Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagter und Revisionskläger

 

Tatbestand

7

Die Klägerin ist Witwe des am 29. April 1912 geborenen und am 24. Dezember 1983 verstorbenen P. G. (G.). Dieser bezog bis zu seinem Tode aufgrund der Bescheide des Beklagten vom 10. November 1953 und vom 7. Januar 1957 Beschädigtengrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von insgesamt 80 vH; dabei war die medizinische MdE (70 vH) wegen besonderer beruflicher Betroffenheit als Bäckermeister um 10 v.H. erhöht worden.

Nach seinem Tode bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 23. August 1984 ab 1. Januar 1984 Witwenbeihilfe in Höhe von 2/3 der Witwenrente. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Im Dezember 1984 beantragte die Klägerin, ihr als Rechtsnachfolgerin des Beschädigten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen zu gewähren. Außerdem beantragte sie im Januar 1985, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 23. August 1984 Witwenbeihilfe in voller Höhe der Witwenrente zu gewähren. Der Beklagte lehnte den ersten Antrag mit Bescheid vom 28. Juni und den zweiten mit Bescheid vom 27. Juni 1985 ab. Gegen beide Bescheide erhob die Klägerin Widerspruch. Mit Bescheid vom 18. Dezember 1985, berichtigt am 4. Februar 1986, legte der Beklagte den Versorgungsbezügen des Verstorbenen bei unveränderter medizinischer MdE nunmehr eine MdE um 90 v.H. zugrunde. Zugleich stellte er fest, daß sich die gezahlten Versorgungsbezüge wegen der Anrechnung von Berufsschadensausgleich nicht erhöhten. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1986 wies er beide Widersprüche der Klägerin im übrigen zurück. Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos. Mit Urteil vom 16. November 1989 wies das Sozialgericht (SG) die Klage ab. Hingegen hatte die Berufung der Klägerin Erfolg. Mit Urteil vom 26. Juni 1990 verurteilte das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten unter Abänderung des sozialgerichtlichen Urteils und unter Aufhebung seiner im Verfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) ergangenen Bescheide, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des G. für die Jahre 1980 bis 1983 Beschädigtenrente nach einer MdE um 100 v.H., sowie ihr als Hinterbliebener Witwenbeihilfe in Höhe der Witwenrente zu gewähren und die entgegenstehenden Bescheide aufzuheben.

Es war der Auffassung, daß die medizinisch bedingte MdE des Verstorbenen von vornherein um 10% höher (mit 80 vH) zu bewerten gewesen wäre und ihm unter Einschluß der besonderen beruflichen Betroffenheit die Rente eines Erwerbsunfähigen zugestanden hätte. Daraus folge der Anspruch der Klägerin auf Witwenbeihilfe in der geltend gemachten Höhe.

Mit der durch den Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte, die Berufung der Klägerin, soweit sie Ansprüche als Rechtsnachfolgerin geltend gemacht habe, sei unzulässig gewesen, weil sie einen abgelaufenen Zeitraum betroffen und eine Gradstreitigkeit dargestellt habe (§ 148 Nrn 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Über diesen Anspruch habe das LSG nicht mehr sachlich entscheiden dürfen. Bei der Entscheidung über die Höhe der Witwenbeihilfe sei es, soweit maßgebend dafür der Anspruch des G. auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen gewesen sei, an den Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 1985 (Teil-Abhilfebescheid) inhaltlich gebunden gewesen, wonach bei G. nur eine MdE um 90 v.H. vorgelegen habe.

Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juni 1990 abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16. November 1989 insoweit als unzulässig zu verwerfen, wie sie Ansprüche als Sonderrechtsnachfolgerin des G. verfolgt, und im übrigen als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Ihrer Auffassung nach geht der Rechtsstreit letztlich um Hinterbliebenenansprüche. Voraussetzung für die Witwenbeihilfe in der geltend gemachten Höhe sei der Anspruch des Beschädigten auf Grundrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Dieser Anspruch brauche nicht zu Lebzeiten des Beschädigten anerkannt gewesen zu sein. Das ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Voraussetzungen für die Witwenbeihilfe dem Grunde nach (zB Anspruch auf Pflegezulage).

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Beklagten ist begründet.

