. In diesem Sinne hat schon das Reichsversorgungsgericht (RVGer.) den Begriff der Hilflosigkeit ausgelegt, es hat dahin entschieden, daß dem Beschädigten auch dann Pflegezulage zu gewähren ist, wenn die Art seines Leidens jeden Augenblick fremde Hilfe nötig machen kann, "um das Schlimmste abzuwenden" (vgl. RVG 2, 207, 209). Es besteht sein Anlaß, § 35 BVG insoweit anders auszulegen, als es das RVGer. (zu § 31 RVG) getan hat (vgl. auch BSG 8, 97); daran ist auch nach der Neufassung des § 35 BVG festzuhalten. Wenn schon die Notwendigkeit fremder Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens den Anspruch auf Pflegezulage begründet, "Hilflosigkeit" somit auch ohne akute Gefahren für das Leben des Beschädigten vorliegt, dann muß das um so mehr gelten, wenn das Leiden des Beschädigten besondere Verrichtungen erfordert, bei denen - um eine akute Lebensgefahr zu bannen - fremde Hilfe jedenfalls jederzeit bereitstehen muß; auch wenn Wund- oder Heilbehandlung zu leisten ist, handelt es sich bei dieser Hilfe um "Verrichtungen" im Sinne des § 35 BVG; so ist es jedenfalls, wenn die Hilfe häufig und unvorhergesehen zu leisten ist, so daß der Beschädigte nicht die Hilfe von Ärzten oder Krankenpflegepersonal in Anspruch nehmen kann und dies auch nach der Art der Verrichtungen nicht erforderlich ist. Wie das BSG im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts wiederholt entschieden hat, ist der Begriff "Verrichtungen" i. S. des § 35 BVG nicht eng auszulegen, unter diesen Begriff fallen alle Verrichtungen, die mit der Wartung und Pflege der Person des Beschädigten unmittelbar zusammenhängen (vgl. BSG 12, 20; Urteil des BSG vom 29. Mai 1962 - 10 RV 1235/58 - aaO; RVG 6, 43, 47). Da das Auswechseln der Halskanüle und die damit zusammenhängende Säuberung im Bereich der Kehlkopffistel der Erhaltung des Lebens des Klägers dient, ist auch diese Handlung eine "Verrichtung" in diesem Sinne; wenn im Gesetz von "gewöhnlichen" Verrichtungen die Rede ist, so ist damit lediglich zum Ausdruck gebracht, daß bei der Beurteilung der Hilflosigkeit solche Verrichtungen unberücksichtigt bleiben, die insofern außer gewöhnlich sind, als sie zur Erhaltung der körperlichen Existenz des Beschädigten nicht erforderlich sind.

Das LSG hat somit, wenn es angenommen hat, das Auswechseln der Kanüle sei bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger hilflos ist, nicht zu berücksichtigen, den Begriff der "Verrichtungen" in § 35 BVG in unzulässiger Weise eingeengt und damit § 35 BVG verletzt; das Urteil des LSG ist daher aufzuheben, ohne daß es auf die weiteren Verfahrensrügen des Klägers ankommt. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Das LSG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine näheren Feststellungen darüber getroffen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange der Kläger beim Auswechseln der Halskanüle und der damit zusammenhängenden Verrichtungen fremde Hilfe dauernd benötigt. Es bedarf der Klärung, wie oft das Auswechseln der Kanüle nötig ist, ob dies nur zu bestimmten oder auch zu nicht voraussehbaren Zeitpunkten geschehen muß, ob dabei nur gelegentlich und ausnahmsweise fremde Hilfe benötigt wird oder ob fremde Hilfe stets zu leisten ist, jedenfalls aber ständig in Bereitschaft stehen muß und welche Folgen das Fehlen fremder Hilfe haben kann. Ein erschöpfendes Bild über den Sachverhalt wird sich insoweit erst nach Einholung eines eingehenden fachärztlichen Gutachtens gewinnen lassen. Die Sache ist daher zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2375003

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