Leitsatz (amtlich)

Baden mit Kameraden während der Freizeit am Garnisonsort ist in der Regel weder militärischer Dienst noch ist es den diesem Dienst eigentümlichen Verhältnissen zuzurechnen.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 1957 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Ehemann und Vater der Kläger wurde bei seiner Einberufung zum Wehrdienst 1940 für kriegsverwendungsfähig befunden. Er nahm am zweiten Weltkrieg als Infanterist, zuletzt als Feldwebel teil. 1942 kam er wegen eines Magen- und Darmkatarrhs, den er sich an der Ostfront zugezogen hatte, ins Lazarett. Bei der Entlassung aus dieser Behandlung im April 1942 wurde an Herz und Lunge kein krankhafter Befund erhoben, dagegen wurden bei einer Tauglichkeitsuntersuchung im Mai 1943 folgende Körperschäden festgestellt: L 49 (Krankheiten des Herzens in einem Umfang, der nur eine beschränkte dienstliche Verwendung zuläßt, die Arbeitsfähigkeit aber nicht ausschließt), B 52 (Fehler oder chronische Leiden der Unterleibsorgane in einem Umfang, der noch bedingte Tauglichkeit zuläßt) und A 75 (Formveränderungen der Füße, die die Tauglichkeit nicht beeinträchtigen). Z wurde darauf gvH geschrieben und leistete seitdem Dienst bei der Heeresbetreuungs-Abteilung III in B.

Am 31. Juli 1943 machte Z mit zwei Kameraden nach dem Dienst einen Ausflug zum Müggelsee. Die Soldaten lagerten zunächst am Strand, schwammen dann etwa 40 m in den See hinaus und kehrten schließlich um. Bevor sie das flache Ufer erreichten, ging der Ehemann und Vater der Kläger lautlos und ohne um sich zu schlagen unter; Badegäste bemerkten, daß er zuvor einen roten Kopf bekommen hatte. Kurze Zeit später wurde er geborgen; Wiederbelebungsversuche hatten keinen Erfolg. Nach dem Sektionsergebnis wurde angenommen, daß der Tod durch Ertrinken eingetreten sei.

Den Versorgungsantrag der Kläger lehnte das Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsamt 1943 ab, da es unwahrscheinlich sei, daß das Ertrinken durch Magenkrämpfe verursacht worden sei. Der Generaloberarzt a.D. Dr. von Z führte dagegen als Gutachter aus, wenn auch eine restlose Aufklärung der Zusammenhänge nicht mehr möglich sei, so spreche doch ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Verstorbene infolge eines Magen- oder Herzkrampfes ertrunken sei. Weil sich Z. beide Leiden während des Wehrdienstes zugezogen habe, sei der Zusammenhang mit dem Wehrdienst gegeben. Über die Beschwerde der Kläger wurde nicht mehr entschieden.

Den im August 1950 wiederholten Versorgungsantrag der Kläger lehnte das Versorgungsamt ab, da der Tod wahrscheinlich infolge einer neurozirkulatorischen Dystonie eingetreten sei, die nicht als Versorgungsleiden angesehen werden könne. Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos.

Das Sozialgericht (SG.) hob die ablehnenden Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, vom 1. Oktober 1950 an Witwenrente und vom 1. Juli 1950 an Waisenrente zu gewähren. Es war der Auffassung, der Kläger habe sich auch beim Baden nach dem Dienst noch "in Ausübung militärischen Dienstes" befunden.

Das Landessozialgericht (LSG.) wies mit Urteil vom 4. Oktober 1957 die Berufung des Beklagten zurück und ließ die Revision zu. Es war der Ansicht, Z habe als Soldat die Pflicht gehabt, möglichst bald wieder frontdiensttauglich zu werden; auch die Pflege der Kameradschaft habe zu seinen Dienstpflichten gehört. Wenn er daher mit Kameraden seine volle gesundheitliche Wiederherstellung durch Schwimmen habe fördern wollen, so sei dies "militärische Dienstverrichtung" gewesen und sein Tod sei, wenn nicht "durch die Dienstverrichtung", dann jedenfalls "während der Ausübung militärischen Dienstes" eingetreten.

Mit der Revision rügte der Beklagte Verletzung der §§ 1 Abs. 1 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Das LSG. habe den Begriff der militärischen Dienstverrichtung zu weit ausgelegt. Nicht jede Tätigkeit des Soldaten während der Freizeit oder des Urlaubs könne als Dienstverrichtung angesehen werden, auch wenn sie geeignet sei, die Gesundheit zu erhalten, die Kameradschaft zu pflegen und der Erholung zu dienen. Verrichtungen außerhalb des Dienstes seien nur "militärische Dienstverrichtungen", wenn sie auf besonderer Anordnung der Dienststelle beruhten. Nach dem Sektionsprotokoll sei es unwahrscheinlich, daß der Tod die Folge von Erkrankungen während des Wehrdienstes sei.

Der Beklagte beantragte, die Klage unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.