Soweit die Klägerin einen übergegangenen Anspruch des G. auf Beschädigtenrente geltend gemacht hat, hätte das LSG nicht sachlich entscheiden dürfen, sondern ein Prozeßurteil erlassen müssen. Hinsichtlich dieses Anspruchs war die Berufung gegen das Urteil des SG nach § 148 Nrn 2 und 3 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden maßgeblichen Fassung (vgl. Art 8 Nr. 5, Art 14 Abs. 1, Art 15 Abs. 1 des Gesetzes vom 11. Januar 1993 - BGBl. I S. 49) nicht statthaft. Die Klage betraf insoweit Versorgung für abgelaufene Zeiträume (für die Jahre 1980 bis 1983) und eine Gradstreitigkeit (100 v.H. statt 90 vH), ohne daß davon die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente abhing. Daß die Klägerin Versorgung für abgelaufene Zeiträume über einen Neubescheidungsantrag (§ 44 SGB X) erstrebt, ändert daran nichts (vgl. Beschluß des BSG vom 31. März 1993 - 13 BJ 215/92). Dafür, daß die Berufung gleichwohl nach § 150 SGG zulässig sein könnte, ergibt sich kein Anhaltspunkt. Die Berufung war auch nicht deshalb zulässig, weil von der streitigen Erhöhung der MdE auf 100 v.H. die Höhe der Witwenbeihilfe abhing. Ein Anspruch, hinsichtlich dessen die Berufung ausgeschlossen ist, wird nicht deshalb berufungsfähig, weil von ihm die Existenz oder die Höhe eines berufungsfähigen Anspruchs abhängt (SozR 1500 § 146 Nrn 9, 18, 19; BSGE Breithaupt 83, 842; SGb 1987, 152; Breithaupt 89, 435; ferner BSGE 47, 241, 243; S. auch Meyer-Ladewig, 4. Aufl. RdZiff 4 zu § 144 SGG). Nur in dem umgekehrten Fall, daß die Berufung für den präjudiziellen Anspruch statthaft ist, ist sie dies auch für den abhängigen Anspruch (BSGE 14, 280; SozR § 149 Nr. 14; SozR 1500 § 144 Nr. 33; SozSich 1987, 187). Das LSG hätte also, wie die Revision zu Recht rügt, die Berufung hinsichtlich des geltend gemachten Anspruches des Beschädigten auf die Rente eines Erwerbsunfähigen als unzulässig verwerfen müssen.

Die Berufung der Klägerin wegen Erhöhung ihrer Witwenbeihilfe war aus zwei voneinander unabhängigen Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Das LSG war bereits aus einem verwaltungsverfahrensrechtlichen Grund verpflichtet, davon auszugehen, daß der Beschädigte im Zeitpunkt seines Todes keinen Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen hatte und daß damit die umstrittene Voraussetzung für die Erhöhung der Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 2 Satz 1 BVG fehlt. Durch das nicht mehr anfechtbare Urteil des SG wurden die Bescheide des Beklagten bestätigt, wonach der Beschädigte zur Zeit seines Todes keinen Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen hatte. Die bindende Entscheidung über die Höhe der Beschädigtenrente (§ 39 SGB X) bedeutete zugleich die bindende Entscheidung über die hier umstrittene Voraussetzung für die Höhe der Witwenbeihilfe.

Aber auch im Falle eines erfolgreichen Antrags der Klägerin, die Beschädigtenrente des Verstorbenen gemäß § 44 SGB X auf diejenige eines Erwerbsunfähigen zu erhöhen, durfte das LSG volle Witwenbeihilfe nicht zusprechen. Denn der maßgebliche Anspruch des Beschädigten war zur Zeit seines Todes nicht klar erkennbar. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 10. Februar 1992 (9/9a RV 31/91 - zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden, daß die für die Witwenbeihilfe wesentliche Frage, ob der verstorbene Beschädigte zur Zeit seines Todes Anspruch auf Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen hatte, grundsätzlich nach den zur Zeit des Todes wirksamen Bescheiden zu beantworten ist. Ist diese Leistung in dem zur Zeit des Todes wirksamen Rentenbescheid des Versorgungsträgers nicht bewilligt, so steht grundsätzlich auch im Verfahren über die Witwenbeihilfe fest, daß ein solcher Anspruch nicht bestand. Weitere Ermittlungen nach dem Tod des Beschädigten sind für Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen grundsätzlich nur dann verwertbar, wenn der Beschädigte selbst die Rente eines Erwerbsunfähigen beantragt hatte und das Verfahren bei seinem Tod noch nicht abgeschlossen war. Allein aufgrund des Antrags der Witwe auf Witwenbeihilfe kann von einem Anspruch auf eine solche Rente allenfalls dann ausgegangen werden, wenn es allein aufgrund der Aktenlage klar erkennbar ist, daß dem Beschädigten eine solche Rente hätte bewilligt werden müssen, wenn er sie nur beantragt hätte.

Entsprechendes gilt, wenn nach § 44 SGB X Rente eines Erwerbsunfähigen erst nach dem Tode des Beschädigten von dessen Rechtsnachfolger beantragt wird. Auch in einem derartigen Verfahren gewonnene Erkenntnisse führen nicht nachträglich zur klaren Erkennbarkeit bestimmter Leistungsansprüche des Beschädigten schon zum Zeitpunkt seines Todes. Daß die Einleitung eines Verfahrens nach § 44 SGB X durch den Rechtsnachfolger des Beschädigten zulässig und insbesondere mit § 59 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) vereinbar sei, ist zwar mehrfach entschieden worden (vgl. SozR 2200 § 627 Nr. 8 und 1200 § 59 Nrn 4, 5 und 7; 1300 § 44 Nr. 15). Gleichwohl handelt es sich dabei um ein erst nach dem Tode des Beschädigten eingeleitetes Verfahren, das erst posthum zu neuen Erkenntnissen führen kann. Diese müssen daher für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für bestimmte nicht mehr beantragte Ansprüche des Beschädigten zum Zeitpunkt seines Todes "klar erkennbar" waren, als ungeeignet außer Betracht bleiben.

Diese Beschränkung der Verwaltung und der Gerichte bei der Feststellung des Tatbestandsmerkmals "Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen" im Verfahren über die Witwenbeihilfe entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzes. Schon die Entstehungsgeschichte des Gesetzes legt dies nahe, denn es ist zu einer Zeit geschaffen worden, als nach allgemeiner Auffassung der Antrag eine "materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung" für einen Anspruch nach dem BVG bildete (BSG SozR 3-3100 § 48 Nr. 3). Der Gesetzgeber ging also ursprünglich von der Vorstellung aus, daß die Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen nur von solchen Leistungen an den Beschädigten abhängen konnten, die dieser noch selbst beantragt hatte. Die Beschränkung der Befugnis der Behörden, nach dem Tod des Beschädigten Ermittlungen über den zuletzt erreichten Grad der schädigungsbedingten MdE anzustellen, ist aber auch aus sachlichen Gründen geboten. Schon zu Lebzeiten des Beschädigten ist die Bemessung der MdE oft schwierig und nicht mit letzter Genauigkeit durchzuführen (vgl. § 30 Abs. 2 2. Halbsatz BVG). Diese Schwierigkeiten erhöhen sich in der Regel nach dem Tode des Beschädigten. Insbesondere der vorliegende Fall zeigt, daß posthume Ermittlungen oft kein überzeugendes Ergebnis bringen können. Die Erhöhung der Gesamt-MdE auf 100 v.H. beruhte vor allem darauf, daß das LSG die Gesichtsentstellung höher einstufte als die Verwaltungsbeamten, die von dem Kläger noch einen persönlichen Eindruck hatten.

Der Senat hat die Ermittlungsbeschränkungen im Verfahren über die Witwenbeihilfe zwar bisher nur in dem Fall für geboten erachtet, daß die Witwenbeihilfe auch dem Grunde, nicht nur der Höhe nach vom Anspruch des verstorbenen Beschädigten auf die Rente eines Erwerbsunfähigen abhängt (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 5 BVG). Es besteht aber kein Anlaß, Ermittlungen wegen der Beschädigtenrente gerade dann zuzulassen, wenn von deren Ergebnis, wie hier, nur die Höhe der Witwenbeihilfe abhängt. Die Feststellung der Voraussetzungen für die Gewährung der vollen Witwenbeihilfe (§ 48 Abs. 2 Satz 1 BVG) hat daher ebenfalls nur im Rahmen einer Evidenzprüfung zu erfolgen. Mithin kann Witwenbeihilfe in voller Höhe der Witwenrente nur gewährt werden, wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 1 BVG zum Zeitpunkt des Todes des Beschädigten klar erkennbar vorlagen oder sich im Rahmen eines noch vom Verstorbenen selbst eingeleiteten Verfah-rens nachträglich herausstellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.9/9a RV 26/91

BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Breith. 1994, 410

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