Die Kläger beantragten, die Revision zurückzuweisen, evtl. die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig (§§ 160, 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist auch sachlich begründet. Das LSG. hat den Begriff des militärischen Dienstes im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG überspannt. Wie der Senat bereits ausgesprochen hat, ist die Voraussetzung "anläßlich militärischen Dienstes" nicht so zu verstehen, daß davon alle Geschehnisse während der Zugehörigkeit zur Wehrmacht erfaßt würden (BSG. 7 S. 19). Nach allen bisherigen Versorgungsgesetzen hat die Zugehörigkeit zum Militär oder zur Wehrmacht allein nicht ausgereicht, um Versorgungsansprüche zu begründen. Dieser Grundsatz gilt auch für das BVG. Der Begriff "militärischer Dienst" in § 1 Abs. 1 BVG ist in Anlehnung an die früheren Versorgungsgesetze zu bestimmen. Er enthält keine neuen zusätzlichen Tatbestände und umfaßt in der Regel nicht Tätigkeiten in der Freizeit des Soldaten. Demnach genügt nach § 1 Abs. 1 BVG die Zugehörigkeit zur Wehrmacht, die auch während der Freizeit und während des Urlaubs besteht, allein nicht, um in dieser Zeit eingetretene Schädigungen als "durch eine militärische Dienstverrichtung" oder "während der Ausübung des militärischen Dienstes" verursacht anzusehen; vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten, aus denen sich ein Zusammenhang zwischen Körperschaden und Militärdienst ergibt (vgl. BSG. in SozR. BVG § 1 Bl. Ca 8 Nr. 19, Bl. Ca 20 Nr. 44). Wesentlich ist nach diesen Urteilen, ob das Verhalten des Soldaten durch Befehle bestimmt ist. Die Zugehörigkeit zur Wehrmacht hindert den Soldaten nicht, seine Freizeit soweit erlaubt, nach seinem Willen zu gestalten, während der Freizeit ist er in der Regel vom Dienst entbunden. Unfälle in der Freizeit stehen daher regelmäßig nicht in Beziehung zu dem militärischen Dienst. Wird der Soldat dagegen während der Ausübung des militärischen Dienstes von einem Unfall betroffen, so braucht zwar die Unfallursache nicht in der Ausübung dieses Dienstes selbst zu liegen, doch werden die Umstände, unter denen sich der Unfall ereignet, durch die befohlene und damit der freien Entschließung entzogene Ausübung des Dienstes bestimmt. Dies rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung von Unfällen in der Zeit, in welcher der Soldat vom Dienst entbunden ist, gegenüber denen, die sich im Dienst ereignen, während dessen sein Verhalten Befehlen unterworfen ist.

Daraus folgt, daß der Ehemann und Vater der Kläger nicht durch eine militärische Dienstverrichtung oder während der Ausübung militärischen Dienstes ums Leben kam; denn er handelte weder nach allgemeinem noch nach besonderem Befehl, als er mit seinen Kameraden im Müggelsee badete, sondern auf Grund freier Willensbestimmung und einer vom Dienst unabhängigen Verabredung. Der Senat verkennt nicht, daß es zu den Dienstpflichten des Soldaten gehört, seine Dienstfähigkeit zu erhalten und die Kameradschaft zu pflegen; diese Pflichten sind indessen nicht entscheidend für die Frage, ob sich der Soldat im Dienst befindet oder nicht, denn er hat sie auch außerhalb des Dienstes zu beachten. Die ganz allgemeine Verpflichtung, die Gesundheit und damit die Einsatzfähigkeit zu erhalten und zu stärken, vermag dem Baden und Schwimmen während der Freizeit nicht den Charakter einer militärischen oder militärähnlichen Dienstverrichtung zu geben. Damit eine Kameradschaftsveranstaltung als dienstliche Veranstaltung anerkannt werden kann, muß sie von einem Vorgesetzten geleitet oder mindestens gebilligt und gefördert werden (BSG. 8 S. 264, 10 S. 46). Daß es sich hier um eine solche Veranstaltung gehandelt habe, ist den Feststellungen des LSG. nicht zu entnehmen. Zu Unrecht hat das LSG. daher angenommen, der Tod durch Ertrinken beim Baden sei "durch eine militärische Dienstverrichtung" oder "durch einen Unfall während der Ausübung militärischen Dienstes" verursacht worden. Der Tod ist auch nicht auf die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse zurückzuführen; denn die Verabredung eines Badeausflugs nach Dienstschluß ist kein gerade dem Militärdienst eigentümlicher Vorgang.

Das angefochtene Urteil verstößt demnach gegen § 1 Abs. 1 BVG und war deshalb aufzuheben. In der Sache selbst konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Zu prüfen ist noch, ob der Tod des Ehemanns und Vaters der Kläger durch Ertrinken infolge der bei ihm festgestellten Leiden eintrat. War dies der Fall und waren diese Leiden als Schädigungsfolgen des Militärdienstes anzusehen, so kann sich daraus möglicherweise ein Versorgungsanspruch ergeben. Das Sektionsprotokoll nimmt nicht dazu Stellung, was die Ursache des Ertrinkens war; es kann daraus nicht entnommen werden, ob eine durch den Wehrdienst verursachte Schädigung als Ursache des Todes auszuschließen ist. Das Gutachten des Dr. Z hält die Verursachung durch ein Wehrdienstleiden jedenfalls für wahrscheinlich. Es ist daher zu ermitteln, welche Ursache nach dem Sektionsbefund, insbesondere nach dem dort beschriebenen Zustand des Magen-Darmkanals und des Herzens und nach den Aussagen der Unfallzeugen als die für das Ertrinken wahrscheinlichste anzusehen ist und ob sie als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG in Betracht kommt. Aus den Leidensbezeichnungen "L 49" und "B 52" allein kann dies nicht gefolgert werden. Da das LSG. Feststellungen hierzu nicht getroffen hat, wird auch eine fachärztliche Stellungnahme nicht zu umgehen sein. Erst anhand des Ergebnisses dieser Ermittlungen wird das LSG. entscheiden können, ob ein Versorgungsanspruch besteht. Da das Revisionsgericht tatsächliche Feststellungen nicht treffen darf, mußte die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325864

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